Dies und das

Heimlich, still und leise ist – wie ich erst jetzt registriert habe – der Kollege Stephan Löwenstein von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus dem Kreis der sicherheitspolitischen Blogger ausgeschieden. Laut Profil auf der Webseite der FAZ ist Löwenstein seit September 2012 in Wien Korrespondent für Österreich und Ungarn. Schade, dass das offenbar nicht mit seinem Blog „Zur Sicherheit“ vereinbar war, denn dort gab es doch manch interessante Diskussion.

Neu, die meisten Leser dieses Blog werden es vermutlich schon bei Augen geradeaus gelesen haben, ist dagegen MORGELAGE.DE von Marco Seliger. Als Chefredakteur der „loyal“ hat er, so zumindest meine Wahrnehmung, aus einem verschlafenen Vereinsblättchen, ein ernst zu nehmendes sicherheitspolitisches Magazin gemacht. Im Unterschied zu Propagandaabspielstationen, die sich vor allem durch Werbung der Rüstungsindustrie finanzieren, gelingt es „loyal“ trotz der Finanzierung aus dem Einzelplan 14, ein hohes Maß von Eigenständigkeit zu wahren. Von Seligers Blog verspreche ich mir genau das, und Dank der Tatsache, das er sich der Themen hauptamtlich annehmen kann, auch eine entsprechende Frequenz und Kontinuität.

Aufmerksam lesen sollte man darüber hinaus alles, was sich derzeit zur geplanten Fusion zwischen EADS und BAE finden lässt. Interessant ist vor allem, wie die Bundesregierung inklusive des Verteidigungsministers hier versucht, zu vermeiden, irgendetwas, das einem eigenständigen sicherheits- und rüstungspolitischen Willen entspräche, zu artikulieren. Mit Blick auf den beginnenden Bundestagswahlkampf scheint Merkel in dieser Sache ebenso wie bei Lieferungen von Rüstungsgütern nach Indonesien und anderswo, jede Klarheit vermeiden zu wollen. Schließlich könnten solche Themen entweder die eigene Klientel verschrecke, oder, schlimmer noch, die Friedensbewegten auf Seiten der Opposition aufwecken und an die Urnen locken. Möglich, dass die vorzeitige Kanzlerkandidatenkür der SPD nach der Methode Abzählreim nun dem EADS-Vorstandsvorsitzenden Tom Enders seinen gut vorbereiteten Plan versaut. Timing ist halt alles.

Basisarbeit

Der ein oder andere hat es vielleicht mitbekommen. Heute, am 28. September 2012, wurde in Bonn das neue Kommando Streitkräftebasis (Kdo SKB) unter Führung von Vizeadmiral Manfred Nielson in Dienst gestellt. Soweit der nachrichtliche Teil. Nun zur Werbung, denn heute startet auch offiziell die – meine Wissens – erste Imagekampagne der Streitkräftebasis.

Diensthund der Bundeswehr

Unter dem Motto „Ich war´s“ (Broschüre) will die Kampagne für die Anerkennung der Leistungen der Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Streitkräftebasis werben. Das ist – soweit teile ich das Urteil der Verantwortlichen – legitim, richtig und gut gemeint. Kommunikativ ist die geplante Kampagne dagegen allenfalls in einem Stadium, das sich als Briefing für ein professionelles Konzept eignete. Leider hat man sich entschlossen, diesen Weg nicht zu gehen und stattdessen, das, was man sich ausgedacht hat, zu veröffentlichen.

Eine detaillierte Kritik – und eine gerne auch kontroverse Diskussion – erhoffe ich mir in den Kommentaren, denn: Ich schließe nicht aus, dass ich Unrecht habe! Dennoch: „Ich war´s“ sagen vor allem kleine Kinder, die auf etwas Geleistetes – zu Recht – ganz furchtbar stolz sind, eitle Streber, die es nicht aushalten können, wenn sie nicht beachtet werden, oder aber Menschen, die etwas richtig verbockt haben – alles Assoziationen, die ich mir genau nicht für die Kameraden der SKB wünsche. Es bleibt noch einiges an Basisarbeit zu tun.

Bendler-Blogger live

Ok, die Überschrift klingt etwas eitel. Aber ich freue mich wirklich, dass mich das Anwenderforum für Fernmeldetechnik, Computer, Elektronik und Automatisierung (AFCEA) als Referent zu seiner zweiten Young AFCEANs Info-Veranstaltung am kommenden Montag nach Bonn eingeladen hat. Los geht es um 15:00 Uhr im Raum Nairobi im Post Tower.

Unter dem Titel „Mobile Computing – Facebook, Twitter & Co. im täglichen Dienst und im Einsatz“ diskutiere ich dann mit

Oberstleutnant Bernd Stichling, Redaktion Wir.Dienen.Deutschland Oberstleutnant i.G. Thomas Scheibe, BMVg, Stab Inspekteur Luftwaffe
– Peter Gerdemann, Director of Brand System and External Relations, IBM Deutschland, und
– Technical Sergeant Milton Jump, US Air Force, Ramstein

Die These, die ich zur Diskussion stellen möchte, ist, dass durch das Internet und die fast permanente Erreichbarkeit via mobiler Endgeräte, innerhalb von Streitkräften, (teilweise schon lange schlummernde) Kultur- und Identitätskonflikte offenbar werden, die Organisationen zwingen, sich diesen Konflikten zu stellen.

Das komplette Programm gibt es hier als PDF zum Download. Wer sich noch anmelden möchte, kann das über dieses Formular tun.

Wer die Diskussion über Twitter verfolgen (oder bereichern) möchte, kann das über den Hashtag #YA12 tun.

Das Ende der Verteidigungsarmee?

Weil ich momentan sehr stark hauptberuflich zu tun habe (und mich als Bendler-Blogger einigen Off-line Aktivitäten gewidmet habe), ist es im Blog etwas ruhiger geworden. Daher freut es mich, dass MartinBöcker, studierender Offizier an der Universität der Bundeswehr München, angeboten hat, einen Gastbeitrag zu veröffentlichen, der die Diskussion um die soldatische Identität und die Rolle der Bundeswehr aufgreift und weiterführt. Kommentare sind, wie immer, herzlich willkommen.

Von der Verteidigungs- zur Durchsetzungsarmee

von Martin Böcker

Gleich zwei vernichtende Urteile über den Verlauf der „Neuausrichtung der Bundeswehr“ gab es in jüngster Zeit: In der vergangenen Woche haben das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr und der Bundeswehrverband in Kooperation mit der TU Chemnitz unabhängig voneinander zwei Studien der Öffentlichkeit vorgestellt. Jetzt wissen alle, was einige Soldaten schon vermutet hatten: Die Bundeswehr ist mit ihrer eigenen Reform unzufrieden.  Der gesamte Unwille lässt sich in einem Kernproblem zusammenfassen: Knapp 90 Prozent der Befragten wissen nicht, „wo die Reise hingehen“ soll, es fehle die „Vision“ der umfassenden Neuausrichtung.

Das Fehlen so einer Leitidee konkretisiert sich symptomatisch in einem Frage- und Antwortbogen auf der Internet-Seite bundeswehr.de. Zur Erläuterung der Gründe für die Neuausrichtung heißt es: „Ziel und Maßstab der Neuausrichtung ist eine Bundeswehr, deren Auftrag und deren Aufgaben sicherheitspolitisch begründet sind, die fähigkeits- und einsatzorientiert aufgestellt ist, deren Struktur demografiefest ist und die nachhaltig finanziert ist.“ Das ist so schwammig, dass dem nicht widersprochen werden kann: Welches Land möchte denn nicht über eine bezahlbare Armee verfügen, deren begründete Aufträge sie zu leisten imstande ist?

Diese Leerstelle ist das Hauptproblem, nicht nur der gesamten Neuausrichtung, sondern der gegenwärtigen Bundeswehr an sich. Für die Soldaten, für die es um Töten und Sterben geht, ist das ein existenzielles Problem, welches weder die Armee, noch das Verteidigungsministerium allein beheben kann. Es ist die Aufgabe der Politik und einer gesellschaftlichen Debatte, den Streitkräften diese Leitidee zu geben.

Bis 1989 war das theoretisch unkompliziert. Alle Teilstreitkräfte waren darauf ausgerichtet, in einer gemeinsamen Anstrengung den Angriff einer regulären Armee an einer festgelegten Grenze abzuwehren. Die „Vision“ der Bundeswehr war die Verteidigung des deutschen Territoriums. Doch trotz einer völlig neuen Bedrohungslage hat sich bis heute wenig an der sicherheitspolitischen Rhetorik geändert. In den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ hat ein Umdenken zwar ansatzweise stattgefunden, so heißt es dort, dass Sicherheit  „nicht ausschließlich geographisch definiert“ werde. Doch allein das Wort „verteidigungspolitisch“ manifestiert Peter Strucks Irrtum, dass Deutschland „auch am Hindukusch verteidigt“ werde. Die Richtlinien verharren in einem veralteten Verteidigungsdenken und senden damit den falschen gedanklichen Impuls.

Dabei hat die deutsche Sicherheits- und Außenpolitik doch schon ganz andere Fakten geschaffen: Der ISAF-Einsatz in Afghanistan, UNIFIL vor der Küste Libanons, ATALANTA am Horn von Afrika, die Balkan-Einsätze KFOR und EUFOR sowie die verschiedenen Beratermissionen in Afrika. Diese sehr unterschiedlichen Einsätze sind zwar in ein globales Gesamtszenario deutscher, europäischer und westlicher Sicherheitsinteressen eingebettet, für die Soldaten sind sie jedoch nicht erfahrbar miteinander verzahnt. Sie haben für sich so unterschiedliche Zielsetzungen und betreffen die Teilstreitkräfte so ungleichmäßig, dass keiner davon in den bisherigen Kategorien der Verteidigung als gemeinsame Anstrengung wahrgenommen werden kann, der sich auf einen Begriff wie „Verteidigung“ herunterbrechen ließe.

Die Stabilisierung einer Region, die Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder die Sicherung eines Handelsweges haben schlichtweg keinen defensiven Charakter – selbst dann, wenn es handfeste Gründe dafür gibt, wie zum Beispiel den Schutz vor Terrorangriffen in Deutschland. Die Bundeswehr richtet sich in den Stabilisierungseinsätzen nicht gegen Angreifer, sondern gegen die Rückzugsräume potentieller Angreifer.

Hinzu kommen konkrete wirtschaftliche, geopolitische und sonstige Interessen, deren Wahrung nicht unter dem Begriff „Verteidigung“ subsumiert werden können. Das ist ein zu offensichtlicher Euphemismus. Die Verwendung von Beschönigungen kann in der Politik zwar sehr sinnvoll sein, keinesfalls soll sie an dieser Stelle moralisch verurteilt werden. Wenn der Unterschied zwischen Realität und Begriff jedoch zu offensichtlich ist, dann verunmöglicht das den geistigen Unterbau einer Armee, auf den die Soldaten ihren unbedingten Anspruch haben.

Als Reaktion auf die Studien titelten einige Nachrichtenblätter treffend, dass den Soldaten ein Burnout bevorstehe. Ein Blick in die Psychologie zeigt, dass eine hohe Arbeitsbelastung das Risiko eines Burnouts vergrößert, fehlendes Sinnhaftigkeitserleben wiegt jedoch schwerer. Und das fehlt eben, wenn Realität und Rhetorik nicht mehr vereinbar sind.
Innerhalb der bestehenden Denkkategorien lässt sich also keine „Vision“ der Neuausrichtung definieren, die Verteidigung des Territoriums wurde nämlich von der Durchsetzung handfester Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen abgelöst, die weitgehende Schnittmengen mit denen der anderen Staaten Europas und der Nato haben. So gesehen hat die sicherheitspolitische Realität der Bundesrepublik die Formulierung der „Vision“ schon vorweg genommen.

Wenn die Neuausrichtung gelingen soll, dann müsste die Leitidee also nur das zum Ausdruck bringen, was die Politik schon längst entschieden hat: Die militärischen Interessen der Bundesrepublik gehen weit über die schlichte Verteidigung hinaus. Sicherheitspolitisch ist das weder falsch noch verwerflich. Es muss nur ausgesprochen werden (was sich übrigens sehr gut mit Thomas de Maizières gelungenem Coup „Wir. Dienen. Deutschland.“ und der Idee des „Staatsbürgers in Uniform“ in Einklang bringen ließe). Um das auf ein Schlagwort zu reduzieren: Die Bundeswehr ist keine Verteidigungs-, sondern eine Durchsetzungsarmee.