Keine Angst vor Social Media

In der vergangenen Woche haben die Agentur Fink & Fuchs und die Universität Leipzig eine Studie zum Status der Social Media Governance im deutschsprachigen Raum vorgestellt (Download der Studie als PDF). Befragt wurden die Empfänger des Magazins Pressesprecher sowie die Mitglieder des Bundesverbandes deutscher Pressesprecher. Eines der wesentlichen Ergebnisse der Studie: Im Umgang mit dem Social Web gibt es noch viele Unsicherheiten. Daher schlagen die Verfasser vor, dass Unternehmen und Organisationen, einen Ordnungsrahmen, eben die Social Media Governance, für ihre Aktivitäten im Netz entwickeln.

Warum eine Social Media Governance für die Bundeswehr hilfreich sein könnte

Auch für die Bundeswehr würde es sich lohnen, über einen solchen Ordnungsrahmen nachzudenken und zwar nicht nur, weil es andere Streitkräfte bereits tun, wie sich der der Datenbank socialmediagovernance.com entnehmen lässt. Aus verschiedenen Richtungen höre ich derzeit, dass es insbesondere unter den Aktiven noch unklar ist, wie sie sich persönlich in Debatten im Netz einbringen können, ohne dabei mit dem Soldatengesetz in Konflikt zu kommen. Die Möglichkeit, anonym zu bleiben, ist ein Weg, schwächt aber bisweilen die Argumente, weil unklar bleibt, in wessen Auftrag der Sprecher handelt und trägt nicht dazu bei, Handlungssicherheit zu vermitteln. Im Rahmen der Fürsorgepflicht wäre aber genau das zielführend.

Vor allem, wenn es darum geht, wie sich die Bundeswehr selbst im Netz äußert, könnte eine spezifische Social Media Governance hilfreich sein. Exemplarisch deutlich wird dies am YouTube-Kanal der Bundeswehr. Dieser ist seit Anfang August online und hat derzeit fast 6.000 Abonnenten. Ein echter Erfolg. Andererseits wecken so einige der offiziellen Kommentare der Redaktion leise Zweifel daran, dass es verbindliche Moderationsregeln gibt. Abhängig von der Tagesform schwanken die Moderatoren zwischen Defensive und Belehrung. Selbst wenn viele Kommentare nahelegen, dass Letzteres dringend nötig ist, halte ich wenig davon, manche Nutzer spüren zu lassen, dass sie eigentlich keine Ahnung haben. Auch Formulierungen wie: „Sie haben nicht ernsthaft eine Freischaltung Ihres Beitrages erwartet? Alles hat seine Grenzen – auch Geschmacklosigkeiten“ mögen zwar inhaltlich richtig sein, zeugen aber nicht von Souveränität im Umgang mit dem Medium. Ein sachliches „entspricht nicht den Diskussionsregeln“ hätte gereicht. Darüber hinaus lassen sich durch eine reduzierte Moderation Inkonsistenzen in der Außendarstellung vermeiden.

Auch inhaltlich ist es wünschenswert, dass die Bundeswehr ihre Online-Kommunikationsaktivitäten auf ein qualitativ höheres Niveau hebt. Manches, was publiziert wird, erreicht noch nicht einmal das Niveau von Schülerzeitungen, und bspw. der Flickr-Stream wäre mit „Karl-Theodors Fotoalbum“ treffender bezeichnet. Warum eine qualitative Ausrichtung der Kommunikation so wichtig ist, habe ich mit Bezug auf die Disziplin Public Relations auf dem Blog Digital Conversation mit einem Beitrag versucht zu begründen, den ich im folgenden leicht gekürzt nun auch hier zur Diskussion stellen möchte.

Was sind Public Relations?

Für den Begriff PR gibt es unendlich viele Definitionen, die jeder, der mag, nachlesen kann. Darunter findet sich viel Kluges, teilweise reichlich Abstraktes und auch manches, das eher Wunschdenken ist als zutreffende Beschreibung. Was sich bislang nicht findet ist, dass PR als einzige Kommunikationsdisziplin das angestrebte Ergebnis ihres Wirkens im Namen tragen. Pressesprecher, Werber, Journalisten, Kommunikationsmanager und auch Social Media-Experten sprechen über sich selbst oder die Technik, die sie einsetzen. Public Relations heißen so, wie das, was sie erreichen wollen – die öffentlichen Beziehungen von Menschen und Institutionen gestalten.

Es geht darum, Strategien zu formulieren, also eine angemessene, überzeugende Übersetzung für strategische Ziele herzustellen, Themen intellektuell zu entwickeln und mit Hilfe eines redaktionellen Handwerkszeugs in unterschiedlichste mediale Formate zu übersetzen, um so die Beziehungen zu den relevanten Bezugsgruppen zu gestalten. Und wenn also PR eine Kommunikationsform darstellen, die Inhalte und Beziehungen zu einem aktiven Publikum und nicht Maßnahmen, Kanäle und passive Zielgruppen zum Ausgangspunkt der Überlegungen machen, sollte auch klar sein, dass sich daran im Kern durch die neuen Techniken nur wenig ändert.

Wir alle spielen Theater

Es ist vermutlich bezeichnend, dass viele der klügsten Gedanken, derer sich die PR bedienen können, nicht aus der Disziplin selbst kommen. Eines der besten Modelle, um die soziale Wirklichkeit zu untersuchen (und also auch, um sie zu gestalten) hat der Soziologe Erving Goffmann entworfen. Er konstruiert Interaktion als Handeln in Rollen auf einer öffentlichen Bühne und bezieht sich dabei explizit auf einen Großmeister der PR: Shakespeare, bei dem wir im Stück “As you like it” den folgenden Gesanken finden:

“All the world’s a stage,
And all the men and women merely players:
They have their exits and their entrances;
And one man in his time plays many parts“

Wenn nun öffentliche Beziehungen als Aufführung zu denken sind, gelten für diese die Regeln des Theaters. Aufmerksamkeit wird dem zuteil, der auffällt. Applaus erhält der, der überzeugt. Mal zählt die Form, mal der Inhalt, und immer hat das Publikum recht. An der zugrunde liegenden Struktur ändert jedoch auch das Internet nichts. Im Gegenteil: Es beschleunigt eine Entwicklung, bei der sich Strukturelemente des Theaters flächendeckend durchsetzen. Was zählt, ist die Performance, das Prinzip der Casting Show wird zum übergeordneten Orientierungspunkt und wir alle müssen darauf hoffen, in den Re-call zu kommen.

Denken hilft

In meinem Viertel fährt ein Piaggio Ape herum. Darauf steht ein Joseph Beuys zugeschriebenes Zitat: „Vor der Frage ‚Was können wir tun?’ steht die Frage ‚Wie müssen wir denken?’“ Und vielleicht ist genau das beängstigende von Social Media für die PR-Branche. Sie denkt nicht nach. Statt darüber nachzudenken, was ihre Aufgabe ist, flüchtet sie in Aktionismus. Statt über die Qualität dessen, was gesagt und geschrieben wird, zu debattieren, sondert sie Halbgares über alle Kanäle ab, und wundert sich, dass das Publikum den Klamauk erkennt und sich dagegen wehrt, diesen als sinnvolle Kommunikation anzuerkennen. Unternehmen, Organisationen und ihre Berater sind damit aufgerufen, Qualität zu liefern. Sie müssen ihr Publikum ernst nehmen, um selbst ernst genommen zu werden. Wer nur so tut als ob, wird über kurz oder lang entlarvt. Und vielleicht ist genau das ein Grund, warum sich die PR doch vor Social Media fürchten müssen. Nicht, weil wir anders Denken müssen, sondern weil alle mitbekommen, was passiert, wenn wir es nicht tun.

Ein Gedanke zu „Keine Angst vor Social Media

  1. Guten Morgen,

    Schöner Artikel. Ich möchte ergänzen, dass den Fragen von Ordnungsrahmen für Social Media aufgrund der Möglichkeiten des Social Web, in dem JEDER publizieren kann (Privatpersonen, NGOs bis hin zu Wikileaks), eine wachsende Bedeutung zukommt.

    Nur nur aufgrund neuerer Initiativen/ Gesetze, denen sich Regierungsorganisationen stellen müssen, wie
    – Open Data (weltweit) – http://www.opendefinition.org/guide/data/
    oder
    – Open Government Act (USA)
    http://en.wikipedia.org/wiki/Honest_Leadership_and_Open_Government_Act
    reichen die im Rahmen einer Social Media Governance Strategie zu behandelnden Felder (Chancen wie Risiken) zudem weit über die naheliegenden Ansätzpunkte in PR/Kommunikation hinaus.

    Gruß Stephan Fink

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