Sicherheitspolitische Kleinkunst

„Guten Morgen, ich bin Sascha, sicherheitspolitischer Kleinkünstler und ich möchte Euch heute den Krieg erklären.“

Das war der erste Satz meines Session-Pitches am zweiten Tag des BarCamps Rhein-Main am 17. September 2023. Die ernste Idee hinter dem launigen Einstieg: In Europa tobt seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine wieder ein Krieg. Und wir müssen darüber reden, denn er betrifft auch uns.

Mein Angebot war, die Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu sammeln und mich gemeinsam mit diesen auf die Suche nach Antworten zu machen. Dabei wollte ich meine Perspektiven als ehemaliger Offizier, Historiker und Kommunikationsberater einbringen. Es wurden 45 intensive Minuten – und es ergaben sich viele weitere Gespräche über den Tag hinweg, die ich als sehr konstruktiv empfand.

Diskutiert haben wir unter anderem über die folgenden Fragen (stichwortartig ein paar Antworten/Hypothesen):

– Wie kann ich herausfinden, welche Informationen über den Kriegsverlauf wahr sind, und wem kann ich überhaupt vertrauen?

Wir wissen über den tatsächlichen Kriegsverlauf nur sehr wenig und können nur das bewerten, was wir über die Medien erfahren. Auch die Kommunikation offizieller (ukrainischer) Stellen, ist interessengeleitet. Was wir tun können, ist Informationen auf Konsistenz zu prüfen. Das gilt auch für die Quellen. Profile in den sozialen Netzwerken, die erst seit Beginn des Kriegs aktiv sind und einseitig informieren, sind extrem kritisch zu bewerten. Informationen, die wir nicht durch weitere Quellen verifizieren können, sollten wir eher nicht teilen.

– Menschen, die aus der Ukraine flüchten, werden ähnliche Vorurteile entgegengebracht, wie Flüchtlingen aus Syrien oder Afghanistan, aber kann das Rassismus sein, wo sie doch Europäer sind?

Hier wirkt sich die lange Geschichte des Antislawismus aus, bei dem die „Erfindung“ von Ost-Europa als einer Art minderwertigem Europa eine zentrale Rolle spielt. Hier setzt auch die russische Propaganda an, die versucht, gezielt Misstrauen gegenüber der Ukraine zu schüren und sie als korrupten Staat zu charakterisieren.

– Warum tut sich Deutschland so schwer mit der Unterstützung der Ukraine?

Der Krieg ist eine tatsächliche Zeitenwende, der fundamentale Überzeugungen der deutschen Nachkriegspolitik nicht nur in Frage stellt, sondern komplett abräumt. Die „mentale Zeitenwende“ dürfte eine der größten Herausforderungen sein. In der deutschen Regierung, insbesondere im Kanzleramt, fürchte sich die handelnden Personen vor einer weiteren Eskalation.

– Warum hat Putin den Krieg überhaupt begonnen und hätte der Westen das nicht durch Zugeständnisse verhindern können?

Stabilisierung des eigenen Machtsystems und Ideologie. Der Zugriff auf die Rohstoffe der Ukraine, insbesondere auch die Nahrungsmittel, hätte Russland zudem wieder zu einem relevanten internationalen Player gemacht. Russland hat sämtliche völkerrechtlichen Verträge gebrochen, die es selbst unterzeichnet hat. Der Westen kann über den Kopf der Ukraine keine Zugeständnisse machen.

– Welches Szenario für den Kriegsausgang ist wahrscheinlich?

Der Krieg wird vermutlich noch länger andauern. Selbst wenn der Westen die Unterstützung der Ukraine beenden sollte, wird die Ukraine weiterkämpfen. Russland wird nicht weiter nach Westen vorstoßen können. Langfristig wird die Ukraine die russisch besetzen Gebiete zurückerobern. Bei einem Zusammenbruch des Machtsystems Putins ist es wahrscheinlich, dass die Russische Föderation zerfällt. Ein Bürgerkrieg ist möglich. So lange die Ursachen des Konflikts nicht beseitigt sind, wird es keinen dauerhaften Frieden geben.

In der Session wurde – abermals – deutlich – und wir haben noch andere geopolitische Herausforderungen angerissen – , dass es keine leichte Lösung für diesen, frei nach Carlo Masala, „Clusterfuck“ geben wird. Was mich dennoch zuversichtlich macht, ist, dass wir die Chance haben, uns bewusst zu werden, was unsere freiheitliche Gesellschaft ausmacht und wir diese verteidigen müssen und können.

In ihrer Keynote auf dem Kommunikationskongress am 15. September hat Claudia Major das hervorragend auf den Punkt gebracht. Die Unterstützung der Ukraine durch den Westen ist Teil einer Erfolgsgeschichte, zu der wir einen Beitrag leisten.

Für mich war diese Session ein Anlass, nach mehr als zwei Jahren wieder zu bloggen. Und vielleicht ist es gar keine schlechte Idee, dies in der Rolle des „sicherheistpolitischen Kleinkünstlers“ ab jetzt wieder regelmäßig zu tun, denn die mentale Zeitenwende findet nicht nur auf den großen Bühnen statt, sondern überall dort, wo Menschen sich im ehrlichen Interesse treffen, voneinander zu lernen.

In diesem Sinne: Lasst uns miteinander reden.

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