Eine Ausnahme? – Der Krieg ist die Ausnahme!

Es sind, nicht nur für Zivilisten, verstörende Bilder. US-Soldaten urinieren auf die Leichen ihrer Feinde. Die offiziellen Erklärungen dazu sind hingegen nicht verstörend. Im Gegenteil: Sie sind konsistent, mit einem Muster, dass sich spätestens seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts etabliert hat. Grausamkeiten in Kriegen werden zur Ausnahme erklärt. Die „Wahrheit“ aber ist: Der Krieg ist die Ausnahme, in der Grausamkeit die Regel ist. Der Schritt von der professionellen, also nicht in Notwehr erfolgten Tötung meines Feindes zu seiner Schändung ist kleiner als der Schritt vom Zivilisten zum Soldaten. Dennoch: Für Streitkräfte gibt es keine Alternative. Sie müssen diese Fälle zur Ausnahme erklären, weil sie ansonsten nicht legitimierbar wären – besonders in Deutschland.

Für eine Gesellschaft wie der deutschen, die seit dem Ende des zweiten Weltkrieges von Kriegen und Grausamkeiten verschont geblieben ist, sind Bilder wie diese noch verstörender als für Menschen in Staaten wie den USA, die in weiten Teilen immer noch von einer Gewaltkultur geprägt sind. Aber: Auch deutsche Soldaten sind gegen entsprechende Übergriffe nicht gefeit. Die so genannten Schädelfotos, bei denen Bundeswehrsoldaten meinten, Skelette mit ihren Geschlechtsteilen dekorieren zu müssen, sind Ausdruck der gleichen Kultur, wie die aktuellen Aufnahmen der amerikanischen Kameraden.

Krieg bzw. Kampf sind existentielle Momente. Es geht um Leben und Tod, und es ist kein Zufall, dass sich bei den Soldaten Todes- und Lebenstrieb im Sinne Freuds Bahn brechen. Ja, es widerspricht unseren zivilisatorischen Standards. Ja, es ist grausam, es ist widerlich. Aber wir können uns nicht einfach zurücklehnen und sagen, die Soldaten müssen sich halt beherrschen, denn wir, die wir die Soldaten in den Einsatz schicken, liefern sie einer Herrschaft aus, der des Krieges, die mächtiger ist, als unsere zivilisatorischen Standards. Das ist das Paradoxon unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Wir „entzivilisieren“ Menschen und machen sie zu Soldaten, damit die Mehrheit zivilisiert bleiben kann.

Die eigentliche Leistung ist es daher, dass es nur so wenige Übergriffe wie die vorstehend genannten gibt (das schließt auch eine mögliche Dunkelziffer ein). Wir müssen uns daher als Gesellschaft damit auseinandersetzen, was wir unseren Soldaten zumuten wollen und vor allem, wie wir sie wieder integrieren, wenn sie nicht mehr im Einsatz sind bzw. wenn sie ihre soldatische Laufbahn beenden. Gewalt und Grausamkeiten zur Ausnahme zu erklären schützt dabei nicht die Soldaten sondern vor allem ihre Auftraggeber, also uns.

Inspiriert unter anderem von diesem Artikel von Robert Fisk im Independent: „This is not about ‚bad apples‘. This is the horror of war.“ sowie der Diskussion bei Thomas Wiegold.

5 Gedanken zu „Eine Ausnahme? – Der Krieg ist die Ausnahme!

  1. Hi,
    ich moechte das nicht so unwiedersprochen stehen lassen.
    Es ist zwar (logisch) nachvollziehbar warum solche Dinge geschehen, das macht sie aber noch lange nicht akzeptabel. Wir sollten auf keinen Fall wegsehen, wenn solche Dinge geschehen, sondern sie als das akzeptieren, was sie sind:
    Eine der Folgen von Kriegen und bewaffeneten Auseinandersetzungen. Wir sollten (wenn es denn der Fall ist) dies nicht zu Ausnahmefaellen verharmlosen sondern ganz klar erkennen, was wir damit anrichten wenn wir Soldaten in den Krieg schicken.
    Das ist einer der Gruende, warum die Bundeswehr eine Verteidigungsarmee sein muss. Wo kein Krieg, da auch keine (eigentlich nur weniger, aber naja) widerlichen Greueltaten!

  2. @Xaleander
    Angesichts des starken Medieninteresses bei solchen Vorfällen habe ich nicht den Eindruck, dass „weggesehen“ wird. Auch sind mir keine Stimmen bekannt, die fordern würden, solche Vorfälle zu akzeptieren.

    Ich habe eher den Eindruck, dass die Diskussion hilflos reagiert. Auch Fisk reagiert m.E. unreflektiert, wenn er in seinem Beitrag ein Tötungsverbot als Grundlage soldatischer Ethik fordert. Dass Soldaten im Krieg Gegner töten, ist so tief in der Logik des Krieges verwurzelt, dass diese Forderung realitätsfremd ist. Fisks konzeptionelle Hilflosigkeit erwächst aus seinem universalistischen Trugschluss, der alle denkbaren Situationen einer pauschalen Ethik unterwerfen will, auch wenn sie sich in ihrem Wesen vollkommen unterscheiden. Militärisches Handeln im Krieg muss m.E. aufgrund der Logik des Krieges jedoch anderen ethischen Regeln folgen als ziviles Handeln im Frieden. Dinge, die (aus guten Gründen) nicht mit ziviler Alltagsethik vereinbar wären, müssen im Krieg manchmal getan werden und sind unter dessen Bedingungen vielleicht ethisch richtig. Ähnliche Spannungsfelder zwischen ziviler Alltagsethik und anderer Ethik kennen auch Ärzte, die z.B. Triage durchführen müssen. Triage hört sich für viele Zivilisten häßlich an, kann aber aus der Logik der Situation heraus ethisch verantwortbar oder gar geboten sein. Fisk differenziert hier aber nicht, sondern erklärt schlicht alles für unethisch und wirft alles in einen Topf, was er unschön findet.

    Es würde aus meiner Sicht schon einen Fortschritt darstellen, wenn die zivile Diskussion die besondere Logik des Krieges anerkennen würde. Dann würde das eigentliche ethische Problem des Handelns der Soldaten auf dem Video vielleicht deutlich: Ihr Handeln ist vor allem deshalb unethisch weil es keinem legitimen militärischen Zweck dient, für die eigene Seite ausschließlich negative Folgen bis auf die strategische Ebene hat, die Verantwortlichen aus rein egoistischen Motiven unter Verstoß gegen ihre Pflicht und Inkaufnahme von Schaden für ihre Seite handelten und es zudem und Ausdruck eines Disziplinverlusts ist, der, wenn man ihn dulden würde, weitere Disziplinverluste sowie Schwächung der Moral und psychische Belastung etc. nach sich ziehen würde.

    Ebenfalls ein Fortschritt wäre, wenn man endlich aufhören würde so zu tun, als sei der Dienst als Soldat ein „Job wie jeder andere“. Der Zivilist mag sich am Ballermann benehmen wie er will, aber vom Soldat verlangt man instinktiv trotz aller Gleichheitsrhetorik letztlich, dass er sein Verhalten an höheren Maßstäben ausrichtet. Nicht soldatische Tugenden, ein strenger Ehrenkodex und konsequente Disziplin sind antiquiert, sondern die nicht mehr der Realität entsprechende Behauptung ist es, dass als Soldaten verkleidete, an zivilistischen Normen zu messende „Staatsbürger in Uniform“ dem Schrecken des Krieges gewachsen sein könnten.

  3. @Delta 0219
    “ Ihr Handeln ist vor allem deshalb unethisch weil es keinem legitimen militärischen Zweck dient [Aufzählung gekürzt]“

    Ihre Aufzählung ist sicherlich zutreffen, aber ein Aspekt, der früher an dieser Stelle vermutlich automatisch auch genannt worden wäre, aber heute in DEU gerne vergessen wird, ist „… weil dieses Handeln gegen die soldatische Ehre verstößt!“

    „sondern die nicht mehr der Realität entsprechende Behauptung ist es, dass als Soldaten verkleidete, an zivilistischen Normen zu messende “Staatsbürger in Uniform” dem Schrecken des Krieges gewachsen sein könnten.“

    Was hat denn das mit dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform zu tun? Bis zu diesem Punkt hatten Sie eine Argumentationslinie, der ich aus vollem Herzen zustimme, aber das von Ihnen geschilderte Leitbild existiert SO nicht, das ist doch allerhöchstens ein Zerrbild!

    Das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform behauptet in kleinster Weise, dass Soldaten verkleidete Zivilsten sind!

  4. @Koffer
    „…ein Aspekt, der früher an dieser Stelle vermutlich automatisch auch genannt worden wäre, aber heute in DEU gerne vergessen wird, ist “… weil dieses Handeln gegen die soldatische Ehre verstößt!”“

    Absolut, keine Frage!

    „Das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform behauptet in kleinster Weise, dass Soldaten verkleidete Zivilsten sind!“

    Das schriftlich fixierte Leitbild tut das so deutlich nicht, aber das praktische Handeln von politischer und militärischer Führung tut es nach meinem Eindruck. Dies unterstreicht auch die Selbstdarstellung der Bundeswehr, die den Dienst des Soldaten als quasi-zivilen „Job“ mit anderer Berufskleidung (Uniform als „Klamotten“) darstellt.

  5. @Delta 0219
    „Das schriftlich fixierte Leitbild tut das so deutlich nicht, aber das praktische Handeln von politischer und militärischer Führung tut es nach meinem Eindruck“

    Damit haben Sie sicherlich in Teilen Recht, aber dann liegt es doch ans uns Soldaten diese falsche Praxis zugunsten der richtigen Theorie zu korrigieren!!

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