Ein Gastbeitrag von Paul C. Strobel*
Knapp neun Monate lang war die Bundeswehr der Shooting Star in den sozialen Medien. Mit ihren neuen Social-Media-Guidelines und der #SocialMediaDivision wurden tausende Soldatinnen und Soldaten Corporate Influencer der Bundeswehr. Und sie hatten Erfolg: Mit über 25.000 Beiträgen auf Instagram, mit Selfies, Fitnessbildern und Einblicken in den Dienstalltag gewann die Bundeswehr renommierte Branchenpreise, einzelne Soldatinnen und Soldaten wurden zu regelrechten Influencer-Stars; Plötzlich war es wieder „cool“ Soldatin oder Soldat zu sein.
Die heile Welt der #SocialMediaDivision zerbricht am 23. Juli 2020. Ausgerechnet dem Architekten der Social-Media-Guidelines, Oberstleutnant Marcel Bohnert, wirft an jenem Tag das Fernsehmagazin Panorama vor, Beiträge eines Anhängers der rechtsradikalen Identitären Bewegung mit „gefällt mir“ markiert- und so eine Sympathie für die Bewegung ausgedrückt zu haben. Das BMVg entbindet ihn auffällig forsch von seinen Aufgaben. Was folgt ist ein öffentlich ausgetragener Kampf in den sozialen Medien zwischen Bohnert und seiner Social-Media-Abteilung, den Soldatinnen und Soldaten der #SocialMediaDivision, ihrem Dienstherren, den Medien und der breiten Öffentlichkeit – ein PR-Desaster für die Bundeswehr.
Die Causa Bohnert hat die Schwachstellen der Social-Media-Guidelines der Bundeswehr aufgezeigt. Wie konnte es dazu kommen? Und wichtiger: Was lernen wir daraus?
Bohnert selbst attestiert sich in Interviews mit BILD-Zeitung und SPIEGEL Naivität in der Auswahl der Posts, die er mit „like“ markiert habe. „Ich bin vielleicht naiv, aber ich bin nicht rechtsextrem“ sagt er. Die mangelnde Sorgfalt scheint aber bei Bohnert und seiner Social-Media-Abteilung nicht nur in Bezug auf die Inhalte der Identitären Bewegung zuzutreffen. Wer sich seine und die Likes seiner Mitarbeiter anschaut stellt fest, dass beinahe alle Posts unter dem Hashtag #SocialMediaDivision markiert wurden. Dabei auch InstaGirl-Beiträge und Kussmundselfies von jungen Soldatinnen, die fragen lassen, welches Bild die Bundeswehr mit solchen Inhalten abgeben möchte?
Lassen wir das Politische der Causa Bohnert für einen Moment außen vor, sollte es gerade im militärischen Bereich keine Naivität in Sachen Social Media geben. Die sozialen Medien machen so transparent, dass ein potenzieller Gegner aus unserer Online-Persona durchaus Rückschlüsse auf unsere Denkweise ziehen kann. Sorgen muss einem die selbstattestierte Naivität von Oberstleutnant Bohnert also nicht vor dem Hintergrund von „Altherrenlikes“ für Kussmundselfies machen – deren Angebrachtheit im professionellen Kontext durchaus angezweifelt werden darf – sondern vor dem Hintergrund dessen, was Social-Media heute im militärischen Kontext ist: Ein Teil des Informationsraumes.
Bohnerts Eingeständnis gilt exemplarisch für die Gesamtheit der Social-Media-Guidelines, welche wunderbar für Werbezwecke einsetzbar sind, aber den strategischen Kontext des Informationsraumes und die Abgründe des globalen Informationskrieges großräumig umschiffen.
Mangelndes Bewusstsein für strategischen Kontext und Sicherheit in den sozialen Medien sind nicht das einzige Problem der heutigen Guidelines. Die „Likes“ von Oberstleutnant Bohnert deuten auf das eigentliche Kernproblem des aktuellen Falls: Die Durchmischung dienstlicher Inhalte, auf privaten Kanälen. Die Kennzeichnung aller Accounts von Soldatinnen und Soldaten als „privat“ wird zwar von den Guidelines explizit gefordert, führt jedoch zu Problemen: So ist niemand vorhanden, der für die Inhalte der #SocialMediaDivision offiziell verantwortlich ist. Niemand betreibt Community Management, niemand kommentiert, niemand moderiert, reguliert – niemand führt.
Das rächt sich in der Causa Bohnert doppelt. Die #SocialMediaDivision zeigt sich empört über die Vorwürfe gegen ihren offiziellen-inoffiziellen Chef. Schnell quellen die Kommentarspalten vor Solidaritätsbekundungen über. Viele Angehörige der #SocialMediaDivision rufen selbst zur vorbehaltslosen Solidarität auf. Nicht wenige Kommentatoren vergreifen sich dabei im Ton. So wird gegen die Medien genauso gewettert wie gegen das Verteidigungsministerium, dass Bohnert in den Augen vieler Beobachter fallen gelassen hat. Der Betreiber dieses Blogs schreibt dazu treffend: „Die #SocialMediaDivision marschiert gegen den Bendlerblock“.
Diesem Shitstorm stellt sich von offizieller Seite niemand entgegen. Bohnert selbst zeigt keinerlei Ambitionen auf die Kommentare zu antworten und zur Mäßigung aufzurufen. Seine teilweise sehr reichweitenstarken Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter posten zwar keine Inhalte gegen Ministerium und Presse, veröffentlichen aber Solidaritätsbekundungen unter dem Hashtag #SocialMediaDivision4Bohnert. Dann verschlimmern sie die Sache zusätzlich und verwenden einen offiziellen Bundeswehr-Account – @BundeswehrKarriere – um ihre eigenen Solidaritäts-Postings mit „like“ zu markieren.
Von einem erfahrenen Offizier wie Oberstleutnant Bohnert hätte man erwarten können, dass er in dieser Situation führt und sich vor sein Team stellt. Stattdessen vergisst er seine eigenen Guidelines. Dort steht: „Trotz aller Umsicht passieren Fehler und manchmal gehen Dinge schief. Dann gilt es Gefahren und Schäden für sich und andere einzugrenzen.“ Leider wird er diesem Anspruch nicht gerecht. Im Interview mit dem Spiegel gibt Bohnert kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe an: „Ich war hier kein gutes Vorbild für andere Soldaten, die in den sozialen Netzwerken aktiv sind.“ Dabei bezieht er sich auf die zwei Likes, die Auslöser der Affäre wurden. Sein Verhalten im Laufe der Affäre scheint er unkritisch zu sehen. So dauert es knapp 36 Stunden bis Bohnert auf Instagram zur Mäßigung gegenüber der Presse aufruft: „hört auf, Journalisten persönlich anzugreifen.“ Aber da ist der Schaden längst angerichtet.
Bei aller Kritik ist das Verhalten Bohnert‘s, seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Angehörigen der #SocialMediaDivision menschlich absolut nachvollziehbar. Doch auch das BMVg trägt durch Fehler zum eigenen Schaden bei. Durch die große Freiheit welche die Social-Media-Guidelines gewähren, war ein Fall wie die Causa Bohnert absolut vorhersehbar. Früher oder später musste er eintreten – überraschend war nur der Hauptakteur. So muss man fragen, warum es seitens des BMVg keine geplante Krisenkommunikation gab? Keine Talking-Points, kein Krisenprotokoll das wenigstens ermöglicht hätte den Schaden einzugrenzen? Mit seiner forschen Reaktion und dem Kleinreden der Rolle von Oberstleutnant Bohnert bricht das Verteidigungsministerium sein vielleicht wichtigstes Versprechen der Social-Media-Guidelines: Sicherheit. Für den Fall, dass etwas schiefgeht steht dort: „Wenden Sie sich zunächst vertrauensvoll und ehrlich an Ihre Vorgesetzten. Sie werden mit Problemen nicht alleingelassen.“ Jetzt stellen sich die Soldatinnen und Soldaten berechtigterweise die Frage: Warum für jemanden werben, der einen im Zweifel fallen lässt?
All das zeigt: Es braucht dringend eine Überarbeitung der Social-Media-Guidelines. Will man die Strategie der Corporate Influencer fortsetzen, muss das Sicherheits-Versprechen gegenüber allen Beteiligten erneuert werden. Im Vergleich zu anderen Nationen bieten die deutschen Social-Media-Guidelines eine fast beispiellose Freiheit. Das spiegelt nicht nur die Innere Führung, es ermöglicht auch Kreativität und bietet Raum für Eigeninitiative. Ziel einer Überarbeitung muss es sein, Verbesserungen in den Bereichen Sicherheit und Führung, bei gleichem (kreativem) Freiraum zu bieten.
Einen gangbaren Weg zeigen die USA, Israel und Großbritannien. Sie statten Kommandeure und Einheiten mit offiziellen Accounts aus, die klaren Verhaltensregeln unterliegen. Diese bilden eine „digitale Heimat“ für ihre Angehörigen, führen durch Vorbild und betreiben das Community Management. Durch ihre direkte Einbindung sind ihre Moderatoren auch in der Lage, Ziele im Sinne einer digitalen Auftragstaktik vorzugeben und offline schlichtend das Gespräch zu suchen, wo es nötig wird. Als Minimallösung müsste die #SocialMediaDivision mit wenigstens einem offiziellen Account versehen sein oder die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Presse-Info-Stabes 3 mit solchen ausstatten.
Weiterhin wäre die Einführung eines Anreizsystems denkbar, um positive und kreative Beiträge der Soldatinnen und Soldaten zu fördern, ohne auf ihren privaten Accounts in ihre Freiheiten einzugreifen. So sollten die offiziellen Accounts gute Inhalte belohnen: Beispielsweise mit „Likes“, lobenden Kommentaren und „Shares“ auf offiziellen Kanälen. Inhalte, die diese Standards nicht erfüllen werden ignoriert, während schädigende Inhalte moderiert und offline angesprochen werden. So wird niemand eingeschränkt, während Kreativität und Eigeninitiative belohnt werden. Vorschriften hat die Bundeswehr wahrlich genug – Zeit etwas Neues zu probieren.
Voraussetzung für diese (digitale) Freiheit ist die Sicherheit. Die sozialen Medien bergen besonders in militärischen Bereich Gefahren. Würden wir unsere Soldatinnen und Soldaten unausgebildet in den Einsatz schicken? Nein. Warum machen wir es dann im Digitalen? Es wird Zeit, die Soldatinnen und Soldaten im sicheren Umgang mit Social Media und ihrem strategischen Kontext auszubilden. Nach der Ausbildung könnte die Uniformtrageerlaubnis (UTE) der Reserve als Vorbild für eine digitale UTE für alle Soldatinnen und Soldaten dienen. Die bisher vorherrschende Blauäugigkeit und die Leichtigkeit mit der sich die #SocialMediaDivision in der Causa Bohnert „triggern“ ließ, wurden außerhalb der uns wohl gesonnenen Staaten sicherlich bemerkt – ein Gedanke der uns erschaudern lassen sollte und uns anspornen muss, Vorsorge zu betreiben.
Mit den neuen Social-Media-Guidelines und der #SocialMediaDivision ist die Bundeswehr offener, transparenter und selbstbewusster geworden. Jahrelang haben die Streitkräfte nach Aufmerksamkeit gerufen. Jetzt schaut die (digitale) Öffentlichkeit auf sie. Und die hat gewisse Ansprüche. Das sollte uns nicht aufregen, sondern muss als Chance begriffen werden. Die Lehre aus der Causa Bohnert ist also nicht die digitale Wagenburg, nicht dass keine Fehler passieren dürfen oder dass sich die Streitkräfte aus den sozialen Medien zurückziehen sollten. Die Lehre ist, dass wir besser werden müssen: selbstkritischer, reflektierter, achtsamer, mutiger. Wir brauchen ein Update – Wir brauchen die #SocialMediaDivision 2.0.
*Paul C. Strobel hat politische Kommunikation an der London School of Economics (LSE) studiert. Er arbeitet als Leiter der Social-Media-Abteilung einer wirtschaftspolitischen Kampagnenorganisation in Berlin und ist Reserveoffizieranwärter der Bundeswehr. Er twittert unter: @PaulStrobel
Eine ausgewogene Analyse. Es scheint ein bisschen, als hätte man sich bei höherer Stelle völlig auf Bohnert und sein Team verlassen, die von ihm erzeugte Popularität gerne konsumiert, sich mit der in den SocialmediaGuidelines aber vollmundig versprochenen Fürsorgepflicht postender Soldaten überhaupt nicht ernsthaft auseinandergesetzt. Oder man hat diese Verantwortung auch noch Bohnert zugeschrieben und meint nun, wo man ihn suspendiert hat nicht mehr zuständig zu sein.
Offizielle moderierte Accounts sind ja für die Landeskommandos schon online und übten die Moderatorenfunktion auch schon vor Erscheinen der Guidelines.
Ich habe das selber beim Bloggen über meine Grundausbildung für Ungediente so erlebt, dass ich schon bei der Auftaktveranstaltung Kontakt zum Presseoffizier des LKdo aufnahm und mir sein grundsätzliches Ok für das Bloggen auf meinem privaten Account holte und danach Postings immer bei ihm einreichte und sie offiziell abgesegnet bekam. So postet man dann mit viel besserem Gewissen und ist vor den größten Dummheiten erstmal gefeit.
„Würden wir unsere Soldatinnen und Soldaten unausgebildet in den Einsatz schicken? Nein. Warum machen wir es dann im Digitalen? Es wird Zeit, die Soldatinnen und Soldaten im sicheren Umgang mit Social Media und ihrem strategischen Kontext auszubilden.“
Dazu gehört auch politische Bildung. Von Soldaten erwarte ich nämlich dass sie die Aufgaben der vierten Gewalt kennen, verstehen und verteidigen, statt die anzugreifen. Denn das:
„Bohnert auf Instagram zur Mäßigung gegenüber der Presse aufruft: „hört auf, Journalisten persönlich anzugreifen.“ Aber da ist der Schaden längst angerichtet.“
zeigt ganz eindeutig dass diese einzelnen Soldaten das Grundgesetz, welches sie verteidigen sollen, entweder missachten oder nicht verstanden haben.