Erinnerungen – persönlich

Genau heute vor 20 Jahren, am 2. Oktober 1989, fuhr ich mit der Bahn von Wiesbaden nach Lebach, um meinen Dienst als Offizieranwärter im Fallschirmjägerbataillon 261 anzutreten. Bis nach Saarbrücken war der Zug noch mit normalem Publikum besetzt. Dann, in der Bimmelbahn entlang Orten mit so sprechenden Namen wie Quierschied, Wemmetsweiler und Wustweiler, prägten junge Männer mit sportlichen Haarschnitten das Bild. Einer, mit rasiertem Schädel, saß mir schräg gegenüber. Maulfaul und unter dem Eindruck seiner Frisur rang ich mich zu einem „Na, auch 12 Jahre?“ durch. „Nö, nur vier.“ Es war der Beginn einer Freundschaft, die – mit Hoch und Tiefs -, heute noch Bestand hat. Auch professionell sind die Bande bestehen geblieben. Wir machen beide was mit Medien.

Medien 1989 war vor allem die Max. Das große Format, die Fotos waren eine Offenbarung, und wir wollten – noch bevor wir Fallschirmjäger waren, Werber werden. Am besten wie Holger Jung – der hatte schließlich auch keine Haare – und Jean-Remy von Matt. Vom Internet hatten wir mal gehört – und es gleich wieder vergessen. Es gab keine Blogs, es gab kein Twitter, keine Digitalkameras (d.h. sämtliches belastendes Material aus unserer Jungfallschirmjägerzeit ist allenfalls in analogen Archiven zu finden), kein YouTube. Wir lebten analog. Es war eine schöne Zeit.

Heute ist es auch schön, nur Teile der Bundeswehr scheinen vor allem in Fragen der Kommunikation vor 20 Jahren stehen geblieben zu sein. Auch das ein Grund, warum ich dieses Blog schreibe – ich will dazu beitragen, diese Lücke zu schließen. Was mich dabei am meisten erstaunt: Pro Tag interessieren sich zwischen 1.000 und 1.500 Leserinnen und Leser dafür, was ich schreibe. Allein im September waren mehr als 40.000 Besucher hier. Heute ist ein guter Tag, dafür Danke zu sagen: „Danke – und auf die kommenden 20 Jahre.“

Verdächtige Ruhe

Gab es vor der Bundestagswahl die berechtigte Hoffnung, dass sicherheitspolitische Themen auch losgelöst von Einzelereignissen einen festen und vor allem etwas prominenteren Platz in der Diskussion finden, herrscht nun wieder verdächtige Ruhe. Verteidigungsminister Jung nutzt das Post-Wahl-Koma, um sich auf dem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen den Niederungen des Postengeschachers zu entziehen. Es ist zu befürchten, dass sich diese „politische Klugheit?“, zumindest nicht negativ auf seine Zukunftspläne auswirkt. Michael Forster erklärt überzeugend die politische Arithmetik und Stephan Löwenstein diskutiert einige Alternativen, wobei seine Einschätzung, dass Jung nach anfänglichen Schwierigkeiten nun inhaltlich in seinen Themengebieten angekommen sei, allenfalls ein Euphemismus sein kann. Aber in der Tat ist es nicht auszuschließen, dass wir den Minister von der traurigen Gestalt noch vier weitere Jahre erleben werden.

Der Minister als Ich-AG II

Interviews der Frankfurter Rundschau mit Verteidigungsminister Franz-Josef Jung sind ja immer erhellend. Nicht etwa in dem Sinne, dass dort wegweisende Aussagen zu finden wären. Im Gegenteil: Irgendwie gelingt es Jung immer wieder zu dokumentieren, dass er für sein Amt keineswegs überqualifiziert ist. Im Mai hatte Jung eindrücklich bewiesen, dass er die für sein Ressort relevante Debatte der vergangenen 200 Jahre – von Clausewitz bis Münkler – schlicht nicht kennt. Nun legt er nach, und behauptet unter anderem allen ernstes, dass Soldaten und Bürger ihm vertrauten. Als Argument führt er eine aktuelle Umfrage an, nach der angeblich circa 70 Prozent der Bürger an seiner Seite stünden.

Jungs Kommunikation – politisch oder pathologisch

Nun sind fragwürdige Interpretationen in der Politik ja nichts ungewöhnliches. Allerdings muss man sich hier ernsthaft fragen, ob Jungs Aussage noch politisch oder schon pathologisch ist. Gemeint sein kann nämlich eigentlich nur eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag des Stern. Die Frage, die es zu beantworten galt, war, ob Jung wegen des Luftangriffs in Kundus zurücktreten solle, was 68 Prozent der Befragten verneinten. Die Frage lautet explizit nicht, ob man an der Seite des Minister stehe, oder ob man ihm vertraue. Diesbezüglich habe ich – nicht statistisch abgesichert – von in- und außerhalb der Bundeswehr in jüngster Zeit derart negative Aussagen gehört, dass ich hier mal eine Prognose abgebe: Franz-Josef Jung wird demnächst viel Zeit haben, in Erbach über fundamentale Fragen der Sicherheitspolitik und der Meinungsforschung nachzudenken.

User Generated Content 1940

Bilder vom Krieg sind immer auch Bilder, die von denen gemacht wurden, die ihn erlebten. Ein lesenswerter Beitrag sowie der Hinweis auf eine ebenso sehenswerte Ausstellung findet sich bei einestages, der Zeitgeschichtscommunity des Spiegels. Das, was neudeutsch „User Generated Content“ heißt, gab es also auch schon 1940. Umso seltsamer mutet es an, dass wir in der Öffentlichkeit kaum etwas von den aktuellen Einsätzen der Bundeswehr sehen – vor allem so gut wie nichts aus der Perspektive der Soldatinnen und Soldaten. Stattdessen werden durch die Medien entweder die unappetitlichen Schädelfotos oder die beiden bei Kunduz zerstörten Tanklastwagen zu Ikonen hochgejazzt. Die restriktiven Vorgaben der Bundeswehrführung tun ihr Übriges, um hier die dringend benötigten Gegenbilder vom Gelingen im besten Sinne des Wortes zu befördern verhindern. Ebenso wenig wie Soldatinnen und Soldaten in der aktuellen Diskussion keine Stimme haben, scheinen sie auch keine Augen zu haben.

Der Minister als Ich-AG

Es ist knapp drei Jahre her, dass die Veröffentlichung der so genannten Schädelfotos durch die Bild-Zeitung dem Bundesverteidigungsminister die Präsentation des Weißbuches verdarb. Konnte man damals noch mit gutem Grund davon ausgehen, dass die Bild-Redaktion den Zeitpunkt gewusst gewählt hatte, kann heute niemand eine Medienkampagne dafür verantwortlich machen, dass erneut Bilder aus einem fernen Land die Agenda dominieren.

Dabei wollte doch Minister Jung heute mit der Einweihung des Ehrenmals der Bundeswehr kurz vor dem Ende seiner laufenden Amtszeit ein ganz anderes Zeichen setzen (siehe auch einen Artikel dazu in der taz). Und in der Tat: Als Zeichen der Anerkennung für die Soldatinnen und Soldaten ist das Ehrenmal richtig. Allerdings sind Zweifel geboten, wem das Ehrenmal wirklich gewidmet ist. In quasi jeder Veröffentlichung des Ministeriums drängt sich eine Person unangemessen nach vorne: Der Minister selbst. So auch in der offizielle Ankündigung des Ministeriums zur heutigen Einweihung. Dort heißt es zu Beginn des zweiten Absatzes: „Bundesverteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung, auf dessen Initiative das Ehrenmal errichtet wurde, hat zahlreiche Gäste aus dem parlamentarischen Raum und dem öffentlichen Leben eingeladen.“ Diejenigen, die geehrt werden sollen, sind in den fünften Absatz verbannt.

Man mag diese Kritik kleinlich nennen, und sie wäre es auch, wenn sich darin nicht ein Muster zeigte. Denn wenn es einen Menschen gibt, für den sich Franz-Josef Jung wirklich interessiert, dann ist es er selbst. Und vielleicht ist es genau diese Haltung des Ministers als Ich-AG, die ihn gegen Kritik von Außen immunisiert und damit zur Maxime seines Handelns wird – ohne aber in Anspruch nehmen zu können, dass sie zu einem allgemeinen Gesetz tauge. Dramatisch daran ist, dass er damit den öffentlichen Diskurs über die Bundeswehr domniert.  Die Stimmen aber, die eigentlich gehört werden sollten, die Stimmen der Soldatinnen und Soldaten sowie ihrer Angehörigen finden in unserer Gesellschaft kaum Gehör. Es ist höchste Zeit, dass sich das ändert.

Eine Ikone des Versagens

Wie man es auch dreht und wendet: Die öffentliche Diskussion funktioniert über Symbole und läuft über Medien. Entscheidend für die Bewertung von Ereignissen durch die Öffentlichkeit ist damit die mediale Wirklichkeit. Das ist keine neue Erkenntnis. Umso überraschender sind deshalb Vorwürfe, dass sich diejenigen, die sich an dieser Diskussion beteiligen, Schreibtischstrategen seien, die von ihrem warmen Büro aus Dinge bewerteten. So geschehen in einer Pressekonferenz des Bundesverteidigungsministeriums. Doch das sind Kleinigkeiten.

Groß ist dagegen das quasi völlige Versagen der obersten politischen und militärischen Führung der Bundeswehr, das in der Bombardierung der beiden von den Taliban geraubten Tanklastwagen in der Nähe von Kunduz quasi kulminiert. Um das Ausmaß des Scheiterns zu ermessen, bedarf es einer gründlicheren Aufarbeitung der Ereignisse in Kunduz und des nunmehr 8 Jahre währenden Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr, als hier möglich ist. Dennoch: Zwei Schlaglichter sollen an dieser Stelle genügen, um die Unfähigkeit oder den Unwillen der Verantwortlichen zu beleuchten:

1. Die Bombardierung war unnötig und ist das Ergebnis fehlender Aufklärung, falscher Taktik und unzureichender Ausrüstung
a) Fehlende Aufklärung
Die Bundeswehr ist seit rund 8 Jahren in Afghanistan im Einsatz. In dieser Zeit ist es ihr nicht gelungen, dringend benötigte Aufklärungsstrukturen aufzubauen und das entsprechende Wissen den Einsatzkräften verfügbar zu machen, wie der viel diskutierte Erfahrungsbericht des 17. Einsatzkontingentes zeigt. So fehlt es beispielsweise sowohl an HUMINT-Fähigkeiten als auch an einem brauchbaren „Kontingent-Gedächtnis.“ Das bedeutet nichts anderes, als dass die Soldaten im Einsatz eigentlich nicht wissen, was sie tun und damit auf zweifelhafte Zuträger angewiesen ist.

b) Falsche Taktik
Unabhängig davon ob Zivilisten getötet wurden, dürfte es jedem infanteristisch ausgebildeten Soldaten schwer fallen, zu verstehen, warum es nötig sein soll, zwei Tanklastwagen zu bombardieren, um zu verhindern, dass der Gegner sie nutzen kann. Glaubt man den Berichten, waren die Fahrzeuge aufgeklärt, bewegten sich nicht allzu schnell und waren darüber hinaus bereits durch den Kunduz-Fluss aufgehalten worden. Ein gezielter Beschuss durch MG 3 auf die Zugmaschinen hätte diese hinreichend gelähmt. Der Entscheidung zur Bombardierung dürfte jedoch eine Abwägung vorangegangen sein, die eigenen Kräfte nicht zu gefährden. Das ist prinzipiell richtig, hätte jedoch gemäß der Direktive des neuen ISAF-Kommandeurs Stanley McChrystal, dazu führen müssen, auch eine Gefährdung von Zivilisten auszuschließen. Das ist offenkundig nicht geschehen. Dieser Fehler ist jedoch weniger den taktischen Aufklärungskräften vor Ort anzulasten – diese haben vermutlich durch ihre Nachtsichtgeräte nicht mehr gesehen als zahlreiche Personen und diese als Feindkräfte bewertet – als, s.o., das Ergebnis einer insgesamt unzureichenden strategischen Aufklärung, die die Truppe erst in die Lage versetzt hätte, das Geschehen vor Ort differenziert zu bewerten.

c) Unzureichende Ausrüstung
Zugegeben, es ist Spekulation, aber hätte die Bundeswehr eigene nachtkampffähige Hubschrauber vor Ort, hätte sie, um die Tanklaster aus der Ferne zu bekämpfen, keine Luftunterstützung durch ISAF-Flächenflugzeuge anfordern müssen. Wie präzise bspw. Apache wirken können, zeigen zahlreiche im Netz zu findende Videos.

Um es unmissverständlich zu sagen: Meine persönliche Solidarität gilt den Soldaten im Einsatz. Die Verantwortung für die Defizite liegt in Berlin.

2. Die Kommunikationspolitik der Bundesregierung ist unprofessionell und gefährdet die Legitimation des Einsatzes

Die beharrliche Weigerung des Verteidigungsministers die Realität des Einsatzes anzuerkennen hat die Kluft zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit in der deutschen Öffentlichkeit dramatisch vergrößert. Dabei geht es nicht um die Wortklauberei, ob man den Einsatz Krieg nennt oder nicht. Allerdings war und ist „robust“ nicht der angemessene Begriff, um deutlich zu machen, was es bedeutet, dass die Bundeswehr schon länger im Kampfeinsatz ist.

Die Überforderung der Kommunikationsverantwortlichen zeigt sich unter anderem an der Reaktion auf die aktuellen Ereignisse (siehe hierzu auch bei Thomas Wiegold). Sie ist zu spät, sie ist unzureichend, und sie ist inhaltlich falsch. Vermutlich hat Jungs oberster Kommunikationsberater mal in einem Storytelling-Seminar für Anfänger gelernt, dass man in der Krise ein Gegenbild erzeugen sollte, um eine alternative Lesart der Ereignisse zu ermöglichen. Dieses Bild ist derzeit die angebliche Gefährdung der deutschen Soldaten, wenn sich die Taliban des Tanklastzüge bemächtigt hätten. Es ist – insbesondere für ein militärisch vorgebildetes Publikum – ein schwaches Bild. Es wird umso schwächer, je aktiver ISAF selbst eine defensive Haltung einnimmt.

Die Bombardierung der beiden Tanklastzüge ist eine Ikone des Versagens. Selbst wenn es zahlreiche Gründe dafür gibt, den Einsatz in Afghanistan fortzusetzen – die Unfähigkeit der politischen Führung ist der beste Grund, den sofortigen Abzug zu fordern, denn sowohl durch die unzureichende materielle und personelle Ausstattung als auch die Defizite in der Vermittlung des Einsatzes gefährdet sie dessen Legitimation und – schlimmer noch – die Soldatinnen und Soldaten.

(Wahl)Kampfeinsatz mit kontrollierter Offensive

Zugegeben, der Begriff Zivilcourage mag in diesem Zusammenhang etwas seltsam klingen, und vielleicht wären auch Wahlkampfbeteiligung oder Friendly Fire die treffenden Worte. Wie dem auch sei: Bundesverteidigungsminister Jung ist unter Beschuss seiner Truppen geraten. Wer auch immer die entsprechenden Dokumente weitergereicht hat: Sie oder er ist dafür zu loben.

Der Beschuss kommt nicht im direkten Richten, sondern wie üblich via Spiegel. Der weiß nämlich in seiner aktuellen Ausgabe über schwere Ausrüstungsmängel der Bundeswehr zu berichten. Und weil die Absender dieses Wirkungstreffers sich nicht nur auf das Sturmgeschütz der Demokratie verlassen wollten, haben sie die brisante Ladung auch dem Kollegen Forster anvertraut, der sie wie gewohnt kenntnisreich zu platzieren (und zu kommentieren) weiß.

Wer auch immer sich mit der Materie befasst hat, dürfte von den angesprochenen Defiziten nicht überrascht sein. Im Gegenteil: Sie sind nur die Spitze des Eisberges. Das wirklich Dramatische dürften dabei weniger die tatsächlichen Mängel sein. Soldaten sind immer zu schlecht ausgerüstet (und nutzen insbesondere im Einsatz den Auslandszuschlag auch, um diese Mängel zu kompensieren – deutsche Militärshops wissen davon ein Lied der Freude zu singen). Bedrohlich dürfte vor allem die Ignoranz der militärischen und politischen Führung sein, die es bislang noch immer geschafft hat, Sorgen und Nöte der Soldatinnen und Soldaten auf dem Dienstweg durch das Ministerium klein zu rede. Das Ergebnis ist ein Motivationsverlust sondergleichen. Und: Unabhängig vom tatsächlichen Ausgang der Bundestagswahlen, dürfte die Truppe zumindest einen bereits abgewählt haben.

Am besten gefallen mir dann auch die drei abschließenden Fragen von Forster, die ich hiermit zum Beantwortungswettbewerb in den Kommentaren frei gebe:

 Kann man sich vorstellen, dass der amtierende Minister
– 1. weiss, dass die Kontingent-Berichte zur absoluten Pflichtlektüre gehören?

Mit etwas Wohlwollen: Ja, aber man muss ja nicht jeder Pflicht nachkommen.

– 2. sich die Zeit nimmt, sie eigenständig intensiv zu studieren?

Mit Sicherheit: Nein, dafür hat er seine Leute, und weil die – wiederum mit Sicherheit – nichts unternehmen werden, was das fest gefügte, kleinbürgerliche Weltbild des Ministers irritieren könnte, dürfte er nur wenig von dem erfahren, was drin steht bzw. dies auf die 34 Fälle, in denen es eine Verbesserung gegeben hat, beschränken. Und selbst wenn wir den unwahrscheinlichen Fall annehmen, dass er es liest, bin ich mir angesichts seiner bisherigen öffentlichen Äußerungen nicht sicher, ob überhaupt verstünde, worum es hier geht.

– 3. das emotionale “Empörungspotential” aufbringt, um mit aller Kraft gegen den Unrat  für “seine Lieben” zu kämpfen?

Sprache entlarvt. Weil die gefühlt häufigste Phrase des Ministers „Ich habe …“ und nicht „Unsere Soldaten brauchen …“ war, wäre ich sehr überrascht, wenn nun ein plötzlicher Persönlichkeitswandel eintreten würde.

Und eine vierte Frage sei noch nachgeschoben: Warum gibt es noch keine Reaktion aus dem Ministerium? Bei der Schwere der Angriffe kann das nur als Eingeständnis gelten. (Wobei das Eingeständnis auch umfassen müsste, dass der Sprecher des Ministers hier seine Arbeit nicht ordentlich gemacht hat, wenn ihn diese Enthüllungen mal wieder überraschen).

„Nicht auf den militärischen Blickwinkel verengen“

Neuer Einsendeschluss des NATO-Videowettbewerb „Why Afghanistan Matters.“ Einer der Gründe dürfte vermutlich die  bislang eher geringe Beteiligung sein. Mittlerweile hat auch Ulrike Merten, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und Mitglied im Kompetenzteam von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, die Fragen des des Bendler-Blog zum Wettbewerb beantwortet.

Offen gesagt, hätte ich mir eine etwas differenziertere Sichtweise gewünscht (Ulrike Merten merkt vorab an, dass die von mir aufgeworfenen Fragestellungen leider so weit gefasst seien, dass ihr eine konkrete Antwort kaum möglich sein wird), aber mögen sich die Leserinnen und Leser selbst ein Urteil bilden (zumal ich finde, dass es einen eigenen Charme hat, dass ich die Antworten bewusst nicht journalistisch bearbeite, sie deshalb etwas rauher sind):

1. Wie bewerten Sie den Wettbewerb grundsätzlich?

Zur Beantwortung Ihrer ersten Frage, wie ich den Video-Wettbewerb „Why Afghanistan Matters“ bewerte, fehlt mir ein Überblick über eingegangene und künftig eingehende Beiträge, insofern sehen Sie mir bitte nach, wenn ich hierzu keine Bewertung vornehme. Grundsätzlich halte ich es für durchaus denkbar, dass engagierte Beiträge einen positiven Beitrag bei der Wahrnehmung der gegenwärtigen Situation und der künftigen Entwicklung in Afghanistan leisten können.

2. Welche Beteiligung erwarten Sie sich von Seiten der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr?

Auf Ihre zweite Frage, welche Beteiligung ich von Seiten der Soldatinnen und Soldaten erwarte, kann ich leider keine Prognose abgeben, weil mir eine Einschätzung der Resonanz unter den Angehörigen der Bundeswehr nicht möglich ist. Unabhängig davon wünsche ich dem Wettbewerb eine Vielzahl von Beiträgen, die einen seriösen Ein- und Überblick im Sinne des von den Initiatoren vorgegebenen Themas ermöglichen.

3. Gibt es Bilder aus Afghanistan, die Sie in der öffentlichen Diskussion um den Einsatz vermissen und warum?

Mit Ihrer dritten Frage, welche Bilder aus Afghanistan ich in der öffentlichen Diskussion vermisse und warum, sprechen Sie mich nicht nur auf rationaler, sondern auch auf emotionaler Ebene an. Eine differenziertere Darstellung der Lage in Afghanistan wäre in meinen Augen sehr wünschenswert. Bilder erfolgreicher Aufbauarbeit, insbesondere auch durch zivile Kräfte, die Unterstützung durch die Bundeswehr, die Übernahme weiterer Aufgaben durch die Bundeswehr, die Bemühungen um die Bildung eines Vertrauensverhältnisses zur afghanischen Bevölkerung, aber auch Bilder vom Einsatz der Bundeswehr, die nicht ausschließlich die Situationen von Anschlägen darstellen, dies alles könnte aus meiner Sicht eine Auseinandersetzung des Betrachters mit der vielschichtigen Problematik unter sozialen, kulturellen und politischen Aspekten in Afghanistan fördern und einer Verengung auf einen rein militärischen Blickwinkel entgegenwirken.

Einblicke in die Realität statt Worthülsen

Wenn heute Abend bei Anne Will wieder Worthülsen über Afghanistan ausgetauscht werden (siehe auch Beitrag bei Soldatenglück), fehlt einer, dessen Kompetenzvorsprung die Runde vermutlich unmoderierbar gemacht hätte: Winfried Nachtwei. Dessen inhaltliches Interesse am Thema zeigt sich auch an seinen Antworten, auf die Fragen des Bendler-Blogs zum NATO-Videowettbewerb „Why Afghanistan Matters.“ (Selbst wenn angesichts der bisher dürftigen Beteiligung auf Seiten der Führung des Verteidigungsministeriums von einer erfolgreichen Blockadepolitik gesprochen werden kann. Wobei diese Politik offensichtlich nicht im Sinne des Generalinspekteurs ist, wenn man seinen Aussagen gegenüber Kollege Hamel glaubt.) Wie dem auch sei, wenn sich die Verantwortlichen in Politik und Militär nur ein wenig an Nachtweis differenzierter Betrachtungsweise orientieren, dürfte die Afghanistandebatte in Deutschland an Qualität gewinnen:

1. Wie bewerten Sie den Wettbewerb grundsätzlich?

Den NATO-Video-Wetttbewerb „Why Afghanistan Matters“ halte ich für eine gute und mutige Idee. Der ISAF-Einsatz und das internationale Afghanistan-Engagement leben von ihrer Legitimität – auf Ebene des Völkerrechts, im Hinblick auf die afghanische Bevölkerung und auch die Gesellschaften der Entsendestaaten. Zur Legitimität des Afghanistaneinsatzes hierzulande ist die Bundestagszustimmung eine notwendige, auf die Dauer aber keine hinreichende Bedingung. Die Gesellschaft, zumindest ihre Interessierten, müssen sich selbst in etwa ein Bild machen können. Da sind Einblicke in die Realitäten, Authenzität von entscheidender Bedeutung. Sie sind es umso mehr, weil offizielle Unterrichtung immer wieder zu Beschönigung neigt, weil eine unter uns Politikern verbreitete Sprache der Worthülsen nicht aufklärt und „mitnimmt“, sondern eher Desinteresse, Misstrauen, Pauschalbilder fördert. Die bisherigen Afghanistanjahre zeigen, wie oberflächlich und pauschal in der Regel die Wahrnehmung von Afghanistan ist. Die Videobeiträge von Soldaten und zivilen Mitarbeitern bieten die Chance authentischer Einblicke in eine sehr buntscheckige, auch widersprüchliche Realität.

Die Idee ist aber auch aus mehreren Gründen mutig: Sie bricht mit der Vorstellung einer kontrollierten zentralisierten Kommunikation über einen Einsatz. Wahrscheinlich aus der Erfahrung heraus, dass solcher Art von staatlicher Kommunikation schon lange erfolgreich an der „Kundschaft“ vorbei produziert und sie nicht mehr erreicht. (Den Eindruck habe ich von der Afghanistan-PR der Bundesregierung mit ihren nur schönen Bildern.) Der Wettbewerb unterläuft tendenziell die Direktive der BMVg-Spitze, die den Kontakt zwischen Soldaten und Öffentlichkeit/Medien äußerst eng hält.
Die Idee ist mutig, weil mehr öffentliche Zustimmung keineswegs die Wirkung sein muss. Wenn ich von meinen Besuchen in Afghanistan berichtete, konnte ich immer wieder viel Interessantes, Positives, Bewundernswertes, eben „good news“  berichten. Ich hatte den Eindruck, Bundeswehr und andere brauchen sich nicht verstecken. Zugleich höre ich immer wieder von Unmöglichkeiten, Fragwürdigkeiten, schlechten Erfahrungen und Enttäuschungen. Wenn ehrlich aus Afghanistan berichtet wird, dann wird es zwangsläufig sehr unterschiedliche Eindrücke geben, viele Einzelperspektiven, Episoden, wenig Zusammenschau. Schon jetzt beobachte ich bei etlichen Afghanistan-Veranstaltungen mit Experten und Praktikern, wie hier so anschaulich Probleme aufeinander getürmt werden, dass sich so manche Bürger innerlich lieber abwenden.

Zu erwarten sind einige Handicaps: Soldaten, die vier Monate im Land sind und z.T. nie aus dem Feldlager herauskommen, haben viel geringere Landeseinblicke als z.B. Polizisten mit einem Jahr Stehzeit und Entwicklungsexperten mit zwei bis drei Jahren. Eine Militärlastigkeit der Beiträge, wodurch eine allgemeine Wahrnehmung hierzulande verstärkt würde, die sowieso schon weit überproportional um Militärfragen kreist und wo Aufbau, zivilgesellschaftliche Bemühungen in ihrem Aufmerksamkeitsschatten krebsen. Hier müsste der Wettbewerb gezielt weiterentwickelt werden.

Zusammengefasst: Der Wettbewerb bietet die Chance von mehr Transparenz, Verringerung der Wahrnehmungskluft zwischen Heimat und Einsatzgebiet. Wo die Staatengemeinschaft in Afghanistan Demokratieentwicklung fördern will, ist der Wettbewerb Demokratieentwicklung in der eigenen Familie. Wo es aber an überzeugender politischer Führung fehlt, beinhaltet ein solcher Wettbewerb aber auch politische Risiken.

2. Welche Beteiligung erwarten Sie sich von Seiten der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr?

Eine rege Teilnahme von Soldaten wäre zu wünschen. Wo viele Soldaten zu Hause die Erfahrung von freundlicher Gleichgültigkeit bis kalter Schulter gegenüber ihrem Einsatz machen,  haben viele das Bedürfnis zu berichten, was wirklich so läuft. Spannend wären Beiträge, die von mehreren Soldaten produziert werden, die über den Tellerrand schauen und uns das ferne Afghanistan ein wenig näher bringen. Bloße Nabelschauen wären überflüssig. Das Ministerium sollte die Teilnahme am Wettbewerb fördern. Da sich Mitarbeiter ziviler Organisationen nur begrenzt an einem NATO-Wettbewerb beteiligen werden bzw. können, sollten z.B. EU und UNO parallele Wettbewerbe aufziehen.

3. Gibt es Bilder aus Afghanistan, die Sie in der öffentlichen Diskussion um den Einsatz vermissen und warum?

Wer hat ein Bild von der besten Weizenernte seit 32 Jahren gesehen? Ein unsichtbarer Erfolg! Oder von der Errungenschaft der Unabhängigen Menschenrechtskommission, des 80%-Zugangs zu Basisgesundheitsdiensten, von lokalem Peacebuilding, von Polizeiausbildung. Bilder sind notwendig  von den Aufbaubemühungen,  die doch eigentlich die Schlüsselaufgabe sein sollen. Militärgerät lässt sich schnell fotografieren, ein Marder macht was her, suggeriert Durchsetzungskraft. Also Vorsicht vor der Verführung zu leichten Bildern.