Wünschenswerte Wirklichkeiten, oder warum schlechte PR nur Erfolgsgeschichten erzählt

Morgen, am 1. Oktober 2013, übernimmt die Bundeswehr offiziell einen bisher privat betriebenen Facebook-Account. Einen Teil der Geschichte, nämlich den geschönten, kann man hier auf der Webseite der Bundeswehr nachlesen. Der bisherige Betreiber des Accounts, Tobias V. (Gilt neuerdings OpSec auch für Fans? Dumm nur, dass der Klarname von Tobias Velten noch in den Suchmaschinenresultaten auftaucht.) ist im Interview voll des Lobes für die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr. Auf die Frage: „Wie kam die Kooperation mit der Bundeswehr zu Stande?“ antwortet er pflichtgemäß: „Als die Bundeswehr selbst mit ihrem Kanal online ging, habe ich den Kontakt gesucht. Ich hatte einfach den Wunsch, meine Seite weiter zu professionalisieren. Dazu gehörte für mich auch die direkte Zusammenarbeit mit der Bundeswehr. Wenig später bin ich vom Social Media Team nach Berlin eingeladen worden. Bei einem ersten Treffen haben wir dann besprochen, wie wir künftig zusammenarbeiten können.“

Nun weiß ich nicht, welche Definition von „wenig später“ die Bundeswehr hier zu Grunde legt. Aber die Seite „Wir.Dienen.Deutschland.“ ging im Oktober 2011 online. Und mir hat der junge Mann im Mai 2011 noch etwas anderes von seinen Kontaktversuchen berichtet, unter anderem, dass er eine Antwort erhalten habe, in der ihm die Bundeswehr zwar für sein großes Engagement danke, gleichzeitig aber um Verständnis bitte, dass man sich nicht an den von ihm gewünschten Informationen beteilige könne, da er kein offizielles Medium der Bundeswehr sei. An andere Stelle habe man ihm geantwortet, dass man seine „Kooperationsanfrage“ erhalten und an die zuständigen Ansprechpartner im Bundesministerium der Verteidigung weitergeleitet habe.

Das Ärgerliche: Es wäre so einfach gewesen, es besser zu machen und die Geschichte einer schwierigen Annäherung zu erzählen. Vom Engagement eines jungen Mannes, der sich unbedarft an eine Großorganisation wendet, die wiederum ebenso unbedarft versucht, ihn kleinzuverwalten, dann aber, als sie endlich erkennt, dass es dort jemanden gibt, der ausweislich der Fanzahlen deutlich besser den Geschmack des Publikums zu treffen scheint, sich öffnet, auf ihn zugeht und sich dann entscheidet: Wir machen das weiter. Das wäre echte Anerkennung gewesen. Anerkennung, die sich Tobias Velten hart erarbeitet hat, die er verdient. Die zeigt, dass ein Einzelner etwas bewegen kann, wenn er (oder sie) mit Herzblut an eine Sache geht. So ist es wieder nur doofe schlechte Ministeriums-PR geworden.

Rap-Einladung

Keine Frage, Praktikantenraps sind in der Regel grausam. Aber das, was sich der Polizeinachwuchs Schleswig-Holstein hier zusammengereimt hat, um den Rapper Cro zu einem Konzert einzuladen, mag ich irgendwie.

Willkommen in der Blog-Familie, Tyrosize

Der ein oder andere wird sich noch an den tanzenden Weihnachtsbaum in Kunduz erinnern. Ein Video, das auf YouTube immerhin mehr als 70.000 mal aufgerufen wurde. Verantwortlich dafür ist der Kamerad Tyrosize, gewissermaßen das Einmann-Kompetenzzentrum dafür, wie sich junge Soldaten heute selbst gerne sehen. Eine Auswahl seiner Arbeiten hat er auf seiner Webseite veröffentlicht. Außerdem ist er seit Anfang September mit einem eigenen Blog am Start. Schaut mal rein. Es lohnt sich. Aber Achtung: Erwartet keine abstrakte sicherheitspolitische oder kommunikationstheoretische Diskussion, sondern Machen – genau deshalb ist es wichtig.

Leseliste Kunduz

Heute, am 4. September 2013, zeigt die ARD den Film „Eine mörderische Entscheidung.“ In einer Mischung aus Spielfilmszenen und Zeitzeugeninterviews versucht sich Regisseur Raymund Ley an einer Rekonstruktion der Ereignisse in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009. Diese, das kann man heute mit Gewissheit sagen, markieren einen Wendepunkt der deutschen Nachkriegsgeschichte, insbesondere auch in der Wahrnehmung der Bundeswehr. Die Bombardierung zweier Tanklaster, bei der bis zu 140 Menschen, darunter zahlreiche Zivilisten, starben, beendete schlagartig die Erzählung der Politik von einem Stabilisierungseinsatzes, an dessen Ende ein mehr oder weniger friedlicher Staat stehen sollte. Und so falsch und ehrabschneidend der Titel des Films auch ist, es gelingt ihm, die Erzählung der Soldaten und Soldatinnen wiederzugeben, die bereits weit vor dem September 2009 täglich erlebten, dass sie im Krieg waren. Besonders eindrucksvoll zeigt sich in der fiktionalen Darstellung, welchen Zwängen, Erwartungen und Eigenlogiken Menschen in (militärischen) Großorganisationen ausgesetzt sind, aber auch, dass es Möglichkeiten gibt, diese zu hinterfragen.

Es ist daher sehr zu begrüßen, dass die ARD der notwendigen Diskussion über die Ereignisse mit der nachfolgenden Talkshow von Anne Will einen angemessen Raum gibt. Manch einer mag sich angesichts der Gästeliste bereits sein Urteil bilden, denn die Rollen scheinen klar verteilt. Überraschungen sind nicht zu erwarten. Dennoch sollte man sich den Talk anschauen, denn er wird zeigen, wie wir über die Bundeswehr reden. Deshalb ist es auch zu bedauern, dass kein aktiver Soldat auf dem Podium sitzen wird. Aber lassen wir uns überraschen.

Zur Vorbereitung erstelle ich hier eine kleine Leseliste. Die Auswahl ist rein subjektiv und ich freue mich über Ergänzungen in dem Kommentaren.

Die Kommentare und Einordnungen des Ein-Mann-Kompetenzzenrums Sicherheitspolitik Winfried Nachtwei machen eindrucksvoll die Verantwortung – vor allem aber das Schweigen – der Bundesregierung zur Entwicklung in Afghanistan deutlich.

Der Bericht des Untersuchungsausschussesist eine hervorragende Quelle, um die eigene, durch die Berichterstattung in den Medien geprägte Wahrnehmung, kritisch zu überprüfen.