Fortschreibung: Zeit für Appelle

Vorweg: Zunächst einmal freut es mich, dass mein Kommentar zu einer Diskussion über das Selbstverständnis der Bundeswehr und des Berufs des Offiziers auch als Denkanstoß gelesen wird, selbst bzw. gerade weil die Wirkung der von mir gewünschten Appelle angezweifelt wird. So schreibt ein Kommentator: „Ein Appell ist sinnlos so lange sich das deutsche Volk für sein Militär schämt und lieber undifferenzierten Aussagen aus den verschiedensten Lagern anhängt und öffentliche Gelöbnisse Polizeischutz bedürfen.“

Hier muss ich widersprechen. Ein solcher Appell wäre nicht sinnlos. Im Gegenteil: er könnte – abhängig vom Inhalt – dazu beitragen, die vermeintliche Scham bzw. das freundliche Desinteresse der Bevölkerung zu überwinden, die ja auch nur als abstrakte Figur besteht. Bei rund 70.000 Soldatinnen und Soldaten, die bislang bereits im Einsatz waren, kann man sich ausrechnen, dass ein großer Teil der Bevölkerung ein deutlich weitergehendes Interesse hat. Außerdem: in einer Zeit, in der Marketing- und Medienmanifeste und -deklarationen quasi en vogue sind und öffentlichen Widerhall finden, müssen sich die aktiven Soldaten und vor allem die Offiziere fragen lassen, ob sie nicht selbst ein freundliches Desinteresse gegenüber ihrem Beruf pflegen?

Verständlich ist in jedem Fall, dass in einer eher individualistisch geprägten Gesellschaft gewisse Vorbehalte gegenüber kollektiven Äußerungen bestehen. Und dass es nicht leicht ist, zwischen Pathos und Affirmation den richtigen Ton zu treffen, zeigt der Beitrag eines Hauptmann der Division Spezielle Operationen in der Zeitung „Die Welt“ unter der Überschrift „Offizier zu sein ist eine Lebenseinstellung“. Aber das sind keine Gründe, es nicht zu tun.

Was also könnte, was müsste ein solcher Appell leisten? Wie könnte er aufgebaut sein?

Ich bin überzeugt, dass ein Appell – abhängig von den Absendern – vor allem dazu beitragen kann, das Verhältnis und die Beziehung des Offiziers zu seinem Souverän, dem Volk, und zu seinem Auftraggeber, dem Parlament, zu klären. Genau an dieser Schnittstelle, also den Beschlüssen des Bundestages und der in Meinungsumfragen behaupteten Ablehnung des Afghanistaneinsatzes, herrscht ja eine Ernst zu nehmende Spannung. Ebenso könnte sich ein solcher Appell an weitere gesellschaftliche relevante Gruppen (Parteien, Kirchen, Gewerkschaften), aber auch die Wirtschaftsverbände richten.

Für den Aufbau ist durchaus vorstellbar, sich auf eine konsentierte „Lagefeststellung“ zu einigen, die politisch neutral die wesentlichen Aufgaben benennt, vor denen die Weltgemeinschaft steht. Diesem Bekenntnis zu gemeinsamen Zielen könnte dann eine Darstellung dessen folgen, was der Offizier als Soldat und Staatsbürger zur Bearbeitung dieser Aufgaben beitragen kann und will, wobei auch die Grenzen des Militärischen markiert werden können. An diese strategische Perspektive („Was ist zu tun?“) ließe sich dann ein Bekenntnis zur eigenen Haltung anschließen („Wie will ich es tun?“). Darin läge nicht nur eine Konkretisierung des Eides, sondern auch der Ausdruck eines Willens, treues Dienen unter den Bedingungen einer globalisierten Mediengesellschaft aktiv zu gestalten.

Und ja, da schwänge Idealismus mit, aber die Aufgaben, die wir uns als Gesellschaft stellen, werden wir weder mit reinem Pragmatismus noch Zynismus lösen.Vor allem nicht die Soldatinnen und Soldaten, die sich im Einsatz permanent mit für uns so fernen Fragen wie Tod und Verwundung umgehen müssen.

Abschließen noch zur Erinnerung die Thesen der Leutnante 70. Als Dokumentation, nicht als inhaltliches Bekenntnis.

These 1
Ich will ein Offizier der Bundeswehr sein, der eine Sache nicht um ihrer selbst willen tut.

These 2
Ich will ein Offizier der Bundeswehr sein, der es ablehnt, ein Verhalten zu praktizieren, das „Offiziers-like“ sein soll, Vielmehr will ich eine spezifisch offiziersmäßige Rollenerwartung nicht erfüllen.

These 3
Ich will ein Offizier der Bundeswehr sein, der eine Tradition ablehnt, die lediglich aus epigonaler Reproduktion besteht und auf Neuschöpfung verzichtet.

These 4
Ich will ein Offizier der Bundeswehr sein, der das Verhalten eines Vorgesetzten in Frage stellen darf und sein eigenes Verhalten von Untergebenen bzw. von jedermann in Frage stellen läßt; ich möchte ein Offizier sein, der nichts selbsverständlich findet.

These 5
Ich will ein Offizier der Bundeswehr sein, der weder Personen noch Dienststellen, sondern nur dem verfassungsmäßigen Auftrag Loyalität entgegenbringt.

These 6
Ich will ein Offizier der Bundeswehr sein, der jeden Verstoß gegen ein Wehrkonzept im Rahmen der Gesamtverfassung bestraft sehen will.

These 7
Ich will ein Offizier der Bundeswehr sein, der nicht nur den Frieden erhalten, sondern auch gestalten will.

These 8
Ich will ein Offizier der Bundeswehr sein, der eine scharfe Trennung zwischen Dienst und Freizeit beansprucht, weil ich meinen Beruf als verantwortungsvollen und strapaziösen Job sehe.

These 9
Ich will ein Offizier der Bundeswehr sein, der die erforderliche Disziplinierung in einem Heranführen an die Mündigkeit und der aus ihr entspringenden Selbstdisziplin sieht.

9 Gedanken zu „Fortschreibung: Zeit für Appelle

  1. Welche konkreten Ergebnisse brachten die Leutnante 70 und die Hauptleute von Unna?

    Skandalblätter wie der Spiegel hatten ihre Freude und der Minister seine Sorgen…
    Offizier mit Studium? War ja zumindest zu gleichen Zeit beschlossen.

    pi

  2. Niemand wird gezwungen, mitzumachen. Die Frage bleibt: Warum aber überhaupt etwas machen, wenn doch ohnehin nichts zu ändern ist.

  3. Diese Thesen sind mir mehr als nur ein Dorn im Auge.
    Sie sind Ausdruck eines zivilisierten Militärverständnisses, dass vielleicht im Amt und Stab funktioniert.
    Sich auf die Fahnen zu schreiben, gegen Tradition, Benehmen und Gehorsam zu sein, ist wirklich inovativ und genauso unsoldatisch. Wie auch immer, es ging schließlich nicht um den Inhalt.
    Man sieht daran aber, wie zerrissen die Offiziere unter sich sind. Wieso sollte ein idealisitscher Infanterieoffizier mit Einsatzerfahrung oben stehende Thesen unterschreiben? Der Unterschied in Diensteinstellung und Berufsauffassung zum „vor der Arbeitslosigkeit fliehenden übergewichtigen ostdeutschen Unterstützer“ (Vgl. Prof. Wolffsohn http://www.welt.de/debatte/article6542994/Die-Bundeswehr-ist-keine-Armee-fuer-Lyriker.html) kann doch größer nicht sein. So kann auch nicht erwartet werden, dass die Offiziere mit einer Stimme sprechen. Zumindest nicht die an den UniBws, welche erstens sowieso keine Einsatzerfahrung haben und in einem Jahr nicht einmal mehr Diensterfahrung. Apelle von studierenden Abiturienten helfen der Bundeswehr sicher nicht weiter. Stattdessen müssten dies von erfahrenen (einsatzerfahrenen) Soldaten kommen. Dann kommt auch nicht so ein Blödsinn heraus, wie die 9 Thesen des 70.

  4. @sascha_stoltenow

    „Warum aber überhaupt etwas machen, wenn doch ohnehin nichts zu ändern ist.“

    Haben sie selbst beantwortet. Aus puren Idealismus. Man weiß, man wird nix ändern, aber man hofft.

    „Ich bin überzeugt, dass ein Appell – abhängig von den Absendern – vor allem dazu beitragen kann, das Verhältnis und die Beziehung des Offiziers zu seinem Souverän, dem Volk, und zu seinem Auftraggeber, dem Parlament, zu klären. Genau an dieser Schnittstelle, also den Beschlüssen des Bundestages und der in Meinungsumfragen behaupteten Ablehnung des Afghanistaneinsatzes, herrscht ja eine Ernst zu nehmende Spannung. Ebenso könnte sich ein solcher Appell an weitere gesellschaftliche relevante Gruppen (Parteien, Kirchen, Gewerkschaften), aber auch die Wirtschaftsverbände richten.“

    Dem Absatz kann ich so nicht folgen. In vielen Ländern wird ISAF abgelehnt. Die Offiziere(besonders die jungen) haben nicht den Auftrag der Bevölkerung den Einsatz in AFG schmackhaft zu machen. Das ist in einer repräsentativen Demokratie Aufgabe der Politik.
    Auch muss man sich nach so vielen Jahren im Einsatz fragen, ob es überhaupt notwendig ist, die Bevölkerung hinter sich zu wissen. Ganz offensichtlich läuft das Ganze auch ohne deren Zustimmung. Was bringt es einen Soldaten wenn eine Gewerkschaft hinter ihm steht? Oder eine Partei?

    Ist es nicht viel wichtiger, adäquate Ausrüstung/Ausbildung/Aufträge/ROE von der Politik abzufordern um den Dienst sinnvoll zu versehen?

    Der Dissens besteht zwischen einsatzerfahrenen Offizieren auf der einen und den Beamten in Uniform sowie ihren zivilen Gegenpart auf der anderen Seite.

    Höchstinteressant…

    pi

  5. @micha: Nur zur Orientierung – diese Thesen sind 40 Jahre alt und im besten Sinne Kinder ihrer Zeit. Historisch gelesen sind sie eine Reaktion der Verfasser auf die Veränderungen der so genannten 68er. Von daher stellt sich auch nicht die Frage, wer diese Thesen unterschreiben soll. Und 40 Jahre alte Einlassungen als Blödsinn zu bezeichnen ist ebenso einfach, wie sich über das Weltbild der katholischen Kirche vor der kopernikanischen Wende zu amüsieren. Wie dem auch sei, niemand sagt, dass ein Appell, wenn er denn kommt, von den studierenden Offizieren der Bundeswehruniversitäten kommen muss. Außerdem würde ich in Zeiten, in denen die US-Streitkräfte ihren Kompaniechefs im Irak eine sehr zivile Aufgabe, verbunden mit einen substantiellen Budget überantwortet hat, nicht zu viele Meter zwischen zivile und militärische Rolle legen. Genau das adressiert übrigen auch Klaus Naumann (der Historiker, nicht der General a.D.) in seinem Buch „Einsatz ohne Ziel“. Und schließlich ist die zivile Komponente integraler Bestandteil des vernetzten Ansatzes. Offiziere täten gut daran, sich dazu zu verhalten. Nicht affirmativ, aber konstruktiv. Und nicht notwendiger Weise mit einer Stimme, sondern mit Vielfalt unter dem gleichen Eid.

    @pi: Sinn gibt dem Dienst nicht primär die Politik, sonder der Dienende selbst. Und mit reiner Hoffnung hätte Frau von der Leyen ihre Idee des Elterngeldes nicht durchgesetzt (unabhängig davon, ob man es mag, oder nicht). Wer die Realität verändern will, muss den Diskurs verändern, sich also einmischen. Wer das nicht will, muss hoffen, dass es ein anderer für ihn tut.

  6. „Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe.“

    – §9 Soldatengesetz, Eidesformel für Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit

    Wir müssen das Rad nicht ständig von vorne erfinden. Für mich sagt der Eid alles und dividiert Soldaten nicht in Offiziere und Fußvolk auseinander. Allerdings ist ein Eid nicht besonders modern, das gebe ich zu. Es wird also gewünscht, der Offizier solle konstruktiv widersprechen können. Nur kommt irgendwann der Augenblick da hat der Soldat die Hacken zusammen zu knallen und Befehle auszuführen und das ohne Wenn und Aber.
    Das will aber niemand hören. Zu soldatisch soll es dann doch nicht sein. Gehorsam ist aber in Gefechtssituationen ein Schlüssel zum Erfolg. Militärische Überlegenheit und das nicht nur mit Waffen führt dazu, dass wir in Afghanistan nicht aus dem Land geschmissen werden.
    Wir können froh sein, das die Taliban noch nicht besonders gut ausgebildet sind. Aber wir helfen ja kräftig nach.
    Wenn es für mich Apelle gibt die sinnvoll sind dann jene die klar machen:

    Des Soldaten Handwerk ist der Krieg.

    Für nichts anderes ist er ausgebildet. Das esoterische Geschwafel in Kaminzimmern oder Behördenstuben bringen den Offizier und seine unterstellten Kameraden der anderen Dienstgradgruppen nicht einen Milimeter weiter. Denn ihnen fliegt tötliches Blei um die Ohren. Da braucht er alles aber keine 9 Thesen. Egal wann diese entwickelt worden sind.
    Insofern fragen sie Oberst Klein aber fragen sie auch den 19 jährigen Hauptgefreiten der Samstag abend nicht in die Disco geht, sondern sich mit Tod und Elend auseinander setzt also Taliban erschießt.
    Die Keimzelle aller Thesen liegt auf dem Schlachtfeld.

  7. „Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“ – Artikel 56 Grundgesetz.

    Für mich sagt der Eid alles. Wir müssen gar nicht mehr über Politik diskutieren. Es mag zwar die Presse- und Meinungsfreiheit geben, aber wenn alles so klar ist, muss man sie sich ja nicht unbedingt nehmen.

  8. @sascha_stoltenow Danke für die Berichtigung. Da hab ich wohl etwas völlig falsch verstanden.
    Dass die Offiziere mit einer Stimme reden, ist wohl trotzdem nicht zu erwarten. Eine Äußerung unterhalb der Stabsoffiziersebene ist sowieso nicht erwünscht. Nicht nur, dass der Presseoffizier jedesmal anfängt zu zittern, wenn der HG im Einsatz interviewt wird, sondern auch der „Maulkorb“ der bei jedem Vorkommnis als erstes befohlen wird, lässt doch darauf schließen, dass es wohl für jeden Soldaten persönlich besser ist, wenn er eben keine eigene Meinung veröffentlicht.

  9. @micha
    Als Offizier im Studium kann ich diese Phrasen langsam nicht mehr hören.
    Sind wir also als Soldaten nichts Wert weil wir wenig Führungserfahrung und selten Einsatzerfahrung haben? Dann können wir uns ja wieder an die FüAk wenden wo ja offensichtlich das ganze erfahrene Personal sitzt. Die Profis. Sie Unterstellen den Soldaten an den Unis mangelndes Selbstverständniss und dass finde ich nicht in Ordnung.

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