Gastbeitrag: Ein schweres Los mit unserer Verfassung ?

Zur Debatte um die zukünftige Ausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik hat sich Larsen Kempf, studierender Offizier an der Universität der Bundeswehr München Gedanken gemacht, die ich am letzten Tag des Jahres 2012 als Herausgeber hier zur Diskussion stellen möchte.

Ein schweres Los mit unserer Verfassung ?

von Larsen Kempf

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland kommuniziert (in seiner Präambel und den nachfolgenden Verfassungsnormen) vor allem eins: Dienst am Frieden oder anders: Nie wieder Krieg von deutschem Boden. Diese nach Innen und Außen gerichtete Stellungnahme artikuliert die deutsche Verfassung einmal vor dem Hintergrund des monumentalen Scheiterns der nationalsozialistischen Kriegsführung sowie unter dem Eindruck des bei der Verabschiedung noch geltenden Besatzungsrechts. Die Aufstellung der deutschen Streitkräfte erfolgte, 1968 nachträglich durch Aufnahme von Art. 87a GG verfassungsrechtlich präzisiert, folgerichtig zur ausnahmslosen Verteidigung des Staates.

In den Diskussionen zur Sicherheitspolitik, wie sie Politiker, Wissenschaftler und Journalisten allenthalben an verschiedenen Orten führen, wird nicht selten vergessen, dass diese Positionierung eine Strategieentscheidung mit Grundsatzcharakter darstellt, welche die Binnenstruktur der Bundeswehr selbst betrifft. Nun ist zwar das einzelne Kriegsgerät nur selten an die Strategiealternative zwischen Defensiv- und Offensiv-Armee gebunden; wohl aber deren strukturelle Zusammenführung und Bündelung zu operativen Einheiten. Nach den inhaltlichen Vorgaben der Verfassung dürften letztere ausschließlich abwehrenden Charakter tragen und nicht immer mag eine legitimatorische Umdeutung von offensiven zu defensiven Militärstrukturen bruchlos gelingen.

Das ist kein bloßes akademisch-terminologisches Glasperlenspiel, sondern tangiert die Auslandseinsätze und den gegenwärtigen Transformationsprozess der Bundeswehr in einem stärkeren Ausmaß, als gemeinhin angenommen. Der rechtfertigende (affektive) Verweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr greift dabei zu kurz. Zwar sicherten die Richter der Exekutive die Handlungsoption, bestehende (!) Kräfte der Bundeswehr in Systemen kollektiver Sicherheit im Ausland zu verwenden. Doch die Entscheidung betraf nur die Verwendung, nicht aber deren „strategische“ Aufstellung, die nach wie vor unter dem genannten verfassungsrechtlichen Vorbehalt defensiver Konzeption steht.

Und mit diesem normierenden Vorbehalt steht die zweifache Crux der (gegenwärtigen) deutschen Sicherheitspolitik:

(1.) Sie bewegt sich bereits mit der Frage nach der konzeptionell notwendigen Struktur einer schlagfertigen Operationsarmee, trotz der verfassungsrechtlichen Legitimität von Auslandseinsätzen, schnell außerhalb der vom Grundgesetz geforderten strategischen Entscheidung. Das mag man bedauern, bildet aber den derzeitigen (d.h. durchaus änderbaren) Verfassungswillen ab. Eine Transformation zur offensive(re)n Ausrichtung der Streitkräfte gestattet die Verfassung indes nur bedingt.

(2.) Sie kann nicht einfachhin entweder den Sicherheitsbegriff (bspw. „ganzheitlicher sicherheitspolitischer Ansatz“) oder den Interessensbegriff korrigieren und neu konzeptualisieren. Auch hier: Beide Argumentationsstrategien zielen (mit jeweils durchaus berechtigten Motiven) auf die Ermöglichung eines breiteren Einsatzspektrums, den die Verfassung jedoch schlechterdings nicht hergibt – von etwaigen völkerrechtlichen Schwierigkeiten ganz abgesehen.

Schließlich droht die aktuelle Transformation der Bundeswehr an ihrem obersten Strukturauftrag (zugleich der sie legitimierende Grund), an dem die Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011 genauso wie das Weißbuch 2006 festhalten, vorbei zu laufen. Richtigerweise entband das Bundesverwaltungsgericht 2005 den Verteidigungsbegriff von seinen bis dahin geltenden territorialen Grenzen. Gleichwohl wirkt das hier schnell gebrauchte Argumentationsmuster, Operationen im Ausland dienten letztlich der Verteidigung bundesdeutscher Integrität, vergleichsweise billig. Es leugnet – auf einer Ebene mit der Verwischung von Präventivschlag/Angriff und Verteidigung! – die strategische Differenz zwischen offensiv und defensiv aufgestelltem Militär, wie sie auch das Völkerrecht formuliert.

Zur Beseitigung all dieser hier nur skizzierbaren Missstände bedürfte es daher nach wie vor einer Verfassungsänderung, die anstelle des drohenden Verfassungsbruchs eine stabile Handlungsgrundlage für die Einsätze schaffte. Erst diese erlaubte eine sinnhafte strategische Neuausrichtung der Streitkräfte, wie sie mit dem Transformationsprozess vor vielen Jahren begonnen wurde, und hielte darüber hinaus die politische Verantwortung gegenüber den Soldaten ein. Gegenwärtig jedenfalls begrenzt die verfassungsmäßig gebotene defensive Ausrichtung die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr im Ausland – was zwangsläufig die Frage ihrer Geeignetheit aufwirft.

Vor aller Diskussion über weitere Einsätze der Bundeswehr im Ausland oder über die Frage, inwiefern die sicherheitspolitische Kommunikation mit der Praxis in Einklang zu bringen sei: wäre es folglich nicht erst einmal darum zu tun, die Stellungnahme der Verfassung zu würdigen? Das aber schlösse eine neue Debatte darüber ein, ob die „generelle“ Ermächtigung zu Auslandseinsätzen, wie sie von der höchstrichterlichen Spruchpraxis getragen wird, genügen kann, der deutschen Einbindung in komplexen, multinationalen Gefährdungslagen gerecht zu werden.

2 Gedanken zu „Gastbeitrag: Ein schweres Los mit unserer Verfassung ?

  1. Schön, dass auch mal selbstkritisch/reflektierendes zwischen der ganzen unkritischen Bundeswehr-Jubelpropaganda hier auf „Bendler-Blog“ zu lesen ist.

    Zwischen all den Krieg- und gewaltverherrlichenden Bundeswehr-Werbefilmchen erscheint hier nun auch mal was zum drüber nachdenken.

    Das die „Väter des Grundgesetzes“ bzw. die Gründer der Bundeswehr noch unter dem direkten Eindruck des gerade erlebten Weltkrieges eine entsprechend höhere Sensibilität für das Thema Bundeswehr im Kriegseinsatz (damals mit dem Ziel Landesverteidigung) als die derzeitige Berliner Politik hatte, ist glaube ich, jedem Bürger mit absolvierter der Mittelstufe klar.

    Leider ist im Rahmen der neuen „Berliner Republik“ nun der gesamte Sicherheitsapparat (innen wie außen) der ehemaligen Bundesrepublik in Verruf geraten (siehe auch die Vorgänge im Verfassungsschutz/Aktenvernichtungsapparat bez. der massiv behinderten NSU Aufklärung, etc.).
    Charaktere wie der ehemalige Verteidigungsminister von und zu Guttenberg, seine personality-Show in Afghanistan und der erwartungsgemäße Absturz nach der Lügengeschichte um seine Karriere, halfen sicherlich auch nicht weiter.

    Ich denke es liegt vor allem daran, dass man sich einerseits in der Politik auf ideologische (nicht pragmatisch) Art und Weise mit dem Thema befasst und so eher nicht voran kommt.
    Aber auch in den Institutionen selbst (Bundeswehr, Polizei, Verfassungsschutz und was es noch so gibt) verweigert man sich seit mittlerweile ca. anderthalb Jahrzehnten sowohl dem Wandel der Gesellschaft als auch dem Wandel in der Welt. Der anstehende Strukturwandel -in der Industrie in den Neunzigern längst vollzogen- wird bspw. in der Bundeswehr ja strikt verweigert.
    Immer noch scheinen die oberen -gut abgesicherten- Chargen im Kalten Krieg zu leben.

    Moderne Führung die auf Kooperation, Entscheidungsbefähigung, Kompetenz und Bildung aufbaut wird effizient unterbunden und mit der Abschiebung von Verantwortung auf niedrigere Ränge nur vorübergehend und scheinbar kompensiert.
    Letztlich sind die eben beschriebenen, die Mechanismen der alten Welt.
    In einer globalisierten Welt kann man halt nicht einfach nur „immer weiter so“ verfahren.

    Wenn die Sicherheitsrelevanten Institutionen auf Dauer bestehen wollen, müssen sie sich permanent den neuen Anforderungen anpassen. Ideologisches blockieren führt entsprechend zu negativen Schlagzeilen von denen es in Sachen deutscher Sicherheitsapparat ja reichlich gibt (sei es die Veröffentlichung von Vergewaltigungsübungen im Wald am Rande von Maneuvern, symptomatische Drangsalierung rangniedriger SoldatInnen, praktizierter Rassismus, Leichenschändung im Auslandseinsatz und andere derartige „Praktiken der Soldaten“ die anscheinend eben auch dazu gehören).

    Gleich wieder nach Verfassungsänderung zu rufen, halte ich für den falschen Weg. Zu erst muss die Institution „aufgeräumt“ werden.
    Die Politik entscheidet schon jetzt kaum noch wie vorgesehen im gewählten Parlament sondern lässt immer mehr vom Verfassungsgericht entscheiden.
    Genau diese Praxis unterhöhlt ja gerade das Vertrauen und die Verbundenheit großer Teile der Bevölkerung in Rechtsstaat und Demokratie (und letztlich eben auch die Bundeswehr).

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