Das unsichtbare Band

Der ein oder andere hat es vielleicht mitbekommen. Dank des Feiertages in Hessen, war ich heute beim Solidaritätslauf an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Rund 2.000 Läuferinnen und Läufer hatten sich für die beiden Läufe über 12 bzw. 3 Kilometer angemeldet und die Veranstalter konnten am Abend eine Spende von 30.000 Euro an die Oberst Schöttler Versehrten-Stiftung übergeben. Das ist ein tolles Ergebnis.

Was mich persönlich besonders bewegt hat, war aber etwas anderes. Es war die Mischung aus Partystimmung, Lebensfreude, Engagement und Ernsthaftigkeit, die die Veranstaltung auszeichnete. Dazu trug neben der perfekten Organisation durch studierende Offiziere auch bei, dass Initiativen wie der Bund Deutscher Veteranen, Support GermanTroops, Deutscher Soldat oder Roter Freitag vor Ort waren. Außerdem hatten sich unter anderem zahlreiche Kameraden des Fallschirmjägerbataillons 373 aus Seedorf auf den Weg nach Hamburg gemacht, um in Formation den Lauf über 12 Kilometer zu absolvieren.

Damit waren anders als sonst an einer Bundeswehr-Universität nicht fast ausschließlich studierende Offiziere und Offiziersanwärter unter sich, sondern eine wirklich bunte Truppe. Wie bunt, zeigen einige Fotos, die ich beim Start des 12 Kilometerlaufes gemacht und auf Facebook veröffentlicht habe (hier und hier).

Der Solidaritätslauf bot damit einen idealen Rahmen, um zu erleben, was die Bundeswehr jenseits politischer Diskussionen, Beschaffungsfehlern und unsinniger Bürokratie auszeichnet: Eine ganz besondere Einheit in Vielfalt, zusammengehalten von einem unsichtbaren Band. Ich würde dieses Band Kameradschaft nennen. Und zwar Kameradschaft weit jenseits dessen, was im Soldatengesetz und anderen Weisungen festgeschrieben ist. Kameradschaft, die entsteht, wenn man sich trotz Differenzen einem gemeinsamen Ideal zugehörig fühlt. Die keine Pflicht ist, sondern ein verbindendes Gefühl, das sich trotz ausgefeilter wissenschaftlicher Theorien nicht vollständig erklären lässt. Das mag für manche, insbesondere für Gegner der Bundeswehr, befremdlich klingen. Wer aber jemals Angehöriger dieser Truppe war und nicht vollständig mit ihr gebrochen hat, wird wissen was ich meine.

 

Schade, Govermedia

Die Bundeswehr im Allgemeinen und vor allem das Verteidigungsministerium im Besonderen fallen ja nun nicht gerade durch eine besonders moderne und zukunftsorientierte Kommunikationsarbeit auf. Abgesehen von der soliden Imagekampagne „Wir. Dienen. Deutschland.“, die erste Schritte auf dem Weg zu einer anderen Darstellung des soldatischen Tuns gegangen ist, einem sehr erfolgreichen YouTube-Kanal und einem professionellen Corporate Publishing-Objekt mit grausliger Webseite, gibt es wenig Bemerkenswertes aus dem Bendlerblock.

In all‘ dieser Tristesse war die Veranstaltungsreihe „Govermedia“ ein erster Lichtblick. Trotz einiger, vor allem inhaltlicher, Anlaufschwierigkeiten, hatten die Verantwortlichen an der Akademie für Information und Kommunikation der Bundeswehr (AIK), mit dem Thema Behördenkommunikation einen Bereich gefunden, in dem es bislang wenig gab. Zwischen der hohen Politik und der professionellen Unternehmenskommunikation tat sich ein Feld auf, das sich zu beackern lohnte. Auch für dieses Jahr hatte sich die AIK vorgenommen, eine Veranstaltung auf die Beine zu stellen. Der Blick auf die Website des Projekts offenbart aber, dass daraus nichts wird:

 „Aus organisatorischen Gründen kann GOVERMEDIA 2013 nicht stattfinden.
Wir bitten sehr um Verständnis.
Für 2014 ist die Fortsetzung der Veranstaltungsreihe geplant.“

Nun ist diese schmallippige Absage genau das Gegenteil moderner Behördenkommunikation. Und obwohl ich mit den Machern der Govermedia inhaltlich eher nicht auf einer Linie lag, waren sie doch immer engagiert und hinter den Kulissen haben wir offen und konstruktiv gesprochen. Um es kurz zu machen: Ich glaube nicht an organisatorische Gründe, sondern an persönliche. Ich glaube, die Institution AIK, genauer gesagt, ihre Führung, hat im Kern kein Interesse an solchen Veranstaltungen. Sie steckt ihren Kopf lieber weiter in den Strausberger Sand und ist weder Willens und in der Lage, Personalausfälle zu kompensieren und Menschen zu finden und diesen die Mittel in die Hand zu geben, eine erfolgreiche Veranstaltung weiter zu entwickeln. Das ist schade.

Auch für 2014 mache ich mir wenig Hoffnungen. Wie man aus Kreisen hört, soll es in nicht allzu ferner Zukunft einen neuen Kommandeur an der AIK geben, der in den vergangenen Jahren als Stellvertreter des Sprechers im Verteidigungsministerium und Leiter des Bereiches „Presse“ im Presse- und Informationsstab nachhaltig sein vormodernes Verständnis von Behördenkommunikation gezeigt hat. Aber vielleicht ist dieses Gerücht auch nur eine hoffnungsvolle Projektion klügerer Köpfe im Ministerium.

Facebook 1914

Eine sensationell gute Idee hat die Agentur DDB für das Musée de la Grande Guerre du Pays de Meaux auf Facebook umgesetzt. Noch bis zum 17. Mai können wir an die Erlebnisse des junge Soldaten Léon Vivien im ersten Weltkrieg sowie den Austausch mit seiner Frau Madeleine sowie weiteren Personen aus seinem Freundeskreis verfolgen. Das Ganze wird angereichert mit Originalbildern aus der Zeit zwischen 1914 und 1918. Dieses Konzept ist nicht nur museumspädagogisch bemerkenswert. Es stellt eine besondere Nähe zu lange zurückliegenden Ereignissen her und zeigt, dass das Prinzip „social“ nicht erst mit dem Internet Einzug gehalten hat. Und wer des Französischen nicht mächtig ist, dem hilft die integrierte Übersetzung ins Englische. Eine kurzen Film über das Projekt gibt es auf der Webseite von France24.

Screenshot Facebook Leon Vivien

Mit Dank an den Leser Memoria, der mich auf Augen geradeaus auf das Projekt aufmerksam gemacht hat.

Von Mäusen und Menschen

Ein Mensch ist gestorben. Er war Soldat im Kommando Spezialkräfte, im Einsatz in Afghanistan. Gefallen, sagen die Soldaten.

Der Schauspieler Til Schweiger ruft auf seiner Facebook-Seite auf, für die Familie des Soldaten zu spenden. Die Kommentare unter Schweigers Spendeaufruf geben einen interessanten Einblick in das, was Menschen so in dieses Netz schreiben. Meinungsfreiheit. Ein hohes Gut. Eines, für das es sich zu kämpfen lohnt.

Davon losgelöst wirft es Fragen auf, wenn der Tod eines Soldaten dessen Familie in Existenznöte stürzt. Und so verständlich es ist, dass die Familie sich wünscht, nicht im medialen Mittelpunkt zu stehen, so problematisch ist es meines Erachtens, dass wir des Gefallenen nicht angemessen gedenken können.

Wer der Familie finanzielle Hilfe zukommen lassen möchte, kann dies über die folgenden beiden Konten der Gemeinschaft Deutscher Kommandosoldaten (http://www.diekommandos.de/?id=46) tun:

GDK e.V.
Sparkasse Pforzheim Calw
Kto.: 7741014
BLZ: 66650085

Verwendungszweck: Fallen Hero

oder

„Verein Hilfe für Soldaten in Not KSK“
Sparkasse Pforzheim Calw
Kto. 7368020
BLZ 66650085

Verwendungszweck: „Fallen Hero“

So war es: Die Digital Natives ziehen in den Krieg – re:publica 2013

Eine intensive Stunde auf der Bühne. Und weil man erst weiß, was man gesagt hat, wenn die Gegenüber sagen, was sie verstanden haben, haben wir die Stimmen im Netz mal in einem Storify zusammengefasst. Sobald die Aufzeichnung unseres Talks online ist, trage ich das hier nach. Ach ja: natürlich ist so ein Storify total selbstbezüglich. Aber, hey, wir sind in Berlin.

1000 Dank an Euch.

Nachtrag: Weil das mit dem Video ein bisschen schwierig ist, habe ich mal eine Soundcloud-Datei erzeugt sowie die Präsentation auf Slideshare eingestellt:

 

Und weil es auf Vimeo etwas leichter zu sein scheint, das Video zu veröffentlichen, hier auch noch das:

Die Digital Natives ziehen in den Krieg from Sascha Stoltenow on Vimeo.

Überraschung beim Kirchentag: Dialog statt Denkverbot

Ein Gastbeitrag von Julia Weigelt (www.sicherlich.net)

Renke Brahms, der Friedensbeauftragte der evangelischen Kirche und Verteidigungsminister Thomas de Maizière auf der Bühne beim 34. Evangelischen Kirchentag

Da wurde schon viel geboten. Überraschendes, etwa wenn der Verteidigungsminister im Brustton der Überzeugung sagt, die Lücke zwischen Militär und Zivilgesellschaft in Deutschland sei kleiner geworden. Beängstigendes: Wenn eine Grundschullehrerin berichtet, Soldatenkinder müssen sich von ihren Spielkameraden anhören, ihr Vater sei ein Mörder. Doch die größte Herausforderung lag beim Themenblock „Willkommen zu Hause? Auslandseinsätze – Verantwortung und Folgen“ des Hamburger Kirchentags im Dialog zweier nur zu oft unversöhnlicher Lager: Pazifisten und Realisten. Jetzt sind Journalisten ja immer froh über Diskurs, spitzen selbst gerne zu und überspitzen dabei auch manchmal. Doch muss es bei aller Kritik immer konstruktiv und ohne Denkverbote zugehen – etwas, das ich schon am Wochenende auf dem IALANA-Kongress „Quo vadis Nato“ in Bremen schmerzlich vermisst habe. Wer da etwa die Abschaffung der Bundeswehr und einen Nato-Austritt fordert, sollte doch wenigstens einen realistischen Alternativvorschlag machen.

Sie können sich meine Erleichterung vorstellen, als ich auf dem Kirchentag im letzten Panel Renke Brahms zuhören durfte. Der Friedensbeauftragte der evangelischen Kirche versteht seinen Arbeitgeber nicht als unsexy Besserwisser mit erhobenem Zeigefinger und Jesuslatschen, sondern als „Besser-Hoffer“, der die Vision eines friedlichen Miteinanders immer wieder betont. Impulse und Dialog statt Dogma und Denkverboten – das ruhige Miteinander zwischen Brahms und Verteidigungsminister Thomas de Maizière erntete mehrfach Applaus. Nicht allerdings bei den vereinzelten Demonstranten, die als erstes die Militärseelsorge abschaffen wollten. Brahms lobte das neue Miteinander von Kirche und Verteidigungsministerium, und einen Minister, der eine öffentliche Debatte über Drohnen nachgerade einfordere. De Maizière, selbst mit grell-blauem Kirchentagsschal, brachte die Debatte auf den Punkt: „Es geht um das Verhältnis von Utopisten und Realisten“, sagte er. Keine Gruppe alleine könne die Welt verändern – man brauche „realistische Utopisten“, sonst bleibe in der Welt alles beim Alten. Warum können Debatten zwischen den Lagern nicht immer so ablaufen, fragt man sich da.

Brahms forderte eine ausgesprochene Zurückhaltung bei militärischen Einsätzen, rief dem Publikum aber auch zu: „Vorsicht mit dem Klatschen, das wird Ihr Geld kosten.“ Denn zivile Akteure müssten mehr Geld erhalten. Und er räumte ein: „Es gibt trotz allem Situationen, in denen Menschen vor Gewalt geschützt werden müssen, und zwar auch mit Gewalt. Wir müssen uns allerdings fragen: Ist das wirklich die letzte Möglichkeit? Und über Kriterien reden.“ Wenn sich Deutschland verstärkt an der zivilen Krisenprävention beteilige, werde man auch den Soldaten gerecht, die dann nicht das Gefühl hätten, ständig die Kohlen aus dem Feuer zu holen.

Einen Soldaten aus der „Schlammzone“, der im Einsatz außerhalb der Lager operiert hat, suchte der geneigte Zuschauer auf den Panels allerdings vergeblich. Dafür war Oberstarzt Dr. Helge Höllmer, Psychiater am Hamburger Bundeswehrkrankenhaus, dabei. Höllmer forderte mehr Psychiatriebetten im Einsatz, und berichtete vor den Augen des Verteidigungsministers: „Sie kriegen schneller 50.000 Euro für eine Prothese als 10.000 Euro für eine psychiatrische Behandlung.“ Man darf gespannt sein, wie der Minister mit dieser öffentlichen Kritik umgeht – und was er daraus macht.

Was Auslandseinsätze für Soldaten und deren Angehörige bedeuten, sollte eine szenische Lesung zeigen. Wie befreiend es ist, nach dem Einsatz wieder Menschen ohne Uniform zu sehen. Wie erschlagend 80 Sorten Käse im Supermarkt wirken. Wie verstörend es ist zu sehen, dass zu Hause alles normal weitergegangen ist – ich kenne diese Gefühle nur zu gut, auch wenn ich längst nicht so lange in Afghanistan war, wie Soldaten es sind. Der Körper ist sofort da, aber die Seele kommt zu Fuß. Besser und authentischer als die Schauspieler erzählen, hätten das sicherlich der mittlerweile recht bekannte Johannes Clair oder der ehemalige Chef einer Kampfkompanie in Kunduz, Marcel Bohnert, die beide sogar noch aus dem Norden kommen. Doch die Organisatoren hatten die Panels ohne die neue Veteranen-Generation besetzt.

Weitere Panelgäste: Dr. Ute Finckh-Krämer, Bundestagskandidatin der SPD in Steglitz-Zehlendorf, die als Abgeordnete „gegen jedes Einsatzmandat stimmen“ würde, weil „die politischen Mittel noch nicht ausgeschöpft sind“. Sie empfiehlt stattdessen einen „Austausch über gewaltfreie Traditionen“.

Astri Suhrke, Politikwissenschaftlerin aus Norwegen, empfahl, die „Taliban endlich mehr in den politischen Prozess einzubinden“.

Yama Torabi, Direktor von Integrity Watch Afghanistan aus Kabul, erinnerte daran, dass in Afghanistan 2014 nicht nur der teilweise Abzug, sondern auch die Wahl und das Ende vieler Hilfszahlungen anstehe. „Viele Afghanen haben sehr geringe Erwartungen in die Zukunft“, sagte Torabi. „Wir müssen Vertrauen aufbauen, um Investitionen zu bekommen.“

Zur Autorin

Julia Weigelt ist Fachjournalistin für Innere und Äußere Sicherheit und berichtet unter anderem für NDR info, Deutschlandradio Kultur und die Deutsche Presseagentur.

Eine Eindruck vom Verlauf der Veranstaltung und einige Reaktionen im Social Web habe ich in einem kleinen Storify zusammengestellt:

Kirchentag Reprise – und ein kleines Lehrstück über Journalismus

Heute Nachmittag findet auf dem 34. Evangelischen Kirchentag in Hamburg die Veranstaltung “Willkommen zu Hause? Auslandseinsätze – Verantwortung und Folgen” statt. Über deren Besetzung hatte ich mich bereits im März kritisch geäußert, denn auf das Podium wurde niemand eingeladen, der die Perspektive der Soldatinnen und Soldaten hätte darstellen können. Wegen dieses Blog-Beitrages sprach mich Anfang dieser Woche ein Redakteur des Online-Ableger einer deutschen Wochenzeitung an. Ob ich nicht Interesse hätte, meine Einschätzung als Debattenbeitrag in etwa 5000 Zeichen darzustellen. Es schmeichelt natürlich der Eitelkeit ungemein, wenn ein bekanntes Medium einen unbekannten Blogger, der darüber hinaus kein Journalist ist, anspricht, so dass ich spontan zusagte. Mein Einwand, dass ich leider nicht nach Hamburg würde reisen können, um über die Veranstaltung zu berichten, der Text daher eher theoretisch-distanziert, eben ein Kommentar, sein würde, störte den Redakteur nicht. Wir telefonierten, und wurden uns schnell handelseinig. Das kleine Honorar, das er eigeplant hatte, sollte als Spende an den Bund Deutscher Veteranen gehen. So weit, so erfreulich. Ich nutzte den Feiertag, um den Text fertigzustellen und lieferte pünktlich wie bestellt.

Dann begann, wovon freie Journalistinnen und Journalisten nicht nur ein Lied singen können. Der Redakteur, der den Text bestellt hatte, schrieb mir, er sei krank, ein Kollege würde sich kümmern und ich könne mich bei diesem melden. Statt dessen meldete sich ein dritter Kollege, der mir erklärte, er halte den Beitrag für nicht verwendbar, denn, so wörtlich, er „halte schon den Ansatz für verfehlt.“ Nun liegt mir nichts ferner, als das Urteil eines Journalisten abzutun oder gar die innere Pressefreiheit eines renommierten Mediums in Frage zu stellen. Außerdem ist mir völlig bewusst, dass ich einen „verfehlten Ansatz“ habe, aber genau den hatte der Kollege ja bestellt!

So gut und richtig daher die Vorschläge des nun zuständigen Redakteurs waren, dass ich doch die Veranstaltung besuchen und dort vielleicht auch noch ein paar Stellungnahmen einfangen können (also genau das zu machen, was ich beim Erstkontakt zu bedenken gegeben hatte), so wenig konnte und wollte ich das tun. Auch auf das angebotene Ausfallhonorar habe ich verzichtet (und werde andere Wege finden, eine Spende für den Veteranenverband zu ermöglichen). Stattdessen habe ich der Redaktion eine freie Journalistin empfohlen, die a) kompetent ist, b) besser schreiben kann als ich und c) in Hamburg wohnt. Ich bin gespannt, ob dieser Vorschlag fruchtet. Wenn ich mir aber vorstellen muss, dass dieses Erlebnis typisch für den Umgang deutscher Qualitätsmedien mit freien Mitarbeitern ist, dann verstehe ich die Klagen der Kolleginnen und Kollegen besser (mehr zur Lage der Freien gibt es beim Verband Freischreiber).

Und für alle, die es interessiert, folgend der bestellte und abgelehnte Beitrag.

 

Kirchentag in Hamburg

Die Exkommunikation des Soldaten

Wenn beim 34. Evangelischen Kirchentag über Auslandseinsätze diskutiert wird, kommt auch Verteidigungsminister Thomas de Maizière nach Hamburg. Veteranen der Bundeswehr hat niemand eingeladen. Das ist symptomatisch. Wir sprechen lieber über Soldaten als mit ihnen.

“Willkommen zu Hause? Auslandseinsätze – Verantwortung und Folgen” haben die Programmverantwortlichen ihre Veranstaltung am 3. Mai überschrieben. Immerhin drei Stunden wollen Sie sich Zeit nehmen, um das Thema zu bearbeiten. Mit einem szenischen Impuls, Interviews, einer Podiumsdiskussion und Gesprächen. Es ist eine illustre Runde, die dort diskutiert. Der antimilitaristische Bund für Soziale Verteidigung ist ebenso vertreten wie der Friedensbeauftragte der EKD und Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Außerdem geladen: Ein Bundeswehr-Psychiater, ein Militärseelsorger, eine Grundschullehrerin, ein Historiker, eine Politikwissenschaftlerin und ein Vertreter einer afghanischen Nicht-Regierungsorganisation. Man muss das so ausführlich aufzählen, um die Leerstelle der Veranstaltung zu markieren. Niemand ist auf die Idee gekommen, einer Soldatin oder einem Soldaten mit Einsatzerfahrung eine aktive Rolle zu geben.

Auf Nachfrage geben sich die Veranstalter schmallippig. Man habe Soldaten eingeladen, im Plenum teilzunehmen. Der Arzt und der Seelsorger kennten zahlreiche Fälle und hätten eine fundierte Haltung zum Thema. Außerdem stünde nicht genug Zeit zur Verfügung. Am Anspruch, die Situation der Soldatinnen und Soldaten in den Blickpunkt der Gesellschaft zu rücken und interessierten Teilnehmenden die Möglichkeit zu bieten, verschiedene Meinungen, Fakten und Denkansätze kennen zu lernen, halte man gleichwohl fest. Damit bringt die Programmleitung ein grundsätzliches Dilemma auf den Punkt. Wir sprechen in Deutschland nicht mit Soldaten, sondern über sie. Warum ist das so?

Kirche und Militär – ein distanziertes Verhältnis

Distanz zum Militär hat in der Kirche Tradition. In der Spätantike war es den Christen bei Androhung der Exkommunikation verboten, Militärdienst zu leisten. Und Geistliche, die als Seelsorger den Truppen nahe sind, werden von ihrer Kirche seit jeher kritisch betrachtet. Zuletzt ging die damalige EKD-Vorsitzende Margot Käßmann in ihrer Neujahrspredigt Anfang 2010 mit Ihrer Aussage „Nichts ist gut in Afghanistan“ auf Abstand zur Bundeswehr und zur Afghanistanpolitik der Bundesregierung. (http://www.ekd.de/predigten/kaessmann/100101_kaessmann_neujahrspredigt.html) Diese Haltung ist verständlich, schließlich sind Gewaltfreiheit und Feindesliebe untrennbar mit christlichen Glaubenssätzen verbunden.

Doch während die Kirche den Dialog mit der Politik weiter führt, ist sie – zumindest im Rahmen des Kirchentages – an den Stimmen der Soldaten nicht interessiert. Das verbindet sie mit dem Verteidigungsministerium. Auch im Bendler-Block unternimmt man keine Anstrengungen, Soldaten zu ermutigen, sich am gesellschaftlichen Diskurs zu beteiligen. Es ist kein Zufall, dass in Deutschland, im Unterschied zu anderen westlichen Staaten, aktive Soldaten in der Öffentlichkeit nicht präsent sind. Das ist gewollt. Die Deutungshoheit über das Militär liegt allein beim jeweiligen Minister. Er kann, ohne Angabe von Gründen, Generale und Admirale jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzen lassen. Das prägt die Kultur der militärischen Führungsspitze. Offiziere, die sich berechtigte Hoffnungen auf Spitzenämter machen können, müssen verpflichtend Stationen im Verteidigungsministerium durchlaufen. Spätestens dort lernen sie, dass ihre militärische Expertise wenig, politisches Wohlverhalten dagegen viel gilt. Dadurch bleibt es einer Funktionärs-Elite vorbehalten, öffentlich über Soldaten zu sprechen.

Soldaten als Objekte

Die Kirchentagsveranstaltung spiegelt das wider. Statt auch Soldaten zu bitten, ihre Erfahrungen mit dem Publikum zu teilen, machen die Veranstalter sie zu Objekten. Sie fragen den Arzt, der über den Patienten spricht. Sie fragen den Seelsorger, der über den Menschen in Not spricht, und sie fragen den Minister, der über den Soldaten als Staatsbürger in Uniform spricht. Mit dem Krieger, dem Menschen, der existentielle Erfahrungen macht, der bereit ist, im Auftrag des Parlaments zu töten und getötet zu werden, spricht niemand. Das ist symptomatisch für eine Gesellschaft, die verdrängt, dass Krieg und Gewalt schon längst wieder Teil der Politik geworden sind, und symptomatisch für eine Politik, die die Gesellschaft genau darüber bewusst im Unklaren lässt. Exemplarisch wird das am Afghanistan-Einsatz deutlich. Die Bundesregierung sprach erst dann von kriegsähnlichen Zuständen, als diese nach der Bombardierung der Tanklaster in Kunduz im Jahr 2009 nicht mehr zu leugnen waren. Den Soldatinnen und Soldaten war zu diesem Zeitpunkt schon lange klar, dass sie im Krieg sind. Genau deshalb wäre es klug gewesen, sie zum Kirchentag einzuladen, um auch diese Widersprüche zu offenbaren.

Glaubwürdige Sprecher zu finden, wäre einfach gewesen. Wer sich auch nur ein wenig mit dem Thema befasst hat, muss wissen, dass es mit dem Bund Deutscher Veteranen inzwischen eine Organisation gibt, die den inzwischen mehr als 300.000 einsatzerfahrenen Soldatinnen und Soldaten eine Stimme gibt. Und mit „Vier Tage im November“ hat der ehemalige Fallschirmjäger Johannes Clair ein Buch über seine Erfahrungen in Afghanistan veröffentlicht, das eindrucksvolle Einblicke in die Einsatzrealität ermöglicht. Wer ernsthaft über Verantwortung für und Folgen von Auslandseinsätzen diskutieren möchte, wäre gut beraten, das Gespräch mit Soldaten zu suchen. Denn nur wer mit den Soldaten statt über sie spricht, kann kompetent darüber entscheiden, welche Haltung sie oder er ihnen gegenüber entwickelt. Das gilt für Kirche und Gesellschaft gleichermaßen.