Storytelling statt Journalismus – Die „Afghanistan Papiere“ der WAZ und die Selbstinszenierung von David Schraven

Der folgende Blogpost zu einem Projekt der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung ist schon etwas älter. Wegen akuten Zeitmangels veröffentliche ich ihn aber erst jetzt im Rahmen einer Jahresendaufräumaktion. Ist das noch relevant? Das liegt, wie so oft, im Auge der Betrachter. Ich denke, ja, denn das Projekt erlaubt Einblicke in das journalistische Selbstverständnis der Verantwortlichen. Dieses wiederum erscheint mir eher von der Lust an Inszenierung von Relevanz als an einem tiefergehenden, wirklich investigativen Anspruch getrieben. Eine andere Lesart wäre: Sie können es nicht besser. Das wiederum wäre ebenfalls tragisch.

Crowdsourced Journalism oder Wikileaks für Anfänger?

Ist das nun die Zukunft des Journalismus? Irgendwer muss beim Entrümpeln eines Büros in Berlin einen Karton mit den Unterrichtungen des Parlaments (UdP) zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr gefunden und ihn in Richtung Essen verschifft haben. Und weil das dortige Investigativressort offenkundig wenig zu tun hatte, aber mal Lust auf so etwas richtig fancy, fancy, digital, crowdsourced journalism, Digga, hatte, wurden daraus (dramatische Musik setzt ein, wird lauter und lauter, Tusch): „Die Afghanistan Papiere“ (die Musik grollt langsam im Hintergrund weg).

Das erinnert nicht nur im Klang an Politthriller a la Grisham und Clancy. Auch die Antwort auf die – ausnahmsweise sehr treffende, wenn auch vermutlich unbeabsichtigt gestellte – Frage „Was soll das?“ adressiert gezielt ein Publikum, das angesichts der Banalität der Wirklichkeit politischer Entscheidungen eine tiefe Liebe für Verschwörungstheorien entwickelt hat.

Die Banalität der Wirklichkeit journalistischer Entscheidungen, die diesem Projekt zu Grunde liegt, hat Thomas Wiegold bereits in einem Kommentar auf Augen Geradeaus! treffend beschrieben:

„Die WAZ hat, wie etliche andere Redaktionen, ihr Berliner Parlamentsbüro schon vor einiger Zeit geschlossen; einen Korrespondenten, der sich ständig um die Verteidigungspolitik kümmern würde, gibt es in der Hauptstadt nicht mehr. Statt dessen gibt es, auch das wie bei vielen anderen Blättern, ein Investigativ- oder Recherche-Ressort. Während der Korrespondent diese Unterrichtungen des Parlaments immer im Blick hatte und gelegentlich auch verwendete, hat nun das Recherche-Ressort den großen Karton mit ein paar Jahren UdP auf den Tisch bekommen. Und dann ist das auch noch VS-NfD gestempelt …

Da setzen dann bei vielen Kollegen die professionellen Reflexe aus: Nie würden sie sich von einem Beamten vorschreiben lassen, was sie schreiben sollen. Drückt ihnen aber ein Beamter ein als Verschlusssache eingestuftes Papier in die Hand, ist es quasi sofort ein Geheimpapier mit der inhärenten Pflicht zur Veröffentlichung …“

Zwischen Fakt und Fiktion

Damit wäre eigentlich alles gesagt. Allerdings nutzt der Leiter des Recherche-Ressorts der WAZ, David Schraven, seine vermeintliche Kompetenz geschickt zur Eigen-PR, unter anderem für seine Graphic Novel „Kriegszeiten.“ Die ist grafisch sehenswert, inhaltlich aber schwach*, denn Schraven macht darin Propaganda gegen den Krieg in Afghanistan. Nun ist es nicht verwerflich, gegen diesen Krieg zu sein – im Gegenteil. Wer allerdings Fakt und Fiktion derart gezielt vermischt, trägt nicht zur Klärung der Verhältnisse bei, sondern setzt sich dem Verdacht aus, den Nebel des Kriegs nutzen zu wollen, um eigene Interessen zu fördern.

*(Dass er in seinem Buch einen weiterführend Link auf die Seite soldatenglueck.de als „Bester Soldatenblog – exzellent vernetzt und informiert“ empfiehlt passt in dieses Bild.)

Dass die Bundesregierung und insbesondere das Verteidigungsministerium durch eine wenig konsistente, vor allem aber kaum transparente Kommunikationspolitik dafür einen idealen Nährboden bereiten, ist hinlänglich bekannt. Ein Journalismus aber, der diese Defizite gezielt nutzt, um eine eigene Erzählung in der Zwischenwelt von Wirklichkeitsbeschreibung und Literatur zu etablieren, macht sich mit den von ihm kritisierten Spin Doktoren nicht nur gemein, sondern untergräbt seine eigene Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus instrumentalisiert er die Soldaten im Auslandseinsatz. Ihre Erzählungen sind nur insoweit interessant, wie sie die eigene Agenda befördern. Das war im Journalismus zwar schon immer so, aber in der Art, wie Schraven einerseits die Begegnungen mit Soldaten und andererseits das vermeintlich objektive Rechercheprojekt der WAZ nutzt, um seine eigene Montage zu authentifizieren, grenzt an Perfidie.

Das Publikum

Allerdings findet diese Art der Propaganda ein dankbares Publikum. So tritt Schraven beispielsweise Anfang Januar bei einer Tagung an der Volkshochschule Osnabrück auf. „Lost in Cyberspace. Schreiben gegen Krieg im Zeitalter Digitaler Medien“ (Programm hier) haben die Veranstalter, die VHS Osnabrück und die Erich Maria Remarque-Gesellschaft Osnabrück e.V.; in Kooperation mit dem Erich Maria Remarque-Friedenszentrum Osnabrück, die Veranstaltung überschrieben. Bereits die Auswahl der Referenten zeigt, dass es weniger um einen kritischen – und dringend notwendigen – Dialog oder gar um Verständnis des Krieges und der Soldaten geht, sondern um Selbstbestätigung. So befindet sich unter den Referentinnen kein aktiver Soldat (sei es aus der Bundeswehr oder anderen Streitkräften) und der einzige ehemalige Soldat ist Oberstleutnant a.D. Jürgen Rose, Vorstand des Arbeitskreises Darmstädter Signal. Damit schließen die Veranstalter systematisch aus, dass Referenten und Publikum mit etwas Neuem, etwas, dass über ihren bisherigen Horizont hinausgeht, konfrontiert werden. Genau das aber – so meine vielleicht naive Vorstellung – wäre die Aufgabe eines kritischen (Bürger)Journalismus (eine VHS-Veranstaltung würde ich als Format diesem zurechnen). Storytelling hingegen stellt die Erzählung über die Kritik.

5 Gedanken zu „Storytelling statt Journalismus – Die „Afghanistan Papiere“ der WAZ und die Selbstinszenierung von David Schraven

  1. Da wir über die Wahrheit bezüglich des von der Mehrheit der Deutschen abgelehnten Krieges in Afghanistan so gut wie nichts Erfahren, kann ich weder den zugrunde liegenden WAZ Artikel noch die geäußerte Empörung nachvollziehen.

    Geht es um Rohstoffe, Menschenrechte oder Terrorismus ?
    In Deutschland selbst jedenfalls wird der bombende und mordende Terrorismus seit 1998 nicht mehr bekämpft sondern durch Vertuschung und Finanzierung gefördert. Menschenrechte sind ja auch nicht mehr so wichtig. Und wer sich dran stört ist sicher Kommunist.

  2. @Antimilitarist: Der Umstand, dass es keinen zugrunde liegenden WAZ-Artikel gibt, weist Sie gewohnt meinungsstark und leseschwach aus.

  3. @Antimilitarist: Die Unterrichtungen sind inhaltlich banal, was sofort aufgefallen wäre, wenn der genannte Journalist sich die Mühe einer Auswertung gemacht hätte. Die Art und Weise, wie er die Veröffentlichung dieser Dokumente inszeniert, legt jedoch nahe, dass er ihren Inhalt nicht richtig bewerten konnte oder die Leser absichtlich für dumm verkauft. Beides wirft in der Tat kein gutes Licht auf ihn.

    @Sascha Stoltenow
    Gegenüber jemanden, der soldatenglueck.de als „besten Soldatenblog“ bezeichnet, wären auch die härtesten Worte noch zu milde.

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