It´s the human being, stupid – Journalismus 2.0 und Krieg

Das muss man sich einfach anschauen. Während in der Nähe von Berlin beim Symposium Govermedia an der Akademie für Information und Kommunikation der Bundeswehr noch theoretisch über Journalismus und bürgernahe Kommunikation diskutiert wird, zeigt die New York Times, was das sein kann.

„A Year at War“ ist ein interaktives Feature, bei dem die NYT ein Bataillon der 10th Mountain Division für ein Jahr im Einsatz in Kunduz begleitet. Bereits der Auftakt geht näher als alles, was bislang in deutschen Medien über den Afghanistaneinsatz zu sehen, lesen und zu hören war (die Randnotizen vielleicht mal ausgenommen).

Genug des Redens. Einfach machen. Jetzt.

Deutschland bewegt sich

Ich bin nicht sicher, was an meinen Beobachtungen Wunschdenken, selektive Wahrnehmung oder tatsächliche Entwicklung ist. Es scheint jedoch, dass langsam aber sicher, etwas Bewegung in die öffentliche Debatte über Sicherheitspolitik allgemein, und das deutsche Engagement in Afghanistan kommt. Die Zeit begleitet das Thema nun schon recht lange mit einer Themenseite Afghanistan – Krisenstaat am Hindukusch. Friederike Böge, als Korrespondentin für die FAZ in der Region, liefert interessante Einblicke, aktuell über die Kronprinzen von Kandahar, zwei Neffen von Präsident Karzai, die aus den USA nach Afghanistan gekommen sind. Es scheint, der neue wilde Westen liegt in Asien.

Und es gibt Anzeichen, dass diese Diskussion – auch nach den Äußerungen und dem Rücktritt des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler – mehr ist als ein Medienphänomen. Das Online-Magazin e-politik.de hat ein Dossier zum Thema „Deutsche Strategiefähigkeit im 21. Jahrhundert“ zusammengestellt, in dem sich neben dem „Afghanistan-Veteranen“ Winfried Nachtwei unter anderem auch Roderich Kiesewetter, Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Oberst der Bundeswehr dazu bekennt, dass die sicherheitspolitische Kommunikation verbessert werden muss. Kiesewetter sagt klar und deutlich, dass Sicherheitspolitik kein sexy Thema ist, und skizziert einen möglichen Weg unter Einbeziehung der relevanten Akteure. Obwohl es nicht ganz einfach sein wird, den Diskurs der bestehenden unstrategischen Community auf die Öffentlichkeit zu erweitern, aber Kiesewetters Absichten sind redlich, seine Argumente plausibel. Das zeigt unter anderem seine Antwort auf Fragen, die ich ihm über abgeordnetenwatch.de gestellt habe. Geantwortet haben auch Joachim Pfeiffer sowie Annette Schavan, wobei das allen gemeinsam Argument, dass ein Evaluation des Afghanistan-Einsatzes zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll sei, nicht überzeugt. Im Gegenteil, gerade aus einer rückblickenden Evaluation könnten sich Hinweise ergeben, um Ziele und Methoden weiter zu entwickeln. Vor allem aber könnte eine regelmäßige Berichterstattung, wenn nicht für komplette Transparenz, so doch aber für mehr Anerkennung und Nachvollziehbarkeit sorgen.

Diese Argumentation stützt auch Winfried Nachtwei, der sich wünscht, diese Berichterstattung nicht nur auf den parlamentarischen Feldherrenhügel zu begrenzen. Ein Wunsch, den Nachtwei im Übrigen mit bislang mehr als 650 Bürgerinnen und Bürgern teilt, die bis jetzt eine Petition mitgezeichnet haben, mit der der Bundestag die Bundesregierung zu einer kontinuierlichen, ressortübergreifenden Information zu verpflichten. Die Zahl der Mitzeichnenden liegt zwar noch deutlich unter dem für eine öffentlich Anhörung erforderlichen Quorum von 50.000, ist aber ein Zeichen, dass die u.a. hier wiederholt geforderte öffentliche Debatte nicht nur dem Wunschdenken Einzelner entspricht.

Der strategische Social Media-Fail der Bundeswehr

Unter Verweis auf massive Sparzwänge hat das Verteidigungsministerium den für September geplanten „Celler Trialog“ abgesagt. Die Veranstaltung, die die Bundeswehr bisher gemeinsam mit der Commerzbank ausrichtet, sollte hochrangige Vertreter von Wirtschaft, Politik und Militär ins Gespräch bringen.

Das Kostenargument überzeugt nicht. Ausweislich einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Partei Die Linke, gab die Bundeswehr im Jahr 2009 rund 22.000 Euro dafür aus. Plausibler erscheint die Entscheidung, wenn man die öffentliche Kommunikation über die bisherigen Veranstaltungen betrachtet. Die wird nämlich zumindest im Internet vor allem von den Gegenstimmen beherrscht. Gut an der Entscheidung des Ministeriums ist, dass die Gegner sich nun einen anderen Anker für ihren Protest werden suchen müssen. Schlecht ist, dass sie ihn vermutlich schon gefunden haben: Die Jugendoffiziere der Bundeswehr.

Kampf um die sicherheitspolitische Deutungshoheit im Klassenzimmer

Die Jugendoffiziere stehen u.a. in Folge von Rahmenvereinbarungen, die das Verteidigungsministerium und verschiedene Kultusministerien (bspw. Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz)  abgeschlossen haben, im Fokus diverser Kritiker. So abwegig deren Argumentation auch teilweise sein mag, ein paar Dinge haben sie erreicht:

– Sie haben das Thema auf die Agenda etablierter bundesweiter Medien wie des Fokus oder der Süddeutschen Zeitung gehoben.
– Sie haben aus lokaler Ebene Widerstand von Schülerschaften mobilisiert („Schüler des Helmholtz-Gymnasiums fordern Hausverbot für Bundeswehr“).
– Und sie erobern sich sukzessive die vorderen Plätze auf der Google-Trefferliste und schicken sich so an, die Deutungshoheit über ein zentrales Feld der Politikvermittlung im Diskursraum Internet zu übernehmen.

Social was?

Die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium hingegen fremdeln etwas mit den neuen Medien – gelinde gesagt. „Bloggen? Find‘ ich doof“ hat Focus-Redakteur Thomas Wiegold die vorherrschende Grundhaltung mal auf den Punkt gebracht. Während das US-amerikanische Verteidigungsministerium einen eigenen Social Media-Hub einrichtet und Roundtable-Gespräche für Blogger organisiert, herrscht im Bendlerblock die große Social Media-Funkstille. Verstärkt wird die Diskrepanz zwischen den Interessen des Publikums und dem medialen Auftritt der Bundeswehr zudem durch die durchaus erfolgreichen Bestrebungen des Ministermarketings, u.a. auf Facebook (mehr als 27.000 friends sind nicht zu verachten).

Govermedia revisited

Ob die Lektüre eines Buchtipps der ebenfalls von der Bundeswehr betriebenen Initiative „Govermedia“ dabei hilft?“ Der Titel „Mediengestützte Behördenkommunikation: Verwaltungswirtschaftliches Kommunikations- und Personalkonzept“ klingt nicht wirklich inspirierend – und ist vermutlich gerade deshalb zutreffend. In jedem Fall ein weiteres lohnenswertes Diskussionsthema für das Symposium „Journalismus und bürgernahe Kommunikation im digitalen Zeitalter“. Nicht im Hauptprogramm, aber vielleicht finden sich ja ein paar Teilnehmer für ein „An der Bar-Camp“.

Wehrpflicht, Transparenz und gesellschaftliche Verankerung der Bundeswehr

Ich denke über Rücktritt nach. Zu Guttenberg tut es schließlich auch – und das ja nicht zum ersten Mal. Koch und Köhler haben vorgemacht, wie es geht und das Verlustgefühl hält sich in Grenzen. Vielleicht, weil das Publikum sicher sein kann, dass diejenigen, die sie so gut unterhalten haben, früher oder später wieder auf der Bühne des Medientheaters auftauchen werden. So wie Thilo Sarrazin. Dem wirft jetzt sogar die Kanzlerin Verdummung vor, obwohl sie ihm besser empfohlen hätte, seine öffentliche Aufmerksamkeitsdefizitstörung von Experten behandeln zu lassen – und seine wiederholten Rücktrittsgesuche unter Beibehaltung der Geld- und Sachbezüge anzunehmen.

Wobei, so unrecht mit der Verdummung hat Sarrazin ja nicht. Nur, sie wandert nicht ein, sie ist schon längst da. Zumindest scheinen das die Abgeordneten des Bundestages zu glauben, die auf der einen Seite nicht müde werden, zu betonen, das die Wehrpflicht die Bundeswehr in der Gesellschaft verankere, gleichzeitig aber ablehnen, den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zu evaluieren und regelmäßig darüber zu berichten.

Keine Evaluierung des Afghanistan-Einsatzes: Ein gemeinsamer Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen (17/1964) für eine Evaluierung der deutschen Beteiligung an der internationalen Schutztruppe ISAF in Afghanistan und des Engagements für den Wiederaufbau des Landes seit 2001 fand am Freitag, 11. Juni, keine Mehrheit im Bundestag.“ (Quelle: Webseite des Bundestages).

Natürlich lag dem Antrag ein leicht durchschaubares Manöver der Opposition zu Grunde. Inhaltlich war er aber zielführend. Eine solche Berichterstattung hätte zu Guttenbergs Transparenzgebot entsprochen und sie hätte – wie vergleichbare Berichte bspw. in Kanada – dazu beitragen können, der Bevölkerung zu vermitteln, was u.a. deutsche Soldatinnen und Soldaten am Hindukusch leisten. Um es noch mal auf den Punkt zu bringen: Die Regierungsparteien wollen das nicht. Sie sollten über Rücktritt nachdenken – oder zumindest darüber, ob es nicht an der Zeit ist, die politische Kultur in Deutschland weiter zu entwickeln. Hin zu weniger Theater und mehr Substanz. Das Publikum wüsste es zu schätzen.

Ich, Oppositionsführer

Manche Blogger haben ja ab und an einen gewissen Hang zur Selbstüberschätzung. Dann glauben sie, Horst Köhler gestürzt und Ursula von der Leyen als Bundespräsidentin verhindert zu haben – oder zumindest einen wesentlichen Beitrag geleistet zu haben. Jetzt wollen Sie Joachim Gauck wählen. Ganz so einfach ist es nicht.

Was aber einfach ist: Blogger sind Menschen sind Medien. Und als solche produzieren sie ab und an eine Headline, einen Text, ein Bild, ein was auch immer, das den aktuellen Diskurs ganz gut auf den Punkt bringt. Dass das, wie bspw. Nico Lumma, nutzen möchten, um wieder Hierarchie zu reproduzieren, statt die Vielfalt zu genießen, zeigt, dass das Internet zwar die Kommunikation und die soziale Praxis durchaus verändert hat und weiter verändert – wir Menschen aber sind aber relativ konstant geblieben. Gut so.

Wo waren wir? Ach ja, Wirkmächtigkeit von Bloggern. Angesichts eines aktuellen Antrages im Bundestag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur „Evaluierung der deutschen Beteiligung an ISAF und des deutschen und internationalen Engagements für den Wiederaufbau Afghanistans seit 2001“ könnte ich mich fast wichtig nehmen. Der Antrag wird morgen im Bundestag beraten. Wer allerdings die Laufzeiten politischer Prozesse kennt, weiß, das es länger dauert, bis ein solcher Antrag formuliert und gestellt ist.

Ganz besonders gut weiß das der ehemalige Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei. Der hatte, gemeinsam mit Jürgen Trittin, bereits im September 2006 (!) einen Brief an die Minister Steinmeier, Jung, Wieczoreck-Zeul und Schäuble gerichtet und dort eine Bilanzierung des Einsatzes gefordert. Lesenswert sind in diesem Zusammenhang Nachtweis Beiträge  zum Friedensgutachten 2010 (hier die erweiterte und aktualisierte Fassung) sowie sein Statement beim 146. Bergedorfer Gesprächskreis der Körber-Stiftung Ende Mai in Berlin.

Einen ersten Schritt in diese Richtung hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung getan. Einem Zwischenbericht aus dem Jahr 2007 folgte im April 2010 ein Abschlußbericht. Warum es diesen nur auf Englisch gibt, und welchen Zeitraum das BMZ mit „demnächst“ meint – dann soll laut Pressemitteilung auch eine deutsche Fassung folgen – würde ich gerne wissen.

Ebenso gerne würde ich wissen, warum die SPD das, was sie jetzt fordert, nicht schon längst selbst initiiert hat? Und mich würde interessieren, warum sich der Antrag darauf beschränkt, nur den Bundestag und nicht die Bürgerinnen und Bürger in regelmäßigen Abständen zu unterrichten. So habe ich das mit der Volksvertretung nicht gemeint.

Genau deshalb unterstütze ich zwar diesen Antrag, halte aber auch meine Petition, die Bundesregierung zur Berichterstattung über den Afghanistan-Einsatz zu verpflichten, für ebenso wichtig (zum Mitzeichnen bitte hier entlang). Und das mal ganz ohne Selbstüberschätzung.