Kunduz 2030 – Eine Vision

17. April 2030. Vor dem Zentralkrankenhaus der afghanischen Nationalarmee in Kundus nimmt ein Polizeibeamter die Personalien von Blogger Idris Z. auf. Idris hatte über seinen Account beim afghanischen Netzwerk afg.com vorgeschlagen, sich vor dem Krankenhaus zu treffen, um sich mit verwundeten und getöteten afghanischen Soldaten der UN-Friedenstruppe im Kongo solidarisch zu zeigen. Jetzt besteht der Verdacht, dass Idris mit seinem Vorschlag gegen das Versammlungsrecht verstoßen hat, das seit 2023 in der afghanischen Verfassung verankert ist.

Die UN-Mission im Kongo ist in Afghanistan umstritten. Rund 70 Prozent der Afghanen sind dagegen, noch weiter Truppen nach Zentralafrika zu schicken. Vor allem, weil die afghanische Regierung die Bevölkerung nur sehr zögerlich über den Einsatz, den eine Loya Jirga im Jahr 2025 beschlossen hatte, informiert. Der sunnitische Imam hatte zu Beginn des letzten Ramadans die Regierung gemahnt, den Einsatz zu beenden, denn nichts sei gut im Kongo.

Diesen Eindruck hatten vor allem Berichte über einen Hinterhalt der Kongo Liberation Force verstärkt, bei dem vor 2 Tagen 5 afghanische Soldaten getötet worden waren. Während die Moral der Soldaten in Süd-Kivu hoch ist, ist in den afghanischen Medien eine Debatte über deren Ausrüstung und Ausbildung entbrannt. Dessen ungeachtet hat sich bei afg.com eine Gruppe mit mehreren tausend Menschen gefunden, die die Soldaten – unabhängig von der Debatte um den Einsatz an sich – unterstützen wollen. 20 von ihnen stehen nun vor dem Krankenhaus in Kundus, Frauen und Männer wie üblich getrennt. Während Idris mit dem Polizisten spricht, nimmt eine Polizistin die Personalien der vier anwesenden verschleierten Frauen auf. Die Stimmung ist entspannt, obwohl sich einige der Menschen, die sich spontan versammelt haben, fragen, ob die Polizei nichts besseres zu tun habe, als die etwas 50-jährige Amina L. ruft: „Seid doch froh, dass sich die Polizei heute um so was kümmert, vor 20 Jahren hätten sie uns noch ausgeraubt.“

3 Gedanken zu „Kunduz 2030 – Eine Vision

  1. Sehr schön geschrieben, sehr schön. Obwohl ich eher 2060 daraus machen würde…

    Aber der Polizeibeamte wird Idris Z. vermutlich kurz nach der Aufnahme der Personalien sagen, dass das Verfahren eingestellt werden wird. Zumindest kann man das nur hoffen.

  2. Die Geschichte liest sich so skurill, dass ich persönlich da eher 2330 daraus machen würde.
    Wenn die zivilisatorische Entwicklung von Gesellschaften nach einer einigermaßen gleichmäßigen Regel, Gesetzmäßigkeit, Geschwindigkeit ablaufen würde, wann hätte diese Geschichte auf dem Boden des jetzigen Deutschland passieren können ?

    Wann hatten wir in Deutschland eine Stammesgesellschaft, Fürsten, Grafen, Kriegsherren eventl. Fürstbischöfe vor einer säkularisierten, aufgeklärten Gesellschaft ? Ich denke man muss in die Zeit des 30 jährigen Krieges, also zwischen 1618 und 1648 zürückgehen um ähnliche Verhältnisse in Kontinentaleuropa wie im jetzigen AFG anzutreffen. Religiös motivierte Feldherrn (heutige Warlords in AFG), die heute wie damals die Religion als Vehikel benutzen um ihre eigenen Machtinteressen durchzusetzen. Die Landstriche die während des Feldzuges durchzogen werden, bleiben verwüstet zurück (Massenexekutionen der Taliban in Mazar il Sharif 1998), die Bauern werden ausgeraubt, die Religionszugehörigkeit des Fürsten bestimmt die religiöse Zugehörigkeit des Volkes (gilt auch für heute von den Taliban regierte Gebiete).

    Und jetzt stellen Sie sich mal bitte die Situation des Schweigemarsches, der Gedenkfeier vor dem BwK Koblenz mal bitte in der Situation im 17. Jahrhundert vor. Wieviele Millisekunden hätte der lokale Herrscher damals gezögert, die Solidaritätsdemonstrierer zumindestens zu vertreiben ?

    Deshalb ist die im Artikel geschilderte Geschichte fiktiv und wird sich meiner Meinung nach nicht im Jahr 2030 sondern eher im Jahr 2330 in Kundus abspielen.

    Die Konsequenzen aus dieser Schlussfolgerung darf jeder für sich selber bewerten.

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