„Afghanistan ist mehr als Soldaten und Taliban“

Interview mit Oberstleutnant Tom Brouns vom NATO Hauptquartier in Brunssum zum Videowettbewerb „Why Afghanistan Matters“

Wie berichtet sucht das NATO Joint Forces Command in Brunssum unter dem Motto „Why Afghanistan Matters“ nach den besten Videoclips von Soldaten und zivilen Einsatzkräften. Im E-Mail-Interview mit dem Bendler-Blog erläutert Tom Brouns, Oberstleutnant der US Army und als Projektmanager in Brunssum für den Wettbewerb verantwortlich, Hintergrund und Ziele:

Herr Brouns, dass die NATO Soldatinnen und Soldaten dazu aufruft, eigene Videos bei einem Wettbewerb einzureichen, ist ungewöhnlich. In der Regel sind Streitkräfte eher darauf bedacht, die Kontrolle über Bilder aus dem Einsatz zu behalten. Welche Ziele hat also der Wettbewerb?

Zunächst möchte ich klarstellen, dass sich nicht nur Militärangehörige am Wettbewerb beteiligen können. Im Gegenteil: Wir möchten alle ansprechen, die in Afghanistan im Einsatz sind oder waren – Zivilisten ebenso wie Militärs. Dabei verfolgen wir mit “Why Afghanistan Matters” eine ganze Reihe von Zielen.

Die ursprüngliche Idee zu diesem Wettbewerb ist entstanden weil wir erkannt haben, dass Soldaten unterschiedlichster Nationen ohnehin schon sehr viele Videos auf Seiten wie YouTube veröffentlichen. Wenn sie bei YouTube nach den Begriffen „ISAF“ und „Afghanistan“ suchen und die Treffer nach der Anzahl der Aufrufe sortieren, ist es wirklich erstaunlich wie viele und vor allem wie viele verschiedene Beiträge zum Militär dort zu finden sind. (Anm. der Redaktion: Wir haben das hier schon mal gemacht). Mit dem Wettbewerb möchten wir das fördern und Militärangehörige und Angehörige von anderen staatlichen und nichtsstaatlichen Organisationen ermutigen, die Erfahrungen und die Herausforderungen, denen sie sich täglich gegenübersehen, einem größeren Publikum zugänglich zu machen.

Ist das – gerade für Soldaten – nicht ein bisschen zuviel Ausdruckfreiheit?

Überhaupt nicht. Dadurch, dass wir das gezielt fördern, kann sich die Öffentlichkeit ein viel besseres Bild davon machen, was in Afghanistan geschieht. Das führt letztendlich dazu, dass Menschen besser informiert sind und besser entscheiden können, was sie vom Einsatz dort halten.

Rechnen Sie nicht mit Widerstand in den Ländern, deren Soldaten sie jetzt zur Teilnahme aufrufen?

Nicht unbedingt Widerstand, eher Bedenken. Und die sind auch verständlich, denn für die meisten militärischen Organisationen ist die Nutzung von Social Media ziemlich neu und ungewohnt. Von daher ist es verständlich, wenn der Wettbewerb nicht bei allen der 28 NATO-Partnerländern auf ungeteilte Zustimmung trifft. Dahinter verbirgt sich auch das zweite Ziel des Wettbewerbs. Wir wollen Erfahrung im Umgang mit Social Media sammeln und überprüfen, ob und wie sie sich eignen, um mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren. In einer Medienlandschaft, in der fast alle Bürger Inhalte selbst herstellen und veröffentlichen können und sich die Rolle der Medien rasant ändert, kommen sie mit herkömmlichen Pressemitteilungen nicht weit. Die Techniken des Web 2.0 ermöglichen es den Menschen dagegen, direkt und interaktiv sowohl miteinander als auch mit Institutionen zu kommunizieren, was dazu führt, dass die traditionellen Hierarchien abflachen. Hierarchische Organisationen wie das Militär müssen sich auf diese veränderte Medienlandschaft einstellen, wenn sie nicht riskieren wollen von der neuen „global conversation“ ausgeschlossen zu werden.

Mit welcher Beteiligung rechnen Sie?

Unser Ziel ist es, dass sich Soldatinnen und Soldaten ebenso wie Zivilisten aus möglichst allen Ländern beteiligen, die sich in Afghanistan engagieren. Rein theoretisch hätten wir dazu auch selbst Videos drehen oder eine Produktionsfirma damit beauftragen können. Wir sind aber überzeugt, dass es wesentlich interessanter ist, die vielfältigen Perspektiven derjenigen einzufangen, die dort vor Ort im Einsatz sind. Die Medienkompetenz der Menschen, die in Afghanistan arbeiten, ist sehr hoch. Dadurch sind sie in der Lage, ein Bild von ihrer Arbeit zu vermitteln, das sowohl authentisch als auch interessant ist. Das könnten wir so gar nicht. Darüber hinaus wissen wir, dass die Truppen in Afghanistan vielfach Dinge sehen und erleben, von denen wir hier in Europa und den USA gar nichts mitbekommen, von denen wir aber jede Menge lernen können. Genau deshalb hoffen wir, dass sich möglichst viele am Wettbewerb beteiligen und die militärische und politische Führung in den Herkunftsländern der Soldaten das auch aktiv fördert. Wir sehen den Wettbewerb nämlich auch als ein Mittel, um zu dokumentieren, dass der Einsatz in Afghanistan von vielen Staaten getragen wird.

Wie haben die am ISAF-Einsatz beteiligten Länder auf Ihre Aufforderung reagiert?

Wie nicht anders zu erwarten war – vielfältig. Einige haben unsere Initiative sehr begrüßt, andere waren eher zurückhaltende und einige haben klar gesagt, dass sie ihren Soldatinnen und Soldaten davon abraten werden, sich an dem Wettbewerb zu beteiligen.

Warum?

Da gibt es eine Vielzahl von Gründen. Als NATO Hauptquartier können wir aber nur für uns sprechen. Warum einzelne Staaten so oder so entscheiden, müssen sie deren Entscheidungsträger fragen.


Gibt es Bilder aus Afghanistan, die Sie in der öffentlichen Diskussion um den Einsatz dort vermissen und warum?

Mein Eindruck ist, dass die Medien dazu neigen, zu stark über Gewaltakte und zu wenig über den Alltag, über „Human Interest Stories“, zu berichten. Das ist nicht Neues, und ich kritisiere sie nicht dafür. Das Mediengeschäft ist Gewinn getrieben, und die Verlage und Sender wissen selbst am besten, was sich verkauft. Andererseits laufen die Medien im Zeitalter der Bürgerjournalisten selbst Gefahr an Relevanz und damit langfristig auch an Gewinn zu verlieren, wenn sie sich nicht weiterentwickeln. Wenn wir weiterhin auf die Methoden des Industriezeitalters setzen und glauben, wir könnten den Nachrichtenfluss steuern, dann übersehen wir die Tatsache, dass große Unternehmen und Organisationen schon längst nicht mehr das Informations- und Publikationsmonopol besitzen. Ganz offen gesagt, sind es genau diese Versuche, die Berichterstattung aus Afghanistan einzuschränken und den Soldatinnen und Soldaten kaum Möglichkeiten zu geben, sich mitzuteilen, die dazu geführt haben, dass die Öffentlichkeit davon überzeugt ist, Afghanistan bestehe nur noch aus Soldaten und Taliban. Wir scheinen vergessen zu haben, dass es noch rund 30 Millionen ganz normale Afghanen gibt, die versuchen ihre Familien zu ernähren und nach 30 Jahren Krieg auf eine friedliche Zukunft hoffen. Mein persönlicher Wunsch ist, dass sich dieses verzerrte Bild von Afghanistan ändert.

Stichwort Meinungsfreiheit: Werden Sie alle Videos, die Sie bekommen, veröffentlichen?

Zunächst hoffe ich, dass wir möglichst viele Beiträge bekommen werden. Darüber hinaus bin ich zuversichtlich, dass unsere Soldatinnen und Soldaten mit ihrer Meinungsfreiheit verantwortlich umgehen, denn mit dem was sie sagen und tun können sie theoretisch sich selbst, ihre Kameraden, ihre Familien gefährden, ja sogar die Legitimation des Einsatzes selbst. Es ist keine Übertreibung, zu sagen, dass das, was ein Einzelner tut, die weltweite Meinung beeinflussen kann – im Guten wie im Schlechten. In Militärkreisen gibt es dafür das geflügelte Wort des „strategischen Gefreiten“. In Afghanistan gibt es fast 70.000 strategische Gefreite, und eine unsere Aufgaben als militärische Führung ist es, ihnen deutlich zu machen, was das bedeutet. Auch deshalb machen wir diesen Wettbewerb. Selbstverständlich sind wir nicht mit allen Videos von Soldaten, die derzeit im Netz kursieren, glücklich und ebenso selbstverständlich werden wir als Veranstalter ein Auge darauf haben, dass keine unangemessenen Bilder veröffentlicht werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.