Einblicke in die Realität statt Worthülsen

Wenn heute Abend bei Anne Will wieder Worthülsen über Afghanistan ausgetauscht werden (siehe auch Beitrag bei Soldatenglück), fehlt einer, dessen Kompetenzvorsprung die Runde vermutlich unmoderierbar gemacht hätte: Winfried Nachtwei. Dessen inhaltliches Interesse am Thema zeigt sich auch an seinen Antworten, auf die Fragen des Bendler-Blogs zum NATO-Videowettbewerb „Why Afghanistan Matters.“ (Selbst wenn angesichts der bisher dürftigen Beteiligung auf Seiten der Führung des Verteidigungsministeriums von einer erfolgreichen Blockadepolitik gesprochen werden kann. Wobei diese Politik offensichtlich nicht im Sinne des Generalinspekteurs ist, wenn man seinen Aussagen gegenüber Kollege Hamel glaubt.) Wie dem auch sei, wenn sich die Verantwortlichen in Politik und Militär nur ein wenig an Nachtweis differenzierter Betrachtungsweise orientieren, dürfte die Afghanistandebatte in Deutschland an Qualität gewinnen:

1. Wie bewerten Sie den Wettbewerb grundsätzlich?

Den NATO-Video-Wetttbewerb „Why Afghanistan Matters“ halte ich für eine gute und mutige Idee. Der ISAF-Einsatz und das internationale Afghanistan-Engagement leben von ihrer Legitimität – auf Ebene des Völkerrechts, im Hinblick auf die afghanische Bevölkerung und auch die Gesellschaften der Entsendestaaten. Zur Legitimität des Afghanistaneinsatzes hierzulande ist die Bundestagszustimmung eine notwendige, auf die Dauer aber keine hinreichende Bedingung. Die Gesellschaft, zumindest ihre Interessierten, müssen sich selbst in etwa ein Bild machen können. Da sind Einblicke in die Realitäten, Authenzität von entscheidender Bedeutung. Sie sind es umso mehr, weil offizielle Unterrichtung immer wieder zu Beschönigung neigt, weil eine unter uns Politikern verbreitete Sprache der Worthülsen nicht aufklärt und „mitnimmt“, sondern eher Desinteresse, Misstrauen, Pauschalbilder fördert. Die bisherigen Afghanistanjahre zeigen, wie oberflächlich und pauschal in der Regel die Wahrnehmung von Afghanistan ist. Die Videobeiträge von Soldaten und zivilen Mitarbeitern bieten die Chance authentischer Einblicke in eine sehr buntscheckige, auch widersprüchliche Realität.

Die Idee ist aber auch aus mehreren Gründen mutig: Sie bricht mit der Vorstellung einer kontrollierten zentralisierten Kommunikation über einen Einsatz. Wahrscheinlich aus der Erfahrung heraus, dass solcher Art von staatlicher Kommunikation schon lange erfolgreich an der „Kundschaft“ vorbei produziert und sie nicht mehr erreicht. (Den Eindruck habe ich von der Afghanistan-PR der Bundesregierung mit ihren nur schönen Bildern.) Der Wettbewerb unterläuft tendenziell die Direktive der BMVg-Spitze, die den Kontakt zwischen Soldaten und Öffentlichkeit/Medien äußerst eng hält.
Die Idee ist mutig, weil mehr öffentliche Zustimmung keineswegs die Wirkung sein muss. Wenn ich von meinen Besuchen in Afghanistan berichtete, konnte ich immer wieder viel Interessantes, Positives, Bewundernswertes, eben „good news“  berichten. Ich hatte den Eindruck, Bundeswehr und andere brauchen sich nicht verstecken. Zugleich höre ich immer wieder von Unmöglichkeiten, Fragwürdigkeiten, schlechten Erfahrungen und Enttäuschungen. Wenn ehrlich aus Afghanistan berichtet wird, dann wird es zwangsläufig sehr unterschiedliche Eindrücke geben, viele Einzelperspektiven, Episoden, wenig Zusammenschau. Schon jetzt beobachte ich bei etlichen Afghanistan-Veranstaltungen mit Experten und Praktikern, wie hier so anschaulich Probleme aufeinander getürmt werden, dass sich so manche Bürger innerlich lieber abwenden.

Zu erwarten sind einige Handicaps: Soldaten, die vier Monate im Land sind und z.T. nie aus dem Feldlager herauskommen, haben viel geringere Landeseinblicke als z.B. Polizisten mit einem Jahr Stehzeit und Entwicklungsexperten mit zwei bis drei Jahren. Eine Militärlastigkeit der Beiträge, wodurch eine allgemeine Wahrnehmung hierzulande verstärkt würde, die sowieso schon weit überproportional um Militärfragen kreist und wo Aufbau, zivilgesellschaftliche Bemühungen in ihrem Aufmerksamkeitsschatten krebsen. Hier müsste der Wettbewerb gezielt weiterentwickelt werden.

Zusammengefasst: Der Wettbewerb bietet die Chance von mehr Transparenz, Verringerung der Wahrnehmungskluft zwischen Heimat und Einsatzgebiet. Wo die Staatengemeinschaft in Afghanistan Demokratieentwicklung fördern will, ist der Wettbewerb Demokratieentwicklung in der eigenen Familie. Wo es aber an überzeugender politischer Führung fehlt, beinhaltet ein solcher Wettbewerb aber auch politische Risiken.

2. Welche Beteiligung erwarten Sie sich von Seiten der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr?

Eine rege Teilnahme von Soldaten wäre zu wünschen. Wo viele Soldaten zu Hause die Erfahrung von freundlicher Gleichgültigkeit bis kalter Schulter gegenüber ihrem Einsatz machen,  haben viele das Bedürfnis zu berichten, was wirklich so läuft. Spannend wären Beiträge, die von mehreren Soldaten produziert werden, die über den Tellerrand schauen und uns das ferne Afghanistan ein wenig näher bringen. Bloße Nabelschauen wären überflüssig. Das Ministerium sollte die Teilnahme am Wettbewerb fördern. Da sich Mitarbeiter ziviler Organisationen nur begrenzt an einem NATO-Wettbewerb beteiligen werden bzw. können, sollten z.B. EU und UNO parallele Wettbewerbe aufziehen.

3. Gibt es Bilder aus Afghanistan, die Sie in der öffentlichen Diskussion um den Einsatz vermissen und warum?

Wer hat ein Bild von der besten Weizenernte seit 32 Jahren gesehen? Ein unsichtbarer Erfolg! Oder von der Errungenschaft der Unabhängigen Menschenrechtskommission, des 80%-Zugangs zu Basisgesundheitsdiensten, von lokalem Peacebuilding, von Polizeiausbildung. Bilder sind notwendig  von den Aufbaubemühungen,  die doch eigentlich die Schlüsselaufgabe sein sollen. Militärgerät lässt sich schnell fotografieren, ein Marder macht was her, suggeriert Durchsetzungskraft. Also Vorsicht vor der Verführung zu leichten Bildern.

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