Die Bundeswehr sucht Personal. Dringend. Mancher sagt sogar: verzweifelt. Nach dem Aussetzen der Wehrpflicht hat die Truppe deshalb die Investitionen in die Nachwuchswerbung deutlich erhöht. Auf (fast) allen Kanälen versuchen die Werber den Dienst in den Streitkräften attraktiv zu machen. Dabei setzen sie auch auf unkonventionelle Maßnahmen – und treten dabei regelmäßig in den Fettnapf. Ob bei der Internet-Konferenz re:publica, der Spielemesse Gamescom oder jüngst vor den Werkstoren von Ford und Volkswagen, das Kernpublikum und vor allem die Verantwortlichen der jeweiligen Veranstaltungen, zeigten sich, nun ja, nicht wirklich begeistert.
Nun lässt sich über Geschmack bekanntermaßen trefflich streiten. Weil das aber in der Regel nicht über die Verfestigung der eigenen Meinung hinausweist, möchte ich kurz die kommunikative Mechanik hinter diesen Aktionen beleuchten. Dann werden nämlich Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich, die helfen können, die jeweiligen Reaktionen besser zu verstehen.
In allen drei Fällen setzt die Bundeswehr auf Provokation. Das ist einfach, das ist billig, und die Aufregung im medialen Wassserglas ist Teil des Kalküls, wenn nicht sogar das vorrangige Ziel. Daraus ergeben sich gleich drei Probleme.
Erstens: Provokation nutzt sich ab. Wer ständig hier, hier, hier schreit, den nimmt das Publikum irgendwann nicht mehr ernst. Die Folge: man schreit lauter. Damit wächst die Gefahr, über das Ziel hinauszuschießen.
Zweitens: Man instrumentalisiert Menschen. Wenn von vorneherein die mediale Wirkung das eigentliche Ziel ist, sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Veranstaltungen nicht das Publikum der Kommunikation sondern bilden nur den Resonanzraum. Wer behauptet, Menschen erreichen zu wollen, muss aber mit ihnen sprechen, nicht über sie. (Eine Forderung, die übrigens Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zu Recht immer wieder erheben, zuletzt anlässlich des umstrittenen Antrags der Berliner SPD, die Bundeswehr de facto aus dem schulischen Kontext auszuschließen).
Drittens: Der Ton macht die Musik. Eine große, wenn nicht gar die größte Kunst in der Kommunikation ist es, den richtigen Ton zu treffen. Ein Großteil unserer Wahrnehmung läuft unbewusst ab. Wir sind Meister darin, Dinge zwischen den Zeilen wahrzunehmen. Sie wirken, ohne dass wir immer sofort verstehen, warum. Zur Angemessenheit gehört dabei auch immer Respekt.
Wie wirken diese drei Faktoren nun angesichts der aktuellen Aktion in Köln?
Die Provokation hat gewirkt – allerdings hat sie nicht nur mediale Aufregung ausgelöst, sondern kritische Stimmen von Menschen, die der Bundeswehr grundsätzlich wohlgesonnen sind. Das kann bzw. sollte nicht die Wirkunsgabsicht sein.
Die Instrumentalisierung ist deutlich geworden. Nicht die Menschen, die um ihren Arbeitsplatz fürchten, waren das Publikum, sondern die Beobachter des Dramas. Wäre es der Bundeswehr um die Menschen im Werk gegangen, hätte sie die Bitte des Personalchefs respektiert, auf diese Werbung zu verzichten und wäre stattdessen in konstruktive Gespräch gegangen, von denen die Öffentlichkeit zunächst nichts mitbekommen hätte. Um wieviel wirkungsvoller und positiver wäre eine Geschichte gewesen, bei der die Bundeswehr Menschen eine Perspektive gibt? Und: wenn die Bundeswehr bereit ist, für ein bisschen Fame die Ford-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu instrumentalisieren, wie weit geht sie dann mit ihren eigenen?
Es fehlt den Nachwuchswerbern der Bundeswehr an Respekt. Wer, wie in Köln, mit dem Logo eines Unternehmens spielt, das weltweit mehr als 200.000 Menschen beschäftigt (oder im Fall von VW mehr als 600.000), beschädigt auch sich selbst. Was als Guerillataktik für AdBuster angemessen ist, ist es für den Goliath Bundeswehr nicht, zumal man sich selbst gerade um sein Corporate Design bemüht. Auch die unsesnsible Nutzung des Claims „Mach, was wirklich zählt.“ ist in diesem Kontext völlig unangemessen, denn es relativiert die Lebensleistung der Mitarbeiterinnnen und Mitarbeiter der Ford-Werke.
Warum handelt die Bundeswsehr also trotzdem so? Meine Spekulation: Die Erfolge in der Nachwuchswerbung, für die die Bundeswehr zu Recht einige Kommunikationspreise gewonnen hat, haben dazu geführt, dass den Verantwortlichen ein Korrektiv fehlt. Sie sind von ihren Erfolgen besoffen. Es fehlt ihnen an Führung. Und weil sich bislang im Bendler-Block niemand dafür v erantwortlich fühlt, diese den jungen Kommunikations-Padawanen angedeihen zu lassen, habe ich hier mal ein Weiterbildungsvideo herausgesucht. Vielleicht schafft es es ja in die Morgenlage.
Mir ist heute im Interview mit DLF nova noch ein anderer Aspekt bewusst geworden.
Mit der Kampagne adressiert die Bundeswehr Menschen, die in existenzielle Notlagen kommen, weil sie ihren Job verlieren.
Ich kenne das aus den Afghanistan-Einsätzen als Rekrutierungstaktik der Taliban. Sie sprachen Menschen an, die kein Einkommen haben und nutzten deren Notlage.
Das reichte bis hin zur Rekrutierung von Selbstmordattentätern. Das sich eine Werbekampagne ganz offenkundig ähnlicher Mechanismen bedient, ist entlarvend.
1. ich denke nicht, dass die Bw primär das Personal anspricht, welches abgebaut wird (zumal das zu einem großen Teil ja wohl so oder so sozialverträglich erfolgt), dafür wären auch zwei Plakate auf eine, Anhänger viel zu wenig
2. wow, Bw Werbung mit den Taliban vergleichen, so etwas geschmackloses kannte ich bisher nur von den Linken und Co
Hier werden Anwerbungstaktiken verglichen und das scheint zulässig. Wir vergleichen ja auch Motivationen, Gut und Böse.
Und bei dem Grundgedanken „Menschen ohne Perspektive anwerben“ siehts nun mal gleich aus.
Ist das so?
Unabhängig davon, dass mEn nach auch die Werbetechniken nicht vergleichbar sind, wird hier eine Verbrecherorganisation mit dem DEU gleichgesetzt und die Anwerbung von Sozial in DEU abgesicherten Staatsbürgern zu DEU Staatsdienern mit der Anwerbung hungernder und ansonsten auch nicht abgesicherter Menschen zu Terroristen.
Epic Fail.
Es gibt eine Grundstruktur, die hinter fast allen Rekrutierungskampagnen liegt, und die heißt nun mal, sei Teil von etwas Größerem, für das es sich lohnt, sich einzusetzen oder sogar zu sterben. Das zu ignorieren, halte ich für gefährlich, weil es verhindert, den Erfolg der anderen Seite zu verstehen, was wiederum aber Voraussetzung ist, um seinen Feind zu bekämpfen. Schwerkraft gilt für alle Seiten, auch die verbrecherische.
https://www.thebalancecareers.com/join-the-military-or-go-to-jail-3354033
Wie wir wissen war der gute Andy McNab ein Kleinkrimineller,der vor der Wahl stand:“Gefängnis oder Militär?“
OK,das ist ein paar Jahrzehnte her…
Aber ich erinnere mich an ein amerkanisches Forum,in dem ehemalige weibliche nicht-gewalttätige Drogensüchtige sich euphorisch über den positiven Einfluss der Armeedisziplin äusserten und der zu Weiterverpfichtungen führte!
Also die Wahl „Knast oder Barras“ kann bei manchen heilsam sein.
Von der Motivation die Greencard zuerhalten bei jungen Emigranten mal abgesehen:
https://www.thebalancecareers.com/can-a-non-u-s-citizen-join-the-united-states-military-3354092
Inzwischen hat der Mr. Trump diese Möglichkeit eingeschränkt bis ganz verhindert…Gerichte gehen aber dagegen an und die Navy hat wohl Probleme nicht genügend Leute zufinden….
Also es gibt noch Spielraum für die Bundeswehr neue Rekruten zu
akquirieren!
@Sascha Stoltenow sagte am 9.5.2019 um 10:11 :
„Es gibt eine Grundstruktur, die hinter fast allen Rekrutierungskampagnen liegt, und die heißt nun mal, sei Teil von etwas Größerem, für das es sich lohnt, sich einzusetzen oder sogar zu sterben. Das zu ignorieren, halte ich für gefährlich, weil es verhindert, den Erfolg der anderen Seite zu verstehen, was wiederum aber Voraussetzung ist, um seinen Feind zu bekämpfen. Schwerkraft gilt für alle Seiten, auch die verbrecherische.“
Es ließe sich rein handwerklich durchaus diskutieren, ob das so ist. Für die Bw würde ich das so sehen (wobei mEn dieser Aspekt in der aktuellen Werbung sogar noch etwas zu kurz kommt, wenn es auch im Vergleich zu früher bereits deutlich besser geworden ist). Für die Taliban hingegen wirken mEn andere Mechanismus. Hier geht es auch in starken Maße um religiöse Erlösungsaspekte.
Darüber hinaus, war das aber ja gar nicht das Argument von @Daniel Lücking welches ich so abstoßend finde.
Er hatte ja das Hoffnungslosigkeitsargument eingeführt. Und das halte ich nicht nur für unverschämt ggü. den Soldaten der Bundeswehr, ich halte es auch für inhaltlich/handwerklich unzutreffend, da die sozio-ökonmische Situation in DEU noch nicht mal im entferntesten mit AFG zu vergleichen ist.
Zudem kommen bei der Rekrutierung durch die Taliban in AFG auch noch Zwang- und Gewaltandrohung ggü. den Betroffenen und/oder ggü. der Familie hinzu.
Alles zusammen: schon rein handwerklich passt der Vergleich nicht.
Unabhbängig davon lehne ich auch die Technik der Verleumdung der Bw-Werbung durch den Vergleich mit einer Terror- und Verbrecherorganisation ansich ab. @Daniel Lücking ist mEn in einem dunklen Loch gefangen und versucht sich daraus zu befreien, indem er gegen die Bw austeilt. Das ist emotional verständlich, aber ich bin nicht bereit ihm das öffentlich durchgehen zu lassen.