Wahrheiten und Gefühle

„Ich bin ziemlich sicher, dass ein wesentlicher Teil der Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes in Teilen der Bevölkerung darin begründet ist, dass die Menschen das Gefühl haben, ihnen ist nicht die Wahrheit gesagt worden.“

Es ist eine bemerkenswerte Einsicht, die Verteidigungsminister Thomas de Maizière, in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung mitteilt. Bemerkenswert unter anderem deshalb, weil eben dieser Umgang mit der Wahrheit, Gegenstand einer Untersuchung des Deutschen Rates für Public Relations (DRPR) war.

Konkret ging es dabei um die Kommunikationspolitik des Verteidigungsministeriums nach der Bombardierung zweier Tankstlaster in Kunduz. Der Vorwurf: Der ehemalige Sprecher des Ministeriums, Dr. Thomas Raabe,  habe „eigenmächtig, und ohne dies mit der militärischen Führung abzustimmen, die Linie vorgegeben, zivile Opfer auszuschließen, obwohl dem BMVg schon frühzeitig Hinweise auf solche vorgelegen hätten.“ (Zur Kenntnis: Die Untersuchung habe ich am 29. April 2010 – also vor fast 2 Jahren – mit einer Beschwerde beim DRPR ausgelöst. Einen Kommentar zur Frage von PR und Ethik hatte ich seinerzeit hier verfasst).

Nun also hat der Rat gesprochen. Der Spruch ist mir in der vergangenen Woche mit der Bitte zugegangen, ihn vertraulich zu behandeln, bis er in dieser Woche veröffentlicht werde. Dieser Bitte, und das habe ich dem Rat mitgeteilt, kann ich wegen der Relevanz, vor allem aber wegen der langen Laufzeit des Verfahrens nicht entsprechen, zumal der Ratsspruch bis heute immer noch nicht veröffentlicht wurde. Was also sagt der Rat?

„Der Rat hat nach eingehender Prüfung der Vorwürfe mehrheitlich die Einstellung des Verfahrens gegen Herrn Dr. Thomas Raabe und das Bundesministerium der Verteidigung, als für die Kommunikation verantwortliche Organisation, beschlossen. Der Rat ist zur Auffassung gelangt, dass auf Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden öffentlichen Quellen, wobei insbesondere der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses vom 25.10.11 zu nennen ist, die angezeigten Verstöße nicht zweifelsfrei belegbar sind.

Der Rat stellt in diesem Zusammenhang fest, dass sich das BMVg, welches Herrn Dr. Raabe für eine Befragung des Rats nicht von seiner Schweigepflicht entbinden wollte, nicht an der Aufklärung des Falls beteiligt hat und keine Stellung zu den Fragen des DRPR nehmen wollte.“

Das ist, und die Juristen unter den Lesern mögen mir die Floskel nicht allzu übel nehmen, allenfalls ein Freispruch zweiter Klasse. Das wird auch an einem Minderheitenvotum von fünf Ratsmitgliedern deutlich, dessen Veröffentlichung die Mitglieder des DRPR am 16. März zugestimmt haben. Es lautet:

„Fünf Ratsmitglieder sprachen sich entgegen der Mehrheit von zehn Ratsmitgliedern für eine Mahnung des BMVg aus. Zwar sei eine Irreführung der Öffentlichkeit tatsächlich nicht zweifelsfrei belegbar. Das Kommunikationsverhalten der Verantwortlichen im BMVg nach dem Militärschlag in Kunduz habe aber gezeigt, dass es im Bereich Kommunikation zum damaligen Zeitpunkt offenbar keinen Mechanismus gegeben habe, der dazu beigetragen hätte unterschiedliche, auch widersprüchliche Quellen über die Möglichkeit ziviler Opfer zusammenzutragen und bewerten zu können. Im Zweifel hätte der Hinweis an die Öffentlichkeit auf noch laufende Untersuchungen bzw. auf die Vorläufigkeit bestimmter Bewertungen genügt.“

Insgesamt bedeutet der Ratsspruch also zweierlei. Ein ehemaliges Mitglied des Präsidiums des Bundesverbandes deutscher Pressesprecher – einer der Trägerverbände des DRPR – kann nicht belegen, dass er im Einklang mit der – kontrovers diskutierten – Berufsethik gehandelt hat, der sich auch sein Verband verpflichtet fühlt (und übte stattdessen sein Ehrenamt im Verband weiter aus). Darüber hinaus weigert sich das Bundesverteidigungsministerium weiterhin an der Aufklärung des Falles mitzuwirken, und verpasst damit systematisch die Chance, einen anderen Umgang mit der Wahrheit zu finden, als in der Vergangenheit. Oder um es anders zu sagen: Das Ministerium lässt den Worten des Ministers de Maizière keine Taten folgen. Wundere sich einer über die Gefühle, die das bei Menschen auslöst.

6 Gedanken zu „Wahrheiten und Gefühle

  1. Leider ist das Verhalten des Ministeriums kein Einzelfall, sondern die Ministerien handeln ganz überwiegend so. das Familienministerium belügt seit 25 Jahren das Parlament, wenn es um das Thema Contergan geht. Eine Verantwortliche sagte dazu, sie sei ja weisungsgebunden !
    Ein Kern des Übels ist das Beamtenrecht.
    Gehorsam (also auch Lobbyismus) statt Wahrheit !
    Die Politiker wissen oft garnicht genau, was so in den Ministerien vorgeht….

  2. Das mit der Wahrheit – Jeder, der noch seine 5 Sinne beisammen hatte und ein einigermaßen funktionierendes Gedächtnis, hat sich damals gefragt, wie die Bundesregierung es im Verbund mit den Medien fertigbringt, Banditen, Warlords, die sich zuvor um Afghanistan untereinander schossen, die dann von den Taliban in die Berge vertrieben worden waren, als lupenreine Demokraten hinzustellen, denen nichts mehr am Herzen liegt, als in Ruhe Cola zu trinken, einen guten Film zu sehen und endlich die Frauen von der Burka zu befreien.

    Das mit den Tanklastern – geschenkt. Da war die größte Lügnerei sowieso schon über die Bühne gegangen, nämlich der Einsatzgrund.

  3. Die Irreführung findet auf allen Ebenen statt. Auch die interne Kommunikation war im Kunduz-Fall 2009 äußerst intransparent. Schon vor diesem Vorfall ließen verschiedene Führungsebenen gerne Informationen weg, die ihnen hätten schaden können. Obwohl es für mich in meiner damaligen Funktion sehr wichtig gewesen wäre zu wissen, was bei Kunduz wirklich geschah, erfuhr ich dies nur dank persönlicher Kontakte und nicht auf dem Dienstweg.
    Auch die militärische Führung in Deutschland dürfte nur über ein sehr eingeschränktes Lagebild verfügen. Was bei dort ankommt, ist so oft gefiltert worden, dass sie aus den Medien z.T. besser informiert wird.
    Die Kritik des Ministers empfinde ich als unaufrichtig. Es wäre auch seine Verantwortung, die von ihm angemahnte Wahrheit mitzuteilen.
    Was den Bundestag angeht, so behaupte ich, dass die Abgeordneten bzgl. Afghanistans mit Masse nicht wissen, worüber sie abstimmen. Ich habe mich mit einigen über das Thema unterhalten können, und der einzige, der einigermaßen Ahnung hatte, war ausgerechnet ein Grüner.

  4. Es fällt immer wieder auf, dass die Kommunikation über den Afghanistan-Einsatz grundsätzlich gestört ist. Die eine Seite ist die hier erwähnte Problematik der politischen Verwirrspiele, die in der Bevölkerung nicht gerade ein koherentes Bild vermittelt.

    Außerdem ist es bemerkenswert, wie sämtliche Medien sich stets auf die negativen Schlagzeilen stürzen und sie quasi zur Bestätigung der Vorurteile heranziehen, die so im Umlauf sind. Beispiel: Tagelang war der – selbstverständlich bedauerliche und durch nichts zu rechtfertigende – Amoklauf des amerikanischen Soldaten in den Medien. Völlig zu Recht wird natürlich eingehend über so etwas berichtet, das ist klar.

    Aber wenn vor einigen Tagen ein anderer amerikanischer Soldat sein eigenes Leben gibt, um ein afghanisches Mädchen zu retten, verlieren – zumindest die deutschen Medien – darüber kein Wort. Da muss man sich nicht darüber wundern, dass ein verzerrtes Bild in der Öffentlichkeit und die Propaganda der feindlichen Kräfte Hand in Hand gehen.

    Mir ist natürlich klar, dass negative und „große“ Schlagzeilen immer mehr Beachtung finden als positive Stories. Aber mich stört einfach, dass in der gesellschaftlichen Diskussion (so sie denn überhaupt geführt wird) nie das gesamte Bild betrachtet wird.

    Hier ein Link zu dem erwähnten Vorfall, bei dem der US-Soldat starb:

    http://www.huffingtonpost.com/2012/03/29/spc-dennis-weichel-afghanistan_n_1388153.html

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