Mehr als ein Schiff

Besatzungsfoto Gorch Fock

Quelle: http://www2.gorchfock.de/

Die Gorch Fock ist mehr als ein Schiff. Sie ist ein Bündel von allem, was wir über sie sagen, vor allem aber ein Bündel der Erfahrungen und Erlebnisse all der Männer und Frauen, die auf ihr gefahren sind. Und es ist eine fast unfassbare Verkehrung der Tatsachen, dass das Bild der Gorch Fock derzeit vor allem von denen geprägt wird, die an ihr gescheitert sind. Damit das nicht so bleibt, hat die Besatzung dem alles entgegen gestellt, was sie hat – sich selbst. Ein starkes, ein verzweifeltes Signal. Ein Signal, auf das die Marine, auf das jeder Soldat und jede Soldatin stolz sein kann. Und ein Signal dafür, dass der Primat der Politik tunlichst nicht durch den Primat des Boulevard ersetzt werden sollte. Die Folgen wären unabsehbar.

Was wir an der Diskussion über die Gorch Fock über Kommunikation lernen können

Wer die Diskussion über die Gorch Fock verfolgt hat, kommt nicht umhin, sich damit auseinander zu setzen, was das denn nun bedeutet, und ob, und wenn ja was, man daran über (Unternehmens)Kommunikation in der Mediengesellschaft lernen kann. Hierzu ein paar Anregungen:

– Nach dem die Bild noch einmal mit dem Wasserski fahrenden Kapitän versucht hat, nachzulegen, hat das PIZ Marine  der Story den Stecker gezogen. Gut, dass zu Guttenberg nicht auch noch über dieses Stöckchen gesprungen ist, das die Redaktion ihm hingehalten hat.

– Wir haben gelernt, dass die Bild kein Freund des Militärs, sondern der Auflage ist (was interessanterweise auch bedeutet, dass die Bild und andere Medien eigentlich die einzigen sind, die konsequent ihrer Linie folgen. Damit kann und muss man arbeiten)

– Wir haben gelernt, dass der Minister unter Druck Fehler macht und im Zweifelsfall eher seine Offiziere verrät, als sich mit ihnen zu beraten. Das Publikum und vor allem die Truppe spüren den Verrat genau, sind aber dennoch bereit zu verzeihen, weil zu Guttenberg in der Tat verspricht, mehr zu bewegen, als seine Vorgänger. Außerdem ist ein Minister mit einem schlechten Gewissen ein besserer Verhandlungspartner.

– Wir haben gelernt, dass der Inspekteur Marine weder das Rückgrat noch die Ideen hatte, wie er den Minister hätte davon überzeugen können, dass die Einbestellung von Schatz in der Sache nicht falsch, aber von Anfang an falsch kommuniziert war. Stattdessen hat er sich nacheilend in peinlicher Gefechtsfeldlyrik (oder wie auch immer das Gefechtsfeld bei der Marine heißt) ergangen, die vor Metaphern nur so strotzte, um die fehlende Substanz zu kompensieren. En passant hat der Inspekteur damit offenbart, dass quasi in der gesamten Admiralität und Generalität der Bundeswehr keinerlei Willen oder Kompetenz mit Blick auf ein professionelles Kommunikationsmanagement vorhanden ist.

– Wir haben gelernt, dass der teure Stab Strategische Kommunikation des Ministers ein fulminanter Schlag ins Wasser ist, weil die dort dienenden Leichtmatrosen beim ersten Sturm über Bord gegangen sind, auch, weil sie keinerlei Gespür für das Soldatische haben.

– Wir haben gelernt, dass die Opposition nicht satisfaktionsfähig, weil intellektuell überfordert ist.

– Und wir haben gelernt, dass die bemerkenswerte Ahnungslosigkeit des Ministers über das nicht immer appetitliche Wesen des Militärs bemerkenswert mit der bemerkenswerten Ahnungslosigkeit des Publikums (freundliches Desinteresse war also ein Euphemismus sondergleichen) korrespondiert, und die Beliebtheitswerte des Ministers deshalb vermutlich bemerkenswert stabil bleiben werden, denn im Kern misstraut der deutsche Michel seinen Soldaten noch mehr als seinen Politikern, vor allem, wenn sie gut aussehen.

Soviel Klarheit war also nie, und zu Guttenberg bleibt im Amt, weil er gerade noch die Kurve bekommen hat.

Mir gefällt das, denn es zeigt mal wieder, warum sich Soldaten selbst nach Kriegen verstehen – sie teilen die Gewissheit, von der Regierung verarscht worden zu sein. Habe ich wen vergessen? Glück Ab!

Mal wieder kein Fernsehen

Wer lernen möchte, wie Fernsehen nicht funktioniert, dem sei dieses Propaganda-Video des Bundeswehr eigenen Senders bwtv empfohlen. Das passiert, wenn man Archivmaterial zusammenschneidet und ohne Pause einen toten Text darüber quatscht. Das erreicht noch nicht einmal Praktikantenniveau, und wer auch immer den Beitrag freigegeben hat, müsste sich jetzt vor einer Abberufung fürchten – wenn irgendwer die Medienmacher der Truppe noch ernst nähme.

Verlorenes Vertrauen

Der Politikstil von Verteidigungsminister zu Guttenberg ist gescheitert. Dass er noch im Amt ist, verdankt er der erschreckenden intellektuellen Schwäche der Opposition, die nicht vermag, ihre Kritik auf den Punkt zu bringen und den fehlenden personellen Alternativen der Regierungsparteien. Vor allem in der Truppe hat er mit seiner katastrophalen Kommunikationspolitik Vertrauen verspielt. Soldaten und Soldatinnen spüren sehr genau, wenn sie von der Führung verraten werden. Andererseits ist zu Guttenberg noch sehr jung und unerfahren. Vielleicht schafft es der Minister, mit ehrlicher Arbeit nach innen doch noch ein professionelles Vertrauensverhältnis zu seinen Offizieren herzustellen. Genau das fehlte nämlich bisher, was die euphemistisch als „Kommunikationspannen“ bezeichneten Störungen deutlich zeigten. Wenn zu Guttenberg seine ehrgeizigen Reformpläne umsetzen will, muss er aber einen grundlegenden Wandel einleiten. Weg vom Primat des Boulevard, hin zu den Sorgen und Nöten der Soldaten, die er mit den Interessen der Industrie, den Sparvorgaben der Regierung und nicht zuletzt der Rolle des Parlaments in Einklang bringen muss. Mit seiner bisherigen autokratischen und selbstbezüglichen Art wird das nicht gelingen. Der Reformation der Bundeswehr muss die Reform der zu Guttenberg-Methode stehen.

Live diskutieren

An Gesprächsstoff zu sicherheitspolitischen Themen mangelt es derzeit ja nicht wirklich. Wer sich hierbei auch für die journalistische Sichtweise interessiert, dem sei die folgende Veranstaltung des Netzwerk Recherche am 25.1.2011 empfohlen (Anmeldung erforderlich):

Mainzer Mediendisput in Berlin 01/2011

Auslandsberichterstattung im Ausnahmezustand: Was und wie berichten Journalisten noch über Krisen und Kriege?

Wer diktiert die politische Themen-Agenda in Krisenzeiten? Welche Auswahl- und Relevanzkriterien haben Chefredakteure? Laufen Enthüllungsportale wie Wikileaks der Auslandsberichterstattung den Rang ab? Wie nutzen Krisenreporter Blogs, Twitter und Social Networks für ihre Arbeit? Was ist authentisch, was reine Kriegs-PR?

Darüber diskutieren am Montag, 25.01.2011 ab 19 h in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz in den Ministergärten 6 in Berlin-Mitte:

Stephanie Doetzer, Ehem. Redakteurin Al Jazeera, Qatar
Christoph Maria Fröhder, freier Fernsehjournalist und Krisenreporter
Astrid Frohloff, Vorstand Reporter ohne Grenzen
Matthias Gebauer, Chefreporter „Spiegel Online“
Susanne Koelbl, Krisenreporterin „Der Spiegel“
Julian Reichelt, Kriegsreporter „Bild“
Prof. Dr. Stephan Weichert ,Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation (MHMK), Ko-Autor der Studie „Die Vorkämpfer“

Moderation: Prof. Dr. Thomas Leif, Chefreporter Fernsehen SWR Mainz, Vorsitzender Netzwerk Recherche e.V.

Zur vorbereitenden Lektüre hier noch der Link zu meinem Artikel zu den Forward Media Teams der NATO in Afghanistan als Beispiel innovativer Strategien der Militär-PR:

In der Grauzone – Arbeiten an der Schnittstelle von Journalismus und Militär-PR

Kulturkampf statt Kulturwandel

Wenn ich die aktuelle Berichterstattung über Ereignisse, die die Bundeswehr betreffen, richtig bewerte, stehen zu Guttenberg und die neue Führung der Bundeswehr vor einer ersten fundamentalen Krise, gegen die sich die medialen Erregungswellen und Kundus und Kerner harmlos ausnehmen.

Worum geht es? Derzeit werden vor allem drei Fälle öffentlich  diskutiert:

Von Unbekannten vermutlich geöffnete Feldpostbriefe aus Afghanistan
– Der Unfalltod einer Offizieranwärterin der Marine auf dem Segelschulschiff Gorch Fock
Der Tod eines Soldaten in Afghanistan, der vermutlich durch einen Kameraden wegen unsachgemäßen Umgangs mit einer Waffe verschuldet ist.

Warum sind das Zeichen einer fundamentalen Krise?

Im Oktober 2009 habe ich hier geschrieben, dass die Bundeswehr vor einem Kulturwandel stehe. Eineinhalb Jahre und eine Weise-Kommission später zeigt sich nun, dass der Wandel nun zum Kampf wird. Die Indizien sind eindeutig: Nicht der Minister hat die Aufklärung der o.g. Vorfälle aktiv betrieben, sondern der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus, hat sie auf die Agenda gesetzt.

Damit bieten sich zwei Lesarten an:

1. Zu Guttenberg hat versucht, die unselige Tradition des Verschweigens und Vertuschens seines Vorgängers Franz-Josef Jung fortzusetzen. Dann hat er jetzt trotz seiner dynamischen Forderungen nach rückhaltloser Aufklärung ernsthafte Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit geweckt.

2. Die Truppe (und ihre Führung) haben das Ministerium nicht ausreichend über die Vorgänge informiert, was nichts anderes bedeutet, als dass sie zu Guttenberg nicht folgen. Strafmildernd könnte hier allenfalls der Umstand sein, dass die Verantwortlichen die Brisanz der Vorgänge unterschätzt haben. Das aber wäre nichts anderes, als den schon vor zu Guttenberg geforderten aktiven Gehorsam verweigert zu haben.

Kompetenz vs. Aufmerksamkeit

Auf ein Neues. Lassen wir 2011 beginnen. Eine Prognose: auch in diesem Jahr werden wir beobachten wie und wo sich die Schere zwischen Kompetenz und medialer Aufmerksamkeit beim Thema Sicherheitspolitik öffnet. So ist beispielsweise der Nachrichtenwert einer Ex-Bischöfin, die (noch) nicht in Afghanistan ist höher als der Besuch eines Bundestagsabgeordneten (und Oberst a.D.) eben dort. Im Klartext: Käßmann zieht, Kiesewetter nicht.

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