Da ich – nicht wirklich leider – sehr viel in der, wie die Netzgemeinde sie so nennt, Kohlenstoffwelt unterwegs bin, ist es hier im Blog nach wie vor etwas ruhiger. Umso mehr freue ich mich, wenn es Autorinnen und Autoren gibt, die hier zu Gast sein mögen, und ihre Beiträge nicht nur in den Kommentaren, sondern als zu kommentierende Texte hier zur Diskussion stellen. Als Herausgeber behalte ich mir selbstverständlich vor, zu entscheiden, was ich veröffentliche. Den folgenden Denkanstoß von Martin Böcker finde ich erneut interessant, obwohl ich seine These nicht teile. Dazu aber werden wir sicher noch mehr in den Kommentaren lesen …
Wird Deutschland am Niger verteidigt?
von Martin Böcker
Es ist bald zwei Wochen her, dass Kanzlerin, Verteidigungsminister und Generalinspekteur die Führungskräfte der Bundeswehr in Strausberg auf die Neuausrichtung der Bundeswehr eingeschworen haben. Die Kanzlerin hat in ihrer Ansprache auf den möglichen Mali-Einsatz hingewiesen, was gut zu einer Debatte passt, die vor knapp sechs Wochen hier im Bendler-Blog geführt wurde. Nämlich darüber, ob der Begriff Durchsetzungsarmee (oder irgendetwas anderes in dieser Art) nicht eine bessere Bezeichnung für die Bundeswehr wäre als Verteidigungsarmee. Schließlich beschreibt er das Einsatzerleben der Soldaten und ihrer Angehörigen lebensnäher und macht damit den Sinn des militärischen Dienens emotional und rational nachvollziehbarer. Das gewichtigste Gegenargument war, dass die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik strategisch defensiv sei, was so eine rhetorische Wende nicht zuließe.
Ganz in diesem Sinne die Kanzlerin: Derzeit wird intensiv über Art und Umfang eines möglichen zukünftigen europäischen Engagements in Mali diskutiert, hieß es. Denn freiheitliche, demokratische Staaten können nicht akzeptieren, dass der internationale Terrorismus im Norden des Landes ein sicheres Rückzugsgebiet erhält. Mit internationalem Terrorismus meinte sie die für Außenstehende undurchsichtige Koalition aus Al Qaida im islamischen Maghreb, islamistischen Tuareg (Ansar el Dine) und der Bewegung für die Einheit und den Dschihad in Westafrika.
Nun lässt sich freilich nicht ausschließen, dass diese Organisationen irgendwann mal potentielle Internationale Terroristen im besetzten Nordmali beherbergen werden. Allerdings kämen auch jeder andere failed state oder Städte wie Hamburg als Rückzugs- und Ausbildungsgebiete in Frage. Und eingedenk des Umstands, dass bislang keine der oben genannten Organisationen Anstalten gemacht hat, in freiheitlich-demokratischen Staaten außerhalb Afrikas Anschläge zu verüben, ist diese Argumentation sehr dünn. Hier wird m.M.n. zu krampfhaft versucht, dem potentiellen Mali-Einsatz den Anschein der Landesverteidigung zu geben.
Folgende Begründung wäre mir glaubwürdiger vorgekommen:
Europa hat einen sehr hohen Bedarf an Energieträgern wie Erdöl, Erdgas und Uran. Die Maghreb-Staaten und die Mitglieder der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft können diese Rohstoffe liefern. Wenn Europa sie kontrolliert und kalkulierbar importieren möchte, dann muss die Region stabil bleiben. Oben genannte Gruppen werden die Region weiterhin destabilisieren, bis sie ihre religiösen Überzeugungen durchgesetzt haben, Machtteilhaber werden und/oder am Rohstoffexport mitverdienen. Deswegen sucht die EU nach Mitteln, die Aufständischen bestenfalls zu inkludieren, schlimmstenfalls, sie zu unterdrücken, zu vertreiben, zu töten. Ein Ausbildungseinsatz in Mali könnte so ein Mittel sein, wir wissen es nicht genau, auf jeden Fall müsste er durch zivile Maßnahmen begleitet werden. Möglicherweise würde damit auch die Zahl der Flüchtlinge nach Europa reduziert.
Das ist natürlich sehr verkürzt dargestellt. Aber wenn ich mit dieser Argumentationskette nicht falsch liege, dann dürfte deutlich werden, dass die Verteidigungspolitischen Richtlinien nicht ganz so verteidigungspolitisch sind, wie sie wirken möchten. Die sicherheitspolitische Kommunikation der Bundesregierung liegt zu offensichtlich im Widerspruch zur sicherheitspolitischen Praxis. Damit gebe ich keine moralische Wertung ab. Ich stelle jedoch fest, dass diese Diskrepanz sowohl der emotionalen, als auch der rationalen Begründung des militärischen Dienstes schadet. Wir. Dienen. Deutschland. ist zwar eine sehr gelungene Zusammenfassung. Der Begriff Dienen. umfasst jedoch nicht die Jagd auf Wüsten-Terroristen, das wäre unglaubwürdig, wohl aber die Sorge darum, dass die deutsche (und die europäische, was letztlich nicht zu trennen ist) Wirtschaft durch Energiesicherheit konkurrenzfähig bleibt, wir also unseren Wohlstand und unsere Handlungsfähigkeit erhalten. Wir müssen es nur zugeben.
Hinweis:
Offenbar konkretisiert sich der Einsatz der EU. Thomas Wiegold hat ein paar Zahlen dazu.