Es begann mit dem Begriff „Krieg“. Ist es einer in Afghanistan oder nicht? Dann kamen Soldaten nicht mehr nur ums Leben, sondern fielen. Jetzt geht die Bundeswehr erstmals in die Offensive und endlich, endlich scheint eine lange überfällige Debatte Fahrt aufzunehmen – oder ist es nur das Sommerloch? Wahlkampf gar?
Wie dem auch sei. Hatte man sich eigentlich schon damit abgefunden, dass sich die Diskussion um die Auslandseinsätze der Bundeswehr in der Aufmerksamkeitshitparade nur weit abgeschlagen hinter „Deutschland sucht den Superstar“, „Heidi Klum sucht Germanys next Top Model“ und „Internetbürger suchen die Zensur hinter technisch fragwürdigen Internetsperren“ platzieren würde, wird jetzt – im kleinen Kreise zwar, aber immerhin – prominent diskutiert. Damit einher scheint jedoch eine allgemeine Begriffsverwirrung zu gehen, denn ebenso nachdrücklich wie sich viele Teilnehmer der Debatte gegen den Begriff „Krieg“ aussprechen, machen sie glauben, es gehe darum, eine Demokratie zu schützen.
Beispiel Wolfgang Schneiderhan. Der Generalinspekteur der Bundeswehr spricht im Magazin Cicero sehr offen über den Einsatz in Afghanistan. Die Kommunikationsprobleme, die er bei dessen Vermittlung einräumt, sind vor allem auf Versäumnisse der politischen Führung zurückzuführen. Schneiderhan ist klug genug, das nicht explizit zu sagen, aber es ist klar, was er meint. (Wesentlich deutlicher ist hier sein Amtsvorgänger Harald Kujat im Gespräch mit der Zeit). Dabei liefert er en passant eine bessere Begründung für den Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten, als das dem noch amtierenden Verteidigungsminister in seiner gesamten Amtszeit gelungen ist. Im Kern führt er drei Argumente an: Glaubwürdigkeit gegenüber den internationalen Partnern, deutsche Sicherheitsinteressen und Verantwortung für die Menschen in Afghanistan. Letztere mag zwar die Folge des Engagement überhaupt sein – dessen Richtigkeit diskutierbar ist – lässt sich aber nicht leugnen – allenfalls Die Linke macht hier eine Ausnahmen. Allerdings sagt Schneiderhan auch: „In dem Land verteidigen wir eine gewählte Demokratie, die uns zu Hilfe gerufen hat. Unser Einsatz ist auch Ausdruck einer Wertegemeinschaft mit dem Grundsatz: Wir lassen uns nicht bedrohen, wir wollen so leben, wie wir es wollen.
Nun habe ich keine Ressentiments gegenüber den Menschen in Afghanistan, aber anzunehmen, dass das Land durch eine demokratische Kultur geprägt sei, ist bestenfalls naiv. Genau deshalb ist auch Eckart von Klaedens Bewerbungsschreiben um das Amt des Verteidigungsministers in der ZEIT von vergangener Woche allenfalls hinreichend. Der Beitrag des außenpolitische Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist eine Entgegnung auf einen offenen Briefs des Schriftstellers Martin Walser an Bundeskanzlerin Angela Merkel, in dem er fordert, Deutschland solle seine Truppen so bald wie möglich aus Afghanistan abziehen. So wenig zielführend Walsers Argumentation auch erscheinen mag, sie ist glaubwürdig. Vor allem ist sie aber ein Ergebnis der bisherigen Kommunikation über diesen Einsatz, denn Walsers aus der medialen Berichterstattung und ein bisschen durch Jürgen Todenhöfer genährtes Weltbild ist zumindest konsistent.
Ebenso konsistent ist von Klaedens Gegenrede. Sie entwickelt aber keine eigenständige Perspektive, die über das bisherige Engagement hinausweist. Stattdessen referiert er über die formelle Legitimation des Einsatzes: „Afghanistan ist nicht Irak. Entgegen Walsers Postulat führt die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit 36 weiteren Nationen, darunter islamische, und mit eindeutig völkerrechtskonformen Mandaten des UN-Sicherheitsrates und des Deutschen Bundestages keinen Krieg in Afghanistan. Gegen wen denn? Die von den Vereinten Nationen mandatierte Nato bekämpft nicht, sondern unterstützt die demokratisch legitimierte afghanische Regierung.“ Auch hier also wieder der argumentative Rückgriff auf eine wie auch immer geartete afghanische Demokratie, um als Pointe nicht über Peter Strucks Bonmot hinauszukommen, dass Deutschlands Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt werde.
Das alles ist nicht ganz falsch. Es ist aber auch nicht ganz richtig. So sehr wir es uns und den afghanischen Völkern auch dereinst wünschen mögen: ihr politisches System ist von einer Demokratie vermutlich weiter entfernt als die Erde vom Mars. Damit bedarf es auch mindestens ebenso großer Anstrengungen wie eine Marsmission, die Vision einer afghanischen DemokratieRealität werden zu lassen – und zwar materiell, personell und ideell. Wer aber so tut, als sei der Einsatz in Afghanistan nurmehr eine erweiterte bewaffnete Entwicklungshilfe und – um im Bild zu bleiben – vergleichbar einem Routineflug des Space Shuttles inklusive der damit verbundenen Risiken, der weigert sich, der Bevölkerung in Deutschland reinen Wein einzuschenken.
Afghanistan steht mindestens am Rande eines Bürger- bzw. Stammeskrieges. Die Bundeswehr befindet sich dort in einem Kampfeinsatz und verteidigt nicht nur unsere Werte, sondern will diese auch dort allgemein durchsetzen. Damit sind deutsche Soldatinnen und Soldaten Partei in einem Kampf der Kulturen, den vor allem die westliche Staatengemeinschaft führt. Dafür, das nicht Krieg zu nennen gibt es zahlreiche ideelle, juristische und politische Gründe. (Nachtrag vom 2. August 2009: Einige davon führt der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, in einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung an). Jedoch so zu tun, als ginge es darum, ein demokratisches System vergleichbar unserem zu verteidigen, bedeutet, in der soeben beginnenden Debatte, der deutschen Bevölkerung weiterhin Sand in die Augen zu streuen. Das ist zu wenig. Wir brauchen ein klares Bekenntnis zu unseren sicherheitspolitischen und ökonomischen Interessen, die wir mit dem Einsatz am Hindukusch verfolgen. Der Preis dafür mag sein, dass die Zustimmung der Menschen in Deutschland zum Einsatz der Bundeswehr zunächst weiter sinkt. Am Ende könnte jedoch ein neues Selbstverständnis über die Rolle Deutschland in der Welt stehen.