Recht, eigentümlich

Im November 2012 veröffentlichte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) rund 5.000 Seiten aus den sogenannten Unterrichtungen des Parlaments (UdP), mit denen das Bundesverteidigungsministerium den Verteidigungsausschuss des Bundestages über die Einsätze der Bundeswehr informiert. Die Dokumente umfassen den Zeitraum 2005 bis 2012. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Ein Ziel der Veröffentlichung war es, die Berichte durch „Crowdsourcing“, also die Mitarbeit vieler Helfer zu komplettieren und auszuwerten. Ein anderes, selbstverständlich nicht ausgesprochenes Ziel war die Selbstinszenierung des damaligen Leiters des Investigativressorts der WAZ, David Schraven, denn der Neuigkeitswert der UdP ist doch schon recht überschaubar, wie unter anderem Thomas Wiegold treffend festgestellt hat. Insgesamt scheint mir das Projekt im Sinne der eigentlichen Ziele auch gescheitert, denn seit der Erstveröffentlichung sind keinerlei neue Erkenntnisse entstanden. Auch ist es nicht wirklich gelungen, die „Crowd“ zu aktivieren.

Dessen ungeachtet hat das Verteidigungsministerium in einem Anfall von Kollerkommunikation die WAZ unter Verweis auf das Urheberrecht im April 2013 darauf verklagt, die Dokumente zu depuplizieren. Nun, rund 1 1/2 Jahre später liegt ein erstes, noch nicht rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Köln vor, dass dem Verteidigungsministerium Recht gibt und dem sich unter anderem Thomas Wiegold ausführlich widmet. In dem Urteil, das die UdPs unter den Schutz des Urheberrechtes stellen würde, heißt es unter anderem:

„Zwar werden in den UdP Fakten und tatsächliche Gegebenheiten wiedergegeben, so dass ein Schutz der inhaltlichen Informationen als Sprachwerk ausscheidet. Die Schutzfähigkeit der von der Klägerin in ihrem Antrag in Bezug genommende Texte ergibt sich aber nach den vorstehenden dargestellen Grundsätzen aus der Darstellungsform der Texte. (…) Die streitgegenständlichen UdP weisen nämlich einen hinreichenden Grad an geistiger Schöpfungshöhe auf. Wie die Beklagte selbst ausführt, folgen sämtliche UdP einem bestimmten Aufbau, wobei zunächst die politische Lage in dem jeweiligen Bundeswehreinsatzgebiet, sodann die Bedrohungslage und schließlich die Missionsbeteiligung der Bundeswehr dargestellt werden. (…) Die persönliche geistige Schöpfung ergibt sich dabei gerade aus der systematisierten und denknotwendig teilweise verkürzenden Aufbereitung der Sachinformationen, die einheitlich in allen UdP einem bestimmten Konzeptionsmuster folgt und auch visuell angepasst ist.“ 

Außerdem urteilte das Gericht, dass es der Arbeit der WAZ-Redaktion an „referierenden Ausführungen“ fehle, so dass die Veröffentlichung der Dokumente auch nicht als zulässiges Zitat gelten könne. „Das Wesen des Zitats ist dadurch gekennzeichnet, dass dem eigenen Werk erkennbar fremde Werke oder Werkteile hinzugefügt werden. Das Zitat darf demgegenüber nicht die Hauptsache des aufnehmenden Werkes darstellen. (…) Die Hinzufügung darf auch nicht allein zum Ziel haben, dem Endnutzer das übernommene Werk leichter zugänglich zu machen.“

Auf mich wirkt das anachronistisch. Obwohl ich das mit der Veröffentlichung verbundene Storytelling unangemessen finde, liegt meines Erachtens seitens der WAZ eine eigenständige journalistische Leistung vor, die durchaus als Blaupause für das Besondere des Online-Journalismus oder besser gesagt für Journalismus in Zeiten des Internets gelten kann. Konkret geht es mir darum, dass erst das Internet eine neue Form der Kontextualisierung von Dokumenten wie den UdP ermöglicht. Die durch die WAZ bereit gestellte Rahmung schafft zum Einen eine neue Perspektive auf den Textkorpus. Zum Anderen aber setzt diese Rahmung gleichzeitig voraus, dass der gesamte Korpus zugänglich sein muss. Auch, weil erst dadurch eine partizipative Nutzung auf Grundlage einer gemeinsamen Quellenbasis möglich ist. Insofern erscheint mir hier weniger die Auslegung des Gesetzes durch das Landgericht Köln das grundsätzliche Problem zu sein, als vielmehr das Urheberrecht selbst, das nach meinem juristischen Laienverstand beurteilt, diesen Fall gar nicht vorsieht.

Was meint Ihr?

Ein Gedanke zu „Recht, eigentümlich

  1. Ich habe einige Zeit über dieses Urteil nachgedacht und muss leider sagen, dass ich Dir hier widerspreche. Das Gericht (welches, das darf man nicht vergessen, sich nach der gängigen Definition im Zivilrecht richten muss) stellt zutreffend fest, dass solche Berichte geistige Schöpfungen sind. Diese Feststellung ist insbesondere deshalb wichtig, weil das editierende und aufbereitende Zusammentragen von Informationen für Entscheidungsträger eine mit Verantwortung und wissenschaftlichem Anspruch verbundene Aufgabe ist. Hier darf nicht der Damm gebrochen werden, solchen Dokumenten die Qualität als geistige Schöpfung abzuerkennen.
    In zweiter Linie aber, und hier ist der Gesetzgeber gefragt, sollten wissenschaftliche Ergebnisse von staatlichen Stellen grundsätzlich gemeinfrei sein. Dies ist aber eine Büchse, die viele Akteure in der Debatte sicher nicht öffnen wollen.
    Drittens, und das darf man nicht vergessen, wollte die WAZ hier privatwirtschaftlichen Profit aus der Arbeit von Regierungsmitarbeitern schlagen. So, wie die das damals ins Netz gestellt haben, hatte es keinerlei Eigenleistung außer der Erstellung der Seite gegeben. Ähnliche Debatten hatte man ja auch mit den Papieren des WD BTag.

    Im Ergebnis halte ich das Urteil für völlig angemessen, sehe aber eben dringenden Handlungsbedarf was das System angeht.

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