ADHS, oder die Anerkennungs-Defizit-Hyperaktivitäts-Strategie der Bundeswehr Nachwuchswerbung

tl;dr: Das eigentliche Publikum der Nachwuchswerbung der Bundeswehr sind die eigenen Soldatinnen und Soldaten. Die Anerkennung, die Politik und Gesellschaft ihnen nicht in ausreichendem Maße geben, holen sie sich über die werbliche Inszenierung ihres Tuns.

Die Bundeswehr wirbt mit provokanten Aktionen um Nachwuchs, zuletzt vor den Werken der Automobilhersteller Ford und Volkswagen. Angesichts der Umstände ist plausibel, dass nicht die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das eigentliche Publikum dieser Aktivitäten ist. Aber wer dann?

Einiges spricht dafür, dass Auftritte wie die aktuellen sowie der bei der Internet-Konferenz re:publica im Jahr 2018 vor allem dazu dienen, mediale Erregung auszulösen. Das Kernpublikum wäre damit die allgemeine Öffentlichkeit. Das Ziel: Die Bundeswehr ins Gespräch bringen. Nun ist es aber nicht so, dass zu wenig über die Bundeswehr gesprochen würde. Im Gegenteil: Rüstungsmisere, Berateraffäre, Nachwuchsmangel, rechtradikale Umtriebe, sexuelle Belästigung – es gibt kaum ein Aufregerthema, bei dem die Bundeswehr NICHT von Interesse ist. Gleichzeitig, oder besser: trotzdem, ist die Bundeswehr nach wie vor einer der attraktivsten Arbeitgeber für Schülerinnen und Schüler. Im trendence Schülerbarometer 2018 belegt sie hinter der Polizei und adidas den dritten Platz. Die Beliebtheit ist nicht neu. Vor allem ist sie älter als die mit neuem Schwung vor drei Jahren gestartete Nachwuchswerbung der Bundeswehr. Die hat zwar auch einige messbare Effekte wie Likes und Follower auf Facebook, YouTube, Instagram etc. sowie Klicks auf die Rekrutiewrungswebseite erzielt, aber dennoch bin ich mir sicher, dass es noch eine zweite Kernzielgruppe dieser Werbung gibt, über die bislang nur wenig gesprochen wurde. Das sind die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr.

Wie die Werbung bei diesen wirkt, lässt sich anekdotisch auf den Social-Media-Profilen zweier in dieser Gruppe prominenter Soldaten beobachten. Das sind zum einen Johannes Clair, ehemaliger Fallschirmjäger, der mit „Vier Tage im November“ ein sehr lesenswertes Buch über seine Kampferfahrungen in Afghanistan geschrieben hat. Zum anderen Marcel Bohnert, ebenfalls Afghanistan-Veteran, und derzeit für die Nachwuchswerbung mitverantwortlich. Wer die Wirkung der aktuellen sowie vergangener Aktionen der Nachwuchswerbung in die Truppe hinein bewerten will, sollte sich das Facebook-Profil von Clair, vor allem aber den Instagram-Account von Bohnert aufmerksam ansehen. In den Einträgen zu den Kommunikationsmaßnahmen gibt es unverfälschte Einblicke in die Soldatenseele, die von einer fundamentalen „Wir-gegen-die“-Haltung durchzogen sind.

Dieses „Wir-gegen-die“ hat viele Facetten, das Muster aber ist immer gleich: „Wir Soldaten gegen …“
… „die Politiker“ (Laschet, von der Leyen, Merkel, Roth etc.)
… „die Manager“ (Ford, VW, Rüstungsindustrie etc.)
… „die Gewerkschaften“
… „die Medien“
… „die Gutmenschen“ (re:publica etc.)

Ein weiterer anekdotischer Eindruck: Je jünger, je geringerer der Status (Dienstgrad/Bildung) und je näher an der Truppe die Kommentierenden sind, umso höher die Zustimmung zu den Provokationen. Und bevor sich jemand aufregt: Nein, das heißt nicht, dass jeder, der die Aktion gut findet, doof ist, sondern verweist eher auf ein gewisses Ohnmachtsgefühl der Befürworter.

Die Hypothese, die ich daraus ableite ist: Vielen Soldatinnen und Soldaten fehlt die Anerkennung für ihren Dienst, und vor allem fehlt ihnen die Anerkennung derer, von denen sie sich am meisten wünschen: der Gesellschaft und der Politik. So unempathisch sich der ehemalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière auch inszenierte, mit seiner Diagnose, die Soldatinnen und Soldaten sollten nicht nach Anerkennung gieren, hat er ein tieferes Verständnis für die Gefühlslage der Truppe offenbart, als dieser lieb sein kann.

Die kommunikative Reaktion darauf nenne ich die Anerkennungs-Defizit-Hyperaktivitäts-Strategie der Bundeswehrnachwuchswerbung.
Weil insbesondere die politische Führung den Soldatinnen und Soldaten nicht genug Anerkennung zu Teil werden lässt, ja, gar nicht kann, weil diese nie genug davon bekommen können, begeistern sie sich dafür, wenn angesichts der teilweise traurigen Realität und der kritischen Berichterstattung zumindest in der Werbung ein positives Bild gezeichnet wird. Die Inszenierung von Grundausbildung, Mali-Einsatz, Fallschirmspingerlehrgang, KSK oder Einzelkämpferausbildung zeichnet Idealbilder davon, was Soldaten tun. Wer diese Ausbildungen absolviert hat oder im Einsatz war, dem helfen sie, ein, zwar geschöntes, aber eben nicht ganz falsches Bild davon zu vermitteln, wie es  wirklich war, zumindest gefühlt. Vorbilder wie Marcel Bohnert und Johannes Clair werden in diesem Kontext zu Ein-Mann-Anerkennungsmaschinen für die, die sich nicht genug gelobt fühlen. Genau dieses Anerkennungs-Defizit bereedert die Nachwuchswerbung auf hyperaktiven Art und Weise. Kein Kanal, der nicht bespielt bespielt wird, eine Serie jagt die andere, provokante Aktionen drehen weiter an der Erregungsspirale.

Und obwohl ich dafür sogar ein gewisses Maß an Verständnis habe, halte ich sie mit Blick auf Aktionen wie in Köln und Wolfsburg für falsch. Ich bin in den zwölf Jahren meiner Dienstzeit sehr oft – ob in Uniform oder in zivil – unter Menschen gewesen, die sich nicht die Bohne dafür interessiert haben, was ich meinte, für sie geleistet zu haben. Nur: ich habe das den Menschen nicht zum Vorwurf gemacht, denn irgendwann wird man halt erwachsen und lernt, dass es die höchste Form der Anerkennung ist, dass sich Menschen eben nicht für Militär und Krieg interessieren, sondern einfach ihr Ding machen. Die kommunikativen Provokationen führen außerdem nicht dazu, die Kluft zwischen Soldatinnen und Soldaten zu überbrücken, sondern vergrößern sie. Es ist einer der vornehmsten Führungsaufgaben, das zu verhindern, und genau daran scheitert die politische Führung. Sie hat es nicht geschafft, eine überzeugende Erzählung von einer starken Bundeswehr zu etablieren, die solche Kinkerlitzchen wie bei Ford nicht nötig hat. Stattdessen lässt sie durch die Nachwuchswerbung Bilder und Geschichten produzieren, die nicht ausschließlich den Nachwuchs ansprechen, sondern die emotional zu kurz gekommenen in der Truppe. Die Ironie an der Sache: Für diese Werbung und die damit erzeugte Anerkennung ist diejenige verantwortlich, die viele der Soldatinnen und Soldaten für den vermeintlichen Niedergang der Bundeswehr verantwortlich machen: Ursula von der Leyen.

Mit großer Macht kommt große Verantwortung

Die Bundeswehr sucht Personal. Dringend. Mancher sagt sogar: verzweifelt. Nach dem Aussetzen der Wehrpflicht hat die Truppe deshalb die Investitionen in die Nachwuchswerbung deutlich erhöht. Auf (fast) allen Kanälen versuchen die Werber den Dienst in den Streitkräften attraktiv zu machen. Dabei setzen sie auch auf unkonventionelle Maßnahmen – und treten dabei regelmäßig in den Fettnapf. Ob bei der Internet-Konferenz re:publica, der Spielemesse Gamescom oder jüngst vor den Werkstoren von Ford und Volkswagen, das Kernpublikum und vor allem die Verantwortlichen der jeweiligen Veranstaltungen, zeigten sich, nun ja, nicht wirklich begeistert.

Nun lässt sich über Geschmack bekanntermaßen trefflich streiten. Weil das aber in der Regel nicht über die Verfestigung der eigenen Meinung hinausweist, möchte ich kurz die kommunikative Mechanik hinter diesen Aktionen beleuchten. Dann werden nämlich Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich, die helfen können, die jeweiligen Reaktionen besser zu verstehen.

In allen drei Fällen setzt die Bundeswehr auf Provokation. Das ist einfach, das ist billig, und die Aufregung im medialen Wassserglas ist Teil des Kalküls, wenn nicht sogar das vorrangige Ziel. Daraus ergeben sich gleich drei Probleme.

Erstens: Provokation nutzt sich ab. Wer ständig hier, hier, hier schreit, den nimmt das Publikum irgendwann nicht mehr ernst. Die Folge: man schreit lauter. Damit wächst die Gefahr, über das Ziel hinauszuschießen.

Zweitens: Man instrumentalisiert Menschen. Wenn von vorneherein die mediale Wirkung das eigentliche Ziel ist, sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Veranstaltungen nicht das Publikum der Kommunikation sondern bilden nur den Resonanzraum. Wer behauptet, Menschen erreichen zu wollen, muss aber mit ihnen sprechen, nicht über sie. (Eine Forderung, die übrigens Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zu Recht immer wieder erheben, zuletzt anlässlich des umstrittenen Antrags der Berliner SPD, die Bundeswehr de facto aus dem schulischen Kontext auszuschließen).

Drittens: Der Ton macht die Musik. Eine große, wenn nicht gar die größte Kunst in der Kommunikation ist es, den richtigen Ton zu treffen. Ein Großteil unserer Wahrnehmung läuft unbewusst ab. Wir sind Meister darin, Dinge zwischen den Zeilen wahrzunehmen. Sie wirken, ohne dass wir immer sofort verstehen, warum. Zur Angemessenheit gehört dabei auch immer Respekt.

Wie wirken diese drei Faktoren nun angesichts der aktuellen Aktion in Köln?

Die Provokation hat gewirkt – allerdings hat sie nicht nur mediale Aufregung ausgelöst, sondern kritische Stimmen von Menschen, die der Bundeswehr grundsätzlich wohlgesonnen sind. Das kann bzw. sollte nicht die Wirkunsgabsicht sein.

Die Instrumentalisierung ist deutlich geworden. Nicht die Menschen, die um ihren Arbeitsplatz fürchten, waren das Publikum, sondern die Beobachter des Dramas. Wäre es der Bundeswehr um die Menschen im Werk gegangen, hätte sie die Bitte des Personalchefs respektiert, auf diese Werbung zu verzichten und wäre stattdessen in konstruktive Gespräch gegangen, von denen die Öffentlichkeit zunächst nichts mitbekommen hätte. Um wieviel wirkungsvoller und positiver wäre eine Geschichte gewesen, bei der die Bundeswehr Menschen eine Perspektive gibt? Und: wenn die Bundeswehr bereit ist, für ein bisschen Fame die Ford-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu instrumentalisieren, wie weit geht sie dann mit ihren eigenen?

Es fehlt den Nachwuchswerbern der Bundeswehr an Respekt. Wer, wie in Köln, mit dem Logo eines Unternehmens spielt, das weltweit mehr als 200.000 Menschen beschäftigt (oder im Fall von VW mehr als 600.000), beschädigt auch sich selbst. Was als Guerillataktik für AdBuster angemessen ist, ist es für den Goliath Bundeswehr nicht, zumal man sich selbst gerade um sein Corporate Design bemüht. Auch die unsesnsible Nutzung des Claims „Mach, was wirklich zählt.“ ist in diesem Kontext völlig unangemessen, denn es relativiert die Lebensleistung der Mitarbeiterinnnen und Mitarbeiter der Ford-Werke.

Warum handelt die Bundeswsehr also trotzdem so? Meine Spekulation: Die Erfolge in der Nachwuchswerbung, für die die Bundeswehr zu Recht einige Kommunikationspreise gewonnen hat, haben dazu geführt, dass den Verantwortlichen ein Korrektiv fehlt. Sie sind von ihren Erfolgen besoffen. Es fehlt ihnen an Führung. Und weil sich bislang im Bendler-Block niemand dafür v erantwortlich fühlt, diese den jungen Kommunikations-Padawanen angedeihen zu lassen, habe ich hier mal ein Weiterbildungsvideo herausgesucht. Vielleicht schafft es es ja in die Morgenlage.