Shock and Awe in Blogistan

Fast könnte man meinen, dass das „Ausstiegsprogramm für gemäßigte Blogger“ zumindest unter den sicherheitspolitisch orientierten Webautoren greift. Der Tod von Michael Forster, der die meines Erachtens inhaltlich umfassendsten Beiträge und viele wirkliche Nachrichten im Sinne von „News is what someone wants to suppress. Everything else is advertising“ (zugeschrieben: Rubin Frank, NBC) lieferte, ist dabei sicher der schwerste Schlag (der menschliche Verlust für seine Angehörigen und Freunde lässt sich nicht ermessen). Nun hat auch der im Umfeld der klassischen Medien aktivste Blogger, Focus-Redakteur Thomas Wiegold, sein Blog „Augen Geradeaus“ eingestellt. Über die Gründe wird – u.a. in den Kommentaren – vielfältig spekuliert (wobei bemerkenswert ist, dass der Focus das Format Blog fast gänzlich abgeschafft hat).

Doch während mancher schon befürchtet, Aliens seien dafür verantwortlich, regt sich bereits Widerstand. So schreibt beispielsweise Professor Martin Löffelholz von der TU Ilmenau an den Noch-Chefredakteur des Focus, Helmut Markwort, und seinen Co, Uli Baur:

„Sehr geehrter Herr Markwort, sehr geehrter Herr Baur,

in der zwar kleinen, aber zunehmend aktiven sicherheitspolitischen Community in Deutschland gibt es seit gestern erhebliche Unruhe, weil Ihr Redakteur Thomas Wiegold seinen Blog zur Sicherheitspolitik (bei Focus online) ohne Angabe von Gründen eingestellt hat.

Als Spezialist für Fragen sicherheitspolitischer Kommunikation habe ich den Blog von Herrn Wiegold als enorme Bereicherung schätzen gelernt. Daher bitte ich Sie um Auskunft, ob der Blog dauerhaft eingestellt wird bzw. wann damit zu rechnen ist, dass Focus diesen äußerst erfolgreichen und wichtigen Blog wieder aktiviert.

Ich wende mich an Sie, weil Herr Wiegold leider keinerlei Gründe für diese plötzliche Verabschiedung angegeben hat. Der zunächst von mir angeschriebene Chefredakteur von Focus online, Jochen Wegner, hat mich an Sie verwiesen, da Herr Wiegold primär für die Printausgabe tätig sei.

In jedem Fall würde ich mich freuen, wenn Ihre Redaktion weiterhin entsprechende Themen aufgreift. Denn leider gibt es in Deutschland nur wenige Journalisten, die sich so lange und so fundiert wie Herr Wiegold mit Fragen der Sicherheits-/Verteidigungspolitik beschäftigen.“

Wir sind gespannt, ob eine und welche Reaktion auf diese Intervention folgt. Außerdem hat sich angesichts der Dezimierung der bereits oben kurz erwähnte Alien-Freund entschlossen, die von Thomas Wiegold begonnene Order of Battle für die Anti-Piraten-Missionen am Horn von Afrika fortzuführen. Stephan Löwenstein von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat gelobt, die Schlagzahl zu erhöhen. Aus der Anonymität heraus, hat Securityfreak einige lesenswerte Texte verfasst. Und unter Klarnamen schreibt Ralf Zielonka zum Themenbereich. Das zeigt, dass im Long Tail Bewegung in der Community ist. So erfreulich das ist, dem Tail fehlen als Teeth Leitmedien wie Geopowers und Augen Geradeaus/Focus, und weil auch im Umfeld der tatsächlichen und selbst ernannten Think Tanks bislang keine Initiative zu erkennen ist, muss man die Existenz einer Strategic Community in Deutschland erneut in Frage stellen. Aber vielleicht brauchen wir die auch nicht, so lange Guido und Günther der Welt nachhaltig vermitteln, dass sie vor Deutschland wirklich keine Angst mehr haben muss.

19 Gedanken zu „Shock and Awe in Blogistan

  1. dankenswerte Initiative an den Focus.
    Ich schließe mich an und denke mal, dass „wir“, die user der augen gerade aus gerichteten interessierten community Interese daran zeigen wird, wie „wir“ über diese seite auf dem Laufenden gehalten werden.
    Nochmals, Dank im Interesse der Community

  2. Mich umtreibt ja schön länger das Bedürfnis, einige Gedanken zur deutschen Sicherheitspolitik aufzuschreiben. Ob man das nun Bloggen nennen will, weiß ich nicht. Jedenfalls kann ich mich selbst ehrlicherweise nicht zu mehr als dem Long Tail zählen, weshalb es bei einem kleinen Gastbeitrag für Geopowers und dem gelegentlichen, ausführlicherem Kommentar geblieben ist. Dann ist da noch das Problem mit der Zeit …

    Was wirklich fehlt, ist eine Offensive von den Universitäten und den Think Tanks. Initiativen von Journalisten kann man größtenteils (zumindest bisher noch) vergessen, vom BMVg kommt nix, Soldaten selber dürfen nicht (oder es ist verpönt?) und bei Privatleuten ist oft verständlicherweise sehr schnell die Luft raus (mit einigen Ausnahmen wie Defence & Freedom, wobei ich nicht weiß, was der Herr Ortmann hauptberuflich macht). Bleibt eigentlich nur der Blick in die USA und Großbritannien. Aber auf so einer Grundlage sind wir auch weiterhin nur Mitläufer und keine Strategen.

  3. Meine Rangfolge der beendeten Blogs:
    – Geopowers: Eine Institution. Er hat wirklich recherchiert und stand mit seinem Name für die Qualität seiner Beiträge ein.
    – Augen Geradeaus!: Hohe Qualität, kam aber dennoch nicht an den investigativen Wert von Geopowers heran.
    – Soldatenglück: Hier wurden fast nur Bilder und wortgleich übernommen Artikel anderer gepostet
    – Weblog Sicherheitspolitik: Ohne Impressum = unseriös.

  4. Der Weblog Sicherheitspolitik scheint hier ja nicht besonders beliebt zu sein. Ich fand die Seite aber sehr gut, sie hatten einen relativ einzigartigen Ansatz in der deutschen Blogosphäre und auch ein relativ hohes Niveau (trotz klarer Positionierung). Sollen sie doch anonym posten, bei dieser Thematik und dem sicherheitspolitischen Klima in Deutschland kann ich es ihnen nicht verdenken.

  5. @Benjamin
    Die Anonymität dieser Leute hatte ich zunächst für reine Wichtigtuerei gehalten („wir sind ja sooo geheim“). Unseriös fand ich es, dass aus dem Schutz der Anonymität teilweise im Vokabular des rechten Randes gegen „Linke“ und Muslime gehetzt wurde. Spätestens wenn von „Maßnahmen“ und „vernichten“ gesprochen wurde, wusste man, aus welcher Ecke diese Leute kamen.

  6. „Funkbefehl des A-Zugführers im Feldposten:
    Bei Kugelbaum fdl. PzZg im Antreten auf eigene Stellung.
    B und C noch in gedeckter Aufstellung
    Wir VERNICHTEN fdl. PzZg im Feuerüberfall!
    Zielverteilung von links! Fertigmeldung!“

    „3,2,1 Feuer!“

    „KpChef, hier ZgFhr A, 3 fdl KPz 2000 vor eigener Stellung VERNICHTET!“
    „ZgFhr A, hier KpChef, gut gemacht, Auftrag weiter fortsetzen! Ende!“

  7. „Maßnahmen“? Meine Güte! Letztens ist mir einer begegnet, der sprach sogar von „Handlungen“! Im Zusammenhang mit „Personen“! Man denke: „Personen“! Und „Handlungen“! Dagegen ist „Maßnahmen“ ja glatt harmlos. Das ist ja ein Nazisumpf, dieses Deutschland!

    Und gestern hat jemand das Wort „Wetter“ erwähnt. Ich bin jetzt total verunsichert. Ist das ein Nazi oder nur ein Faschist?

  8. Weiß denn nun jemand, warum der Blog von Herrn Wiegold eingestellt wurde bzw. ob es überhaupt endgültig ist? Wenn er ihn selbst eingestellt hätte, hätte er dann nicht einen kurzen Abschiedsgruß an die Lesergemeinde hinterlassen? Oder einen Hinweis ob und wohin er ggf. wechselt? Bin verwirrt. Hat jemand die Insider-Info?

  9. @ califax: Würde es Ihnen was ausmachen, das zu elaborieren? Ich bin so rückständig, dass ich nicht zwitschere, ich piepe noch nichtmal.

  10. Der blog „Weblog-Sicherheitspolitik“ hat sich jetzt wohl endgültig verabschiedet. Die Adresse kann man mittlerweile käuflich erwerben. Schade.
    Ja, ich bin indiskret und neugierig, hat jemand eine Ahnung, welchen Hintergrund der blogbetreiber hatte?

  11. @ Fragender

    Ich kenne den Hintergrund von Weblog-Sicherheitspolitik nicht, jedoch habe ich die persönliche Vermutung, dass sie im universitären Kreis bei einem sicherheitspolitischen Institut angesiedelt waren. Nachdem die zivilen Friedensforschungsinstitute alle pazifistisch angehaucht sind, kommt eine zivile Uni nicht in Frage, sondern meiner Meinung nach die Bw-Uni in Hamburg

    Sie hatten klares militärisches Fachwissen, verwendeten militärische Begriffe korrekt, aber hatten Probleme mit einem ethisch, weltanschaulich, konservativ und religiös bewerteten Menschenbild und einer daraus abgeleiteten Ethik.
    Meine persönliche Vermutung: Aufbaustudium Sicherheitspolitik in Hamburg nach einer Karriere als Zeitoffizier für 12 oder 13 Jahre mit einer vermutlichen Sozialisation in den östlichen (areligiösen) Bundesländern.

    Trotzdem habe ich auf dem Blog viel gelernt und mich fachlich gerne mit Ihnen in Teilbereichen, soweit ich fachlich mithalten konnte, auseinandergesetzt.

  12. @georg
    Ich bin dann mal etwas geschwätzig:
    Ja, auch mir hat weblog-sicherheitspolitik gut gefallen. Leider war eine Kontinuität dort nie vorhanden. Der Erstbetreiber war ein Herr Wunder, ein Akademiker der auch mal ein Buch über den Libanonkrieg veröffentlicht hat und wohl im Reservistenverband aktiv war. Dann verschwand der blog und wurde nach ein paar Monaten von anderen Betreibern neu aktiviert.
    Ich hatte den Eindruck, dass am Ende keine Gruppe sondern nur noch eine Einzelperson den blog betrieben hat und zum Schluss wohl einfach keine Zeit dafür hatte. (neuer Arbeitsplatz nach Studiumsende oder Ausscheiden aus der Bundeswehr?). Möglicherweise war oder ist der Betreiber auch im Reservistenverband, da gibt es eine Arbeitsgruppe Sicherheitspolitik o.ä.

  13. Es sind jetzt bald eineinhalb Wochen, seit der Augen Geradeaus-Blog eingestellt wurde, und es gibt immer noch keinen Kommentar und keine Erklärung vom Focus dazu. Man kann sich zwar seine Erklärungen zusammenreimen (wobei selbst dann immer noch nicht klar ist, ob es um schnöde ökonomische Gründe ging, oder ob jemandem die freie Meinungsäußerung nicht gepasst hat), aber befriedigend ist das nicht. Man kann nicht einfach einen Blog einstampfen, der eine Instanz geworden ist, ohne was dazu zu sagen und sich den Meinungen der Community zu stellen.

    Ich schlage deswegen vor, die Initiative von Prof. Löffelholz aufzugreifen und auch an den Focus zu schreiben (keine Ahnung, welche Adresse richtig ist; leserbriefe(at)focus-magazin.de, presse(at)focus-magazin.de, h.markwort(at)focus-magazin.de, u.baur(at)focus-magazin.de; am besten alle probieren). Keine Ahnung ob das hilft, aber es wäre wenigstens ein letztes Aufmucken. Ich hab hier mal den Text ein wenig angepasst:

    Sehr geehrter Herr Markwort, sehr geehrter Herr Baur,

    in der zwar kleinen, aber zunehmend aktiven sicherheitspolitischen Community in Deutschland gibt es seit gut einer Woche erhebliche Unruhe, weil Ihr Redakteur Thomas Wiegold seinen Blog zur Sicherheitspolitik (bei Focus online) ohne Angabe von Gründen eingestellt hat.

    Als Spezialist für Fragen sicherheitspolitischer Kommunikation haben wir, sicherheitspolitisch interessierte Laien und Fachleute gleichermaßen, den Blog von Herrn Wiegold als enorme Bereicherung schätzen gelernt. Daher bitten wir Sie um Auskunft, ob der Blog dauerhaft eingestellt wird bzw. wann damit zu rechnen ist, dass Focus diesen äußerst erfolgreichen und wichtigen Blog wieder aktiviert.

    Der Blog war/ist ein Element der in Deutschland noch jungen sicherheitspolitischen Diskurskultur, die sich zu wesentlichen Teilen in Blogs und Online-Foren manifestiert. Sollte von Seiten der Focus-Leitung eine Entscheidung gegen den Blog getroffen worden sein, bitten wir Sie, diese im Interesse der Meinungsfreiheit und der Transparenz in einem der Öffentlichkeit noch viel zu wenig zugänglichen Politikfeld noch einmal zu überdenken.

    mit freundlichen Grüßen

    PS: Wäre es möglich, die Diskussion um dieses Thema vielleicht noch einmal auf die Tagesordnung zu setzen? Mir geht dieses „Abgehakt und zurück zu Business as Usual“ viel zu schnell.

  14. @ Felix und an all die Anderen

    Stimmt, man geht viel zu schnell zur Tagesordnung über. Im politischen Berlin werden unangenehme Themen einfach totgeschwiegen. So geht es mit dem Thema Afghanistaneinsatz in der Kommunikation mit den Bürgern und so geht es mit Schließen des führenden sicherheitspolitischen Blogs in Deutschland.

    Herr Wiegold hat jetzt die Kommentarfunktion abgeschaltet und hat noch kurz angemerkt, dass er dazu nicht mehr sagen kann.

    Off topic
    Ich erinnere mich an eine Bemerkung des CDU-Abgeordneten Hohmann aus Hessen (war da mal was ? ). Er sagte sinngemäß Angela Merkel wollte ihn als direktgewählten Abgeordneten halten, dann rief die Leitung vom Springer Konzern bei Angela an und sagte sinngemäß Angela wirf ihn rauss, oder wir geben keine Ruhe in der Sache.
    Unabhängig von den damaligen Fall wirft dies einen Blick auf die Unabhängikeit von Politik und Presse. Ich fürchte hier haben wir auch so einen Fall der Unabhängigkeit der „vierten Gewalt“ und der Exekutive.
    / Off topic Ende

  15. @Fragender
    Um den Weblog Sicherheitspolitik ranken sich ja einige Gerüchte. Für mich war der Blog einer der interessanteren, weil er ohne Rücksicht auf politische Korrektheit Bewertungen vornahm, die selten ausgesprochen wurden, aber m.E. häufig zutrafen und auch von manchem Praktiker mehr oder weniger stillschweigend geteilt wurden.

    Ich habe den Blog einmal angeschrieben und erhielt Antwort von einem Herrn Schneider. Interessant: Die Antwort wurde über eine amerikanische IP-Adresse verschickt.

    Auffällig ist, dass der Blog nach dem Neustart 2009 sehr viel professioneller auftrat als in der ersten Version und exakt ein Jahr später wieder eingestellt wurde. Das deutet m.E. darauf hin, dass es irgendeine Übereinkunft über die Finanzierung gab, die nicht verlängert wurde.

    Jetzt kann man darüber spekulieren, wer ein Interesse daran hat bzw. hatte, die sicherheitspolitiische Diskussion in Deutschland in eine bestimmte Richtung zu bewegen. Vielleicht waren es auch nur unzufriedene Insider, denen ihre Aktivitäten zu heikel wurden. Wie auch immer: Mir fehlt der Blog.

    Der Securityfreak (http://securityfreak.posterous.com/) ähnelt im Ton und der Themenauswahl übrigens auffallend dem Weblog Sicherheitspolitik. Möglicherweise macht hier einer der Autoren alleine weiter?

  16. @Antwortender

    Ein Merkmal des weblog-Sicherheitspolitik war das Bemühen um Anonymität der Betreiber. Ich vermute dahinter weniger Sicherheitsbedenken der Betreiber sondern eher die Möglichkeit mal „frei von der Leber weg“ schreiben zu können, ohne dass gleich jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird.
    Möglicherweise ist der ehemalige Betreiber Mitglied einer politischen Partei oder Mitarbeiter eines Abgeordneten oder einer politischen Stiftung. In diesem Fall könnten ihm seine klugen, aber oft nicht „politisch korrekten“ Standpunkte bezüglich seiner beruflichen Karriere zum Nachteil gereichen.

    Dies spricht weniger gegen Herrn Schneider sondern gegen die nicht nur manchmal tabubehaftete Diskussionskultur in Deutschland was Sicherheitspolitik und Militär betrifft.

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