Endspiele und Wahlkämpfe

Erleben wir derzeit eine Militarisierung der Politik oder eine Politisierung des Militärs? Und was wäre der Unterschied? Unter anderem diese Fragen wirft ein Blick auf die aktuelle öffentliche Debatte zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr auf.

Relativ viel öffentliche Aufmerksamkeit fand in der vergangenen Woche ein Artikel des Spiegel über den abgebrochenen Einsatz der GSG 9 zur geplanten Befreiung des Frachters „Hansa Stavanger“ vor Somalia. Der Bericht war der Auftakt zu einer Debatte, in der einige Politiker ihr Kämpferherz entdeckten, und sich bar jeder Kenntnis in ihren Vorschlägen und Forderungen zu einem verstärkten Einsatz von Spezialkräften fast überboten. Hauke Friedrichs entlarvt diese Debatte in der Zeit als das, was sie ist: Populismus.

Aber es steckt mehr dahinter. In Zeiten allgemeiner Verunsicherung, scheint es, dass die Regel, dass in Deutschland mit dem Krieg keine Wahlen zu gewinnen, wohl aber zu verlieren sind, nicht mehr zu gelten. Ungewöhnlich offen berichtet das Verteidigungsministerium über einen erfolgreich genannten Einsatz des Kommandos Spezialkräfte (KSK). Dadurch offenbar ermuntert, möchte Verteidigungsminister Jung Kommandoeinheiten permanent auf Schiffen der Marine stationieren. Innenminister Schäuble unterstützt das Vorhaben, die Aufgabe der Piratenbekämpfung von der Bundespolizei zur Bundeswehr verlagern, und möchte mal wieder das Grundgesetz ändern. Diese Forderung – und das ist wirklich bemerkenswert – scheint auch die Bundeskanzlerin zu unterstützen. Das alles wirkt erstmal dynamisch, und der deutsche Stammtisch könnte darauf durchaus anspringen – wir können uns ja schließlich nicht alles gefallen lassen.

Auch die Kontrahenten in diesem ungleichen Kampf haben schon die Handschuhe ausgezogen. Nach Informationen der Taliban-Hotline an der Brandstwiete in Hamburg planen die afghanischen Kämpfer  angeblich eine massive Offensive. Deren Vorboten seien die beiden jüngsten Anschläge, denen angeblich eine neue Angriffstechnik zugrunde läge. Via BILD-Zeitung erklärt der verantwortliche Kommandeur, Brigadegeneral Jörg Vollmer, umgehend, dass die Bundeswehr bereit sei, diesen Kampf anzunehmen – so lange es nicht in den Süden des Landes gehe. Dort wiederum sollen unter anderem US-amerikanische Truppen dafür sorgen, dass die Bilanz des Afghanistan-Einsatzes dereinst nicht nur negativ sein wird.

Wie das gehen soll, erklärt wiederum General David Petraeus in einem bemerkenswerten Interview mit der Zeit. (Ein Gespräch, das im Übrigen zur Pflichtlektüre bei der Ausbildung deutscher Generale werden sollte, denn es offenbart gleichermaßen militärische Klugheit, diplomatisches Geschick und professionellen Umgang mit Medien. Männer und Frauen solchen Formats fehlen in der deutschen Debattenarena.)

Ein Ergebnis dieser medialen Offensive auf allen Seiten: Soviel Krieg war selten in der deutschen Presse in den vergangenen Jahren. Das wirklich Erstaunliche – das passiert alles ohne neue Begründung. Die bleibt die Politik weiterhin schuldig. Dieses Defizit wird besonders deutlich, wenn man sich ernsthaft mit den Argumenten gegen die Expeditionen der wetslichen Welt im Allgemeinen und die Auslandseinsätze der Bundeswehr im Besonderen beschäftigt, die unter anderem Jürgen Todenhöfer in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 3. Mai 2009 vorbringt (leider nicht online verfügbar). Todenhöfer macht einmal mehr deutlich, wie fundamental das Versagen der militärischen Interventionen bislang ist. Gleichzeitig liefert er damit eigentlich das beste Argument für veränderte Einsätze, denn um seine Vorstellungen von einer friedlichen Entwicklung im Irak und Afghanistan umzusetzen, ist ein sicheres Umfeld eine wesentliche Voraussetzung. Ebenfalls lesenswert sind die Gründe, die Wolram Weimer, Herausgeber des Magazins Cicero für einen raschen Abzug aus Afghanistan anführt.

Aber statt mutig den Weg zu einer veränderten Begründung und damit auch zu einer grundlegend neuen konzeptionellen Ausrichtung der Einsätze (und der Streitkräfte) den Weg zu bereiten, beschränken sich deutsche Politiker darauf, Piraten, die in Lumpen gekleidet den Golf von Aden unsicher machen und Krieger in Sandalen als Feindbilder aufzubauen und -bauschen. Bedenklich daran ist – es könnte klappen. Wobei wir bei der Ausgangsfrage angekommen wären. Während wir uns in Afghanistan vermutlich tatsächlich einem entscheidenden Endspiel nähern, scheint sich die Politik in Deutschland vor allem darum zu sorgen, welche militärische Karte sie spielen kann (und wie sie sie spielen kann), um den Wahlkampf zu gewinnen, und dass auch gerne auf Kosten der Soldatinnen und Soldaten, die dafür ihr Leben riskieren. Und das, ohne dass sich bislang eine ernstzunehmende Stimme aus Kreisen der Bundeswehr dabei zu Wort gemeldet hätte, um zumindest etwas militärischen Sachverstand in die Debatte einzubringen. Genau das würde nämlich den Unterschied zwischen einer Militarisierung der Politik oder eine Politisierung des Militärs markieren. So bleibt es auf absehbare Zeit bei Letzterem, was mancher sogar als zivilisatorischen Fortschritt sehen mag. De facto führt das in der deutschen Variante jedoch dazu, dass militärische Fähigkeiten systematisch nicht entwickelt werden.

3 Gedanken zu „Endspiele und Wahlkämpfe

  1. Irgendwie gefällt mir der Begriff deutscher Stammtisch nicht. Spricht etwas dagegen von Normalbürgern zu sprechen, zu denen ich mich auch zähle?

    Die von den Taliban jetzt im Norden angewandten Taktiken und Verfahren sind natürlich nicht neu. Unsere Verbündeten im Süden haben quasi täglich damit zu tun und diese entsprechend dokumentiert. Man kann sie sogar im Internet nachlesen. Sie unterscheiden sich nicht einmal, einschließlich der Örtlichkeiten, von denen aus der sowjetischen Besatzungszeit.

  2. Stammtisch war natürlich eine Metapher um den Populismus zu kennzeichnen, der hier für mich deutlich wird. Auf einmal hat die Politik im wahrsten Sinne des Wortes ein Feindbild, dass sie überhöhen kann: „Wir alle gegen Blackbeard!“ Das ist mir zu undifferenziert. Vor allem, wenn man folgenden Zahlen glauben darf, die ich in der Zeitschrift BrandEins gefunden habe:

    Von Piraten überfallene Schiffe im Jahr 2003: 445
    Von Piraten überfallene Schiffe im Jahr 2008: 293
    (http://www.brandeins.de/home/inhalt_detail.asp?id=2981&MenuID=8&MagID=113&sid=su2172414421604442&umenuid=1)

    Die Zahl mag 2009 gestiegen sein, vor allem sind wir betroffener, aber dennoch finde ich es unglaubwürdig, wenn die gleichen Politiker, die seit Jahren nicht in der Lage sind, der Bevölkerung zu erklären, warum wir uns in Afghanistan engagieren, auf einmal ihren bellizistischen Charakter entdecken. Darüber gilt es zu sprechen.

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