Der Deutsche Bundeswehrverband hatte mich anlässlich des Jubiläums 60 Jahre Jugendoffiziere gebeten, einen Kommentar zu schreiben. Es wurde ein kritischer Blick auf eine Institution, die ich sehr schätze.
Systematisch vernachlässigt
Die Jugendoffiziere der Bundeswehr sind eine weltweit einmalige Institution. 60 Jahre nach ihrer Gründung stecken sie in ihrer größten Krise. Es ist Zeit für einen Neustart.
„Ich will, dass die Bundeswehr in den sicherheitspolitischen Debatten stärker wahrgenommen wird als bisher“, sagt Eberhard Zorn, Generalinspekteur der Bundeswehr. In einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ im August 2018 geht der oberste Soldat der Bundeswehr sogar noch weiter und kündigt an: „Ich will mich in den sozialen Medien äußern.“ Noch ist von Zorn dort nichts zu
sehen. Mit seiner Forderung nach einer informierten öffentlichen Diskussion ist er aber nicht allein. Doch davon sind wir weit entfernt. Noch prägen vor allem die Berichterstattung über Ausrüstungsmängel, Beraterverträge und Personalsorgen das Bild von der Bundeswehr. Für positive Bilder sorgen derzeit fast ausschließlich die Nachwuchswerber der Truppe. Mit professioneller Unterstützung einer Werbeagentur bespielen sie die gesamte Klaviatur der modernen Medienkanäle. Ob YouTube, Facebook, Snapchat oder Instagram – Serien wie „Die Rekruten“, „Biwak“ oder „Mali“ kann man kaum entkommen. Allein von einer fundierten sicherheitspolitischen Debatte, initiiert durch das Verteidigungsministerium, keine Spur. Nicht in den klassischen Medien, nicht im Web.
Dabei hätten die Kommunikationsstrategen das geeignete Instrument bereits an der Hand, wenn sie es nicht in den vergangen Jahren systematisch vernachlässigt hätten. Die Rede ist – natürlich – von den Jugendoffizieren. Wer sich etwas intensiver mit dieser weltweit einmaligen Institution beschäftigt, den muss ihr Niedergang schmerzen. 60 Jahre nach ihrer Gründung stecken die Jugendoffiziere in ihrer schwersten Krise. Nicht nur, dass sie in der Auseinandersetzung mit Friedensinitiativen regelmäßig als Prügelknaben herhalten müssen, weil sie angeblich unbedarfte Jugendliche zum Militärdienst verführten (was sie weder wollen noch dürfen). Nein, auch für das Ministerium selbst scheinen die Jugendoffiziere etwas zu sein, mit dem man sich nicht intensiver befassen will – allen Lippenbekenntnissen zum Trotz. Anders ist es kaum zu erklären, dass die Bundeswehr in den vergangenen Jahren quasi sämtliche Chancen verpasst hat, die Jugendoffiziere zu befähigen, eine führende Rolle in der sicherheitspolitischen Debatte zu spielen.
Das wird an mehreren Stellen deutlich. Statt die Jugendoffiziere zu einem integralen Bestandteil des Webauftritts des Verteidigungsministeriums zu machen, lässt das BMVg zu, dass seit Jahren eine selbstgebastelte, inhaltlich von einem Förderverein verantworte WordPress-Seite die offizielle Präsenz der Jugendoffiziere im Internet ist. Dort, wo Jugendliche und junge Erwachsene diskutieren, also in den sozialen Medien, sind die Jugendoffiziere erst gar nicht präsent. Seit Jahren nimmt außerdem die Zahl der Stellen zu, die nicht besetzt werden. Von den offiziell 94 Dienstposten sind seit 2013 im Schnitt immer mehr als zehn Prozent vakant. Im aktuellen Jahresbericht der Jugendoffiziere für 2017 wird diese Zahl gar nicht mehr ausgewiesen. Vermutlich aus gutem Grund. Wer sich unter Jugendoffizieren umhört, erfährt, dass derzeit nur etwas mehr als 70 Dienstposten tatsächlich besetzt sind. Und während früher der Einsatz als Jugendoffizier ein möglicher Schritt auf dem Weg in die Admirals- und Generalstabsausbildung war, teilweise sogar nach der Verwendung als Kompaniechef, waren im Jahr 2015 gerade einmal fünf Dienstposten mit Berufssoldaten besetzt.
Die mangelnde Wertschätzung ist auch finanziell zu spüren. Bis auf wenige Ausnahmen werden Jugendoffiziere nach A11 besoldet, während in den Verbänden die Stellen für Kompaniechefs und ihre Stellvertreter auf A13 und A12 aufgewertet wurden. Diese Reform hat nicht nur den Anreiz eliminiert, Jugendoffizier zu werden, sie hat auch ihre Wahrnehmung in der Truppe beschädigt. Und während bei zahlreichen aktiven Spitzenmilitärs, Zorn eingeschlossen, eine Verwendung als Jugendoffiziere in der Biographie steht, ist die Verwendung als Jugendoffizier heute kein Schritt mehr auf dem Weg an die Spitze.
Was also ist zu tun, wenn man im Ministerium der Forderung von Eberhard Zorn Taten folgen lassen will? Es ist Zeit für einen Neustart. Jugendoffiziere könnten die dringend benötigte Substanz in den Dialog mit jungen Menschen und Multiplikatoren bringen. Substanz, die der derzeit dominierenden, auf Spannung, Spiel und Abenteuer ausgerichteten Nachwuchswerbung fehlt. Im Rahmen eines ressortübergreifenden Ansatzes könnten die Jugendoffiziere sich zu echten sicherheitspolitischen Referenten weiterentwickeln, die das Konzept der vernetzten Sicherheit nicht nur erklären können, sondern ein Teil davon sind. Ein solches Verständnis könnte sogar eine eigenständige Laufbahnperspektive eröffnen, die nicht mehr nur Uniformträgern offen steht. Verbunden mit einem modernen Auftritt im Internet und aktiver Beteiligung an Debatten im Social Web, könnten die Jugendoffiziere zu einer starken, vor allem aber glaubwürdigen Stimme in der sicherheitspolitischen Debatte werden – man müsste es nur wollen.
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Systematisch vernachlässigt – Die Jugendoffiziere der Bundeswehr
Das gesamte Magazin mit einem Sonderteil zu 50 Jahren Jugendoffiziere können Mitglieder des Bundeswehrverbands auf dessen Webseite kostenfrei herunterladen.