Der Krieg im Kopf

„War, what is it good for? Absolutely nothing!“ So einfach klingt das bei Bruce Springsteen. Was aber passiert mit Menschen, die den Krieg erleben, ihn überleben? Die Erinnerung daran ist in Deutschland weitgehend verblasst. Jetzt kehrt sie zurück und – um es deutlich zu sagen – die Tatsache, dass es vornehmlich Soldaten sind, die diese Erfahrungen machen, ist kein Grund für Relativierungen, denn die Soldaten tragen den Krieg zurück in unsere Gesellschaft, und wir müssen lernen, damit umzugehen.

Warum, zeigt eindrucksvoll das Buch des ehemaligen Bundeswehroffiziers Andreas Timmermann-Levanas. „Die reden – Wir sterben“ hat es der Verlag betitelt, und mit der Unterzeile „Wie unsere Soldaten zu Opfern der deutschen Politik werden“ auch gleich die Marschrichtung für die Vermarktung vorgegeben. Um maximale Aufmerksamkeit zu erzielen – nicht leicht auf der von Egomanen besetzen Medienbühne – soll ein Keil zwischen Politik und Armee getrieben werden, und zwar genau an der Bruchstelle, die Franz Kafka in seinen Werken so brilliant beschrieben hat: Dort, wo Menschen auf Bürokratie treffen.

Das, was Timmermann-Levanas über seine Erfahrungen mit der deutschen Militärbürokratie im Allgemeinen und der Bürokratie des Sanitätsdienstes schreibt, ist ebenso plausibel wie bedrückend. Zwar wird ihm von den Ärzten der Bundeswehr wiederholt attestiert, unter einer massiven Posttraumatischen Belastungsstörung in Folge von Erlebnissen im Einsatz zu leiden, die für die Anerkennung einer entsprechenden materiellen Versorgung zuständige Stelle deligiert seinen Fall jedoch an eine externe Gutachterin, die nach Aktenlage entscheidet, er habe die Ereignisse nicht persönlich erlebt. Die Antwort, wer jedoch an seiner statt unter Beschuss lag, bleibt sie schuldig.Dem Kampf im Namen Deutschlands folgt nun ein Kampf gegen Deutschland, bei dem die Gegner ebenso unsichtbar bleiben, wie in Afghanistan.

Allerdings macht es Timmermann-Levanas dem Leser nicht immer leicht das Opferbild, das er von sich zeichnet, widerspruchslos zu akzeptieren. Zu kleinteilig sind seine Beschwerden über anfängliche Widrigkeiten seines ersten Einsatzes in Bosnien, zu pathetisch klingen seine Ansprüche an sich selbst und die Organisation, der er dient, und mit zu wenig professioneller Distanz spricht er beispielsweise über seine Rolle als Pressesprecher in Afghanistan. Hier wünscht man sich ein strengeres Lektorat des Verlages und etwas weniger Affirmation durch die Co-Autorin Andrea Richter. Die, so könnte man meinen, hat sich von den Erlebnissen von Timmermann-Levanas überwältigen und ihm sowohl zuviel militärischen Jargon und als auch Pathos durchgehen lassen. Etwas mehr Reflexion und Präzision hätten hier die Wirkung verstärken können.

Um es klar zu sagen: Das ist kein persönlicher Vorwurf sondern vielmehr Authentifizierung des Gesagten. So gibt der Autor beispielsweise zahlreiche Hinweise darauf, dass kluge Vorgesetzte früher hätten erkennen können, dass hier ein Mensch möglicherweise mit den Aufgaben überfordert ist, die man ihm gibt. Auch das macht das Buch lesenswert, denn er ermöglicht Einblicke in die Kultur einer Organisation, die sich in weiten Teilen und vor allem in der Spitze zu lange vor den Realitäten einer Einsatzarmee abgeschottet hat. Eine Kultur, die, so ist zu befürchten, sich immer noch nicht fundamental gewandelt hat und die bis zum Ende des Regimes des ehemaligen Verteidigungsministers Jung sogar in ihrer höchsten Blüte stand. Und zwar in einer Art und Weise, dass selbst die Institution des Wehrbeauftragten, wenn nicht Mittäter, so doch hilfloser Zuschauer war. Selbst Generale können davon berichten.

Hätte dieses System weiter Bestand, müssten wir uns nun darauf gefasst machen, dass gezielt Zweifel darüber gestreut würden, wieso ein Offizier, der so kompetent über seine Krankheit sprechen kann, wie Timmermann-Levanas, eigentlich nicht mehr dienstfähig sei. Anlass zur Hoffnung, dass dies nicht geschehen wird, gibt unter anderem, dass die vom Autor ins Leben gerufene Selbsthilfeorganisation Deutsche Kriegsopferfürsorge sich in diesem Jahr zum Tag der Offenen Tür in Berlin auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums präsentieren durfte. So sinnlos also für viele Krieg sein mag, dieses Buch ist es nicht.

Ein Anfang – Afghanistan-Berichterstattung der Bundesregierung

Blogger, vor allem, wenn sie sich zu übergeordneten Themen äußern, tun das auch, weil sie glauben, etwas bewirken zu können. Sie tun damit etwas sehr menschliches, denn sie folgen einem Muster, den die Psychologie mit dem schönen Begriff „Selbstwirksamkeitserwartung“ (SWE) versehen hat. (Die Grenze zur Selbstüberschätzung ist vermutlich fließend.) Eine wesentliche Quelle dieser SWE ist Anerkennung, öffentliche zumal.

Heute ist so ein Tag, an dem ich mein Tun in diesem Blog öffentlich anerkannt empfinde. Am vergangenen Donnerstag hat die Bundesregierung mit einer neuen Form der Afghanistan-Berichterstattung begonnen. Sie hat sich selbst 50 Fragen zum deutschen Engagement in Afghanistan gestellt und beantwortet. Ja, das ist natürlich PR, aber es ist ein erster Schritt zu einer kontinuierlichen Information über das, was Deutsche und andere in unserem Namen am Hindukusch tun. Inhaltlich entspricht der Fragen und Antwortenkatalog einer der wesentlichen Forderungen, die ich im Mai dieses Jahres in einer Petition an den deutschen Bundestag formuliert habe, und der sich immerhin 782 Mitzeichner angeschlossen haben: es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, sich aus einer Hand, transparent, einfach und nachvollziehbar über den Einsatz zu informieren.

Das nun veröffentlichte Dokument ist selbstverständlich nur ein Anfang. Um den Diskurs weiter zu führen muss sich diese Berichterstattung verstetigen und konkretisieren. Diejenigen, die bereit sind, sich dieses Themas ernsthaft anzunehmen haben nun einen offiziellen Referenzpunkt, an dem sie ansetzen können, um Anspruch und Wirklichkeit zu vergleichen. Eine hervorragende Quelle, um dies zu tun sind nach wie vor die Berichte des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Winfried Nachtwei. In einem aktuellen Beitrag für das Projekt Linke Mitte spricht er dabei die zentralen Fragen an, zu denen jeder, der sich mit Afghanistan befasst, eine Position entwickeln und diese kontinuierlich überprüfen muss. Auch und insbesondere die Bundesregierung. Mit einem Fragen- und Antwortenkatalog ist es nicht getan.

Combat Camera

Gute Abstimmung der deutschen und britischen Kameraden. Während die September-Ausgabe der Y. (noch nicht online) mit einer lesenswerten Titelgeschichte zu den Einsatzkameratrupps aufmacht, berichtet der Guardian heute über die Arbeit der britischen Combat Camera-Teams in Afghanistan. Auch die Gegenseite ist nicht untätig und hat die Videopropaganda an Paul Refsdal, einen norwegischen Journalisten, „outgesourct“, wie der Telegraph schreibt. Dieses Video ist leider aus Copyright-Gründen außerhalb Australiens nicht verfügbar, aber von Refsdal liefen auch schon entsprechende Beiträge im deutschen Fernsehen und auch auf YouTube findet sich einiges (siehe u.a. hier oder hier im Channel von Soldatenglueck).

Das Gute im Schlechten: Die Taliban lassen sich auf die Medienlogik ein, was bedeutet, dass prinzipiell auch nicht medial vermittelte Verständigung möglich ist (davon abgesehen, dass die Kämpfer wirklich erbärmlich ausgebildet sind). Expect to see more …

Mediale Spätsommeroffensive

Das haben sich die Kollegen der Abteilung Strategische Kommunikation im Bendlerblock gut ausgedacht. Ende Mai hielt Minister zu Guttenberg seine wegweisende Grundsatzrede an der Führungsakademie der Bundeswehr. Einen Monat später wurde das Publikum gezielt darauf hingewiesen, wie langweilig der Wehrdienst sein kann („Die große Leere“) – und wie kreativ die Generation YouTube ihre medialen Möglichkeiten nutzt. Im Anschluß eröffnete der Minister die lange überfällige Debatte über die Zukunft der Wehrpflicht, um direkt im Anschluß deutlich zu zeigen, wo die Reise der deutschen Streitkräfte hingeht: in Einsätze wie den in Afghanistan.

Und während der Chef persönlich die Bilder liefert – die vor allem (aber nicht nur) in der Fläce wirken -, trägt unter anderem die Wochenzeitung des Bundestages „Das Parlament“ zum intellektuellen Unterbau bei. Ja, so muss man das machen. Freuen wir uns auf einen heißen Herbst.

Nachtrag:
Auch die Wirtschaft scheint nun endlich gewilt, sich des Themas anzunehmen. Mit DIHK-Präsident Driftmann, der auch Vize-Vorsitzender der Expertenkommission zur Reform der Bundeswehr ist, unterstützt laut tagesschau.de auch ein prominenter Verbandvertreter Einsätze der Bundeswehr, wenn es darum geht, internationale Handelswege zu sichern.

Die Guttenberg-Galaxis – Der Minister als Posterboy

Ob Angela Merkel das meinte, als sie „Ernsthaftigkeit“ zur Parole der zukünftigen Regierungsarbeit erklärte? Bild jedenfalls nutzt die Gelegenheit, um die Verbindung von Pop und Politik zu zeigen und die. Titelheld der heute erschienenen Ausgabe mit 3D-Bildern ist Verteidigungsminster zu Guttenberg. Und wenngleich die Ikonographie in der Truppe sicher gut ankommt – Minster in 3D sind fast so beliebt wie Damen in Doppel-D, dürfte sie in Berlin die ein oder andere Lästerrunde beflügeln. Und ob es ihm dabei hilft, die Wehrpflicht abzusetzen, ist auch nicht so sicher. Die Frage allerdings, was sich Soldaten zukünftig in den Spind hängen werden, ist beantwortet:

Kommunikation und Zeit

Einer der unschätzbaren Vorteile der Beobachterposition im Vergleich zu denen, die in einer professionellen Rolle handeln müssen, ist die Möglichkeit, den Blick abwenden zu können. Das habe ich in den vergangenen Wochen getan, und es tat gut. Tut es noch immer, denn es ergeben sich weitere Vorteile.

Nicht täglich auf einen Gegenstand seines Interesses zu schauen,verbessert die Sicht darauf, ob und was sich verändert hat. Nicht am Gegenstand selbst – denn nicht nur ist das Wesentliche für die Augen unsichtbar (Saint-Exupéry) -, auch kann man Organisation und also auch die Bundeswehr nicht sehen (wer das vertiefen möchte, dem sei unter anderem dieser Aufsatz von Siegfried J. Schmidt zur Unternehmenskultur empfohlen, aber Vorsicht, es ist wirklich sehr wissenschaftflich. Systemtheorie eben.). Beobachten kann man sie gleichwohl, beispielsweise in dem man verfolgt, wie sie sich äußern und was über sie gesagt wird.

In den vergangenen Wochen:

– hat die Bundeswehr die ikonische Wende (iconic turn) nachvollzogen und begonnen, sich aktiv ein Bild von sich selbst zu machen. Der Bundeswehr-eigene You-Tube-Kanal ist nicht nur ein ausgezeichnetes Objekt, dessen Filme und Betrieb plausible Rückschlüsse auf das Wesen der Organisation zulassen – langsam, selbstbezüglich, unsicher, kontrollwütig (um nur einige Charakteristika zu nennen -, sondern hat sich gleichzeitig als Kristallisationspunkt teilweise wütender Beschimpfungen etabliert. Kaum ein zweites Forum – vielleicht von den Leserkommentaren auf Bild und Welt Online abgesehen – ermöglicht einen dearart präzisen Blick auf unsere Gesellschaft. Und bisher fast 5.000 Abonnenten sind ein wirklicher Erfolg.

– hat das vermeintlich aufklärerische Projekt Wikileaks genutzt, um mein Vertrauen sowohl in die Fähigkeiten als auch das Unvermögen des deutschen und amerikanischen Militärs und seiner politischen Führung zu stärken. Wenn selbst der Spiegel keinen Skandal konstruieren kann, sondern im Wesentlichen bestätigt, dass die von den Verteidigungsministerien verbreiteten Informationen richtig sind, weiß ich, dass wir in der sicherheitspolitischen Community über das Richtige reden und dass die Soldaten im Einsatz über diesen redlich berichten (und Wikileaks vielleicht doch ein Projekt des ameriknaischen Geheimdienstes;-)).

Der eigentliche Skandal aber bleibt die Kommunikationspolitik des deutschen Verteidigungsministeriums unter Jung. Es ist gut, dass die Herren Raabe, Wichert und Schneiderhan ausgeschieden sind (und das meint nicht die Menschen, die kenne ich – im Gegensatz zu anderen unmittelbar Betroffenen – nicht, sondern ihr Agieren in ihren professionellen Rollen.).

–  hat es das Time Magazine geschafft, dem Krieg in Afghanistan ein Gesicht zu geben. (Ein Gesicht, dass den meisten anderen Kriegen auf dieser Welt fehlt, weshalb es uns leichter fällt, sie zu ignorieren).

– hat Karl-Theodor zu Guttenberg den längst überfälligen Abschied des Pflichtwehrdienstes eingeläutet, und den vermeintlichen Experten der anderen Parteien Gelegenheit gegeben, zu zeigen, dass sie für ihre Aufgabe nicht überqualifiziert sind.

– ist mit Sicherheitshalber.net ein neues Blog mit viel Schwung gestartet (aber schin wieder etwas eingeschlafen?)

– hat sich Thomas Wiegold vom Focus verabschiedet und Augen Geradeaus! reaktiviert. Endlich.

– und Boris Barschow so viele gute neue Sachen gemacht und gestartet, dass er hoffentlich bald seinen Leserkreis verzehnfacht.

Darüber hinaus gibt es erste Ansätze der Bundesregierung, die Leistungen der deutschen Staatsbürger in Afghanistan anzuerkennen – als animierte Präsentation. Zwar zeigt dieses Kommunikat vor allem, wie wenig angemessen die Regierung mit dem Thema umzugehen in der Lage ist, aber so ist es halt.

Was möglich ist, zeigt weiterhin die New York Times mit ihrem multimedialen Feature „A Year at War„. Darin unter anderem zu sehen, Bilder eines Schützenpanzer Marder im scharfen Schuß (nach etwa einer Minute und vierzig Sekunden). Welches deutsche Medium nimmt sich mal bitte des Themas in ähnlicher Weise an?

Ach ja, ich bin zurück, und bitte alle, die sich gewundert, geärgert oder gefreut haben, weil hier Funkstille war, zu entschuldigen, dass ich das nicht „kommuniziert“ habe. Das Video dazu: The Boys are Back in Town von Thin Lizzy. Rock on.