Etwas unsortiert noch ein paar Gedanken zum Auftritt der Bundeswehr auf der re:publica (in der Bahn auf Smartphone geschrieben):
Kommunikation plant man unter zwei Prämissen.
1. Die Wirkung vom Ende her denken.
2. Die Wirkung danach definieren, was das (Ziel)Publikum fühlen, denken und tun soll.
Was hat die Bundeswehr gemessen daran erreicht? Wollte sie das erreichen? Und: darf sie das erreichen wollen?
Wenn sie wirklich an einem Dialog mit den Besucherinnen und Besuchern der re:publica interessiert gewesen wäre, hätte sie diese Linie auch trotz der Absage durchziehen müssen. Die re:publica will nicht, dass wir einen Stand aufbauen und in Uniform da rum springen? Ok, dann lassen wir das, ist ja deren Party inkl. Dresscode, aber interessant finden wir die schon, also gehen wir in zivil hin und überlegen uns etwas anderes, wie man erkennt, dass wir mit Auftrag da sind. Machen wir beim Peacekeeping schließlich auch. Leben in der Lage.
Die Demo vor der Station, vor allem aber die orchestrierte Medienkampagne, ist nicht dialogorientiert sondern auf Spaltung ausgerichtet. Das ist Kreisklasse: Wenn wir nicht mitspielen dürfen, treten wir ihnen wenigstens den Platz kaputt. Jeder, der auch nur ein bisschen etwas von Kommunikation versteht, muss wissen, dass er damit bei den Kritikern noch mehr Ablehnung auslöst und gleichzeitig die Binnensolidarität der Soldatinnen und Soldaten erhöht, inklusive der unflätigen Kommentare gegen „links-versiffte Gutmenschen.“
Wer jetzt sagt, das habe er weder geahnt noch gewollt, ist unterqualifiziert für seinen Job, denn genau das darf die Bundeswehr nicht wollen. So lustig ich das Motiv „Wir kämpfen auch dafür, dass Du gegen uns sein kannst“-Motiv nach dem Angriff auf den Showroom fand, so fehl am Platz ist er hier, denn es suggeriert, die Bundeswehr sei von der re:publica angegriffen worden. Wie dämlich ist das denn bitte?
Ich stimme Ihnen zu, der Auftritt der BW war erbärmlich. Es gibt genügend Stoff, mit dem die BW auch auf der re:publica hätte sinnvoll beitragen können (Schutz der digitalen Infrastruktur bei Katastrophen, Verhältnismäßigkeit digitaler Vergeltungsschläge, etc, etc). Meine Vermutung ist, dass die BW aufgrund der grossen Click-Zahlen auf Youtube meint, abheben zu können. Vergessen wird auch, dass re:publica von Leuten organisiert wird, für die es im Zweifel in Ihrer Jugend noch absolut normal war, entweder zu verweigern oder nach Berlin zu ziehen.
Ich verstehe einfach nicht, wie blöd man sein kann, die ganze politische Dimension einer solchen Aktion nicht mitzudenken.
Wir erleben jetzt seit Jahren die wachsende Polarisierung im politischen System, und wie sie sich in den sozialen Medien niederschlägt, wie schnell sich dort die Fronten formieren zwischen „linksgrünversifftem Mainstream“ und dem AfD/PEGIDA-Milieu.
Wie kann man nur so dumm sein, als staatliche Institution in diesem gesellschaftlich-kulturellen Konfliktfeld als Akteur und dann auch noch als Opfer des „linken Zeitgeists“ aufzutreten? Und damit dann auch noch im AfD-Milieu Punkte zu sammeln?
Ist den Verantwortlichen überhaupt bewusst, wie gefährlich eine solche Positionierung für die Bundeswehr ist, wenn schon jetzt eine bestimmte Fraktion im Bundestag sehr offensiv mit der gelben Schleife auftritt?
Erstens: Kommunikation plane ich überhaupt nicht, denn sie entsteht in jedem Fall durch Aktion und Reaktion, ob ich will oder nicht. Eine Kampagne kann und sollte ich dagegen in jedem Fall unter bestimmten Prämissen planen. Und ja, dazu gehört auch die „Trefferwirkung im Ziel“. Da mir – und offensichtlich auch allen anderen, die schon darüber diskutieren – diese Kampagnen-Planung der Bundeswehr-Karriere nicht gezeigt worden ist, enthalte ich mich auch jedweden Urteils darüber, ob sie in diesem Sinne erfolgversprechend gewesen ist oder nicht. Das überlasse ich lieber Spekulations-Experten. Was deutlich geworden ist, ist allerdings die unprofessionelle Art und Weise, in der die re:publica-Verantwortlichen mit der Herausforderung vor der Tür umgegangen sind. Nacheinander eine Reihe unterschiedlicher Begründungen in die Welt zu setzen, weshalb die Bundeswehr auf der Veranstaltung nicht erwünscht ist, hat das „Management“ unsicher und unprofessionell wirken lassen. Das darf bei einem Format nicht passieren, dem recht großspurig der Name der „öffentlichen Sache“ gegeben wird, einem Vorbild, das bewusst alle (bürgerlichen) Teile der Gesellschaft mit Beteiligungsmöglichkeiten versieht. Hieße es nicht „re:publica“, wäre es nur eine Zukunftskonferenz für IT-Verantwortliche, Nerds und Datenschutz-Aktivisten, hätte wohl niemand etwas gegen die Ablehnung der Beteiligung von Streitkräften gesagt.
Du musst doch nicht die Planungsdokumente sehen, um festzustellen, dass die Absage an die Bundeswehr deutlich früher erfolgte als am Eröffnungstag der re:publica und die Bundeswehr daraufhin ihr Erscheinen vor Ort sowie die propagandistische, weil verkürzende Darstellung auf ihren Social Media-Kanälen in genau der Form geplant hat, wohl wissend, welche Reaktionen sie damit auslösen würde (es sei denn, hier will jemand Hanlons Rasiermesser für die Bundeswehr in Anspruch nehmen).
Dass die re:publica-Verantwortlichen anfangs nicht gut ausgesehen haben, kann auch daran liegen, dass sie nicht damit gerechnet haben, zum Objekt einer perfiden Aktion der Bundeswehr zu werden. Vielleicht kommt ja nach der Veranstaltung etwas Licht ins Dunkel, wer wann was zu wem gesagt hat.
„perfide“
LOL
Ich denke Sie lassen sich selbst hier etwas von Ihrer grundsätzlichen Ablehnung der Aktion davon tragen 😉
Mal ganz ehrlich, ich habe auch durchaus eine gespaltene Meinung zu einer PR-Aktion der „Staatsmacht“ ggü. privaten Veranstaltern (erst Recht und vor allem mit Ressourcen der Nachwuchsgewinnung), aber perfide war da gar nix.
Vielmehr war es einfach eine „szenetypische“ Verhaltensweise.
Ich persönlich glaube nicht, dass sich der Staat „szenetypisch“ verhalten sollte, aber er hat nur (sehr effektiv) den Veranstaltern etwas Wasser aus ihrem eigenen Brunnen zu trinken gegeben 😉
Naja wenn man sich jetzt nicht nur in gegenseitiger Empörung ergehen will, so muss man IMHO erstmal die Ziele der beteiligten Akteure Republica und BW , deren Klientel, deren Befindlichkeiten und politische Grundeinstellung benennen, bevor man das Handeln des einen oder anderen bewertet:
Die republica-Gründer sind nun mal Netzaktivisten, die sich schon immer linksliberal bis grün-alternativ verortet haben, es sind viele Mitglieder des Chaos Computerclubs unter ihnen und sehr viele pazifistisch orientierte Menschen, die täglich gegen staatliche Überwachung und für eine freie, offene, individualistische, selbstbestimmte, Netzkultur eintreten und teilweise auch als Sachverständige vor dem Bundesverfassungsgericht schon gehört wurden. Sie haben die Netzkultur in Deutschland schon geprägt, als die BW sie noch gar nicht wahrgenommen hat. Viele sind auch Gründer von kleinen Startups oder freie Journalisten, die auf sehr schmaler wirtschaftlicher Basis mit idealistischer Überzeugung arbeiten und daher mit entstpechendem Sendungsbewusstsein agieren.
Die Bundeswehr steht mit ihrer hierarchischen Struktur, ihrer Bereitschaft zur Gewaltausübung, ihrer Vorschriftenorientierung, ihrer Uniformität, ihrer Geheimniskrämerei, ihrer Überwachungsattitüde aber auch ihrer hohen staatlichen Finanzausstattung in ganz vielen Bereichen dem Lebensmodell und der Weltsicht der meisten Republicamacher und Teilnehmer geradezu diametral gegenüber.
Außerdem dringt sie seit ca. 2 Jahren in Netzbereiche vor, die die Netzaktivisten im Prinzip als ihren Claim sehen, was man an den ätzenden Kommentaren zum Sinn des Kommandos Cyber bzw. dessen Vertreter nach der letzten Republica idealtypisch sehen kann. Wer mal einen Einblick in diese Denke haben will, der höre sich Logbuch-Netzpolitik 221 vom vergangenen Jahr an und lese sich die Kommentare dazu durch. https://logbuch-netzpolitik.de/lnp221-ich-glaub-doch…
Hier treffen also Menschen und Organisationen aufeinander die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Das wäre auch alles kein Problem, wenn die Republica nicht so erfolgreich wäre und sich zu einer der bedeutensten Netzkonferenzen weltweit gemausert hätte und damit in großer Zahl bestausgebildete IT-Spezialisten anzieht. Und damit natürlich für die Bundeswehr, die solche Leute händeringend sucht, eine naheliegende Rekrutierungsquelle zu sein scheint. Und da haben wir jetzt den totalen Interessenkonflikt, denn die Macher der Republica lassen sich zwar gerne von Firmen und Ministerien sponsern, pochen aber auf ihre inhaltliche Unabhängigkeit als das identitätsstiftende Moment der freien Netzkultur und sehen sich geradezu als Bollwerk gegen die „Militarisierung des Netztes“ an der aus ihrer Sicht die BW mit ihren höchst erfolgreichen Youtubeserien und der konsequenten Anwerbung von IT-Spezialisten einen moralisch abzulehnenden Anteil hat.
Ich teile diese Einstellung nicht – aber man muss ihre Ursachen zumindest nachvollziehen, bevor man ihnen inkonsistentes Verhalten vorwirft. Aus ihrer Sicht, will die BW auf ihrer Hippie-Party die besten Tänzer abgreifen und sich dabei nicht mal an den Dresscode halten.
Das von Sascha Stoltenow entworfene Bild des am Einlass abgewiesenen Jugendlichen in Tarnjacke, der wegen Verletzung des Dresscodes nicht auf die hippe Party gelassen wird, trifft die emotionalen Verhältnisse aus Sicht der Republicaveranstalter aus meiner Sicht ganz gut –
ABER aus Sicht eines Soldaten und der BW ist dieses Bild auch unheimlich kränkend, denn diese tun ihren Job ja nicht aus Jux und Tollerei, sondern vertreten ein todernstes Interesse unseres Staates und sind aus ihrer Sicht bereit für diesen und die Sicherheit seiner Einwohner sogar ihr Leben zu geben, was die Teilnehmer oder die Orgas der Republica jedenfalls nicht offiziell geschworen haben. Sie wären im Bild gesprochen jederzeit bereit, die sie ausschließenden Partypeople zu retten, wenn ein Feuer ausbräche oder jemand die Bude stürmen wollen würde…Aus diesem aufopferungsvollem Anspruch und dessen Geringschätzung leiten viele Kommentatoren dann einen höherwertigen moralischen Anspruch ab, überall da wo es dem eigenen Auftrag dienlich erscheint, offiziell und damit in Uniform für diesen werben und rekrutieren zu dürfen und Toleranz für den eigenen staatstragenden Idealismus einzufordern, wo andere eben diese voll für sich zu vereinnahmen versuchen.
Und da haben wir ihn wieder: den Kampf um die moralische Deutungshoheit und die daraus resultierende gegenseitige Geringschätzung und Kränkung. Das Ergebnis ist tatsächlich Spaltung bzw. die Verfestigung der gegenseitigen Vorurteile – die Schuld daran würde ich aber beiden Akteuren geben wollen, denn beide haben darauf beharrt, dem „Gegner“ den eigenen Kodex aufzwingen zu wollen und sind damit den eigenen Ansprüchen IMHO nicht gerecht geworden:
Wie soll man das Motto „pop the bubble“ – die eigene Filterblase zum Platzen bringen ernst nehmen, wenn sich die Republica in genau dieser Netzaktiven Filterblase gegen die Uniformträger mit einem ganz anderem Weltbild verschanzt?
Und wie will die BW den Vorwurf der reinen Rekrutierungsabsicht entkräften, wenn Sie ihren Auftritt und ihre Gegenrede exakt im Style ihrer Rekrutierungsveranstaltungen aufzieht?
Und warum kann man dem jeweils anderen nicht zugestehen, einen wichtigen Beitrag zum Wohle unseres Landes zu leisten, was zweifelsohne doch der Fall ist?
Das Herausreden auf das Hausrecht bei einer Privatveranstaltung scheint mir ebenso kleinlich, wie der Verweis auf die Uniformtragepflicht.
(Facebook ist auch eine „private“ Veranstaltung – von der aber wegen ihrer Weltweiten Wirkung gerade von netzpolitischer Seite Pluralität gefordert wird – genau wie man das auch von einer der bedeutensten Netzkonferenzen fordern kann.) und (die BW kann auch ihren Soldaten auch erlauben in Zivil aber mit Firmennamensschild aufzutreten, wenn sie das wirklich will). Wer aufeinander zugehen will, findet Wege!
So kann sich jetzt jeder in seinen Klischees bestätigt fühlen, was ich mehr als schade finde…
Sehr interessanter, ausgewogener Kommentar!
Danke.