Bundeswehr offline

Medien melden einen tödlichen Anschlag auf deutsche Soldaten in Afghanistan und die komplette Bundeswehr geht offline? Nicht wirklich ergiebig, diese Fehlermeldung. Friendly fire oder Attacke aus dem Cyberspace? Oder hunderte von Webseiten aber nur ein Content Management System. Erklärungen sind sehr willkommen.

AKTUALISIERUNG (man könnte auch Update schreiben)

Die Seiten sind wieder online (seit etwa 15 Uhr). Allerdings: Stand 17 Uhr berichten Medien bereits weitere Details und zitieren ISAF-Quellen. Das Verteidigungsministerium belässt es bei einem knappen Dreizeiler: „Am 20. Oktober gegen 13:00 Uhr Ortszeit wurde ein Selbstmordanschlag auf eine deutsche Patrouille verübt. Der Anschlag ereignete sich im Raum Kunduz. Nähere Angaben können derzeit noch nicht gemacht werden, die Ermittlungen laufen.“ Das ist zu langsam und zu wenig. Warum integriert der Presse- und Informationssstab nicht beispielsweise über einen so genannten Feedreader die aktuelle Berichterstattung ausgewählter Leitmedien – und ergänzt laufend die eigene Informationslage. So wäre es möglich, hier nach Innen und Außen eine Kanal zu etablieren, der einen Service (Überblick über die Nachrichtenlage) bietet und gleichzeitig Gelegenheit, die eigene Position zu kommunizieren.

Webseite der Bundeswehr am 20. Oktober 2008, 14.30 Uhr

ZEIT, zu lesen

Die vermutlich beste, mit Sicherheit aber kontinuierlichste Berichterstattung über Afghanistan und den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch liefert meines Erachtens die ZEIT. Das zeigt exemplarisch der Artikel „Pflicht, Mut und sehr viel Frust“ von Theo Sommer in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung. Bereits mit seinem ersten Satz bringt Sommer ein zentrales Dilemma dieses Einsatzes und die kommunikativen Versäumnisse der Bundesregierung auf den Punkt. „Wer behauptet, Deutschland führe in Afghanistan keinen Krieg, verdrängt die Wirklichkeit und verprellt die Soldaten.“

Ganz besonders die politischen und militärischen Führungsspitzen der Bundeswehr, aber auch Parlamentarier und Soldatinnen und Soldaten, sollten sich die Zeit (Achtung, Wortspiel) nehmen und einmal eine halbe Stunde über diesen Satz nachdenken. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der morgendlichen Runde im Presse- und Informationsstab des Ministeriums ebenso wie Bataillonskommandeure und Kompaniechefs. Anschließend sollten sie versuchen eine Frage zu beantworten? Welches Maß und welche Art von Information und Kommunikation brauche ich ganz persönlich, um die Zweifel über das, was der Staat von mir verlangt und wofür ich bereit bin, im Ernstfall mein Leben zu geben, als sinnvoll und richtig zu betrachten. Vielleicht lassen sich dazu auf einer Seite die wesentlichen Stichpunkte notieren. Und diese Liste vergleiche man dann mit den tatsächlichen Kommunikationsaktivitäten der Bundeswehrführung, wie beispielsweise diesen:

„Über vieles, was sie von zu Hause hören, können sie nur den Kopf schütteln. Dass sie, die draußen in den Dörfern und Bergen den Kopf hinhalten, genauso bloß 92 Euro täglichen Einsatzzuschlag erhalten wie einer, der nur Schreibstubendienst tut. Dass es keine Tapferkeitsauszeichnung gibt, ja nicht einmal ein Verwundetenabzeichen. Und dass sie, wenn sie in den lehmfarbenen Bergen des Hindukuschs getötet werden, aufgrund einer ministeriellen Verfügung nicht als »gefallen« bezeichnet werden dürfen, sondern lediglich als »ums Leben gekommen« – wie der Soldat in der Heimat, der sich im Wochenendverkehr zu Tode fährt. Da wünschen sie sich doch mehr Verständnis. Sie fühlen sich nicht gewürdigt.“

Ganz zu schweigen vom Umgang mit den Soldaten, die Anfang August an einem Checkpoint eine Frau und zwei Kinder erschossen haben und nach der rechtlich zwingend vorgeschriebenen Anklage der Staatsanwaltschaft von der Bundeswehr keinen Anwalt, aber, so Sommer, einen zinslosen Kredit zur Finanzierung der Anwaltskosten angeboten bekamen.

Losgelöst von allen Sachzwängen, strukturellen Unzulänglichkeiten, Besserwissereien und Spötteleien – wer hier nicht dringend Handlungsbedarf sieht, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Auch die Ausrede, man habe das ja alles nicht so genau wissen können, gilt nicht. Man kann. Und wer will, findet im Online-Themendossier der Zeit einen hervorragenden Startpunkt für weitergehende Recherchen. (Etwas, das im Übrigen in vielen Bereichen auch für das gemeinsame Afghanistan-Portal der Bundesregierung gilt.)

Unverständlich bleibt hingegen, warum es der Bundeswehrführung nicht gelingt, ihren Soldatinnen und Soldaten ein Angebot zu machen, dass ihre Sorgen, Ängste, Nöte und Erwartungen ernst nimmt. So bleibt es Autoren wir Theo Sommer alleine überlassen – und das ist keine Kritik an Sommer, denn er macht das hervorragend – diesen Menschen eine Stimme zu geben. Vielleicht muss man aber schon damit zufrieden sein, dass die Bundeswehr immerhin das zulässt.

Wer kommuniziert, führt

Welche Möglichkeiten für den professionellen Medieneinsatz in Ministerien bestehen zeigt derzeit das Auswärtige Amt (AA). Mit Unterstützung von Deutsche Welle TV hat das Ministerium eine rund 12 Minuten lange Dokumentation über das Engagement Deutschlands in Afghanistan produziert. Im Unterschied zu Produktionen der Bundeswehr überzeugt der Film – trotz einiger etwas pathetischer und vordergründiger Momente ( Wasser, Kinder und Hunde gehen immer) durch eine klare inhaltliche Struktur und professionelle Gestaltung. Konkrete Beispiele statt Behauptungen, klare Aussagen und Menschen, die ihre Geschichten erzählen – also alles, was professionelles Fernsehen ausmacht (und bei Bundeswehrproduktionen so selten zu finden ist). Das ist besonders deshalb so interessant, weil die Bundeswehr auch im Film des AA eine zentrale Rolle spielt. Weil die Bundeswehrführung offensichtlich weder willens noch in der Lage ist, ihre Geschichte zu erzählen, erzählen eben andere diese Geschichte. Frei nach dem Motto „Wer nicht handelt, wird behandelt“ findet das Primat der Politik hier gewissermaßen seine kommunikative Entsprechung.

Selbstverständlich ist auch dieser Film Regierungs-PR und kein Journalismus im eigentlichen Sinne (und die Deutsche Welle auch kein völlig unabhängiger Sender). Durch den Einsatz journalistischer Mittel gelingt es dem Auswärtigen Amt jedoch durch den Einsatz journalistischer Mittel eine Führungsrolle einzunehmen. Im gleichen Maße disqualifiziert sich die Bundeswehr durch ihr Nichthandeln als professioneller Ansprechpartner für ihre Anspruchsgruppen (neudeutsch: Stakeholder) – angefangen bei den eigenen Soldatinnen und Soldaten bis hin zu den Medien. Es sollte niemanden verwundern, wenn diese auch in künftigen kritischen Situationen sich nicht mehr an die militärische sondern an andere Ansprechpartner wenden werden. Führung ist etwas anderes.

Im Nachtprogramm versteckt

Der Titel „Todesfalle Hindukusch“ klingt natürlich reißerisch. Dennoch sollte man sich die Dokumentation des ZDF anschauen. Nicht nur, weil es die Redakteure im Unterschied zu seinem Stab geschafft haben, dem Verteidigungsminister ein gutes Statement abzunehmen, sondern vor allem weil sehr viele Soldaten recht ungefiltert zu Wort kommen – und auch das böse K-Wort sagen (Krieg, wobei der Minister sich noch dagegen wehrt und dies klar und plausibel begründet, in dem er es gegen den 2. Weltkrieg abgrenzt). Die gesamte Doku ist – Stand heute – auch in der ZDF-Mediathek abrufbar, so dass wirklich Interessierte auch den späten Sendetermin umgehen können. Wünschenswert wäre – wie bei so vielen anspruchsvollen Stoffen – dass die öffentlich-rechtlichen Sender solche Themen wenigstens mal um 22.15 zeigen.

Endlich!

Das Bundeswehr eigene Fernsehprogramm bwtv bot ja auch im Rahmen dieses Blog schon reichlich Gelegenheit für Diskussionen. Nun scheint es, dass die Führung ein Einsehen hat und gewillt ist, das Programm von Menschen machen zu lassen, die es können (sollten). Die Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb der Bundeswehr (g.e.b.b.) lädt private Fernsehmacher ein, ein Konzept zum weiteren wirtschaftlichen Betrieb von bwtv zu entwickeln. (Unterlagen des Teilnahmewettbewerbs hier). Das entscheidende Wörtchen ist hier „wirtschaftlich“ und man darf gespannt sein, welche Kalkulation die Unternehmen, die sich an diesem Wettbewerb beteiligen erarbeiten, sobald sie die „vollständigen Unterlagen, die notwendig sind, um ein tragfähiges Konzept zu entwickeln und zu kalkulieren“ (Zitat aus der Ausschreibung) erhalten haben.

Qualitätsmaßstäbe – Die Bundeswehr legt die Messlatte höher

Anlass zum Schmunzeln liefert die Selbstbeschreibung, die die g.e.b.b. mit Blick auf die Qualität des Programms in ihrer Ausschreibung formuliert hat (oder auf Anweisung formulieren musste). Dort heißt es unter anderem: „Das Programm wird in state-of-the-art Fernsehqualität produziert und entspricht somit in Qualität und Anmutung öffentlich rechtlichen Sendeanstalten.“ Hier ist der Wunsch ganz eindeutig der Vater des Gedankens. Dennoch, der Anspruch ist richtig, die Wirklichkeit aber – noch – traurig. Prognose: um die Qualität des Programmes substantiell zu verbessern, muss die Bundeswehr etwas mehr Geld in die Hand nehmen als bisher.

Der potentielle Bieterkreis

Wenn die g.e.b.b. das Verfahren ernsthaft betreibt, sollte es ihr nicht schwerfallen, einen (oder mehrere) Anbieter zu finden. Wünschenswert im Sinne der Qualität wäre ein Stelldichein des Who-is-Whos der deutschen Corporate TV-Szene. In Betracht könnten unter anderem die Atkon AG aus Wiesbaden (haben bereits bwtv-Erfahrung), fischerAppelt, tvmedia (ehemals DaimlerChrysler TV Media und derzeit unter anderem für die Arbeitsagentur im Einsatz) oder Bavaria Film Interactive (arbeiten u.a. für Audi, BMW und SAP) kommen. Auch die ehemalige T-Systems-Tochter Media Broadcast könnte ihren Hut in den Ring werfen. Darüber hinaus dürften sich auch kleinere Anbieter die Sache mal anschauen, denn der kolportierte Etat des bisherigen Programms von unter 2 Millionen Euro dürfte auch von diesen zu stemmen sein. Entscheidend wird dabei sicher auch das Projektmanagement sein, wobei die Übertragungskapazitäten der Satellitenbetreiber das kleinste Problem sein dürften. Nach wie vor spannend ist, ob die Bundeswehr im Rahmen einer möglichen Vergabe endlich den längst überfälligen Schritt in Richtung Internet-Fernsehen gehen wird.

Noch offen – wer führt bwtv in Zukunft

Eine mögliche Vergabe von Redaktion und Produktion an einen privaten Anbieter ist richtig. Allerdings wird damit noch nicht die Frage beantwortet, wer auf Seiten des Verteidigungsministeriums das Medium führen wird. Formal wird das weiterhin der Presse- und Informationsstab des Ministeriums sein. Dessen Leiter ist allerdings bislang noch nicht dadurch aufgefallen, bwtv im Rahmen der Möglichkeiten zu nutzen oder gar zu fördern. Es bleibt also zu hoffen, dass der nun gestartete Teilnahmewettbewerb nicht der letzte Nagel für den Sarg des Programms ist, sondern der entscheidende Impuls, um dessen Möglichkeiten konsequent zu nutzen und die Bundeswehr im Wettbewerb der Bilder angemessen zu positionieren. Die Soldatinnen und Soldaten hätten es verdient.

Besäufnisse auf Staatskosten?

Wenn man einem aktuellen Bericht der Rhein-Zeitung glaubt, hat das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) angeblich jahrelang Gelder zweckentfremdet. Konkret sollen die Verantwortlichen des BWB mit Geldern für die Öffentlichkeitsarbeit andere Veranstaltungen finanziert haben. Das klingt auf den ersten Blick natürlich skandalös. Schaut man aber genauer hin, muss man sich doch schon so einige Fragen stellen. Die erste, ganz aus Sicht einer professionellen Kommunikation gedacht: Was wenn nicht Familienfeiern, Sommerfeste und Prinzenempfänge ist denn in den Augen des Bundesrechnungshofes Öffentlichkeitsarbeit? Die von der Rhein-Zeitung zitierte Aussage der Prüfer „Der karnevalistische ,Prinzenempfang“ ist weder als Maßnahme der Öffentlichkeitsarbeit noch als dienstlich repräsentative Veranstaltung einzuordnen“ offenbart ein erschreckendes Ausmaß an Unkenntnis über das Thema Öffentlichkeitsarbeit, fügt sich also nahtlos ins Gesamtbild der Bundeswehrkommunikation ein.

Was steckt dahinter?

Jeder, der einmal im militärischen Kontext mit Repräsentationsaufgaben betraut war, wird sich mit Schrecken an die veranschlagten Kostensätze für die Gästebetreuung erinnern. Die Alternativen hießen in der Regel „Kaltgetränk orange/grün/rot“oder Zuschuß aus dem eigenen Geldbeutel. Insbesondere Angehörige von Unteroffizier- und Offizierkorps mochten sich häufig nicht die Blöße geben, ihren Gästen die BW-Standardkost zuzumuten – vor allem dann, wenn sie selbst schon einmal die Gastfreundschaft und Bewirtung ausländischer Gastgeber erfahren hatten. Jetzt hat offenbar ein „Mitarbeiter des Präsidialbüros“ im Rahmen institutioneller Notwehr deratigen Peinlichkeiten entgegengewirkt. Dafür fordern die Prüfer nun „unverzüglich einschneidende dienst- und haftungsrechtliche Maßnahmen.“ Dem kann man sich nur anschließen. Wie wäre es beispielsweise mit einer besonderen förmlichen Anerkennung für Eigeninitiative und zielgerichtete Investition in die Außen- und Innendarstellung? Denn das Familien und das lokale sowie Vereinsumfeld zur Öffentlichkeit einer Behörde wie dem BWB gehöre, kann nur bestreiten, wer andere Absichten verfolgt, als die Haushaltsdisziplin zu wahren (wobei hier über die mögliche formale Richtigkeit der Vorwürfe keine eindeutige Aussage möglich ist).

Angesichts der veröffentlichten Vorwürfe – und der Tatsache, dass diese Vorwürfe überhaupt veröffentlicht werden – spricht vieles dafür, dass hier eine interne Fehde ausgetragen wird. Das wird insbesondere bei den in Frage stehenden Summen deutlich, die im Bericht genannt werden. Der einzig konkrete Betrag der unerlaubten Finanzierungsbeihilfen: 3609,60 Euro. Zusätzlich gibt es noch nebulöse Formulierungen über angebliche Kosten in Millionenhöhe durch Beteiligung anderer Bundeswehreinrichtungen. Die Summen sind lächerlich gering, die kolportierten angeblichen Kosten an den Haaren herbeigezogen und der Vorwurf der Zweckentfremdung aus der Außensicht unhaltbar. Man darf also gespannt sein, wer hier wessen Kopf im Visier hat. Es wäre nicht verwunderlich, wenn die geplanten Umstrukturierungen und Stellenkürzungen im BWB dabei zumindest eine (Neben-)Rolle spielten. Wir warten gespannt auf die nächste Runde.

Zu spät, zu wenig.

Angesichts der jüngsten Vorfälle in Afghanistan kommt in den Medien nun – endlich – eine recht lebhafte Diskussion in Gang (Einen – im Kommentar allerdings eindeutig gefärbten – Überblick dazu bietet u.a. das Weblog Sicherheitspolitik) . Und wie zu erwarten war, sind die Akteure blitzschnell in ihre vorbereiteten argumentativen Kampfstände gesprungen. Während auf der einen Seite die Forderungen nach einem Abzug der Bundeswehr laut werden, konzentriert sich die andere Seite darauf, die perfide Strategie der Aufständischen als ursächlich für den Tod von Zivilisten zu brandmarken. Wie so oft sagen die Stellungnahmen mehr über ihre Absender als über die Sachverhalte aus – die kennen vermutlich die wenigsten derer, die sich jetzt äußern (den Verfasser dieser Zeilen eingeschlossen). Dessen ungeachtet, geben sich alle meinungsstark.

Interessant ist dabei ein Blick auf die kleine Community der Blogger, die sich mir sicherheitspolitischen Themen befassen. Sowohl in den Einträgen selbst als aich in den Kommentarspalten tobt der Meinungskampf:

– Gänzlich affirmativ und politisch ein wenig naiv sind die aktuellen Blogeinträge bei soldatenglueck.de. Demenstsprechend keilt sich das Publikum in den Kommentarspalten

– Das bereits oben erwähnte Weblog Sicherheitspolitik überzeugt grundsätzlich mit einer differenzierten Analyse, wobei das rhetorische Einschlagen auf linke Protagonisten doch etwas wohlfeil ist.

– Richtig schön tendenziös wird es bei den selbsternannten Freunden der offenen Gesellschaft, in dem sich Daniel Fallenstein polemisch über all diejenigen auslässt, deren Meinung er nicht teilt (und vermutlich auch nicht verstehen würde).

– Konsequent aus der Perspektive der Soldaten argumentiert Boris Barschow im PHOENIX Afghanistanblog. Das vermittelt eine gute Inneneinsicht in die Gefühlslage eines Menschen, der seine journalistischen Fähigkeiten nutzt, um seine Empfindungen in der soldatischen Rollen zu beschreiben.

– Gewohnt gut informiert ist Thomas Wiegold in Augen Geradeaus, der einmal mehr beweist, warum die Verbindung aus Qualitätsjournalismus und Bloggen extrem gut funktionieren kann.

Was fehlt?

Während sich Verteidigungsexperten und – expertinnen aller Couleur äußern, vermisst man – wieder einmal – eine eindeutige Stellungnahme der politischen und militärischen Führung der Bundeswehr. Darüber hinaus stellt keiner der Kommentatoren die Frage, ob nicht der gesamte Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr an einem Geburtsfehler krankt, der sich auf die Formel „Zu spät, zu wenig“ bringen ließe. Zu spät und zu wenig ist unter anderem die nun geplante Aufstockung der Truppe auf 4.500 Soldaten. Zu spät kommt die Forderung, die mit zu wenig Personal ausgestattete Polizeimission nun doch zu einem guten Anfang zu bringen – vom Ende ganz zu schweigen. Zu spät lenken Entwicklungspolitiker den Blick auf den mit zu wenig Mitteln betriebenen Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen. Neben der afghanischen Zivilbevölkerung sind unter anderem die Soldaten die Leidtragenden dieser Entwicklung. Trotz gegenteiliger Beteuerungen sind sie für ihre Aufgabe personell und materiell nicht hinreichend gerüstet.

Das militärische Feigenblatt

Dahinter liegt vermutlich eine tiefere Wahrheit. Seit mehr als 6 Jahren versucht die Bundesregierung mit minimalem Einsatz ihre Bündnispflichten zu erfüllen. Genauso lange ist die politische Führung offenkundig weder willens noch in der Lage, der Bevölkerung den Sinn des Einsatzes zu erklären. Die Präsenz der Bundeswehr am Hindukusch ist nicht mehr als ein militärisches Feigenblatt. Wer ernsthaft eine friedliche, zivilgesellschaftliche Entwicklung in Afghanistan fördern will, muss mehr investieren – oder das Engagement beenden.

On target

Die Grenzen zwischen zielgruppengerechter Werbung – im Fachjargon „Targeting“ genannt – und Geschmacklosigkeit sind insbesondere im Internet fließend. In den Kommentaren zu einem Artikel über die vermeintlichen Personalprobleme der Bundeswehr findet sich die folgende Link-Anzeige:

Folgt man dem Link, landet man auf einer Seite die der Link-Vermarkter für die „Hannoversche Leben“ betreibt, also jener Versicherung, die unter anderem mit einem diskussionswürdigen Spot zum Thema Hinterbliebenenschutz die Grenzen des guten Geschmacks zumindest austestet (siehe hier, TV-Spot „Familie Wittig“). Wie wäre es also mit einem lustigen Afghanistan-Spot für die Zielgruppe Soldaten mit einer kleinen Sprengfalle statt des Baumes als Pointe?


Sagen, was ist.

Unmittelbar nach dem jüngsten Anschlag auf Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan versucht die Rheinische Post eine Debatte um die Personalprobleme der Bundeswehr zu eröffnen. Im Kern geht es um sinkenden Bewerberzahlen und offensichtlich massive Abwanderungen zu zivilen Arbeitgebern. Aus der Perspektive der Kommunikation liegt der Schluß nahe, dass eines der wesentlichen Probleme aber das Führungspersonal der Bundeswehr betrifft: Sie sagen nicht, was ist. Das hat Konsequenzen.

Frei nach Wittgenstein, dass die Grenzen der Sprache auch die Grenzen des Denkens sind, ermöglicht der Blick auf die personalwerbliche Kommunikation der Bundeswehr eine einfache rhetorische Analyse. Wer seinen Soldatinnen und Soldaten nicht sagt, was sie erwartet und – schlimmer noch – mit Begriffen wie „Mitarbeiterportraits“, das Wesentliche des Soldatenberufes förmlich zukleistert, darf sich nicht wundern, wenn potentielle Bewerber ebenso wie Aktive das Weite suchen, wenn die mediale oder die selbst erlebte Realität so gar nicht dem Marketing-Bla-Bla halbbegabter Werber oder den politischen Floskeln entspricht.

Wie es anders geht – wobei auch hier vieles diskussionswürdig ist – zeigt eine kleine Linktour durch die Recruiting-Seiten anderer verbündeter Streitkräfte. Eine wesentliche Erkenntnis vorab: Die meisten Teilstreitkräfte haben eine echte eigene Karriereseite anstatt gesichtsloser Einheitsseiten, wie sie die Bundeswehr bevorzugt.

Bundeswehr (vgl. auch die sogenannten Karriereseiten auf den Portalen von Herr, Luftwaffe, Marine und Streitkräftebasis)

Niederländisches Heer

Niederländische Luftwaffe

Niederländische Marine

Niederländische Nationalpolizei (Marechaussee)

Französisches Heer

Französische Luftwaffe

Französische Marine

Französische Nationalpolizei (Gendarmerie)

US Heer

US Luftwaffe

US Marine

US Marinecorps

Britisches Heer

Britische Luftwaffe

Britische Marine

„Die Bundesregierung versagt bei der Kommunikation“ …

… sagt der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Nun ist Rühe in seiner aktiven Amtszeit auch nicht gerade als Kommunikationsgenie aufgefallen, aber hier hat er natürlich Recht.

Und wer sich in dieser Woche substantiell mit dem Thema beschäftigen will, sollte Juli Zehs Spiegel-Essay „Krieg und auch nicht“ lesen. Der Text sagt mehr über die grundsätzlichen Befindlichkeiten der Deutschen  als alle Bevölkerungsumfragen der Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr zusammen. Die sollte man natürlich trotzdem lesen.