Praktikantenpressearbeit

„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Dieses, Albert Einstein zugeschriebene Zitat, ist der neuesten aus dem Bundesverteidigungsministerium kolportierten Torheit durchaus angemessen. Der WAZ-Mediengruppe, die sich aktuell nicht nur durch massiven Stellenabbau, sondern auch durch eine von ihrem Investigativchef David Schraven vorangetriebene Journalismus-Simulation, den so genannten Afghanistan-Papieren, auszeichnet, ist es angeblich gelungen, das Ministerium zum Teil ihrer Relevanzinszenierung zu machen.

Das BMVg habe, so die WAZ auf ihrem Rechercheblog, mit Verweis auf das Urheberrecht, verlangt, die veröffentlichten Dokumente aus dem Internet zu löschen. Weil die WAZ weder den genauen Wortlaut noch das Datum des juristischen Begehrens nennt, kann man nur spekulieren, ob vielleicht jemand in den Osterferien den Praktikanten in Rechtsabteilung und Presse- und Informationsstab im Bendlerblock unvorsichtiger Weise den Schlüssel zum Verfügungsraum überlassen hat. Im Ergebnis bleibt, dass Einstein sich zumindest in einem Teil seiner Aussage weiter sicher sein kann.

Nachtrag:

Thomas Wiegold hat recherchiert. Urheber dieser Groteske ist vermutlich die Rechtsabteilung des Ministeriums.

Nachtrag 2: Es ist in der Tat die Rechtsabteilung. Absender der Abmahnung an die WAZ Mediengruppe ist das Referat I 5.

Designdesaster an der Führungsakademie

Screenshot Website Führungsakademie der Bundeswehr

Ja, ich weiß, es kommt auf die inneren Werte an. Das Designdesaster, dass die Führungsakademie der Bundeswehr allerdings mit ihrer neuen Internetseite angerichtet hat, kann dennoch nicht unkommentiert bleiben. (Und wer jetzt auf die Idee kommt, zu bemerken, dass dieses Blog auch alles andere als eine Augenweide ist, der hat Recht. Die WordPress-Standardgestaltung stammt vermutlich aus dem vergangenen Jahrtausend und hatte selbst damals allenfalls Baumarktniveau. Aber das Blog ist auch nicht die höchste militärische Ausbildungseinrichtung Deutschlands.)

Zurück zum Stück. Die gute Nachricht: Das Verteidigungsministerium hat offenbar die Style Guide-Knute des einheitlichen Content Management Systems entfernt (stattdessen kommt Joomla zum Einsatz). Doch statt Gedankenfreiheit herrscht in Hamburg zumindest in Sachen Online-Kommunikation Gedankenlosigkeit. Das ist ärgerlich, und selbst wenn es dafür 1000 Gründe – beispielsweise kein Budget – geben mag, dieser Webauftritt ist beschämend.

Die – ich wiederhole mich – höchste militärische Ausbildungseinrichtung der Bundeswehr präsentiert sich im World Wide Web im Stile eines x-beliebigen Sparkassen-Seminarzentrums in der Lüneburger Heide mit einer Bildsprache, die allenfalls assoziativ einen Zusammenhang mit dem Kernauftrag der Akademie – Truppenführung im Krieg – herstellt. Inhaltlich ist die Seite ähnlich schwach, mehr Sammelsurium vorhandener Texte als Ergebnis eines geplanten redaktionellen Prozesses. Und dass eine Institution, die nicht nur Deutschland in der Welt repräsentiert sondern auch zahlreiche internationale Lehrgangsteilnehmer hat, kein englischsprachiges Angebot bereit stellt, ist einfach nur peinlich.

Auch technisch ist die Seite ihrer Zeit zurück. Die Bilder im vermeintlich modischen Slider nehmen nicht nur 50 Prozent des Viewports ein, sondern skalieren auch falsch. Von responsive Design, also der automatischen Anpassung an unterschiedliche Endgeräte, keine Spur. Darüber hinaus sind die Bilder nicht mit Inhalten hinterlegt und inwiefern Alternativtexte wie „lachen neu“ oder „wassertraeger“ den Vorgaben der BITV 2.0 entsprechen, hätte ich auch gerne gewusst. Ähnlich katastrophal ist die Qualität der Texte. So finden sich beispielsweise auf der Seite Kontakt über die man zur Abteilung „Führungsakademie der Bundeswehr – Nationale und Internationale Beziehungen (NIB)“ die folgenden Stilblüten:

Auf den Passus „Unsere Abteilung setzt sich aus folgenden Bereichen zusammen“ folgt die grammatikalisch interessante Fortsetzung „das Team Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“, „das Team Kontakte“, „die Web-Redaktion und“ „die Alumni-Kontaktstelle der Führungsakademie der Bundeswehr.“ Wie wäre es denn hier mit richtigen Artikeln wie „dem“ und „der“?

Und während sich der Leiter der Abteilung so vorstellt wie Radiomoderatoren seit Beginn der 90er Jahre „Ich bin …“ stehen neben den Portraits der Leiter der Abteilungen Presse und Kontakte Texte, die einmals auf  „das Team“, ein anderes Mal auf  „unser Team“ verweisen.

Das ist, zusammenfassend, Flickschusterei, und wer auch immer diese Seite zusammengefrickelt hat – sei es ein Stabsoffizier oder ein Stabsdienstsoldat, der sich mit einem Open Source Content Management System auskennt, er oder sie wurde(n) schlecht geführt. Das ist umso ärgerlicher als dass diese Arbeit vermutlich unter hohem persönlichen Einsatz auch über die normale Dienstzeit hinaus geschehen und aller Anerkennung wert ist. Das Ergebnis bleibt ein Desaster und die Verantwortung dafür trägt der Kommandeur der Akademie. Er ist auch derjenige, der veranlassen muss, dass die Führungsakademie einen ihrer Bedeutung und ihrer inhaltlichen Qualität angemessene Präsenz im Internet bekommt, denn die inneren Werte einer Institution verdienen, professionell dargestellt zu werden.

 

Kirchentag und Auslandseinsätze – Die Exkommunikation des Kriegers

Auf meine Anfrage zu einer Veranstaltung während des 34. Evangelischen Kirchentages in Hamburg, erreichte mich heute via Twitter folgende Stellungnahme:

„Der Kirchentag lebt ganz viel von freiwilligem und ehrenamtlichem Engagement, daher ist es manchmal nicht ganz so leicht bestimmte Verantwortliche und Ansprechpartner zeitnahe zu erreichen.

Der Podiumsgast Dr. Helge Höllmer, Bundeswehr-Psychologe, ist Soldat. Die Projektleitung hat sich aus zwei Gründen dafür entschieden, ihn aufs Podium zu holen, weil 1. es deutlich werden sollte, dass die Traumata keine Einzelschicksale sind, die man als solche abtun kann, sondern ein Phänomen, das so häufig ist, dass es gesellschaftlich wahrgenommen werden sollte und 2. um verschiedene Ausformungen der Folgen von Auslandseinsätzen darstellen zu können, denn der Arzt kann aus der Praxis über mehrere Fälle sprechen. Außerdem werden viele Soldaten im Publikum sein und sie sind eingeladen, sich an der Diskussion mit dem Publikum zu beteiligen, wenn sie das möchten.“

Die Stellungnahme bringt meines Erachtens ein zentrales Dilemma des Umgangs mit Soldaten und insbesondere Veteranen auf den Punkt. Statt mit Soldaten zu sprechen, spricht man über sie. Und statt die Perspektive des Soldaten zu hören, wählen die Veranstalter die Perspektive des Arztes, der über Soldaten als Objekte seiner Expertise spricht, statt einen Rahmen zu schaffen, in dem Soldaten als Subjekte über ihr Erleben sprechen. Die Veranstaltung ist damit Teil des Elitendiskurses über Krieg und Gewalt, dessen systematische Entkopplung von den Akteuren die Probleme, über die wir sprechen müssen, erst erzeugt. An der damit verbundenen Asymmetrie ändert auch die Einladung an die Soldaten im Publikum, sich zu beteiligen nichts. Im Gegenteil: Sie verfestigt sie. Damit bleibt alles beim alten. Der Krieger wird exkommuniziert. Auf die Kirche kann er nicht vertrauen. Es bleiben ihm die Götter.

Nichts ist gut in Hamburg

Auf die Idee muss man erst mal kommen. Wenn vom 1. – 5. Mai 2013 mehr als Hunderttausend Menschen zum 34. Evangelischen Kirchentag in Hamburg kommen, möchte man zwar über „Auslandseinsätze“ sprechen, aber nicht mit Soldaten oder Soldatinnen. Anders ist es nämlich nicht zu verstehen, dass bei der Veranstaltung „Willkommen zu Hause? Auslandseinsätze – Verantwortung und Folgen“ niemand auf die Idee gekommen ist, einen Veteranen oder eine Veteranin einzuladen. Oder ist das eine programmatische Entscheidung? Schließlich lautet die Losung des Kirchentages 2013: „Soviel Du brauchst“. Soldaten aber braucht die Kirche nicht, oder?

Was ist Anerkennung?

Soldaten seien „geradezu süchtig“ nach Anerkennung hat Verteidigungsminister Thomas de Maizière den Redakteuren der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in die Feder diktiert. Sowohl auf der Webseite der Zeitung als auch bei Thomas Wiegold haben die Äußerungen des Ministers teilweise heftige Reaktionen hervorgerufen.

Was auch immer den Minister bei dieser Aussage geritten haben mag, hilfreich ist sie kaum. Selbst wenn er damit Recht hätte, müsste man die Frage stellen, woher diese Sucht kommt, was die Soldaten damit kompensieren wollten. Was also ist Anerkennung? Was genau fehlt den Soldaten der Bundeswehr, nicht materiell sondern ideell?

Ich freue mich über Ihre und Eure Kommentare.

Fachtagung „Social Media in der Lebenswelt und Berufswahl Jugendlicher – who cares?“

Kurzer Terminhinweis: Am 14. und 15. März 2013 veranstaltet die Professur für Unternehmenskommunikation der Universität der Bundeswehr München in Frankfurt eine Fachtagung zu den Themen Social Media, Employer Branding und Nachwuchsgewinnung. Auftraggeber der Veranstaltung unter dem Titel „Social Media in der Lebenswelt und Berufswahl Jugendlicher – who cares?“ ist die Akademie für Information und Kommunikation (AIK). Gastgeber ist die Ing-Diba AG. Details zur Veranstaltung inklusive der Möglichkeit, sich anzumelden, gibt es hinter diesem Link.

Was Berater so raten

Etwas, das ich am Social Web wirklich mag, ist, dass Themen zu mir kommen. Oder besser: Menschen, die wissen, für welche Themen ich mich interessiere, mich auf diese aufmerksam machen. Heute beispielsweise bekam ich den Hinweis auf ein Feature des Deutschlandfunks zur Personalsuche der Bundeswehr. „Employer Branding und Karrierecenter“ ist einer von vielen Beiträgen der Journalistin Anja Kempe zum Thema Arbeitgeber Bundeswehr.

Inhaltlich neu war für mich, dass sich das Verteidigungsministerium, dessen Chef Thomas de Maizière sehr stolz darauf ist, ohne Berater auszukommen, sich in Fragen der Personalgewinnung von einer Unternehmensberatung unterstützen lässt. Die firmiert zwar als Forschungsinstitut, aber daran, dass nicht überall draufsteht, was drin ist, muss man sich offenkundig nicht nur bei Lasagne gewöhnen. Problematisch dagegen erscheinen die Ratschläge, die der Inhaber des Instituts, Dieter Dohmen, laut Beitrag erteilt.

Mit Blick auf die Personalgewinung empfiehlt er der Bundeswehr, das Angebot an Ausbildungsplätzen zu erhöhen, um ihre Unbeliebtheit auszugleichen, und mit Blick auf die Qualifikation der Bewerber sagt er: „Die Zielsetzung der Bundeswehr kann meines Erachtens nur darin bestehen, zu sagen, okay, wir machen Abstriche. Und Abstriche können dergestalt gemacht werden, sich zu fragen, ob man nur die Jugendlichen mit Schulabschluss und dann idealerweise mit Real- oder Gymnasialabschluss nimmt, oder ob man auch bereit ist, sich auf Jugendliche einzulassen, die im Zweifelsfall einen Schulabbruch haben.“ Die Antwort des Beraters auf die Frage, wie sich Nachwuchs für einen Beruf finden lässt, der immer höhere Ansprüche stellt, ist also, die Ansprüche zu senken. Darauf muss man erst kommen. Aber vielleicht hat das die Redakteurin ja auch nur falsch dargestellt.

Was reden die da? – treff.bundeswehr in der linguistischen Analyse

Jun.-Prof. Dr. Friedemann Vogel von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat sich der Website treff.bundeswehr aus sprachwissenschaftlicher Perspektive angenommen.

“Die Zukunft im Visier” Die mediale Selbstinszenierung der Bundeswehr gegenüber Jugendlichen auf www.treff.Bundeswehr.de – Eine Pilotstudie heißt die Arbeit (Kurzzusammenfassung hier).

Die ist durchaus lesenswert – auch in den Kommentaren, in denen sich aktive Soldatinnen und Soldaten zu Wort melden. Allerdings sehe ich auch einige Schwächen. Den entsprechenden Kommentar habe ich folgend eingefügt.

Ich sehe es als Fortschritt und begrüße es sehr, dass Sie sich aus linguistisch-diskurstheoretischer Perspektive des Jugendmarketings der Bundeswehr annehmen. Drei Dinge, die mir daran auffallen:

1. Sie beantworten nicht hinreichend, wie Ihrer Auffassung nach das Publikum die dargebotenen Erzählungen in seine eigenen aufnimmt, welche Wissensbestände es damit aufbaut und/oder verändert, geschweige denn, wie es handelt bzw. welche Dispositionen sich daraus ergeben. Ihre kritische Bewertung legt jedoch nahe, dass Sie – mal ganz umgangssprachlich – das Publikum für völlig bescheuert halten.

2. legt Ihre Kritik damit nahe, dass die Bundeswehr mit ihrem Jugendmarketing „alles richtig macht“. Das ist definitiv nicht so, denn – nur als Hinweis – auch die Jugendmarketingseite der Bundeswehr schwebt nicht im luftleeren Raum. Sie ist, im Gegenteil, in einen weiteren Kontext der Selbst- und Fremddarstellung eingebunden. Dass Sie nun bei Ihrer Untersuchung den Textkorpus eingrenzen mussten, ist methodisch verständlich, verkürzt aber dramatisch.

3. Worauf genau beziehen Sie sich mit Ihren Empfehlungen? Abgesehen davon, dass es wissenschaftlich, vor allem für eine solch kleine Arbeit unangebracht erscheint, „Verbesserungsvorschläge“ zu machen, fehlt diese Absicht völlig in den leitenden Fragestellungen. Das, was herauskommt, hat mehr von „Wünsch Dir was“ als Wissenschaft, zumal Sie Ihre Ratschläge nicht fundieren. Die relevanten Bezugsdokumente hierfür wären u.a. die verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundesrepublik – von der Einsatzrealität ganz zu schweigen. Das, was Sie fordern ist m.E. schlimmer als die wirklich kritikwürdige Kommunikation der Bundeswehr: Sie fordern die Bundeswehr auf, wie ein bewaffnetes technisches Hilfswerk zu kommunizieren. Sie fordern auf zu whitewashing und Lüge, und das ist wissenschaftlich nun gar nicht erlaubt.

Gastbeitrag: Ein schweres Los mit unserer Verfassung ?

Zur Debatte um die zukünftige Ausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik hat sich Larsen Kempf, studierender Offizier an der Universität der Bundeswehr München Gedanken gemacht, die ich am letzten Tag des Jahres 2012 als Herausgeber hier zur Diskussion stellen möchte.

Ein schweres Los mit unserer Verfassung ?

von Larsen Kempf

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland kommuniziert (in seiner Präambel und den nachfolgenden Verfassungsnormen) vor allem eins: Dienst am Frieden oder anders: Nie wieder Krieg von deutschem Boden. Diese nach Innen und Außen gerichtete Stellungnahme artikuliert die deutsche Verfassung einmal vor dem Hintergrund des monumentalen Scheiterns der nationalsozialistischen Kriegsführung sowie unter dem Eindruck des bei der Verabschiedung noch geltenden Besatzungsrechts. Die Aufstellung der deutschen Streitkräfte erfolgte, 1968 nachträglich durch Aufnahme von Art. 87a GG verfassungsrechtlich präzisiert, folgerichtig zur ausnahmslosen Verteidigung des Staates.

In den Diskussionen zur Sicherheitspolitik, wie sie Politiker, Wissenschaftler und Journalisten allenthalben an verschiedenen Orten führen, wird nicht selten vergessen, dass diese Positionierung eine Strategieentscheidung mit Grundsatzcharakter darstellt, welche die Binnenstruktur der Bundeswehr selbst betrifft. Nun ist zwar das einzelne Kriegsgerät nur selten an die Strategiealternative zwischen Defensiv- und Offensiv-Armee gebunden; wohl aber deren strukturelle Zusammenführung und Bündelung zu operativen Einheiten. Nach den inhaltlichen Vorgaben der Verfassung dürften letztere ausschließlich abwehrenden Charakter tragen und nicht immer mag eine legitimatorische Umdeutung von offensiven zu defensiven Militärstrukturen bruchlos gelingen.

Das ist kein bloßes akademisch-terminologisches Glasperlenspiel, sondern tangiert die Auslandseinsätze und den gegenwärtigen Transformationsprozess der Bundeswehr in einem stärkeren Ausmaß, als gemeinhin angenommen. Der rechtfertigende (affektive) Verweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr greift dabei zu kurz. Zwar sicherten die Richter der Exekutive die Handlungsoption, bestehende (!) Kräfte der Bundeswehr in Systemen kollektiver Sicherheit im Ausland zu verwenden. Doch die Entscheidung betraf nur die Verwendung, nicht aber deren „strategische“ Aufstellung, die nach wie vor unter dem genannten verfassungsrechtlichen Vorbehalt defensiver Konzeption steht.

Und mit diesem normierenden Vorbehalt steht die zweifache Crux der (gegenwärtigen) deutschen Sicherheitspolitik:

(1.) Sie bewegt sich bereits mit der Frage nach der konzeptionell notwendigen Struktur einer schlagfertigen Operationsarmee, trotz der verfassungsrechtlichen Legitimität von Auslandseinsätzen, schnell außerhalb der vom Grundgesetz geforderten strategischen Entscheidung. Das mag man bedauern, bildet aber den derzeitigen (d.h. durchaus änderbaren) Verfassungswillen ab. Eine Transformation zur offensive(re)n Ausrichtung der Streitkräfte gestattet die Verfassung indes nur bedingt.

(2.) Sie kann nicht einfachhin entweder den Sicherheitsbegriff (bspw. „ganzheitlicher sicherheitspolitischer Ansatz“) oder den Interessensbegriff korrigieren und neu konzeptualisieren. Auch hier: Beide Argumentationsstrategien zielen (mit jeweils durchaus berechtigten Motiven) auf die Ermöglichung eines breiteren Einsatzspektrums, den die Verfassung jedoch schlechterdings nicht hergibt – von etwaigen völkerrechtlichen Schwierigkeiten ganz abgesehen.

Schließlich droht die aktuelle Transformation der Bundeswehr an ihrem obersten Strukturauftrag (zugleich der sie legitimierende Grund), an dem die Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011 genauso wie das Weißbuch 2006 festhalten, vorbei zu laufen. Richtigerweise entband das Bundesverwaltungsgericht 2005 den Verteidigungsbegriff von seinen bis dahin geltenden territorialen Grenzen. Gleichwohl wirkt das hier schnell gebrauchte Argumentationsmuster, Operationen im Ausland dienten letztlich der Verteidigung bundesdeutscher Integrität, vergleichsweise billig. Es leugnet – auf einer Ebene mit der Verwischung von Präventivschlag/Angriff und Verteidigung! – die strategische Differenz zwischen offensiv und defensiv aufgestelltem Militär, wie sie auch das Völkerrecht formuliert.

Zur Beseitigung all dieser hier nur skizzierbaren Missstände bedürfte es daher nach wie vor einer Verfassungsänderung, die anstelle des drohenden Verfassungsbruchs eine stabile Handlungsgrundlage für die Einsätze schaffte. Erst diese erlaubte eine sinnhafte strategische Neuausrichtung der Streitkräfte, wie sie mit dem Transformationsprozess vor vielen Jahren begonnen wurde, und hielte darüber hinaus die politische Verantwortung gegenüber den Soldaten ein. Gegenwärtig jedenfalls begrenzt die verfassungsmäßig gebotene defensive Ausrichtung die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr im Ausland – was zwangsläufig die Frage ihrer Geeignetheit aufwirft.

Vor aller Diskussion über weitere Einsätze der Bundeswehr im Ausland oder über die Frage, inwiefern die sicherheitspolitische Kommunikation mit der Praxis in Einklang zu bringen sei: wäre es folglich nicht erst einmal darum zu tun, die Stellungnahme der Verfassung zu würdigen? Das aber schlösse eine neue Debatte darüber ein, ob die „generelle“ Ermächtigung zu Auslandseinsätzen, wie sie von der höchstrichterlichen Spruchpraxis getragen wird, genügen kann, der deutschen Einbindung in komplexen, multinationalen Gefährdungslagen gerecht zu werden.