Buchvorstellung Soldatentum

Ich habe heute die Gelegenheit ergriffen und bin der Einladung zur Vorstellung des Buches „Soldatentum“ in den Räumen des Wehrbeauftragten des Bundestages gefolgt. Es war eine gelungene Veranstaltung mit einigen Diskussionsbeiträgen, die durchaus das Potential haben, die ein oder andere Kontroverse auszulösen – es sei denn, es gelingt der politischen Führung weiterhin, das Thema wann und warum wir Streitkräfte einsetzen, aus der Öffentlichkeit herauszuhalten.

Einige Statements habe ich im folgenden Storify dokumentiert (und war, wenn ich das richtig gesehen habe, auch der einziger Twitter-Nutzer im Raum. Ich bin gespannt auf die Resonanz in den Medien und werde entsprechende Links hier ergänzen.

Zum Sammelband, der bei einschlägigen Online-Medienhökern bestellt werden kann, durfte ich auch einen Beitrag leisten. Unter der Überschrift „Heldenlos – soldatische Identität in der Mediengesellschaft“ habe ich ein paar Gedanken zusammengefasst, die sich in den vergangenen Jahren auch durch die Arbeit hier im Blog entwickelt haben.

Nachtrag:

Als Leserdienst greife ich die Anregung aus dem ersten Kommentar gerne auf und stelle ein Inhaltsverzeichnis des Buches zur Verfügung:

Geleitwort des Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch

Geleitwort Soldatentum?! Zur Notwendigkeit einer Debatte, Klaus Naumann

Soldatentum im Rechtsstaat, Klaus Bohn

 

I. Selbstbild

Der Soldat als Gestalt, Felix Springer

Selbstblockaden, Stefan Gerber

Soldat und Söldner. Demokratie und Schlagkraft, Carlo Masala

Armee in zwei Welten, Marcel Bohnert

 

II. Fremdbild

Heldenlos – soldatische Identität in der Mediengesellschaft, Sascha Stoltenow

Kämpfer in postheroischer Zeit, Gottfried Küenzlein

Wofür kämpfen? – Die Notwendigkeit einer nationalen Sicherheitsstrategie, Fabian Schmidt

Bundeswehr und Öffentlichkeit: Militärische Tradition als gesellschaftliche Frage, Cora Stephan

Die Bundeswehr: Rechts und prekär? – Ein (welt)historischer Rahmen, Michael Wolffsohn

 

III. Feindbild

Von der Notwendigkeit des Feindes im Krieg oder Feindschaft und Krieg, Bernhard Schreyer

Der Soldat als Feindbild im Inneren?, Larsen Kempf

Soldat und Partisan als Antibürger, Martin Böcker

 

Nachwort der Herausgeber

 

 


3 Gedanken zu „Buchvorstellung Soldatentum

  1. Danke für den Hinweis auf das interessant klingende Buch, das ich mir sofort bestellt habe.

    Ansonsten: Vielleicht werde ich mit meinen bald schon 35 Jahren langsam alt, aber mit einem Inhaltsverzeichnis hätte ich bezüglich Gewinnung einer Vorstellung vom Inhalt mehr anfangen können als mit Twitter-Kryptik und Häppchenprosa, die ohne den Kontext ohnehin kaum zu verstehen ist. Nicht jeder gewinnbringende Beitrag ist m.E. auf knallige Zitate herunterbrechbar, ohne daß das Wesentliche verlorengeht.

  2. @Sascha Stoltenow:
    Leserfreundlicher kann ein Blog kaum sein, vielen Dank. Ein Grund mehr sich dieses interessante Buch zuzulegen, das die Erwartung nährt, sich wohltuend vom üblichen Gewäsch abzuheben.

  3. Es scheint, als sei die erhoffte mediale oder gar gesellschaftliche Debatte weitgehend ausgeblieben; jedenfalls läßt sich das aus der folgenlos gebliebenen Ankündigung schließen, an dieser Stelle auf entsprechende Beiträge hinzuweisen. Angesichts dieser Nullreaktion meint die Bundeswehrführung konsequenterweise wohl, ihrerseits an der bereits im Buch und hierorts überhaupt beklagten Kommunikationslosigkeit festhalten zu können. Schlimmer noch: Das kürzlich verkündete Programm des neuen obersten Dienstherrn rückt absolut sekundäre Aspekte des Soldatendienstes noch mehr in den Fokus und führt somit immer weiter weg von der erlebten Einsatzwirklichkeit des Kämpfers. (Insofern scheinen sich die, teils als chauvinistisch diffamierten, warnenden Worte angesichts der hier verteilten Vorschußlorbeeren zu bestätigen.)

    Ich habe das Buch nun selbst gelesen und gratuliere den Herausgebern zu einem insgesamt gelungenen Werk. Herausheben möchte ich insbesondere die Beiträge von Gerber, Stoltenow (bitte nicht als Gefälligkeitslob an dieser Stelle verstehen), Küenzlen, Stephan und Böcker, die allesamt durch thematische Durchdringung, inhaltliche Stringenz und luzide Formulierung bestechen. (Etwas störend empfand ich den wiederholt artikulierten Hinweis, daß sich die Autoren im besonderen Maße den Prinzipien wissenschaftlichen Arbeitens verpflichtet fühlten. Das erweckt den Eindruck, als ob sie sich (berechtigterweise?) veranlaßt sähen zu fürchten, zuvörderst oder besonders wirksam in dieser Hinsicht angegangen zu werden. Diesen erwarteten Vorhalt scheinen einige Autoren dadurch entkräften zu müssen, indem sie sich eines kompliziert klingenden Soziologen-Jargons befleißigen. Das wirkt mitunter sehr bemüht, insbesondere da andere Autoren, speziell jene aus dem akademischen Establishment, dies Ansinnen mit einem pointiert saloppen Ton und mangelnder stilistischer Sorgfalt konterkarieren. Generell wäre dem Buch ein etwas sorgfältigeres Lektorat zu wünschen gewesen, und den jungen Herausgebern den soldatischen Schneid, die ihnen im Rahmen ihrer Verantwortung zukommenden Rechte (z. B. zur Durchsetzung eines einheitlichen stilistischen Niveaus) auch gegenüber den, im übrigen respektierten, akademischen Lehrern bzw. militärisch Ranghöheren geltend zu machen. Schade auch, daß z. T. die Chance nicht genutzt wurde, Beiträge, die auf bereits bestehenden Redemanuskripten o. ä. basierten und dort naturgemäß dem Zwang zu einer verkürzten Darstellung unterlagen, im Buch weitergehend zu entfalten. Wo sonst, wenn nicht hier, ist man versucht zu fragen.)

    Sicherlich verdiente jedes einzelne Kapitel einen ausführlichen, mitunter auch kritischen Kommentar. Ich möchte mich hier jedoch auf den Beitrag M. Böckers beschränken, weil sein Thema: „Ein zur emotionalen Bindung befähigendes und einladendes Leitbild des Soldaten“ hier bereits Gegenstand zweier Diskussionen aus dem Herbst 2012 war, zu denen ich selbst einen bescheidenen Beitrag leisten durfte.

    Böcker hatte damals das trotz geänderter außen- und sicherheitspolitischer Rahmenbedingungen sowie dadurch bedingter Einsatzrealitäten starre Festhalten am Verteidigungsbegriff als Irrweg und Verschleierung kritisiert, welcher einerseits die offiziöse Kommunikation in die Gesellschaft hinein erschwere und deshalb diese nur sehr unzureichend zur grundsätzlichen Bejahung und Unterstützung der Einsätze motivieren könne sowie andererseits dadurch die Soldaten an der Sinnhaftigkeit ihres Einsatzes zweifeln lasse, jedenfalls eine positive Identifikation mit dem konkreten Auftrag verhindere, somit überhaupt das Selbstbild des Soldaten als Gestalt innerhalb des bundesrepublikanischen Gesellschaftsgefüges erodiere und anstelle überkommener Gewißheiten eine gefährliche Leerstelle hinterlasse. Sein Lösungsvorschlag bestand seinerzeit darin, diese Leerstelle mit Hilfe des semantischen Übergangs von der Verteidigungs- zur Durchsetzungsarmee zu schließen. Nicht mehr (ausschließlich) die äußere Sicherheit an den Grenzen des eigenen Territoriums sollte der sinnstiftende Zweck der Armee sein, sondern der Erhalt oder die (Wieder-)Herstellung derjenigen Bedingungen, unter denen die Nation ein Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand führen bzw. fortsetzen kann. Mein Gegenargument war, daß dies lediglich der Austausch eines rationalen mit einem anderen rationalen Motiv sei, welches genauso gut oder schlecht eine emotionale Bindung an den Dienstherrn und den gegebenen Auftrag zulasse. Alle rationalen Motive, aber, werden in psychischen und physischen Krisen, und der Krieg, das Gefecht, die Todesgefahr sowie der Tötungszwang dürften zu den elementarsten Krisen zählen, die ein Mensch zu durchleben gezwungen sein kann, diese Motive also werden fundamental in Frage gestellt. In diesem Moment treu und loyal zum Dienstherrn und dem Auftrag zu stehen und nicht den stärkeren rationalen Argumenten der Gegenseite zu erliegen, dazu bedarf es eines starken, emotional grundgelegten Motivs. Ein solches Motiv muß über tagespolitische Kurswechsel und Opportunitätsvolten hinausweisen, darf davon nicht berührt werden. Und es muß sich klar und eindeutig auf den Dienstherrn beziehen, aus diesem hervorgehen, in ihm selbst oder einem repräsentativen Teil („dignified part“) konkretisiert sein.

    In seinem Kapitel „Soldat und Partisan als Antibürger“ entwirft Böcker nun zunächst ein Bild der bundesrepublikanischen Gesellschaft, wie sie sich seit dem Ende des großen Ost-West-Konfikts bis heute entwickelt hat, und extrapoliert diese Entwicklung unter der Annahme, daß die hierfür verantwortlichen soziologischen Mechanismen weiterhin wirksam bleiben. Entscheidend für diese Entwicklung sei der Wegfall des östlichen Antagonisten als des schlechthin Bösen gewesen, gegenüber dem die eigenen Werte, der eigene Lebensstil, das eigene System als schlechthin gut gelten konnten. Da diese Selbstüberhöhung nun nicht mehr strategisch geboten erscheine, der hierfür erforderliche Ernst, das Pathos, das Ritual sowohl von seiten des Staates als auch von seiten der Gesellschaft als unnötiger und damit unrentabler Aufwand angesehen und darum nicht mehr aufgebracht werde, verlören diese bislang sakrosankten Werte ihren unbestrittenen Rang. Sie stellten nurmehr eine Möglichkeit der Weltauffassung unter anderen, gleichrangig konkurrierenden dar. An die Stelle der Selbstgewißheit, im Besitze der einen und einzigen Wahrheit zu sein, die zugleich gut und schön ist, trete als Überwert die Toleranz, wonach prinzipiell alle Wertsysteme tatsächlich werthaltig seien, keinem ein Vorrang gegenüber den anderen zukomme, alle „gleich-gültig“ seien. Diese Toleranz führe zur Auflösung der Einheit, zu Segregation, zu Individualismus in extremis, letztlich zu Anarchie und Chaos. Die Gesellschaft der Zukunft werde daher, insofern sie „Gesellschaft“ bleiben wolle, eine sein, die sich dem Zerfall entgegenstellen müsse. Da dieser Zerfall der bisher gewohnten, staatlichen Ordnung mit Carl Schmitt eschatologisch als aufziehendes Reich des Antichristen interpretiert wird, werden die Kräfte des Widerstands als Katechon identifziert, die an ihrer Gesellschaftlichkeit festhaltende Gesellschaft als katechontisch bezeichnet. Der Katechon habe nur dann eine Chance, den fortschreitenden Zerfall aufzuhalten, wenn es gelinge, die Forderungen der Menschen an den versorgenden Staat, nämlich nach Frieden, Freiheit und Wohlstand, zu garantieren.

    Die skizzierte Zustandsbeschreibung und Prognose hat sicherlich einiges für sich. Wenngleich die Entwicklung im Bereich des unmittelbar Politischen noch nicht sehr weit fortgeschritten ist, so scheinen die Erschütterungen und wider den Schein und den Zweckoptimismus der politischen und wirtschaftlichen Eliten nach wie vor ungelösten Probleme im Bereich der Ökonomie sowie am anschaulichsten der jeden Tag aufs neue feuilletonistisch beklagte Niedergang der Kultur die Diagnose doch zu bestätigen. Allerdings nur, wenn man den klassischen Staat hegelianisch als Inbegriff, als Letztziel des zivilisatorischen Prozesses der Ver-Ordnung begreift. Denkbar und möglich erscheint hingegen auch der Übergang in eine neue soziale Struktur ähnlich einem Ameisenstaat, in der alle organisierenden Mächte der Zwischenebenen ausgeschaltet sind und nur noch die Masse der Individuen unter einem obersten Prinzip agiert. Dieses darf jedoch keine unmittelbar dirigierende Wirkung entfalten, sondern fungiert lediglich als zentrales Feldzeichen, das Orientierung im Gewusel gibt; darüber hinaus vielleicht eine Funktion als lebenspendende, immerzu hervorbringende Quelle übernehmen müßte, etwa als Energieministerium, dem die Oberaufsicht über die globale Kraftwerksarchitektur obliegt, welche im übrigen Strom kostenfrei bereitstellt. Davon abgesehen, ist die Toleranz in Deutschland ja keineswegs vollkommen verwirklicht. Es ist eben nicht alles gleich-gültig. Gerade von denjenigen, die die Toleranz wie eine Monstranz vor sich hertragen, wird das Mittel der Politischen Korrektheit am häufigsten eingesetzt, mit welchem unliebsame Begriffe und Ideen geächtet werden, also ihnen ihre Gültigkeit aberkannt wird.

    Nachdem Böcker die zukünftige Gesellschaft als katechontisch klassifiziert hat, die ihre Existenzberechtigung vor den Augen der Individuen nur habe, insofern sie die Lebensgrundlagen auf dem gewohnten Niveau zu sichern imstande sei, identifiziert er den Feind als diejenige Kraft, die diese Lebensgrundlagen bedrohe. Da der Wohlstand Deutschlands in hohem Maße abhänge von exterritorialen Märkten aller Art, seien dies Kräfte, die diese Märkte selbst oder die Wege dorthin bedrohten. Böcker lokalisiert beide im wesentlichen in solchen Weltgegenden, in denen staatlich-zivilisierte Strukturen noch nicht oder schon nicht mehr existierten. Der Feind sei also nicht seinerseits Bürger, d. h. ein sich aus rationalen Motiven in eine Gesellschaft einfügender Mensch, sondern Antibürger, d. h. ein sich aus vorrationalen Motiven einem Einzelnen oder einer Kleingruppe verpflichtet fühlender Mensch, der in Gestalt des Partisanen das Theater betrete. Während die Rationalität des Bürgers diesen verhandlungsbereit mache, also möglicherweise stärkeren rationalen Argumenten der Gegenseite zugänglich, werde der vorrationale Antibürger durch seine emotional begründete Loyalität gegen solche Argumente immunisiert. Da der Antibürger nicht auf Argumente des Bürgers (Bestechung oder Drohung mit Zwang) eingehe, müsse er bekämpft werden. Dem rational wägenden Bürger sei das persönliche Risiko im Kampf indes den zu erwartenden Gewinn nicht wert, er beauftrage daher den Soldaten als sein Instrument. Insofern dieser nach dem überkommenen Leitbild seinerseits ein Bürger, allerdings in Uniform gewandet, ist, unterliege er demselben Kalkül und sei u. U. nicht zur Inkaufnahme des Risikos bereit. Der Soldat, der im Auftrag des Bürgers den Partisanen als Antibürger bekämpfen soll, müsse daher seinerseits zum Antibürger werden, um sich dem Kampf stellen und ihn bis zum Ende ausfechten zu können.

    Es ist einleuchtend, daß sich Böcker an den realen Feinden in den gegenwärtig laufenden Einsätze der Bundeswehr orientiert, welche dem Soldaten tatsächlich als Irreguläre entgegentreten, so die sogenannten Aufständischen in Afghanistan, so die Piraten im Indischen Ozean, so die islamistischen Gruppierungen in Mali usw. Ein ungleich höheres Bedrohungspotential für Märkte und Transportwege haben allerdings nach wie vor Staaten, z. B. der Iran in der Straße von Hormuz oder China in den „chinesichen“ Randmeeren bzw. den Meerengen des Malaiischen Archipels. Obwohl diese Staaten rationalen Argumenten zugänglich sind, werden sie doch in der westlichen Strategic Community als reale Bedrohung wahrgenommen. Insbesondere die Ambitionen Chinas zum Aufbau einer schlagkräftigen Blue Water Navy sind Grund zur Sorge und Anlaß für das verstärkte Engagement der USA im indisch-pazifischen Raum. Zu der Frage, warum die Konkurrenz zu China, anders als der „kalt“ gebliebene Gegensatz zu Rußland, durchaus eskalatorisches Potential in sich trägt, dem nicht mit der Logik der Abschreckung beizukommen sein dürfte, verweise ich auf die Analyse J. Mearsheimers im Chinese Journal of International Politics (2010) 3 (4): 381-396. In bezug auf die Konfrontation mit dem Irregulären liefert Böcker die theoretische Ableitung für die militär-praktische Forderung der Aufstandsbekämpfung, daß der Soldat sich in Kampf- und Lebensweise dem bekämpften Irregulären anpassen müsse, um diesen aufspüren und schließlich schlagen zu können. Da Böcker dies vom Soldaten nicht nur in Form einer zeitlich begrenzten Einübung, einer Imitation also, sondern als grundsätzliche Lebenseinstellung fordert, handelt er sich das Problem ein, wie der Soldat nach Ende eines Einsatzes zu verwenden sei. Denn als Antibürger gibt es für ihn keinen Platz innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Das Problem ist übrigens nicht neu, wie z. B. der Film „Hauptmann Conan und die Wölfe des Krieges“ über den Ersten Weltkrieg zeigt. Ferner scheint Böcker anzunehmen, daß der Partisan ein solcher bleibe, unabhängig davon, wie das Kriegsglück sich wendet. Allerdings weisen sowohl C. Schmitt in seiner „Theorie des Partisanen“, wie auch D. Freudenberg in seiner an Schmitt orientierten, darüber hinausgehenden „Theorie des Irregulären“, wie auch die partisantheoretischen Klassiker (z. B. Mao Zedong) darauf hin, daß der Partisan seine Kampfweise nicht unbedingt frei erwählt, sondern aus der Position seiner taktischen Unterlegenheit heraus oft genug zu übernehmen gezwungen ist. Seine Strategie wird sich darauf richten, zunächst das Gleichgewicht, sodann das Übergewicht zu erlangen, um in solcher Position den konventionellen Krieg zu führen. Das heißt, so grundsätzlich und bedingungslos, wie Böcker unter Berufung auf H. Münkler annimmt, ist seine Entscheidung, als Partisan zu leben und zu kämpfen, nicht. Die o. g. Aufspaltung möglicher Gegnerschaft in regulär und irregulär würde zudem die Aufstellung zweier verschiedener Streitkräfte bedingen, wenn dem Soldaten gleichfalls eine solche grundsätzliche und bedingungslose Entscheidung für eines der zwei Lebensmodelle abverlangt würde. In Ansätzen scheint sich dies tatsächlich bereits zu vollziehen, wenn man den truppeninternen Gegensatz zwischen „Drinnies“ und „Draußies“ (vgl. M. Bohnerts Kapitel „Armee in zwei Welten“) oder in Linieninfanterie (oder gar infanteristische Zweitrolle der z. B. Artilleristen) und Spezial- bzw. EGB-Kräfte in dieser Hinsicht betrachtet.

    Nachdem der Soldat als Antibürger identifiziert ist, der vom Bürger als Instrument seiner Selbstbehauptung nach Belieben (Primat der bürgerlich dominierten Politik!) eingesetzt wird, weist Böcker zu Recht auf die damit verbundene Objektivierung des Soldaten hin, wodurch dessen Würde als Mensch, als Subjekt, angetastet werde. Dies sei zunächst ein Dilemma für den Soldaten selbst, der mit seiner Bürgerlichkeit doch nicht zugleich sein Menschsein aufgeben möchte. Dem Bürger selbst scheint dies weniger Probleme zu bereiten, wie man der wiederum bei Bohnert dokumentierten, wohl durchaus verbreiteten Ansicht, „der (insbesondere seit Aufhebung der Wehrpflicht Zeit- und Berufs-)Soldat habe es sich ja selbst ausgesucht und werde schließlich dafür bezahlt“, entnehmen kann. Die in anderm Zusammenhang durchaus positiv beurteilte Professionalisierung bewirkt hier also Entmenschlichung, deren negative Folgen für den betreffenden Menschen materiell entschädigt werden können. Andererseits und im Widerspruch dazu bieten die unmittelbaren Auswirkungen praktizierter Entmenschlichung im Sinne einer Verrohung, einer Abkehr von bürgerlichen Sitten und Gebräuchen doch reichlich Potential zur Skandalisierung, wie man etwa an der Schädel-Affaire aus dem Jahr 2007 ersehen kann. Einen Ausweg aus dem Dilemma findet Böcker in der bewußten Annahme und Bejahung des Instrumenten-Daseins als Dienst. Der Soldat opfere seine Bürgerlichkeit, seine Subjektivität, mithin seine Menschenwürde im Dienst an den (ehedem Mit-)Bürgern auf. Ihm fließe von dieser Opfertat her eine neue Würde zu, die, daran kann kein Zweifel bestehen, in Anklang an die Sakralisierung in der christlichen Martyria sogar von höherer Qualität ist als die profane bürgerliche Menschenwürde. Folgerichtig bezeichnet Böcker die Gemeinschaft der so in eine sakrale Sphäre eintretenden Soldaten als Orden, als Kaste.

    Abgesehen von der historischen Belastung dieses Begriffs („Orden unter dem Totenkopf“), ergeben sich aus dieser Zuschreibung weit in die Lebenswirklichkeit insbesondere junger Menschen eingreifende Konsequenzen. Denn zwar waren z. B. die hier als Vorbild dienenden mittelalterlichen Ritterorden durchaus diejenige Formation mit dem höchsten Einsatzwert. Allerdings erreichten sie diesen durch die Disziplinierung mit Hilfe der nach monastischem Vorbild gelobten Beachttung der evangelischen Räte: so des Gehorsams, so der Armut (d. i. wenigstens Ablehnung von Gier und Geiz), so der Keuschheit. Mag man bei Gehorsam noch mitgehen wollen, so wird das Streben nach Armut durch die Forderung (und allseits bekundeter Akzeptanz derselben) nach angemessener Besoldung, die mit den Löhnen ziviler Arbeitgeber konkurrieren kann, konterkariert. Das Streben nach Keuschheit wird in unserer durchsexualisierten Gesellschaft, in der gerade auch Soldaten zunehmend einem narzißtischen Körperkult anhängen, wohl als völlig absurd verlacht.

    Im Hinblick auf die hier geführte Diskussion vom Herbst 2012 halte ich fest, daß es Böcker in seinem Beitrag gelungen ist, seiner Forderung nach einer emotionalen Grundlegung des Soldatendienstes tatsächlich zu entsprechen, ohne auf ein anderes rationales Argument ausweichen zu müssen. Dieses emotionale Motiv findet er in der Qualifizierung des soldatischen Tuns als schlechthin Dienst. Dienst am Bürger, der seinerseits sich nicht emotional seiner Gemeinschaft verpflichtet fühlt, sondern dieser nach rationalem Kalkül nur solange anhängt, wie es den Institutionen, nicht zuletzt also der Armee selbst, gelingt, die gewohnten Lebensbedingungen aufrechtzuerhalten. Ich habe Zweifel, daß der Soldat die Zumutungen dieses Bürgers dauerhaft ertragen können wird, zumal der Bürger nicht als Typus, sondern als konkrete Person erfahren wird, die sich als wankelmütig, opportunistisch, beeinflußbar präsentiert. Zudem schützt die Sakralisierung des Dienstes als solchem ja nicht vor der Versuchung, den Dienstherrn zu wechseln. Aus diesem Grund halte ich an meiner Ansicht fest, daß der Soldat sich emotional an den Dienstherrn binden muß. Nicht die preußische Tugend der Pflichterfüllung an und für sich sollte als oberstes Leitmotiv etwa in der politischen Bildung, im militärischen Ritual glorifiziert werden, sondern die Gemeinschaft, der der Soldat dient: Graf Stauffenbergs „heiliges Deutschland“.

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