Es ist schon beeindruckend, wie leicht sich zumindest rhetorisch die politische Landkarte neu gestalten lässt. Eigentlich ist die Lage unverändert, dennoch eröffnen sich plötzlich zahlreiche Handlungsoptionen. Während der neue Verteidigungsminister zu Guttenberg systematisch und erfolgreich sein Programm für die ersten 100 Tage durcharbeitet, nutzt der neue SPD-Chef die Gelegenheit, um seine Partei mental auf eine Kündigung des bisherigen sicherheitspolitischen Konsens vorzubereiten (übrigens ohne einmal das Wort „Bundeswehr“ auszusprechen).
Interessanter Weise geht das klare Bekenntnis der Bundesregierung zum Afghanistaneinsatz damit einher, erstmals auch konkrete Abzugsszenarien zu skizzieren. Auch hier agiert zu Guttenberg extrem geschickt, denn seine Forderungen und Aussagen sind hinreichend flexibel, um sie schnell mit der zukünftigen Afghanistanstrategie der USA zu „streamlinen“. So ganz falsch dürfte Thomas Wiegold mit seiner Einschätzung – „Declare victory and pull out“ – deshalb nicht liegen. Dafür spricht einiges, nicht zuletzt der politische Kalendar.
Barrack Obama ist nun ein Jahr im Amt und wird, nachdem es nun so scheint, dass das Projekt Gesundheitsreform gelingt, zum Ende seiner ersten Amtszeit einen außenpolitischen Erfolg brauchen. Es ist unwahrscheinlich, dass er diesen in Nahost (Israel, Iran, Irak) oder Nordkorea erzielen kann. 2012 könnte damit zu einem entscheidenden Jahr für Afghanistan werden. Auch in Deutschland wird 2012 der Vorwahlkampf beginnen, und zwar mit einer SPD, die sich klar gegen eine weiteren Einsatz über den bis dahin vereinbarten Zeitraum hinaus, aussprechen dürfte. Konkrete Erfolgsaussichten könnten der Regierungskoalition wichtige Wählerstimmen sichern, und einen Minister zu Guttenberg, der „unsere Jungs (und Mädels) “ nach Hause holt, hat man doch gerne im Wahlkampfaufgebot. So weit, so politisch, so klug.
Allerdings dürfte mit einem (Teil-)Abzug im Zeitraum 2012/2013 auch die erste außenpolitische Desillusionierung der Deutschen einhergehen. Es ist nicht zu erwarten, dass die Lage in Afghanistan bis dahin auch nur annähernd den ursprünglich verkündeten Zielen entspricht. Rechnen sollten wir deshalb lieber mit einer halbwegs stabilisierten Umgebung, in der die vom Westen unterstützten Kräfte eine realistische Chance haben, die Lage gemäß der afghanischen Gepflogenheiten zu „bereinigen“. Den NATO-Truppen dürfte dann vor allem die Aufgabe obligen, punktuell einzugreifen, sollte es terroristischen Gruppierungen erneut gelingen, Afghanistan zu einer sicheren Heimatbasis auszubauen. Man darf gespannt sein, wie dieses (sicherheits)politisch vernünftige Szenario – wenn es eintritt – auf das deutsche Gemüt schlägt und wie es kommunikativ vermittelt wird. (Eine lesenswerte Meinung dazu von Michael Forster hier.)