Verdächtige Ruhe

Gab es vor der Bundestagswahl die berechtigte Hoffnung, dass sicherheitspolitische Themen auch losgelöst von Einzelereignissen einen festen und vor allem etwas prominenteren Platz in der Diskussion finden, herrscht nun wieder verdächtige Ruhe. Verteidigungsminister Jung nutzt das Post-Wahl-Koma, um sich auf dem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen den Niederungen des Postengeschachers zu entziehen. Es ist zu befürchten, dass sich diese „politische Klugheit?“, zumindest nicht negativ auf seine Zukunftspläne auswirkt. Michael Forster erklärt überzeugend die politische Arithmetik und Stephan Löwenstein diskutiert einige Alternativen, wobei seine Einschätzung, dass Jung nach anfänglichen Schwierigkeiten nun inhaltlich in seinen Themengebieten angekommen sei, allenfalls ein Euphemismus sein kann. Aber in der Tat ist es nicht auszuschließen, dass wir den Minister von der traurigen Gestalt noch vier weitere Jahre erleben werden.

Der Minister als Ich-AG II

Interviews der Frankfurter Rundschau mit Verteidigungsminister Franz-Josef Jung sind ja immer erhellend. Nicht etwa in dem Sinne, dass dort wegweisende Aussagen zu finden wären. Im Gegenteil: Irgendwie gelingt es Jung immer wieder zu dokumentieren, dass er für sein Amt keineswegs überqualifiziert ist. Im Mai hatte Jung eindrücklich bewiesen, dass er die für sein Ressort relevante Debatte der vergangenen 200 Jahre – von Clausewitz bis Münkler – schlicht nicht kennt. Nun legt er nach, und behauptet unter anderem allen ernstes, dass Soldaten und Bürger ihm vertrauten. Als Argument führt er eine aktuelle Umfrage an, nach der angeblich circa 70 Prozent der Bürger an seiner Seite stünden.

Jungs Kommunikation – politisch oder pathologisch

Nun sind fragwürdige Interpretationen in der Politik ja nichts ungewöhnliches. Allerdings muss man sich hier ernsthaft fragen, ob Jungs Aussage noch politisch oder schon pathologisch ist. Gemeint sein kann nämlich eigentlich nur eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag des Stern. Die Frage, die es zu beantworten galt, war, ob Jung wegen des Luftangriffs in Kundus zurücktreten solle, was 68 Prozent der Befragten verneinten. Die Frage lautet explizit nicht, ob man an der Seite des Minister stehe, oder ob man ihm vertraue. Diesbezüglich habe ich – nicht statistisch abgesichert – von in- und außerhalb der Bundeswehr in jüngster Zeit derart negative Aussagen gehört, dass ich hier mal eine Prognose abgebe: Franz-Josef Jung wird demnächst viel Zeit haben, in Erbach über fundamentale Fragen der Sicherheitspolitik und der Meinungsforschung nachzudenken.

User Generated Content 1940

Bilder vom Krieg sind immer auch Bilder, die von denen gemacht wurden, die ihn erlebten. Ein lesenswerter Beitrag sowie der Hinweis auf eine ebenso sehenswerte Ausstellung findet sich bei einestages, der Zeitgeschichtscommunity des Spiegels. Das, was neudeutsch „User Generated Content“ heißt, gab es also auch schon 1940. Umso seltsamer mutet es an, dass wir in der Öffentlichkeit kaum etwas von den aktuellen Einsätzen der Bundeswehr sehen – vor allem so gut wie nichts aus der Perspektive der Soldatinnen und Soldaten. Stattdessen werden durch die Medien entweder die unappetitlichen Schädelfotos oder die beiden bei Kunduz zerstörten Tanklastwagen zu Ikonen hochgejazzt. Die restriktiven Vorgaben der Bundeswehrführung tun ihr Übriges, um hier die dringend benötigten Gegenbilder vom Gelingen im besten Sinne des Wortes zu befördern verhindern. Ebenso wenig wie Soldatinnen und Soldaten in der aktuellen Diskussion keine Stimme haben, scheinen sie auch keine Augen zu haben.

Der Minister als Ich-AG

Es ist knapp drei Jahre her, dass die Veröffentlichung der so genannten Schädelfotos durch die Bild-Zeitung dem Bundesverteidigungsminister die Präsentation des Weißbuches verdarb. Konnte man damals noch mit gutem Grund davon ausgehen, dass die Bild-Redaktion den Zeitpunkt gewusst gewählt hatte, kann heute niemand eine Medienkampagne dafür verantwortlich machen, dass erneut Bilder aus einem fernen Land die Agenda dominieren.

Dabei wollte doch Minister Jung heute mit der Einweihung des Ehrenmals der Bundeswehr kurz vor dem Ende seiner laufenden Amtszeit ein ganz anderes Zeichen setzen (siehe auch einen Artikel dazu in der taz). Und in der Tat: Als Zeichen der Anerkennung für die Soldatinnen und Soldaten ist das Ehrenmal richtig. Allerdings sind Zweifel geboten, wem das Ehrenmal wirklich gewidmet ist. In quasi jeder Veröffentlichung des Ministeriums drängt sich eine Person unangemessen nach vorne: Der Minister selbst. So auch in der offizielle Ankündigung des Ministeriums zur heutigen Einweihung. Dort heißt es zu Beginn des zweiten Absatzes: „Bundesverteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung, auf dessen Initiative das Ehrenmal errichtet wurde, hat zahlreiche Gäste aus dem parlamentarischen Raum und dem öffentlichen Leben eingeladen.“ Diejenigen, die geehrt werden sollen, sind in den fünften Absatz verbannt.

Man mag diese Kritik kleinlich nennen, und sie wäre es auch, wenn sich darin nicht ein Muster zeigte. Denn wenn es einen Menschen gibt, für den sich Franz-Josef Jung wirklich interessiert, dann ist es er selbst. Und vielleicht ist es genau diese Haltung des Ministers als Ich-AG, die ihn gegen Kritik von Außen immunisiert und damit zur Maxime seines Handelns wird – ohne aber in Anspruch nehmen zu können, dass sie zu einem allgemeinen Gesetz tauge. Dramatisch daran ist, dass er damit den öffentlichen Diskurs über die Bundeswehr domniert.  Die Stimmen aber, die eigentlich gehört werden sollten, die Stimmen der Soldatinnen und Soldaten sowie ihrer Angehörigen finden in unserer Gesellschaft kaum Gehör. Es ist höchste Zeit, dass sich das ändert.

Eine Ikone des Versagens

Wie man es auch dreht und wendet: Die öffentliche Diskussion funktioniert über Symbole und läuft über Medien. Entscheidend für die Bewertung von Ereignissen durch die Öffentlichkeit ist damit die mediale Wirklichkeit. Das ist keine neue Erkenntnis. Umso überraschender sind deshalb Vorwürfe, dass sich diejenigen, die sich an dieser Diskussion beteiligen, Schreibtischstrategen seien, die von ihrem warmen Büro aus Dinge bewerteten. So geschehen in einer Pressekonferenz des Bundesverteidigungsministeriums. Doch das sind Kleinigkeiten.

Groß ist dagegen das quasi völlige Versagen der obersten politischen und militärischen Führung der Bundeswehr, das in der Bombardierung der beiden von den Taliban geraubten Tanklastwagen in der Nähe von Kunduz quasi kulminiert. Um das Ausmaß des Scheiterns zu ermessen, bedarf es einer gründlicheren Aufarbeitung der Ereignisse in Kunduz und des nunmehr 8 Jahre währenden Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr, als hier möglich ist. Dennoch: Zwei Schlaglichter sollen an dieser Stelle genügen, um die Unfähigkeit oder den Unwillen der Verantwortlichen zu beleuchten:

1. Die Bombardierung war unnötig und ist das Ergebnis fehlender Aufklärung, falscher Taktik und unzureichender Ausrüstung
a) Fehlende Aufklärung
Die Bundeswehr ist seit rund 8 Jahren in Afghanistan im Einsatz. In dieser Zeit ist es ihr nicht gelungen, dringend benötigte Aufklärungsstrukturen aufzubauen und das entsprechende Wissen den Einsatzkräften verfügbar zu machen, wie der viel diskutierte Erfahrungsbericht des 17. Einsatzkontingentes zeigt. So fehlt es beispielsweise sowohl an HUMINT-Fähigkeiten als auch an einem brauchbaren „Kontingent-Gedächtnis.“ Das bedeutet nichts anderes, als dass die Soldaten im Einsatz eigentlich nicht wissen, was sie tun und damit auf zweifelhafte Zuträger angewiesen ist.

b) Falsche Taktik
Unabhängig davon ob Zivilisten getötet wurden, dürfte es jedem infanteristisch ausgebildeten Soldaten schwer fallen, zu verstehen, warum es nötig sein soll, zwei Tanklastwagen zu bombardieren, um zu verhindern, dass der Gegner sie nutzen kann. Glaubt man den Berichten, waren die Fahrzeuge aufgeklärt, bewegten sich nicht allzu schnell und waren darüber hinaus bereits durch den Kunduz-Fluss aufgehalten worden. Ein gezielter Beschuss durch MG 3 auf die Zugmaschinen hätte diese hinreichend gelähmt. Der Entscheidung zur Bombardierung dürfte jedoch eine Abwägung vorangegangen sein, die eigenen Kräfte nicht zu gefährden. Das ist prinzipiell richtig, hätte jedoch gemäß der Direktive des neuen ISAF-Kommandeurs Stanley McChrystal, dazu führen müssen, auch eine Gefährdung von Zivilisten auszuschließen. Das ist offenkundig nicht geschehen. Dieser Fehler ist jedoch weniger den taktischen Aufklärungskräften vor Ort anzulasten – diese haben vermutlich durch ihre Nachtsichtgeräte nicht mehr gesehen als zahlreiche Personen und diese als Feindkräfte bewertet – als, s.o., das Ergebnis einer insgesamt unzureichenden strategischen Aufklärung, die die Truppe erst in die Lage versetzt hätte, das Geschehen vor Ort differenziert zu bewerten.

c) Unzureichende Ausrüstung
Zugegeben, es ist Spekulation, aber hätte die Bundeswehr eigene nachtkampffähige Hubschrauber vor Ort, hätte sie, um die Tanklaster aus der Ferne zu bekämpfen, keine Luftunterstützung durch ISAF-Flächenflugzeuge anfordern müssen. Wie präzise bspw. Apache wirken können, zeigen zahlreiche im Netz zu findende Videos.

Um es unmissverständlich zu sagen: Meine persönliche Solidarität gilt den Soldaten im Einsatz. Die Verantwortung für die Defizite liegt in Berlin.

2. Die Kommunikationspolitik der Bundesregierung ist unprofessionell und gefährdet die Legitimation des Einsatzes

Die beharrliche Weigerung des Verteidigungsministers die Realität des Einsatzes anzuerkennen hat die Kluft zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit in der deutschen Öffentlichkeit dramatisch vergrößert. Dabei geht es nicht um die Wortklauberei, ob man den Einsatz Krieg nennt oder nicht. Allerdings war und ist „robust“ nicht der angemessene Begriff, um deutlich zu machen, was es bedeutet, dass die Bundeswehr schon länger im Kampfeinsatz ist.

Die Überforderung der Kommunikationsverantwortlichen zeigt sich unter anderem an der Reaktion auf die aktuellen Ereignisse (siehe hierzu auch bei Thomas Wiegold). Sie ist zu spät, sie ist unzureichend, und sie ist inhaltlich falsch. Vermutlich hat Jungs oberster Kommunikationsberater mal in einem Storytelling-Seminar für Anfänger gelernt, dass man in der Krise ein Gegenbild erzeugen sollte, um eine alternative Lesart der Ereignisse zu ermöglichen. Dieses Bild ist derzeit die angebliche Gefährdung der deutschen Soldaten, wenn sich die Taliban des Tanklastzüge bemächtigt hätten. Es ist – insbesondere für ein militärisch vorgebildetes Publikum – ein schwaches Bild. Es wird umso schwächer, je aktiver ISAF selbst eine defensive Haltung einnimmt.

Die Bombardierung der beiden Tanklastzüge ist eine Ikone des Versagens. Selbst wenn es zahlreiche Gründe dafür gibt, den Einsatz in Afghanistan fortzusetzen – die Unfähigkeit der politischen Führung ist der beste Grund, den sofortigen Abzug zu fordern, denn sowohl durch die unzureichende materielle und personelle Ausstattung als auch die Defizite in der Vermittlung des Einsatzes gefährdet sie dessen Legitimation und – schlimmer noch – die Soldatinnen und Soldaten.