Antreten zum Nachsitzen – Vom Scheitern der Inneren Führung und ihren Perspektiven

Titelbild des Buches Innere Führung auf dem Prüfstand

„Die Führungskultur ist gut. Wir haben ein Problem mit der Durchdringung in der Truppe.“ Das sagte sinngemäß der Kommandeur des Zentrums Innere Führung der Bundeswehr, Generalmajor Reinhardt Zudrop, zur Eröffnung des 11. Kolloquiums Innere Führung am 14. September in Koblenz (Programm zum Herunterladen). Die Eröffnung war gleichsam das Fazit der Veranstaltung, die unter der Fragestellung „Innere Führung – Konfession oder Profession?“ stand. Doch genau in dieser Bewertung wird ein fundamentales Problem der Inneren Führung deutlich. Es kann nämlich nur eines stimmen. Entweder, die Führungskultur ist gut. Dann durchdringt sie die Truppe. Oder die Führungskultur durchdringt die Truppe nicht. Dann hat sie Defizite, die genauer zu betrachten sind.

Ausgangspunkt der aktuellen Debatten um die beiden Themen Innere Führung und Traditionsverständnis sind unter anderem Berichte über fragwürdige Ausbildungsmethoden und Misshandlungen – Stichworte: Pfullendorf und Sondershausen – sowie der Fall Franco A. Ein mutmaßlich krimineller Offizier hatte sich als Flüchtling registrieren lassen, versucht, sich illegal eine Waffe zu beschaffen, und darüber hinaus in an der französischen Offizierschule eine Abschlussarbeit eingereicht, die keine wissenschaftlichen Kriterien erfüllte, dafür aber völkische und anti-semitische Verschwörungstheorien nicht nur unkritisch darstellte, sondern diese als zutreffende Analyse einer umfassenden politischen Strategie westlicher Regierungen für wahr nahm.

Mit Blick auf die Innere Führung – das Thema Traditionserlass klammere ich hier bewusst aus – fällt auf, dass es bislang niemanden aus Politik und Militär gibt, der bereit wäre, das Konzept grundsätzlich zu hinterfragen. Im Gegenteil: Allen, die sich öffentlich äußern, gilt die Innere Führung als Erfolgsgeschichte, die es lediglich weiterzuentwickeln gelte. Gleichermaßen lesenswert wie historisierend hat diese Geschichte zuletzt Oberst Burkhardt Köster in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung weitergeschrieben. Bemerkenswertes Detail am Rande. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte Köster im Februar 2017 die Leitung des Referats Innere Führung im Verteidigungsministerium entzogen. Der Vorwurf: Er sei Hinweisen auf entwürdigende Ausbildungsmethoden zu zögerlich nachgegangen (Quelle: tagesschau.de).

Zögerlichkeit scheint mir auch der angemessene Begriff zu sein, um die Diskussion um die Innere Führung selbst zu charakterisieren. So hat von der Leyen zwar die Führungskräfte der Bundeswehr zum kollektiven Nachsitzen verdonnert, doch dessen Ergebnis scheint schon vorab festzustehen. Das wird exemplarisch an einem Bericht auf der Webseite des Ministeriums zu einer Impulsveranstaltung am 24. August 2017 deutlich, ebenfalls am Zentrum für Innere Führung in Koblenz. Dort heißt es unter anderem: „Gemeinsamer Tenor nach dem arbeits- und gesprächsintensiven Tag am Zentrum für Innere Führung in Koblenz: „Das Konzept der Inneren Führung sollte von der Bundeswehr behutsam weiterentwickelt werden, eine vollständige Neufassung ist aber nicht nötig.“ Es wäre mehr als überraschend, wenn in den weiteren geplanten Workshops ein anderes Fazit gezogen würde – und genau das ist ein Problem. Ein Problem, das in Aufbau und Teilnehmerkreis der Workshops angelegt – und meiner Einschätzung nach gewollt – ist.

Die Innere Führung ist jeher vor allem Gegenstand eines Elitendiskurses. Als Beruhigungspille für Politik und Gesellschaft sollte sie soldatische Identität nicht prägen, sondern eingrenzen. Der um das Konzept herum entwickelte Apparat von Dienststellen, Gremien und Dokumenten dient eher der Selbstbestätigung als der dringend notwendigen Weiterentwicklung. Die Partizipationsinszenierung durch das Ministerium passt perfekt zu dieser Programmatik. Wenn ich im Beisein der Ministerin Generäle und Admiräle auf ein Podium setze, muss ich schon sehr naiv sein, wenn ich ernsthaft erwarte, dass dabei mehr als komplette Affirmation herauskommt. Das ist – aus soldatischer Sicht – ein verpasste Chance, denn die Innere Führung hat durchaus das Potential zur Sinnstiftung beizutragen. Das aber nicht als auf die Führungskräfte beschränktes normatives Theoriegebäude, sondern als Handlungsprogramm auf allen Ebenen.

Ein wichtiger Impuls in diesem Sinne kommt – man muss es deutlich sagen – wieder einmal von Marcel Bohnert. Der Major i.G. hat sich in den vergangenen Jahren zum Ein-Mann-Kompetenzzentrum in Sachen kritischer sicherheitspolitischer Diskussionen aus soldatischer Perspektive entwickelt. Als Herausgeber hat er Publikationen initiiert, die der Gedankenwelt junger Soldatinnen und Soldaten sowie von Veteranen erstmals eine größere Sichtbarkeit verschafften. Dass einige der Äußerungen in der Öffentlichkeit und bei der Führung der Bundeswehr dabei – teilweise zurecht – Irritationen hervorriefen, war vermutlich Teil des Konzepts. Der Integrität von Bohnert tut dies keinen Abbruch. Kein Wunder, dass er nun, nach Abschluss seines Generalstabslehrgangs den Preis „Primus inter Pares‘‘ erhielt. Diesen verleiht die FüAkBw an denjenigen Lehrgangsteilnehmer, der in „Kameradschaft, persönlicher Integrität, ethischer Grundhaltung, beruflichem Selbstverständnis und Leistung für den Lehrgang‘‘ überzeugt hat. Das Besondere: Den Preisträger wählen die Lehrgangsteilnehmer selbst aus ihrer Mitte.

Parallel zum Abschluss seines Lehrgangs legt Bohnert publizistisch nach. „Innere Führung auf dem Prüfstand. Lehren aus dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr“ ist der Titel seines neuesten Buches. Darin untersucht Bohnert systematisch, ob sich das Konzept der Inneren Führung im Einsatz bewährt hat, welche Elemente dabei eine wesentliche Rolle gespielt haben und wo die Defizite liegen. Er stützt seine Analyse nicht nur auf eigenen Erfahrungen, sondern auf eine umfassende Erhebung unter Offizieren an der Führungsakademie der Bundeswehr. Bewährt hat sich das Konzept nach Auffassung der Befragten vor allem dort, wo es um das soldatische Miteinander geht. Das sind unter anderem die Bereich Menschenführung, Fürsorge und Motivation. Kritisch sehen die Befragten die Rolle der Inneren Führung insbesondere bei der Legitimation, der politischen Bildung und der Integration, also der Einbindung in die Gesellschaft. Das heißt aus meiner Sicht nichts anderes, als dass unter nach höchsten Standards ausgewählten Offizieren der Bundeswehr erhebliche Zweifel daran bestehen, ob das von der politischen Führung in höchsten Tönen gelobte Konzept der Inneren Führung genau dort gescheitert ist, wo es aus politischer und gesellschaftlicher Sicht, die meiste Wirksamkeit entfalten sollte.

Bohnert selbst ist in seinem Urteil nicht ganz so kritisch. Dennoch hofft er, dass sowohl das Verteidigungsministerium als auch die Bundeswehr die aktuelle Debatte um die Neuausrichtung nutzen, um auch das Konzept der Inneren Führung auf den Prüfstand zu stellen. Eines seiner Kernanliegen ist es dabei, die Erfahrungen aus dem Afghanistan-Einsatz nicht ungenutzt zu lassen. Diese sollten sowohl bei der militärischen Ausbildung als auch bei der Entwicklung einer soldatischen Identität eine zentrale Rolle spielen. Dazu gehören für Bohnert auch die Frage nach der Traditionsbildung als auch die Etablierung einer angemessenen Veteranenkultur.

Es scheint kein Zufall, dass die politische Führung diese Handlungsfelder in den Jahren seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes sträflich vernachlässigt hat. Weder gab es eine umfassende und transparente Analyse der Ziele und Ergebnisse des deutschen Afghanistans-Einsatzes, wie sie unter anderem Winfried Nachtwei schon lange fordert. Noch hat das Verteidigungsministerium das vor inzwischen sechs Jahren vom damaligen Minister Thomas de Maizière angekündigte Veteranenkonzept umgesetzt. Es passt ins Bild, dass auch die vor mehr als fünf Jahren durch den Generalinspekteur Volker Wieker angekündigte Überarbeitung des Traditionserlasses erst jetzt langsam beginnt.

Angesichts der Art und Weise wie sich das Ministerium unter Führung von Ursula von der Leyen derzeit dieser Themen annimmt, sind Zweifel angebracht, ob die dringend nötige Modernisierung der Bundeswehr nicht nur das Material sondern auch das Führungsverständnis mit einschließt. An Publikationen wie der von Marcel Bohnert wird aber deutlich, dass die Debatte über die Innere Führung auch selbst vorbildlich in Sinne dieser Führungsphilosophie geführt werden sollte. Entscheidend ist, dass die Truppe sich gegenüber den Inszenierungsstrategien des Ministeriums emanzipiert und vielfältige Stimmen in den öffentlichen Diskurs einbringt. Dem Primat der Politik zu folgen heißt nämlich nicht, unkritisch umzusetzen, was Ministerium und Regierung vorgeben. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Ihr Souverän sind die deutschen Wählerinnen und Wähler. Mit diesen sollten Soldatinnen und Soldaten als Staatsbürger darüber streiten, was sie voneinander erwarten.

Das Buch „Innere Führung auf dem Prüfstand. Lehren aus dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr“ ist im Deutschen Veteranen Verlag erschienen und bei Books on Demand oder Amazon erhältlich.

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.