Heute Nachmittag findet auf dem 34. Evangelischen Kirchentag in Hamburg die Veranstaltung “Willkommen zu Hause? Auslandseinsätze – Verantwortung und Folgen” statt. Über deren Besetzung hatte ich mich bereits im März kritisch geäußert, denn auf das Podium wurde niemand eingeladen, der die Perspektive der Soldatinnen und Soldaten hätte darstellen können. Wegen dieses Blog-Beitrages sprach mich Anfang dieser Woche ein Redakteur des Online-Ableger einer deutschen Wochenzeitung an. Ob ich nicht Interesse hätte, meine Einschätzung als Debattenbeitrag in etwa 5000 Zeichen darzustellen. Es schmeichelt natürlich der Eitelkeit ungemein, wenn ein bekanntes Medium einen unbekannten Blogger, der darüber hinaus kein Journalist ist, anspricht, so dass ich spontan zusagte. Mein Einwand, dass ich leider nicht nach Hamburg würde reisen können, um über die Veranstaltung zu berichten, der Text daher eher theoretisch-distanziert, eben ein Kommentar, sein würde, störte den Redakteur nicht. Wir telefonierten, und wurden uns schnell handelseinig. Das kleine Honorar, das er eigeplant hatte, sollte als Spende an den Bund Deutscher Veteranen gehen. So weit, so erfreulich. Ich nutzte den Feiertag, um den Text fertigzustellen und lieferte pünktlich wie bestellt.
Dann begann, wovon freie Journalistinnen und Journalisten nicht nur ein Lied singen können. Der Redakteur, der den Text bestellt hatte, schrieb mir, er sei krank, ein Kollege würde sich kümmern und ich könne mich bei diesem melden. Statt dessen meldete sich ein dritter Kollege, der mir erklärte, er halte den Beitrag für nicht verwendbar, denn, so wörtlich, er „halte schon den Ansatz für verfehlt.“ Nun liegt mir nichts ferner, als das Urteil eines Journalisten abzutun oder gar die innere Pressefreiheit eines renommierten Mediums in Frage zu stellen. Außerdem ist mir völlig bewusst, dass ich einen „verfehlten Ansatz“ habe, aber genau den hatte der Kollege ja bestellt!
So gut und richtig daher die Vorschläge des nun zuständigen Redakteurs waren, dass ich doch die Veranstaltung besuchen und dort vielleicht auch noch ein paar Stellungnahmen einfangen können (also genau das zu machen, was ich beim Erstkontakt zu bedenken gegeben hatte), so wenig konnte und wollte ich das tun. Auch auf das angebotene Ausfallhonorar habe ich verzichtet (und werde andere Wege finden, eine Spende für den Veteranenverband zu ermöglichen). Stattdessen habe ich der Redaktion eine freie Journalistin empfohlen, die a) kompetent ist, b) besser schreiben kann als ich und c) in Hamburg wohnt. Ich bin gespannt, ob dieser Vorschlag fruchtet. Wenn ich mir aber vorstellen muss, dass dieses Erlebnis typisch für den Umgang deutscher Qualitätsmedien mit freien Mitarbeitern ist, dann verstehe ich die Klagen der Kolleginnen und Kollegen besser (mehr zur Lage der Freien gibt es beim Verband Freischreiber).
Und für alle, die es interessiert, folgend der bestellte und abgelehnte Beitrag.
Kirchentag in Hamburg
Die Exkommunikation des Soldaten
Wenn beim 34. Evangelischen Kirchentag über Auslandseinsätze diskutiert wird, kommt auch Verteidigungsminister Thomas de Maizière nach Hamburg. Veteranen der Bundeswehr hat niemand eingeladen. Das ist symptomatisch. Wir sprechen lieber über Soldaten als mit ihnen.
“Willkommen zu Hause? Auslandseinsätze – Verantwortung und Folgen” haben die Programmverantwortlichen ihre Veranstaltung am 3. Mai überschrieben. Immerhin drei Stunden wollen Sie sich Zeit nehmen, um das Thema zu bearbeiten. Mit einem szenischen Impuls, Interviews, einer Podiumsdiskussion und Gesprächen. Es ist eine illustre Runde, die dort diskutiert. Der antimilitaristische Bund für Soziale Verteidigung ist ebenso vertreten wie der Friedensbeauftragte der EKD und Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Außerdem geladen: Ein Bundeswehr-Psychiater, ein Militärseelsorger, eine Grundschullehrerin, ein Historiker, eine Politikwissenschaftlerin und ein Vertreter einer afghanischen Nicht-Regierungsorganisation. Man muss das so ausführlich aufzählen, um die Leerstelle der Veranstaltung zu markieren. Niemand ist auf die Idee gekommen, einer Soldatin oder einem Soldaten mit Einsatzerfahrung eine aktive Rolle zu geben.
Auf Nachfrage geben sich die Veranstalter schmallippig. Man habe Soldaten eingeladen, im Plenum teilzunehmen. Der Arzt und der Seelsorger kennten zahlreiche Fälle und hätten eine fundierte Haltung zum Thema. Außerdem stünde nicht genug Zeit zur Verfügung. Am Anspruch, die Situation der Soldatinnen und Soldaten in den Blickpunkt der Gesellschaft zu rücken und interessierten Teilnehmenden die Möglichkeit zu bieten, verschiedene Meinungen, Fakten und Denkansätze kennen zu lernen, halte man gleichwohl fest. Damit bringt die Programmleitung ein grundsätzliches Dilemma auf den Punkt. Wir sprechen in Deutschland nicht mit Soldaten, sondern über sie. Warum ist das so?
Kirche und Militär – ein distanziertes Verhältnis
Distanz zum Militär hat in der Kirche Tradition. In der Spätantike war es den Christen bei Androhung der Exkommunikation verboten, Militärdienst zu leisten. Und Geistliche, die als Seelsorger den Truppen nahe sind, werden von ihrer Kirche seit jeher kritisch betrachtet. Zuletzt ging die damalige EKD-Vorsitzende Margot Käßmann in ihrer Neujahrspredigt Anfang 2010 mit Ihrer Aussage „Nichts ist gut in Afghanistan“ auf Abstand zur Bundeswehr und zur Afghanistanpolitik der Bundesregierung. (http://www.ekd.de/predigten/kaessmann/100101_kaessmann_neujahrspredigt.html) Diese Haltung ist verständlich, schließlich sind Gewaltfreiheit und Feindesliebe untrennbar mit christlichen Glaubenssätzen verbunden.
Doch während die Kirche den Dialog mit der Politik weiter führt, ist sie – zumindest im Rahmen des Kirchentages – an den Stimmen der Soldaten nicht interessiert. Das verbindet sie mit dem Verteidigungsministerium. Auch im Bendler-Block unternimmt man keine Anstrengungen, Soldaten zu ermutigen, sich am gesellschaftlichen Diskurs zu beteiligen. Es ist kein Zufall, dass in Deutschland, im Unterschied zu anderen westlichen Staaten, aktive Soldaten in der Öffentlichkeit nicht präsent sind. Das ist gewollt. Die Deutungshoheit über das Militär liegt allein beim jeweiligen Minister. Er kann, ohne Angabe von Gründen, Generale und Admirale jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzen lassen. Das prägt die Kultur der militärischen Führungsspitze. Offiziere, die sich berechtigte Hoffnungen auf Spitzenämter machen können, müssen verpflichtend Stationen im Verteidigungsministerium durchlaufen. Spätestens dort lernen sie, dass ihre militärische Expertise wenig, politisches Wohlverhalten dagegen viel gilt. Dadurch bleibt es einer Funktionärs-Elite vorbehalten, öffentlich über Soldaten zu sprechen.
Soldaten als Objekte
Die Kirchentagsveranstaltung spiegelt das wider. Statt auch Soldaten zu bitten, ihre Erfahrungen mit dem Publikum zu teilen, machen die Veranstalter sie zu Objekten. Sie fragen den Arzt, der über den Patienten spricht. Sie fragen den Seelsorger, der über den Menschen in Not spricht, und sie fragen den Minister, der über den Soldaten als Staatsbürger in Uniform spricht. Mit dem Krieger, dem Menschen, der existentielle Erfahrungen macht, der bereit ist, im Auftrag des Parlaments zu töten und getötet zu werden, spricht niemand. Das ist symptomatisch für eine Gesellschaft, die verdrängt, dass Krieg und Gewalt schon längst wieder Teil der Politik geworden sind, und symptomatisch für eine Politik, die die Gesellschaft genau darüber bewusst im Unklaren lässt. Exemplarisch wird das am Afghanistan-Einsatz deutlich. Die Bundesregierung sprach erst dann von kriegsähnlichen Zuständen, als diese nach der Bombardierung der Tanklaster in Kunduz im Jahr 2009 nicht mehr zu leugnen waren. Den Soldatinnen und Soldaten war zu diesem Zeitpunkt schon lange klar, dass sie im Krieg sind. Genau deshalb wäre es klug gewesen, sie zum Kirchentag einzuladen, um auch diese Widersprüche zu offenbaren.
Glaubwürdige Sprecher zu finden, wäre einfach gewesen. Wer sich auch nur ein wenig mit dem Thema befasst hat, muss wissen, dass es mit dem Bund Deutscher Veteranen inzwischen eine Organisation gibt, die den inzwischen mehr als 300.000 einsatzerfahrenen Soldatinnen und Soldaten eine Stimme gibt. Und mit „Vier Tage im November“ hat der ehemalige Fallschirmjäger Johannes Clair ein Buch über seine Erfahrungen in Afghanistan veröffentlicht, das eindrucksvolle Einblicke in die Einsatzrealität ermöglicht. Wer ernsthaft über Verantwortung für und Folgen von Auslandseinsätzen diskutieren möchte, wäre gut beraten, das Gespräch mit Soldaten zu suchen. Denn nur wer mit den Soldaten statt über sie spricht, kann kompetent darüber entscheiden, welche Haltung sie oder er ihnen gegenüber entwickelt. Das gilt für Kirche und Gesellschaft gleichermaßen.