Zeit für Appelle

Wer die aktuelle Zeit noch nicht gelesen hat, sollte das schnellstmöglich tun. Das Dossier „Das Kundus-Syndrom“ ist vermutlich das Beste, was man über die Aufgabe, vor der die Bundeswehr in Afghanistan steht, bislang in einer Zeitung zu lesen bekommen hat. Weder die Regierung noch die Abgeordneten des deutschen Bundestages können fortan behaupten, sie wüssten nicht, was auf die Soldatinnen und Soldaten zukommt. Nicht nur rhetorisch zerbröselt die so genannte Afghanistan-Strategie Deutschlands an diesem eindrucksvollen Stück von Anita Blasberg und Stefan Willeke, die zeigen, was Journalismus vermag.

Allerdings können sich auch die Offiziere der Bundeswehr nicht mehr länger weg ducken. Während die Führung des Bundesverteidigungsministeriums seit Antritt des neuen Ministers in die mediale Offensive geht, und – richtiger Weise – verstärkt Generäle in den Medien zu Wort kommen lässt, verharrt die Truppe anscheinend in Schreckstarre. Wo sind die Beiträge studierender Offiziere der Bundeswehruniversitäten zur Debatte? Warum artikulieren sich weder die Kompaniechefs noch die Bataillonskommandeure, von den Admiral- und Generalstabslehrgängen ganz zu schweigen? Ihre Appelle werden dringend gebraucht, und sie müssen nicht, nein sie dürfen nicht, nur der medialen Verwertungslogik folgen. Aber nach Innen und Außen muss die Bundeswehr als Armee im Einsatz ihr Selbstverständnis neu gründen und darf sich nicht weiter durch die politische Konsensmaschine ihrer Identität entledigen lassen. Sonst drohen weitere Einsätze ohne Ziel, deren Ursachen u.a. Klaus Naumann präzise beschreibt, und aus dem – richtigen – Primat der Politik wird die kritiklose Unterwerfung unter kurzatmige Mandate einer Führung ohne erkennbare Strategie.

13 Gedanken zu „Zeit für Appelle

  1. Diese Kommentare gibt es doch, vor allem auch von den Offizieren. Es scheint sie nur keiner zu lesen. Nicht nur Bücher beschreiben die Einsatzrealität in Afghanistan, auch die Soldaten in der Heimat beschäftigen sich mit diesen Themen und nehmen dazu Stellung.

    In eigener Sache: Unser Blog hinter dem Link beschäftigt sich auch mit der Sicherheitspolitik und wird von zwei Offizieren betrieben.

  2. Stefan, es geht nicht um Kommentare, es geht um Appelle, eine konzertierte Aktion anstelle verteilten Wehklagens, eine substantielle Auseinandersetzung mit dem beruflichen Tun und der damit verbundenen Verantwortung anstelle individueller Befindlichkeiten, Korpsgeist statt Partikularinteresse und Karrierestreben.

    Die Bücher, die Du erwähnst, leisten das nicht, insbesondere das von Lindemann nicht, dessen Besprechung bei mir noch aussteht. Wir alle wissen, was wir wissen, aber wir schaffen es nicht, Gehör zu erlangen und Teil eines breiten Diskurses zu werden, der Relevanz und Substanz hat.

  3. Die von ihnen geforderte, kollektive Auseinandersetzung mit den Thema ist aber in der Bw bisher fast nie vorgekommen. „Leutnante 70“, „Hauptleute von Unna“ sind lange her.

    Welchen Erfolg hatten sie? Wäre so eine Aktion heute noch möglich ohne einen Riesenaufschrei? Ich sehe schon den nächsten verwirrten Artikel von OTL Rose… über den archaischen Krieger.

    Wie sollen Offiziere im Studium(die noch keine echte Berührung mit der Truppe hatten – oder im Einsatz waren) sich zu einer fundierten und erhörten Meinung finden?

    Von der Lehrgangsteilnehmern an der FüAk wären sicherlich kluge
    Ideen möglich… aber die Herren sind dort um ihrer Karriere den Turbo einzubauen.

    Ich sehe momentan keine Möglichkeiten innerhalb der BW solche Stimmungen zu bündeln. Wenn Dutzende Soldaten fallen kann sich das nochmal ändern. Aber dann zieht die Regierung die Truppe lieber ab.

    pi

  4. Was pi schreibt gibt doch genau das gleiche Problem wie in der Zeit beschrieben wieder.

    Die die wollen können nicht (studOffze) und die die können wollen nicht mehr(FüAK).

    Ich denke, es bleibt wirklich die Zeit abzuwarten bis diejenigen welche die Armee nur im Einsatz kenne tatsächlich was zu sagen haben.

  5. „Warum artikulieren sich weder die Kompaniechefs noch die Bataillonskommandeure, von den Admiral- und Generalstabslehrgängen ganz zu schweigen?“

    Wer Karriere machen will, schweigt entweder oder äußert sich anonym (Weblog Sicherheitspolitik). Öffentliche Äußerungen können auf der Grundlage von Gummiparagraphen ansonsten geahndet werden, und wer will schon von den Medien aus dem Kontext zitiert und der friedensbewegten Meute vorgeworfen werden?

  6. Ich habe auch die Artikel auch gelesen und bin genauso begeistert. Noch besser hat mir allerdings der Artikel „Haubitze statt Bambi“ gefallen, wo die zwei Lager im Offizierkorps der Bundeswehr beschrieben werden. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Männer (und inzwischen übrigens auch Frauen) an der FüAk durchaus ihre Möglichkeiten nutzen. Im Rahmen der Studienphase 2009 wurde vor immerhin rund 60 Admiralen und Generalen inkl. GI durch den LGAN zum Thema „Spannungsfeld zwischen Einsatzorientierung und Attraktivität“ sehr wohl gefordert, Personalentwicklung, Ausbildung und Organisation der Streitkräfte auf den Einsatz auszurichten. Dabei wurden die Defizite deutlich angesprochen und konstruktive Vorschläge gemacht. Diese müssen jetzt „nur noch“ ihren Marsch durch die Institutionen machen.

  7. Nimo hat auf jeden Fall recht, die Defizite werden angesprochen, ob öffentlich oder im dienstlichen Raum. Sie versacken nur irgendwo.
    Die besten Beispiele erlebe ich jeden Tag wenn höchste Vorgesetzte der Truppenebene auf der Ämterebene einfach ignoriert werden.

    Gerade in den Ämtern sitzen ja die hohen Dienstgrade ohne Einsatzerfahrung, viele davon haben mittlerweile vollkommen den Kontakt zur Truppe und vor allem zur Praxis verloren.

    Anders lassen sich mittlerweile widersprechende Vorschriften, eine kaum mehr beherrschbare Regulierungswut und steuernde Eingriffe in kleinste Sachverhalte nicht mehr erklären.
    Realitätsverweigerung, wie in dem Artikel „Haubitzen statt Bambis“ angesprochen trifft es ganz gut, anders kann ich mir nicht erklären warum eine Stellungnahme zu der Feststellung “ 7 mal 7 Wochen passen nicht in 48 Wochen“ gefordert wird.

    Wie soll man denn das Gehör erlangen wenn es in Deutschland irgendwie nur einer Minderheit zu interessieren scheint was in Afghanistan passiert. Gerade die Gegner des Einsatzes glänzen ja mit herrlicher Unwissenheit und Platitüden über einen Militäreinsatz.

    Das Thema ist auf von zwei Seiten her unangenehm. Auf der einen Seite muss die Politik anerkennen das dass verhätschelte Kind Bundeswehr erwachsen wird und sich auch nicht mehr hinter einem Pazifismus der nuklearen Abschreckung verstecken kann, auf der anderen Seite Armee die für den Einsatz weder ausgebildet noch ausgerüstet ist. Strukturell überfordert mit der künstlich erzeugten Doppelaufgabe Landesverteidigung und Einsatzarmee muss die politische Führung erkennen, dass sie einen Prozess angeschoben hat den sie nicht mehr aufhalten kann.

    Das macht die psychologische Reaktion des Verdrängens und Vergessens vielleicht nachvollziehbarer, Besser wird dadurch allerdings immer noch nichts. Vor allen in höheren Kommandobehörden (der Name sagt schon alles) tut man immer noch so als wäre der Einsatz die Ausnahme und nicht die Regel. Ich befürchte das sich dort allerdings nicht viel ändern wird. Diese Dienstposten sind nun mal nichts für Leute die führen wollen und können.

  8. @Nimo: Sie verweisen hierauf: http://www.fueakbw.de/index.php?ShowParent=3477&show_lang=de

    Nicht die Tatsache an sich ist interessant, die Inhalte wären es gewesen. Aber so lange eine Institution wie die Führungsakademie den Führungsnachwuchs anregt, Werbebildchen zu produzieren (http://www.fueakbw.de/index.php?ShowParent=3457&show_lang=de), ist Skepsis gegenüber deren Arbeit mehr als angebracht.

    Banalität statt kraftvoller Stellungnahmen – wir müssen mehr erwarten.

  9. @Sascha Stoltenow,
    dann warten wir gespannt auf Ihre Besprechung des Buches von Marc Lindemann und werden dann sicher erfahren, warum „besonders dieses Buch“ keinen Beitrag zur Afghanistan-Debatte leistet.

  10. Ich habe jetzt die letzten 2 Tage über diesen Artikel nachgedacht und mich gefragt wie ein solcher Appell aussehen könnte.
    Wenn es um Selbstverständnis geht dann kann es sich ja nicht um praktische Reformen handeln, Forderungen nach einer veränderten Ausstattung, Abschaffung von festgelegten Laufbahnen usw.

    Diese Dinge haben ja nur bedingt mit einem neuen Selbstverständnis zu tun. Und so lange man in Deutschland für das Uniform tragen belächelt wird wird sich dieses auch nicht verändern. Ich erinnere mich gut an Dienstreisen in die USA wo man überall angesprochen wurde mit Sätzen wie: „Thank you for your service“ usw.

    Ein Appell ist sinnlos so lange sich das deutsche Volk für sein Militär schämt und lieber undifferenzierten Aussagen aus den verschiedensten Lagern anhängt und öffentliche Gelöbnisse Polizeischutz bedürfen.

  11. Ob nun Klaus Nauman vom HIS in Hamburg der richtige Mann ist, den Weg zu weisen, dürfte doch zweifelhaft sein. So wie seine gemeinsame Arbeit mit Hannes Heer. Aber auch mit seinem Buch „Einsatz ohne Ziel“ scheint er selbst nicht ganz das Ziel zu erreichen. So urteilt Christian Hacke in „Das Parlament“: „Weil Nauman die klassischen Fragen über Krieg und Frieden mit all ihren Konsequenzen ausspart, bleibt die notwendige Anatomie der Sicherheitspolitik Deutschlands, die in diesem Zusammenhang zwingend gewesen wäre, unsichtbar.“

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