Überraschung beim Kirchentag: Dialog statt Denkverbot

Ein Gastbeitrag von Julia Weigelt (www.sicherlich.net)

Renke Brahms, der Friedensbeauftragte der evangelischen Kirche und Verteidigungsminister Thomas de Maizière auf der Bühne beim 34. Evangelischen Kirchentag

Da wurde schon viel geboten. Überraschendes, etwa wenn der Verteidigungsminister im Brustton der Überzeugung sagt, die Lücke zwischen Militär und Zivilgesellschaft in Deutschland sei kleiner geworden. Beängstigendes: Wenn eine Grundschullehrerin berichtet, Soldatenkinder müssen sich von ihren Spielkameraden anhören, ihr Vater sei ein Mörder. Doch die größte Herausforderung lag beim Themenblock „Willkommen zu Hause? Auslandseinsätze – Verantwortung und Folgen“ des Hamburger Kirchentags im Dialog zweier nur zu oft unversöhnlicher Lager: Pazifisten und Realisten. Jetzt sind Journalisten ja immer froh über Diskurs, spitzen selbst gerne zu und überspitzen dabei auch manchmal. Doch muss es bei aller Kritik immer konstruktiv und ohne Denkverbote zugehen – etwas, das ich schon am Wochenende auf dem IALANA-Kongress „Quo vadis Nato“ in Bremen schmerzlich vermisst habe. Wer da etwa die Abschaffung der Bundeswehr und einen Nato-Austritt fordert, sollte doch wenigstens einen realistischen Alternativvorschlag machen.

Sie können sich meine Erleichterung vorstellen, als ich auf dem Kirchentag im letzten Panel Renke Brahms zuhören durfte. Der Friedensbeauftragte der evangelischen Kirche versteht seinen Arbeitgeber nicht als unsexy Besserwisser mit erhobenem Zeigefinger und Jesuslatschen, sondern als „Besser-Hoffer“, der die Vision eines friedlichen Miteinanders immer wieder betont. Impulse und Dialog statt Dogma und Denkverboten – das ruhige Miteinander zwischen Brahms und Verteidigungsminister Thomas de Maizière erntete mehrfach Applaus. Nicht allerdings bei den vereinzelten Demonstranten, die als erstes die Militärseelsorge abschaffen wollten. Brahms lobte das neue Miteinander von Kirche und Verteidigungsministerium, und einen Minister, der eine öffentliche Debatte über Drohnen nachgerade einfordere. De Maizière, selbst mit grell-blauem Kirchentagsschal, brachte die Debatte auf den Punkt: „Es geht um das Verhältnis von Utopisten und Realisten“, sagte er. Keine Gruppe alleine könne die Welt verändern – man brauche „realistische Utopisten“, sonst bleibe in der Welt alles beim Alten. Warum können Debatten zwischen den Lagern nicht immer so ablaufen, fragt man sich da.

Brahms forderte eine ausgesprochene Zurückhaltung bei militärischen Einsätzen, rief dem Publikum aber auch zu: „Vorsicht mit dem Klatschen, das wird Ihr Geld kosten.“ Denn zivile Akteure müssten mehr Geld erhalten. Und er räumte ein: „Es gibt trotz allem Situationen, in denen Menschen vor Gewalt geschützt werden müssen, und zwar auch mit Gewalt. Wir müssen uns allerdings fragen: Ist das wirklich die letzte Möglichkeit? Und über Kriterien reden.“ Wenn sich Deutschland verstärkt an der zivilen Krisenprävention beteilige, werde man auch den Soldaten gerecht, die dann nicht das Gefühl hätten, ständig die Kohlen aus dem Feuer zu holen.

Einen Soldaten aus der „Schlammzone“, der im Einsatz außerhalb der Lager operiert hat, suchte der geneigte Zuschauer auf den Panels allerdings vergeblich. Dafür war Oberstarzt Dr. Helge Höllmer, Psychiater am Hamburger Bundeswehrkrankenhaus, dabei. Höllmer forderte mehr Psychiatriebetten im Einsatz, und berichtete vor den Augen des Verteidigungsministers: „Sie kriegen schneller 50.000 Euro für eine Prothese als 10.000 Euro für eine psychiatrische Behandlung.“ Man darf gespannt sein, wie der Minister mit dieser öffentlichen Kritik umgeht – und was er daraus macht.

Was Auslandseinsätze für Soldaten und deren Angehörige bedeuten, sollte eine szenische Lesung zeigen. Wie befreiend es ist, nach dem Einsatz wieder Menschen ohne Uniform zu sehen. Wie erschlagend 80 Sorten Käse im Supermarkt wirken. Wie verstörend es ist zu sehen, dass zu Hause alles normal weitergegangen ist – ich kenne diese Gefühle nur zu gut, auch wenn ich längst nicht so lange in Afghanistan war, wie Soldaten es sind. Der Körper ist sofort da, aber die Seele kommt zu Fuß. Besser und authentischer als die Schauspieler erzählen, hätten das sicherlich der mittlerweile recht bekannte Johannes Clair oder der ehemalige Chef einer Kampfkompanie in Kunduz, Marcel Bohnert, die beide sogar noch aus dem Norden kommen. Doch die Organisatoren hatten die Panels ohne die neue Veteranen-Generation besetzt.

Weitere Panelgäste: Dr. Ute Finckh-Krämer, Bundestagskandidatin der SPD in Steglitz-Zehlendorf, die als Abgeordnete „gegen jedes Einsatzmandat stimmen“ würde, weil „die politischen Mittel noch nicht ausgeschöpft sind“. Sie empfiehlt stattdessen einen „Austausch über gewaltfreie Traditionen“.

Astri Suhrke, Politikwissenschaftlerin aus Norwegen, empfahl, die „Taliban endlich mehr in den politischen Prozess einzubinden“.

Yama Torabi, Direktor von Integrity Watch Afghanistan aus Kabul, erinnerte daran, dass in Afghanistan 2014 nicht nur der teilweise Abzug, sondern auch die Wahl und das Ende vieler Hilfszahlungen anstehe. „Viele Afghanen haben sehr geringe Erwartungen in die Zukunft“, sagte Torabi. „Wir müssen Vertrauen aufbauen, um Investitionen zu bekommen.“

Zur Autorin

Julia Weigelt ist Fachjournalistin für Innere und Äußere Sicherheit und berichtet unter anderem für NDR info, Deutschlandradio Kultur und die Deutsche Presseagentur.

Eine Eindruck vom Verlauf der Veranstaltung und einige Reaktionen im Social Web habe ich in einem kleinen Storify zusammengestellt:

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