Im Oktober finden an der Universität Aarhus die 2. Internationale Konferenz der Reihe „Crisis Communication at the Beginning of the 21st Century“ statt. Auftaktveranstaltung war eine Konferenz vor zwei Jahren, die die internationale Forschungsgruppe Krisenkommunikation, bei der ich als assoziiertes Mitglied registriert bin, an der TU Ilmenau organisiert hatte. Die Konferenz in Aarhus steht unter dem Motto „Communicating Crisis in an Age of Complexity“ und komplex sind die Zeiten, in denen wir leben sicherlich.
Welche Rolle Kommunikation spielt, wenn es darum geht, Komplexität zu erzeugen und zu reduzieren, und welche Möglichkeiten Organisationen und Unternehmen haben, damit umzugehen, ist eines der zentralen Themen des Bendler-Blogs. Um darüber auch einmal aus einer wissenschaftlichen Perspektive nachzudenken, habe ich bei den Veranstaltern ein Abstract (Kurzversion) für einen Aufsatz eingereicht. Dieses Abstract wurde – anonym – von den Veranstaltern begutachtet und angenommen. Das freut mich sehr, heißt aber auch, dass die Arbeit jetzt erst richtig losgeht.
Der Titel des Aufsatzes ist Breaking News Crisis as peripety in Strategic Narratives, was übersetzt heißt: Krise als Handlungswendung in strategischen Narrativen. Die Idee dahinter ist, dass jede Organisation, jedes Unternehmen aus Sicht der Kommunikation auf einer strategischen Erzählung gründet, die für ihre Bezugsgruppen einen zentralen Referenzpunkt bildet. So lange das Publikum dieser Erzählung vertraut, können Unternehmen und Organisationen auch kritische Phasen überstehen. Eine echte, fundamentale Krise ist dagegen durch eine abrupte Wendung (Handlungswendung) gekennzeichnet. Solche Peripetien oder Plot Points kennen wir zur Genüge aus dem Theater oder dem Film. Als Stilmittel geben sie dem Drehbuchautor die Möglichkeit, die Dramaturgie und Dynamik der Erzählung zu gestalten. Während das Publikum diese Spannung bei fiktionalen Formaten häufig goutiert, reagiert es auf entsprechende Entwicklungen im „wirklichen“ Leben ambivalent bis ablehnend. Und weil zu diesem Publikum im Falle von Unternehmen und Organisationen nicht nur externe Beobachter zählen, sondern auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ist es nicht weiter verwunderlich, dass echte Krisen ein hohes Maß an Kommunikationsstress auslösen und gleichermaßen die Unternehmensführung wie ihre professionellen Beobachter in Alarm versetzen. Aus den „News“, den Nachrichten, werden „Breaking News.“ Derer gibt es zwar nicht so viele, wie der inflationäre Gebrauch des Begriffs nahelegt, aber einige gibt es schon.
Die Kunduz-Bombardierung – eine echte Krise?
Ich werde beispielsweise versuchen, für die Konferenz in Aarhus nachzuzeichnen, warum die Bombardierung in Kunduz im Jahr 2009 in der deutschen Öffentlichkeit eine so große Resonanz fand. Grundsätzlich sollte es ja nicht weiter verwunderlich sein, dass Militär militärische Gewalt einsetzt. Dennoch war die tatsächliche und mediale Erregung in Deutschland erstaunlich groß. Meine Hypothese: Weil das strategische Narrativ der Bundesregierung darauf abzielte, den Afghanistan-Einsatz der Bundewehr als quasi nicht-militärische Friedensmission zu kennzeichnen, stellte der Einsatz von Bomben in Kunduzaus kommunikativer Sicht den größtmöglichen Gegensatz zu dieser Erzählung dar, eine echte „Breaking News“ also.
Das Pentagon forscht bereits
Auch an anderer Stelle befasst man sich mit strategischen Narrativen. Die Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa) untersucht im Auftrag des Pentagon die Mythen und Erzählungen der al-Quaida. Einen guten Überblick zu dem Projekt STORyNET bietet ein Beitrag auf Zeit Online. In Deutschland bzw. im Geschäftsbereich des Bundesverteidigungsministerium ist mir kein vergleichbares Projekt bekannt. Einzig Natascha Zowislo-Grünewald, Professorin für Unternehmenskommunikation an der Universität der Bundeswehr in München, greift meines Wissens entsprechende Ansätze auf. Ein spannendes Feld, von dem wir Kommunikatoren sicher noch einiges zu erwarten haben, zumal es sich deutlich von den unter dem Begriff „Storytelling“ etablierten Kommunikations- und PR-Strategien unterscheidet, bei denen es viel zu oft darum geht, unangenehme Sachverhalte in Geschichten zu verpacken, in der vagen Hoffnung, das Publikum würde sie so leichter hinnehmen. Auch hier zeigt der Afghanistan-Einsatz übrigens, dass dies allenfalls eine Strategie mittlerer Reichweite ist.