Weil ich momentan sehr stark hauptberuflich zu tun habe (und mich als Bendler-Blogger einigen Off-line Aktivitäten gewidmet habe), ist es im Blog etwas ruhiger geworden. Daher freut es mich, dass MartinBöcker, studierender Offizier an der Universität der Bundeswehr München, angeboten hat, einen Gastbeitrag zu veröffentlichen, der die Diskussion um die soldatische Identität und die Rolle der Bundeswehr aufgreift und weiterführt. Kommentare sind, wie immer, herzlich willkommen.
Von der Verteidigungs- zur Durchsetzungsarmee
von Martin Böcker
Gleich zwei vernichtende Urteile über den Verlauf der Neuausrichtung der Bundeswehr gab es in jüngster Zeit: In der vergangenen Woche haben das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr und der Bundeswehrverband in Kooperation mit der TU Chemnitz unabhängig voneinander zwei Studien der Öffentlichkeit vorgestellt. Jetzt wissen alle, was einige Soldaten schon vermutet hatten: Die Bundeswehr ist mit ihrer eigenen Reform unzufrieden. Der gesamte Unwille lässt sich in einem Kernproblem zusammenfassen: Knapp 90 Prozent der Befragten wissen nicht, wo die Reise hingehen soll, es fehle die Vision der umfassenden Neuausrichtung.
Das Fehlen so einer Leitidee konkretisiert sich symptomatisch in einem Frage- und Antwortbogen auf der Internet-Seite bundeswehr.de. Zur Erläuterung der Gründe für die Neuausrichtung heißt es: Ziel und Maßstab der Neuausrichtung ist eine Bundeswehr, deren Auftrag und deren Aufgaben sicherheitspolitisch begründet sind, die fähigkeits- und einsatzorientiert aufgestellt ist, deren Struktur demografiefest ist und die nachhaltig finanziert ist. Das ist so schwammig, dass dem nicht widersprochen werden kann: Welches Land möchte denn nicht über eine bezahlbare Armee verfügen, deren begründete Aufträge sie zu leisten imstande ist?
Diese Leerstelle ist das Hauptproblem, nicht nur der gesamten Neuausrichtung, sondern der gegenwärtigen Bundeswehr an sich. Für die Soldaten, für die es um Töten und Sterben geht, ist das ein existenzielles Problem, welches weder die Armee, noch das Verteidigungsministerium allein beheben kann. Es ist die Aufgabe der Politik und einer gesellschaftlichen Debatte, den Streitkräften diese Leitidee zu geben.
Bis 1989 war das theoretisch unkompliziert. Alle Teilstreitkräfte waren darauf ausgerichtet, in einer gemeinsamen Anstrengung den Angriff einer regulären Armee an einer festgelegten Grenze abzuwehren. Die Vision der Bundeswehr war die Verteidigung des deutschen Territoriums. Doch trotz einer völlig neuen Bedrohungslage hat sich bis heute wenig an der sicherheitspolitischen Rhetorik geändert. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien hat ein Umdenken zwar ansatzweise stattgefunden, so heißt es dort, dass Sicherheit nicht ausschließlich geographisch definiert werde. Doch allein das Wort verteidigungspolitisch manifestiert Peter Strucks Irrtum, dass Deutschland auch am Hindukusch verteidigt werde. Die Richtlinien verharren in einem veralteten Verteidigungsdenken und senden damit den falschen gedanklichen Impuls.
Dabei hat die deutsche Sicherheits- und Außenpolitik doch schon ganz andere Fakten geschaffen: Der ISAF-Einsatz in Afghanistan, UNIFIL vor der Küste Libanons, ATALANTA am Horn von Afrika, die Balkan-Einsätze KFOR und EUFOR sowie die verschiedenen Beratermissionen in Afrika. Diese sehr unterschiedlichen Einsätze sind zwar in ein globales Gesamtszenario deutscher, europäischer und westlicher Sicherheitsinteressen eingebettet, für die Soldaten sind sie jedoch nicht erfahrbar miteinander verzahnt. Sie haben für sich so unterschiedliche Zielsetzungen und betreffen die Teilstreitkräfte so ungleichmäßig, dass keiner davon in den bisherigen Kategorien der Verteidigung als gemeinsame Anstrengung wahrgenommen werden kann, der sich auf einen Begriff wie Verteidigung herunterbrechen ließe.
Die Stabilisierung einer Region, die Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder die Sicherung eines Handelsweges haben schlichtweg keinen defensiven Charakter selbst dann, wenn es handfeste Gründe dafür gibt, wie zum Beispiel den Schutz vor Terrorangriffen in Deutschland. Die Bundeswehr richtet sich in den Stabilisierungseinsätzen nicht gegen Angreifer, sondern gegen die Rückzugsräume potentieller Angreifer.
Hinzu kommen konkrete wirtschaftliche, geopolitische und sonstige Interessen, deren Wahrung nicht unter dem Begriff Verteidigung subsumiert werden können. Das ist ein zu offensichtlicher Euphemismus. Die Verwendung von Beschönigungen kann in der Politik zwar sehr sinnvoll sein, keinesfalls soll sie an dieser Stelle moralisch verurteilt werden. Wenn der Unterschied zwischen Realität und Begriff jedoch zu offensichtlich ist, dann verunmöglicht das den geistigen Unterbau einer Armee, auf den die Soldaten ihren unbedingten Anspruch haben.
Als Reaktion auf die Studien titelten einige Nachrichtenblätter treffend, dass den Soldaten ein Burnout bevorstehe. Ein Blick in die Psychologie zeigt, dass eine hohe Arbeitsbelastung das Risiko eines Burnouts vergrößert, fehlendes Sinnhaftigkeitserleben wiegt jedoch schwerer. Und das fehlt eben, wenn Realität und Rhetorik nicht mehr vereinbar sind.
Innerhalb der bestehenden Denkkategorien lässt sich also keine Vision der Neuausrichtung definieren, die Verteidigung des Territoriums wurde nämlich von der Durchsetzung handfester Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen abgelöst, die weitgehende Schnittmengen mit denen der anderen Staaten Europas und der Nato haben. So gesehen hat die sicherheitspolitische Realität der Bundesrepublik die Formulierung der Vision schon vorweg genommen.
Wenn die Neuausrichtung gelingen soll, dann müsste die Leitidee also nur das zum Ausdruck bringen, was die Politik schon längst entschieden hat: Die militärischen Interessen der Bundesrepublik gehen weit über die schlichte Verteidigung hinaus. Sicherheitspolitisch ist das weder falsch noch verwerflich. Es muss nur ausgesprochen werden (was sich übrigens sehr gut mit Thomas de Maizières gelungenem Coup Wir. Dienen. Deutschland. und der Idee des Staatsbürgers in Uniform in Einklang bringen ließe). Um das auf ein Schlagwort zu reduzieren: Die Bundeswehr ist keine Verteidigungs-, sondern eine Durchsetzungsarmee.