„Liebling, wir müssen reden!“

Wer diesen Satz hört, weiß, dass es im Beziehungsgebälk knirscht. Wenn sich nun die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann und Verteidigungsminister zu Guttenberg diesen Satz öffentlich zurufen – und dabei gleichzeitig fast schon darüber streiten, wer denn nun wen gerufen hat – ist es wohl ernst. Auch der medial vermittelte Austausch zwischen Verteidigungsministerium und dem Flugzeugbauer EADS über den Airbus A 400 M nutzt geschickt die Lücke zwischen den Ende der Feiertage und dem Arbeitsbeginn des Untersuchungsausschusses zu Kunduz. So weit, so gut, denn grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass zu Guttenberg den Dialog sucht. Allerdings muss er aufpassen, dass sich seine Politik nicht im bloßen Symbolhandeln erschöpft. BamS, Bild und Glotze reichen weder, um eine nach wie vor skeptische Öffentlichkeit vom Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zu überzeugen, noch das Vertrauen der Soldaten in die politische Führung zu stärken.

Der Kommunikationsoffensive des neuen Ministers müssen nun Taten folgen, denn das „Wir müssen reden“ gilt nicht nur dort, wo ein glanzvoller Außenauftritt winkt, sondern ebenso für die Mühen der Ebene, sprich: Mit Parlament und Bürger. Das schließt übrigens die anderen mit dem Thema Afghanistan befassten Ressorts mit ein. Eine im Vergleich zu Deutschland beispielhafte und ernsthafte Auseinandersetzung leistet u.a. die kanadische Regierung, die vierteljährlich einen Bericht zu ihrer Afghanistanpolitik vorlegt. Ein entsprechendes Dokument der Bundesregierung wäre auch in seiner symbolischen Wirkung überzeugender als weitere ministerielle Fotoshootings.

Transparenz lernen und eine Idee zur Umsetzung

Während die Auszeichnung von Stefan Kornelius als „Journalist des Jahres 2009“ nach wie vor fragwürdig ist, hat die Redaktion der Süddeutsche Zeitung eine wirklich preiswürdige journalistische Leistung erbracht. Unter dem Titel „Briefe von der Front“ veröffentlicht das Magazin der Zeitung in seiner aktuellen Ausgabe Briefe, die Soldatinnen und Soldaten aus dem Einsatz geschrieben habe. Folgt man dem Online-Dienst Meedia ist das Vorhaben beim Presse- und Informationsstab des Bundesverteidigungsministeriums allerdings nicht wirklich auf Gegenliebe gestoßen. Im Originalton: „PrInfoStab hat entschieden, das Vorhaben nicht zu unterstützen. Anfragen der ‚SZ‘ nach Kontakten zu Soldaten sind daher abzulehnen.“ Dieses Muster kommt dem Kenner bekannt vor.

Angesichts des Recherchevorlaufs ist es jedoch sehr plausibel, anzunehmen, dass diese Stellungnahme noch ein Echo des von Jung und Raabe etablierten Systems ist, das Joachim Zepelin so treffend in der Financial Times Deutschland beschreibt (Die Diktion erinnert vermutlich nicht zufällig an eine Anfrage des Bendler-Blog zu einem Video-Wettbewerb der NATO). Es besteht Anlass zu der Hoffnung, dass der neue Leiter des Presseinfostabes unter dem Transparenzgebot von zu Guttenberg, zu einem anderen Urteil kommt – besonders, wenn er das Ergebnis sieht.

In diesem Zusammenhang möchte ich eine bislang nur in kleinem Kreis diskutierte Idee vorstellen. Im September 2009 habe ich die kleine Gemeinde der sicherheitspolitisch interessierten und Internet-affinen auf einThema angesprochen, das inhaltlich dem aktuellen SZ-Magazin sehr nahe steht.

Worum geht es konkret?
Ich würde gerne eine Idee für ein Projekt diskutieren, das – wenn überhaupt – nicht alleine zu stemmen ist. Weder personell, noch inhaltlich, noch finanziell. Wenn sich aber genug Mitstreiter finden, könnte sich jedoch eine schöne Eigendynamik entwickeln.

Im Kern handelt es sich um eine Mischung des Echolot-Projekt des Schriftstellers Walter Kempowski, den randnotizen von Simon Uetz-Fugel und etwas „eines tages“ der Zeitgeschichts-Community des Spiegel: Ein kollektives, digitales Tagebuch von Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Die Idee ist es, denjenigen, die es wirklich erleben, eine Plattform zu bieten, auf der sie – gerne auch anonym – authentisch von ihren Erfahrungen berichten können. Es geht also um Anerkennung und Respekt jenseits der politischen Rhetorik. Es ist also eher Literatur/Kunst als journalistische Form, und es geht nicht um Krawall und Enthüllungen.

Wie könnte es gehen?
Mit Hilfe einer relativ einfachen technischen Plattform, betrieben von einer vertrauenswürdigen Institution. Diese könnte sogar im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung liegen, beispielsweise das Militärgeschichtliche Forschungsamt. Auch die evangelische und die katholische Militärseelsorge könnten entsprechende Anlaufstellen sein. Und wer weiß: Vielleicht stößt die Idee ja in Berlin auf Interesse. Ich freue mich auf jeden Fall auf Post.

Der Preis ist heiß

Bevor ich zum Jahresabschluss noch versuchen werde, in Bezug auf das Kunduz-Bombardement, militärische, politische und mediale Handlungslogiken neben- und übereinander zu legen, ein kurzer Hinweis auf letztere.

Das durchaus anerkannte „mediummagazin“ kürt regelmäßig die „Journalisten des Jahres.“ Für dieses Jahr haben die rund 60 Juroren nun Stefan Kornelius von der Süddeutschen Zeitung mit einem Sonderpreis ausgezeichnet. Preiswürdig sei, so die Jury, sein Beitrag “Er hat die Menschen als Ziel, nicht die Fahrzeuge“ zu Details des geheimen ISAF-Berichts zur Bombardierung in Kunduz in der Ausgabe vom 12. Dezember.  In der Begründung (hier nachzulesen) heißt es, Kornelius stelle in sachlichem Ton den Sachverhalt klar und enthalte sich weitgehend jeder Wertung und begründe so einen erheblichen Teil der Folgewirkung des Berichts.

In Abgrenzung zur Berichterstattung Bild-Zeitung hält die Jury den SZ-Beitrag für preiswürdig, „da er die eigentliche Tragweite des Thema ins öffentliche Bewußtsein rückte – nämlich die Frage nach dem künftigen Selbstverständnis Deutschlands beim Einsatz von militärischer Gewalt. In diesem Beitrag und seiner begleitenden Kommentierung zeigt sich, so die Jury, Journalismus in seiner Kernaufgabe – Details zusammenzutragen, zu analysieren und daraus Orientierung zu vermitteln abseits von jedem politischen Lagerdenken.“

Leicht beleidigt reagiert darauf Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Er war für einen anderen Preis der gleichen Jury vorgesehen, lehnt diesen aber nun ab, weil er die Rolle der Bild nicht hinreichend gewürdigt sieht (hier nachzulesen). Diekmann hat hier nicht ganz unrecht, denn mit ihrer Berichterstattung hat die Bild sich in der Tat als kampagnenfähiges Medium erwiesen und die lange überfälligen Debatte einem breiten Publikum geöffnet. Die Auszeichnung von Stefan Kornelius gewährt dagegen einen erschreckenden, gleichwohl aber realistischen Einblick in den deutschen Journalismus.

Wenn es schon ausreicht, ausgewählte Fakten aus einem Bericht der Nato einigermaßen sachlich richtig darzustellen, um einen Journalismus-Preis zu gewinnen, sind wir von einer aufgeklärten sicherheitspolitischen Debatte in Deutschland noch weit entfernt. Und auch um den Journalismus wäre es dann in der Tat nicht gut bestellt. Kornelius aber ist ein guter Journalist. Also ist dieser Preis ein Fehler. Der Preis hingegen als auch die Reaktionen darauf offenbaren jedoch, dass sich sehr viele mediale Akteure vor allem für sich selbst und nicht mehr für die Gegenstände ihrer Berichterstattung interessieren. Zumindest das kann man als Erkenntnisgewinn verbuchen.

Ein neuer Takt

War man es bisher gewohnt, dass die KommunikationsarbeiterInnen im Bendler-Block eher an der kurzen Leine gehalten wurde, scheinen der neue Minister und sein Sprecher nun auch in die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit einen neuen Takt vorzugeben. Es ist schlicht und einfach bemerkenswert (und richtig), dass ein aktueller Beitrag des ZDF zu Gefechten in der Nähe von Kunduz nun auch auf dem Bundeswehr-Portal zu sehen ist, inklusive des Kommentars, dass dort ein Guerilla-Krieg im Gange ist.

Leipziger Allerlei

So ist das nun mal beim Aufräumen. Kaum hat man die Einbauküche von der Wand abgerückt, möchte man sie schon wieder zurück schieben. Das, was sich da im Verlaufe der Jahre angesammelt hat, sieht nicht wirklich appetitlich aus. Das hindert den ein oder anderen aber offenbar nicht daran, mit vollen Händen in den Dreck zu greifen, und ihn medial zu verbreiten. Über nach wie vor verlässliche Quellen im Verteidigungsministerium verfügt beispielsweise die Leipziger Volkszeitung (dem ehemaligen BMVg-Sprecher Thomas Raabe schon öfter treu zu Diensten), die die Vorgänge in Kundus zur Selbstvermarktung nutzt (BND, Gezielte Tötung).Irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass da vor diversen Jobwechseln nochmal die Kopierer heiß gelaufen sind.

Parallel zur weiteren Untersuchung der Bombardierung, darf man also gespannt sein, ob es zu Guttenberg gelingt, die Aufräumarbeiten im Bendlerblock trotz „friedly fire“ erfolgreich zu Ende zu bringen. Andererseits: Angesichts der im Vergleich zum Stammpersonal des Ministeriums kurzen Stehzeiten der Regierenden, könnte mancher auch versucht sein, die Schränke einfach wieder zurück zu schieben und das Leipziger (und anderes) Allerlei, das sich dahinter sammelt, einfach zu verbergen.

Die Kunduz-Kampagne

Die beste PR-Agentur Deutschlands ist immer noch die BILD. Wenn sich also die Kommunikatoren im Verteidigungsministerium nicht sicher sind, wie Kampagne funktioniert, reicht es dieser Tage völlig aus, die Zeitung mit den großen Buchstaben zu studieren (Zivile und militärische Kommunikationseliteakademien in und um Berlin herum dürfen mitstaunen). Dank ihrer Informanten im Geschäftsbereich des BMVg und des Parlaments kann die Bild-Redaktion derzeit auf ihrer Sonderseite zum Thema Kundus-Bombardement eine umgekehrten Salamitaktik nutzen. Die Wurst wird jeden Tag länger. Leider dürfte sie weder den Entscheidern im Bendler-Block noch der Bundesregierung besonders gut schmecken. Zumindest das Publikum ist interessiert, und man muss der Bild schon fast dankbar sein, dass sie mit ihrer Kampagne eine etwas breitere sicherheitspolitische Debatte befördert.

Was und wem nutzt Transparenz?

Aus Sicht des Verteidigungsministers ist die Situation nicht nur erfreulich. Zwar haben ihm die Handlungen einiger Akteure nach dem Bombardement geholfen, einen personellen Neuanfang durchzusetzen. Allerdings bleibt er von den medialen Nachbeben des Bombardements nicht verschont. Könnte hier die von ihm viel beschworene Transparenz helfen? Vielleicht. Da ja nun offenkundig die Informationen tröpfchenweise aus seinem Hause sickern, könnte er die Schleusen auch gleich ganz öffnen lassen. Konkret: Die im Hause vorliegenden Berichte samt und sonders veröffentlichen (unter Wahrung der Geheimhaltungspflichten). Das Risiko, dass militärische Laien nicht verstehen, was darin steht, ist überschaubar. Was zählt ist die Geste, mit der den Spekulationen der Presse der Boden entzogen werden könnte. Genau hier liegt aber auch die größte Sprengkraft. Denn wenn die Berichte nicht veröffentlicht werden, liegt die Vermutung nahe, dass darin etwas steht, dass das öffentliche Wohl, oder wohl eher die Regierung, noch nachhaltiger stören würde, als es die Kundus-Kampagne der Bild schon ohnehin tut. Auch hier gilt also: Fragen, die man ihnen nicht selbst beantwortet, beantworten sich die Menschen selbst. Davon losgelöst bleibt das Kundus-Bombardement eine Ikone des Versagens.

Miteinander reden

In seinem Artikel „Die Herrschaft des Inspekteurs“ in der Frankfurter Allgemeinen vom 29. November 2009 zieht Eckart Lohse eine durchaus kritische Bilanz der Amtszeit des ehemaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan. Eine entscheidende Frage stellt Lohse an das Ende seines Beitrags. Mit Bezug auf die Informationspolitik der Bundeswehrführung nach der Bombardierung in Kundus fragt er: „Warum sprechen der Minister und sein höchster Soldat in einer derart brenzligen Situation nicht mit einer Stimme?“ Vermutlich, weil sie nie wirklich miteinander geredet haben. Weil die offensichtliche inhaltliche Überforderung des einen (Jung), recht schnell dazu geführt hat, dass der andere (Schneiderhan) seine „Politik“ durchzog. Es klingt, abzüglich seiner persönlichen Verletztheit, durchaus plausibel, was General a.D. Jürgen Ruwe über diese Politik schreibt. Nur: Büsche gelb zu streichen, also die tatsächliche Lage den Stellungnahmen der übergeordneten Führung anzupassen, ist kein Phänomen, das erst mit Schneiderhan in die Bundeswehr Einzug gehalten hat. Ein ähnlich kafkaeskes persönliches Erlebnis – bei dem ich glücklicherweise nicht selbst Opfer war – ist mir hier eine bleibende Mahnung. Um von eigensinnigen und vorbildlichen Generalen zu lesen (von politischen Wirrköpfen abgesehen) muss man derzeit noch zu historischer Literatur greifen, beispielsweise zu Hans Magnus Enzensberger: Hammerstein oder Der Eigensinn.

Zu Guttenberg räumt auf

Man muss kein Prophet sein, um festzustellen, dass wir derzeit den Aufstieg eines überragenden Talents erleben, das das Potential hat, die Zukunft der deutschen Politik nachhaltig zu prägen. Mit strategischem Geschick, Stil und Konsequenz, hat sich Verteidigungsminister zu Guttenberg der militärischen und politischen Folgen der Bombardierung von zwei Tanklastzügen in Kunduz angenommen. Der Rücktritt des Generalinspekteurs Schneiderhan war ebenso folgerichtig wie die Demission von Staatssekretär Wichert. Sollten immer noch einige Akteure im Verteidigungsministerium daran gezweifelt haben, dass zu Guttenberg es ernst meint, wenn er Transparenz fordert, dürften sie jetzt eines Besseren belehrt sein. Die Zeiten des Herumlavierens sind vorbei. Auch personell ist der Weg nun frei, um eine neue Kultur im Bendlerblock zu etablieren, und zwar ohne die nun gechassten Personen unnötig zu beschädigen, wie dies beispielsweise Innenminister de Maiziere mit seinem Staatssekretär Hanning gemacht hat.

Auch die Kommunikatoren der Bundeswehr sind gut beraten, sich auf diesen neuen Stil schnell einzustellen und die Vorgaben des Ministers ernst zu nehmen. Zu Guttenberg ist kein Trickser. Sein Bluff ist die Realität. Er sagt, was er tut und tut, was er sagt – auch und gerade wenn er politisch agiert und zunächst unverbindlich bleiben muss. Bei einem Punkt aber ist er verbindlich – und vermutlich unerbittlich – diejenigen, die Verantwortung haben (wollen), werden sich dieser auch stellen müssen. Die Rücktritte von Schneiderhan und Wichert sind in diesem Sinne paradigmatisch. Es wäre nicht überraschend, wenn sich manch einer in der Stauffenbergstraße schon bald die Zeit des Herumwurschtelns der Ära Jung/Raabe zurückwünschen wird. Alle anderen können die Hoffnung haben, dass sie nicht dafür abgestraft werden, wenn sie es wagen, sich ihres Verstandes zu bedienen.

Über Ethik

(Generalleutnant a. D.) Siegfried Storbeck (u.a. Chef des Führungsstabs der Streitkräfte und Stellvertreter des Generalinspekteurs) hat für die Welt einen lesenswerten Text zur soldatischen Ethik verfasst. Eine zentrale Frage lässt er in seinem Essay jedoch unbeantwortet: Wo liegen die „Grenzen des Gehorsams“ für diejenigen, die heute Soldatin oder Soldat sind?

Storbecks „Auch für unsere Söhne und Töchter als Soldaten gelten die Werte anständigen Soldatseins. Im Krieg in Afghanistan gehören Hass, Vernichtungswillen und mörderische Heimtücke unter Einbeziehung unschuldiger Zivilbevölkerung zur hinterhältigen Taktik der Taliban. Dieser Bruch sämtlicher Konventionen durch den Gegner wird für unsere Soldaten und ihre Führung nicht nur zur harten Prüfung ihres Könnens und ihrer Tapferkeit, sondern auch ihrer moralischen Festigkeit“, macht zur Voraussetzung, dass die Entscheidungen der jetzigen politischen Führung im Sinne des soldatischen Gehorsams unhinterfragbar sind. Es ist wesentlich für die Demokratie, dass sie genau das nicht sind. Oder einfacher gefragt: Was sollen die Soldaten tun, die nach bestem Wissen und Gewissen davon überzeugt sind, dass der Afghanistan-Einsatz falsch ist?