Der strategische Social Media-Fail der Bundeswehr

Unter Verweis auf massive Sparzwänge hat das Verteidigungsministerium den für September geplanten „Celler Trialog“ abgesagt. Die Veranstaltung, die die Bundeswehr bisher gemeinsam mit der Commerzbank ausrichtet, sollte hochrangige Vertreter von Wirtschaft, Politik und Militär ins Gespräch bringen.

Das Kostenargument überzeugt nicht. Ausweislich einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Partei Die Linke, gab die Bundeswehr im Jahr 2009 rund 22.000 Euro dafür aus. Plausibler erscheint die Entscheidung, wenn man die öffentliche Kommunikation über die bisherigen Veranstaltungen betrachtet. Die wird nämlich zumindest im Internet vor allem von den Gegenstimmen beherrscht. Gut an der Entscheidung des Ministeriums ist, dass die Gegner sich nun einen anderen Anker für ihren Protest werden suchen müssen. Schlecht ist, dass sie ihn vermutlich schon gefunden haben: Die Jugendoffiziere der Bundeswehr.

Kampf um die sicherheitspolitische Deutungshoheit im Klassenzimmer

Die Jugendoffiziere stehen u.a. in Folge von Rahmenvereinbarungen, die das Verteidigungsministerium und verschiedene Kultusministerien (bspw. Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz)  abgeschlossen haben, im Fokus diverser Kritiker. So abwegig deren Argumentation auch teilweise sein mag, ein paar Dinge haben sie erreicht:

– Sie haben das Thema auf die Agenda etablierter bundesweiter Medien wie des Fokus oder der Süddeutschen Zeitung gehoben.
– Sie haben aus lokaler Ebene Widerstand von Schülerschaften mobilisiert („Schüler des Helmholtz-Gymnasiums fordern Hausverbot für Bundeswehr“).
– Und sie erobern sich sukzessive die vorderen Plätze auf der Google-Trefferliste und schicken sich so an, die Deutungshoheit über ein zentrales Feld der Politikvermittlung im Diskursraum Internet zu übernehmen.

Social was?

Die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium hingegen fremdeln etwas mit den neuen Medien – gelinde gesagt. „Bloggen? Find‘ ich doof“ hat Focus-Redakteur Thomas Wiegold die vorherrschende Grundhaltung mal auf den Punkt gebracht. Während das US-amerikanische Verteidigungsministerium einen eigenen Social Media-Hub einrichtet und Roundtable-Gespräche für Blogger organisiert, herrscht im Bendlerblock die große Social Media-Funkstille. Verstärkt wird die Diskrepanz zwischen den Interessen des Publikums und dem medialen Auftritt der Bundeswehr zudem durch die durchaus erfolgreichen Bestrebungen des Ministermarketings, u.a. auf Facebook (mehr als 27.000 friends sind nicht zu verachten).

Govermedia revisited

Ob die Lektüre eines Buchtipps der ebenfalls von der Bundeswehr betriebenen Initiative „Govermedia“ dabei hilft?“ Der Titel „Mediengestützte Behördenkommunikation: Verwaltungswirtschaftliches Kommunikations- und Personalkonzept“ klingt nicht wirklich inspirierend – und ist vermutlich gerade deshalb zutreffend. In jedem Fall ein weiteres lohnenswertes Diskussionsthema für das Symposium „Journalismus und bürgernahe Kommunikation im digitalen Zeitalter“. Nicht im Hauptprogramm, aber vielleicht finden sich ja ein paar Teilnehmer für ein „An der Bar-Camp“.

5 Gedanken zu „Der strategische Social Media-Fail der Bundeswehr

  1. Der Nutzen von Social Media wird in vielen Unternehmen und Organisationen noch nicht im vollen Umfang erkannt. Dass sich die PR-Landschaft wandelt und die Kommunikation auf vielen Kanälen stattfindet, ist zwar bewußt, aber die strategische Bedeutung wird noch nicht überall erkannt. Einige Facebook-Accounts sind oft als Spielerei gestartet und entwickelten sich im Laufe der Zeit oder werden beim Anzeichen ersten Gegenwindes gelöscht. Warum? Die Entscheider sind m.E. oft zu alt. Sie sind der alten Denke verhaftet: „Das ist Kritik im Blog drin – kann man den verklagen?“ Der Nutzen des kritischen Kundendialoges wird nicht erkannt. (Kritik ist per se nicht negativ: http://de.wikipedia.org/wiki/Kritik)

    Das sich mit Social Media Meinungen schnell verbreiten und eine Diskussion im öffentlichen Raum stattfindet, haben bestimmte Organisationen schnell erkannt und nutzen dies auch – effektiv und effizient. Je nach Position kann man dies positiv oder auch negativ einschätzen, daher lasse ich es wertfrei.

    Mit Bezug auf den Artikel ist die Frage an die „Speerspitze der Öffentlichkeitskeit“ in Berlin meines Erachtens nicht nur, wie Social Media für die eigene Kommunikation eingesetzt werden kann, sondern auch, ob es Konzepte gibt, wie die „Mitarbeiter“ auf die Nutzung dieser Medien vorbereitet werden/wurden.

    Jedes Unternehmen gibt sich Leitlinien und Betriebsvereinbarungen, was Mitarbeiter im öffentlichen Raum bzw. Social Media diskutieren und kommunizieren können und dürfen. Sollte es dies bei den Streitkräften nicht auch geben?

    Der Handlungsbedarf ist groß. Die Bestrebungen (der jungen Offiziere) auf der Arbeitsebene, die Neuen Medien mehr und effektiver für sich zu nutzen gehen weit in das Jahr 2003 zurück. Leider scheiterten alle mir bekannten Initiativen in St. Augustin oder Berlin durch Verschleppung. Bis heute hat es die Bundeswehr nicht geschafft sich aus der Phase des Web 1.0 heraus profesionell weiterzuentwickeln.
    Ich drücke weiterhin die Daumen und hoffe, dass ein paar Idealisten es schaffen, in die Entscheiderposition zu kommen, um auch hier auf Ballhöhe zu bleiben.

  2. @2bias: Danke für Deinen Kommentar, der in Tat wesentliche Ursachen benennt. Widersprechen möchte ich jedoch, dem Argument, dass die Entscheider zu alt seien. Es ist meines Erachtens keine Frage des Geburtsdatums sondern eher der Kultur, die eine Organisation entwickelt hat. Dass unter deutschen Kommando eine zielgerichtete Nutzung der neuen Medien möglich ist, zeigt unter anderem die Entwicklung bei ISAF.

    So ist das Regional Command North (unter deutscher Führung) in Facebook vertreten:
    http://www.facebook.com/rcnorth
    http://bendler-blog.de/2010/05/28/innovations-inkubator-isaf/.

    und der neue ISAF-Sprecher ist ebenfalls ein Deutscher:
    http://bendler-blog.de/2010/04/20/deutscher-general-neuer-isaf-sprecher/

    Während die RC North-Seite primär noch Senderkommunikation ist, sind unter ISAF-Führung jedoch einige innovative Projekte umgesetzt worden, unter anderem „30 Days through Afghanistan“: http://30days.isaf.nato.int/

    Das RC South wiederum ist bereits auf Twitter aktiv (http://twitter.com/ISAF_RCSouth) und wird im Juli beginnen, über seine Facebook-Seite etwas Storytelling zu betreiben: http://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=127144497321679&id=115541248489945#!/pages/ISAF-Regional-Command-South/115541248489945

    Ja, natürlich ist das im weitesten Sinne PsyOp/Propaganda, aber, und das ist das entscheidende Element, es gibt den Debatten einen Ort, und überlässt den Diskursraum Internet nicht denen, die andere Meinungen und Interessen vertreten.

  3. Der „Klassenkampf“ geht in eine neue Runde:

    http://www.badische-zeitung.de/freiburg/protest-gegen-bundeswehr-ph-vorlesung-mit-polizeischutz

    http://linksunten.indymedia.org/de/node/22786

    http://www.youtube.com/watch?v=ba4V9OI–ts

    Nun die Frage in die Runde: Wie kann das Social Web 2.0 dagegen halten, falls die Bundeswehr sich zum Betrieb eines solchen entschließen sollte?

    Diese Grafik hier lohnt aufgrund des Inhalts der eventuellen genauen Überprüfung:
    http://linksunten.indymedia.org/de/node/22807

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