Lesen!

Zwei sehr lesenswerte Bücher zum Thema Afghanistan sind in den vergangenen drei Monaten erschienen. Sie vermitteln einen ziemlich unmittelbaren Einblick in einen Konflikt – oder besser Krieg – der die sicherheitspolitische Diskussion in den kommenden Jahren mitbestimmen wird – insbesondere wenn man sie quasi zusammen liest. „Geliebtes, dunkles Land“ von Susanne Koelbl und Olaf Ihlau bietet den analytische Blick professioneller Berichterstatter auf ein Land, das schon seit Jahrhunderten gleichermaßen Spielball wie Akteur in einer Vielzahl von Konflikten ist – und dessen Geschichte auch eine spezifisch deutsche Komponente hat. Den beiden SPIEGEL-Autoren ist ein echtes Reporterbuch gelungen. Es verbindet auf einzigartige Weise, die große und bisweilen sehr abstrakte politische Diskussion mit den Lebensläufen und Schicksalen unterschiedlichster Menschen. Wer wissen will, warum Hamid Karzai, der in den westlichen Medien gerne als politische Variante von George Clooney dargestellt wird, weitaus mehr mit Afghanistan verbindet als seine traditionelle – und ach so schicke – Kopfbedeckung (Kola-i-Pusta, eine Mütze aus Karakulfell) oder warum das vordringliche Problem Afghanistans – leider – nicht die Frauenrechte sind, wird hier ebenso fündig, wie diejenigen, die sich fragen, warum deutsche Soldaten unsere Freiheit auch am Hindukusch verteidigen können (aber nicht müssen!).

Besonders erfreulich ist, dass sich Koelbl und Ihlau dabei nicht nur auf das bereits bekannte Personal der „Afghanistan-Soap“ der Regel-Berichterstattung verlassen, sondern überraschend neue Eindrücke vermitteln. Außerdem verzichten sie dankenswerter Weise auf dramatische Appelle, sondern schließen ihr Buch mit einer klugen, realpolitischen Analyse, deren Aufgeklärtheit den Handlungsbedarf umso deutlicher macht. Im Kern wird nämlich deutlich, dass die westliche Staatengemeinschaft in den vergangenen sechs Jahren konsequent die enormen Chancen für den Wiederaufbau verstreichen ließ und nicht mehr getan hat, als absolut nötig, um eine allenfalls symbolisch wirksame Politik zu betreiben.

Zu den wichtigsten Trägern dieser Politik gehörten und gehören die Soldatinnen und Soldaten des deutschen ISAF-Kontingents. Einen sehr authentischen Einblick in das, was dieser Einsatz in einem Menschen auslösen und verändern kann, bietet Boris Barschow in seinem Buch „Kabul, ich komme wieder.“ Der Reporter des ZDF heute-journals hat die Seiten gewechselt und ist als Soldat der Truppe für Operative Information mit der Bundeswehr in den Einsatz gegangen. Auch das Versprechen im Titel seines Buches hat er wahrgemacht. Mittlerweile ist er bereits das zweite Mal in Afghanistan. (Eindrücke von diesem zweiten Einsatz vermittelt u.a. sein Blog bei Phoenix).

Im Unterschied zum professionell-distanzierten Stil von Koelbl und Ihlau, setzt Boris Barschow konsequent auf Nähe und persönliche Betroffenheit. Was sein Buch für mich so lesenswert macht ist deshalb weniger die journalistisch-schriftstellerische Qualität – insbesondere in den letzten Kapiteln hätte ein präziseres Lektorat geholfen, Redundanzen zu vermeiden – als vielmehr die sehr offene Beschreibung, wie der Journalist Barschow zum Soldaten wird. Dieser Prozess, der sich bei ihm in relativ kurzer Zeit vollzieht, ist für Zeit- und Berufssoldaten ein wesentliches Element des beruflichen Selbstverständnis, das sich in der Regel durch eine langjährige Ausbildung entwickelt. Gleichzeitig wird in den Erzählungen deutlich, wie Barschow durch seine Beteiligung am Afghanistan-Konflikt die Neutralität des Berichterstatters aufgibt und er sich immer mehr dazu verpflichtet fühlt, zu intervenieren. Wegen dieses Rollenwechsels überrascht es auch nicht, dass Barschow beschreibt, dass ZDF-Kollegen ihm nun distanzierter gegenüberstehen. Für den fachlich interessierten Leser wird genau hier die Grenze zwischen Medien und Militär deutlich, alle anderen gewinnen einen überzeugenden Eindruck davon, was es bedeutet, im Einsatz zu sein, weshlab es auch nicht verwunderlich ist, dass Barschows Buch insbesondere bei aktiven und ehemaligen Militärs so positiv aufgenommen wird.

Mit Blick auf das Buch von Koelbl und Ihlau ist dem Urteil von Egon Bahr kaum etwas hinzuzufügen: „Pflichtlektüre für die Mitglieder des Deutschen Bundestags, die Bundeswehr und alle, die miteintscheiden, wohin der deutsche Einsatz in diesem Land führen soll und führen kann.“ Und weil es notwendig ist, diese sicherheitspolitische Perspektive um weitgehend ungefilterte Berichte von Soldatinnen und Soldaten zu ergänzen, sei diesen Entscheidern neben den offiziellen Lageberichten auch das Buch von Barschow ans Herz gelegt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.