Transparenz lernen und eine Idee zur Umsetzung

Während die Auszeichnung von Stefan Kornelius als „Journalist des Jahres 2009“ nach wie vor fragwürdig ist, hat die Redaktion der Süddeutsche Zeitung eine wirklich preiswürdige journalistische Leistung erbracht. Unter dem Titel „Briefe von der Front“ veröffentlicht das Magazin der Zeitung in seiner aktuellen Ausgabe Briefe, die Soldatinnen und Soldaten aus dem Einsatz geschrieben habe. Folgt man dem Online-Dienst Meedia ist das Vorhaben beim Presse- und Informationsstab des Bundesverteidigungsministeriums allerdings nicht wirklich auf Gegenliebe gestoßen. Im Originalton: „PrInfoStab hat entschieden, das Vorhaben nicht zu unterstützen. Anfragen der ‚SZ‘ nach Kontakten zu Soldaten sind daher abzulehnen.“ Dieses Muster kommt dem Kenner bekannt vor.

Angesichts des Recherchevorlaufs ist es jedoch sehr plausibel, anzunehmen, dass diese Stellungnahme noch ein Echo des von Jung und Raabe etablierten Systems ist, das Joachim Zepelin so treffend in der Financial Times Deutschland beschreibt (Die Diktion erinnert vermutlich nicht zufällig an eine Anfrage des Bendler-Blog zu einem Video-Wettbewerb der NATO). Es besteht Anlass zu der Hoffnung, dass der neue Leiter des Presseinfostabes unter dem Transparenzgebot von zu Guttenberg, zu einem anderen Urteil kommt – besonders, wenn er das Ergebnis sieht.

In diesem Zusammenhang möchte ich eine bislang nur in kleinem Kreis diskutierte Idee vorstellen. Im September 2009 habe ich die kleine Gemeinde der sicherheitspolitisch interessierten und Internet-affinen auf einThema angesprochen, das inhaltlich dem aktuellen SZ-Magazin sehr nahe steht.

Worum geht es konkret?
Ich würde gerne eine Idee für ein Projekt diskutieren, das – wenn überhaupt – nicht alleine zu stemmen ist. Weder personell, noch inhaltlich, noch finanziell. Wenn sich aber genug Mitstreiter finden, könnte sich jedoch eine schöne Eigendynamik entwickeln.

Im Kern handelt es sich um eine Mischung des Echolot-Projekt des Schriftstellers Walter Kempowski, den randnotizen von Simon Uetz-Fugel und etwas „eines tages“ der Zeitgeschichts-Community des Spiegel: Ein kollektives, digitales Tagebuch von Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Die Idee ist es, denjenigen, die es wirklich erleben, eine Plattform zu bieten, auf der sie – gerne auch anonym – authentisch von ihren Erfahrungen berichten können. Es geht also um Anerkennung und Respekt jenseits der politischen Rhetorik. Es ist also eher Literatur/Kunst als journalistische Form, und es geht nicht um Krawall und Enthüllungen.

Wie könnte es gehen?
Mit Hilfe einer relativ einfachen technischen Plattform, betrieben von einer vertrauenswürdigen Institution. Diese könnte sogar im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung liegen, beispielsweise das Militärgeschichtliche Forschungsamt. Auch die evangelische und die katholische Militärseelsorge könnten entsprechende Anlaufstellen sein. Und wer weiß: Vielleicht stößt die Idee ja in Berlin auf Interesse. Ich freue mich auf jeden Fall auf Post.

Der Preis ist heiß

Bevor ich zum Jahresabschluss noch versuchen werde, in Bezug auf das Kunduz-Bombardement, militärische, politische und mediale Handlungslogiken neben- und übereinander zu legen, ein kurzer Hinweis auf letztere.

Das durchaus anerkannte „mediummagazin“ kürt regelmäßig die „Journalisten des Jahres.“ Für dieses Jahr haben die rund 60 Juroren nun Stefan Kornelius von der Süddeutschen Zeitung mit einem Sonderpreis ausgezeichnet. Preiswürdig sei, so die Jury, sein Beitrag “Er hat die Menschen als Ziel, nicht die Fahrzeuge“ zu Details des geheimen ISAF-Berichts zur Bombardierung in Kunduz in der Ausgabe vom 12. Dezember.  In der Begründung (hier nachzulesen) heißt es, Kornelius stelle in sachlichem Ton den Sachverhalt klar und enthalte sich weitgehend jeder Wertung und begründe so einen erheblichen Teil der Folgewirkung des Berichts.

In Abgrenzung zur Berichterstattung Bild-Zeitung hält die Jury den SZ-Beitrag für preiswürdig, „da er die eigentliche Tragweite des Thema ins öffentliche Bewußtsein rückte – nämlich die Frage nach dem künftigen Selbstverständnis Deutschlands beim Einsatz von militärischer Gewalt. In diesem Beitrag und seiner begleitenden Kommentierung zeigt sich, so die Jury, Journalismus in seiner Kernaufgabe – Details zusammenzutragen, zu analysieren und daraus Orientierung zu vermitteln abseits von jedem politischen Lagerdenken.“

Leicht beleidigt reagiert darauf Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Er war für einen anderen Preis der gleichen Jury vorgesehen, lehnt diesen aber nun ab, weil er die Rolle der Bild nicht hinreichend gewürdigt sieht (hier nachzulesen). Diekmann hat hier nicht ganz unrecht, denn mit ihrer Berichterstattung hat die Bild sich in der Tat als kampagnenfähiges Medium erwiesen und die lange überfälligen Debatte einem breiten Publikum geöffnet. Die Auszeichnung von Stefan Kornelius gewährt dagegen einen erschreckenden, gleichwohl aber realistischen Einblick in den deutschen Journalismus.

Wenn es schon ausreicht, ausgewählte Fakten aus einem Bericht der Nato einigermaßen sachlich richtig darzustellen, um einen Journalismus-Preis zu gewinnen, sind wir von einer aufgeklärten sicherheitspolitischen Debatte in Deutschland noch weit entfernt. Und auch um den Journalismus wäre es dann in der Tat nicht gut bestellt. Kornelius aber ist ein guter Journalist. Also ist dieser Preis ein Fehler. Der Preis hingegen als auch die Reaktionen darauf offenbaren jedoch, dass sich sehr viele mediale Akteure vor allem für sich selbst und nicht mehr für die Gegenstände ihrer Berichterstattung interessieren. Zumindest das kann man als Erkenntnisgewinn verbuchen.

Ein neuer Takt

War man es bisher gewohnt, dass die KommunikationsarbeiterInnen im Bendler-Block eher an der kurzen Leine gehalten wurde, scheinen der neue Minister und sein Sprecher nun auch in die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit einen neuen Takt vorzugeben. Es ist schlicht und einfach bemerkenswert (und richtig), dass ein aktueller Beitrag des ZDF zu Gefechten in der Nähe von Kunduz nun auch auf dem Bundeswehr-Portal zu sehen ist, inklusive des Kommentars, dass dort ein Guerilla-Krieg im Gange ist.

Leipziger Allerlei

So ist das nun mal beim Aufräumen. Kaum hat man die Einbauküche von der Wand abgerückt, möchte man sie schon wieder zurück schieben. Das, was sich da im Verlaufe der Jahre angesammelt hat, sieht nicht wirklich appetitlich aus. Das hindert den ein oder anderen aber offenbar nicht daran, mit vollen Händen in den Dreck zu greifen, und ihn medial zu verbreiten. Über nach wie vor verlässliche Quellen im Verteidigungsministerium verfügt beispielsweise die Leipziger Volkszeitung (dem ehemaligen BMVg-Sprecher Thomas Raabe schon öfter treu zu Diensten), die die Vorgänge in Kundus zur Selbstvermarktung nutzt (BND, Gezielte Tötung).Irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass da vor diversen Jobwechseln nochmal die Kopierer heiß gelaufen sind.

Parallel zur weiteren Untersuchung der Bombardierung, darf man also gespannt sein, ob es zu Guttenberg gelingt, die Aufräumarbeiten im Bendlerblock trotz „friedly fire“ erfolgreich zu Ende zu bringen. Andererseits: Angesichts der im Vergleich zum Stammpersonal des Ministeriums kurzen Stehzeiten der Regierenden, könnte mancher auch versucht sein, die Schränke einfach wieder zurück zu schieben und das Leipziger (und anderes) Allerlei, das sich dahinter sammelt, einfach zu verbergen.

Die Kunduz-Kampagne

Die beste PR-Agentur Deutschlands ist immer noch die BILD. Wenn sich also die Kommunikatoren im Verteidigungsministerium nicht sicher sind, wie Kampagne funktioniert, reicht es dieser Tage völlig aus, die Zeitung mit den großen Buchstaben zu studieren (Zivile und militärische Kommunikationseliteakademien in und um Berlin herum dürfen mitstaunen). Dank ihrer Informanten im Geschäftsbereich des BMVg und des Parlaments kann die Bild-Redaktion derzeit auf ihrer Sonderseite zum Thema Kundus-Bombardement eine umgekehrten Salamitaktik nutzen. Die Wurst wird jeden Tag länger. Leider dürfte sie weder den Entscheidern im Bendler-Block noch der Bundesregierung besonders gut schmecken. Zumindest das Publikum ist interessiert, und man muss der Bild schon fast dankbar sein, dass sie mit ihrer Kampagne eine etwas breitere sicherheitspolitische Debatte befördert.

Was und wem nutzt Transparenz?

Aus Sicht des Verteidigungsministers ist die Situation nicht nur erfreulich. Zwar haben ihm die Handlungen einiger Akteure nach dem Bombardement geholfen, einen personellen Neuanfang durchzusetzen. Allerdings bleibt er von den medialen Nachbeben des Bombardements nicht verschont. Könnte hier die von ihm viel beschworene Transparenz helfen? Vielleicht. Da ja nun offenkundig die Informationen tröpfchenweise aus seinem Hause sickern, könnte er die Schleusen auch gleich ganz öffnen lassen. Konkret: Die im Hause vorliegenden Berichte samt und sonders veröffentlichen (unter Wahrung der Geheimhaltungspflichten). Das Risiko, dass militärische Laien nicht verstehen, was darin steht, ist überschaubar. Was zählt ist die Geste, mit der den Spekulationen der Presse der Boden entzogen werden könnte. Genau hier liegt aber auch die größte Sprengkraft. Denn wenn die Berichte nicht veröffentlicht werden, liegt die Vermutung nahe, dass darin etwas steht, dass das öffentliche Wohl, oder wohl eher die Regierung, noch nachhaltiger stören würde, als es die Kundus-Kampagne der Bild schon ohnehin tut. Auch hier gilt also: Fragen, die man ihnen nicht selbst beantwortet, beantworten sich die Menschen selbst. Davon losgelöst bleibt das Kundus-Bombardement eine Ikone des Versagens.