In die Reihe der Generäle, die ihre Stimme erst nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst erheben, reiht sich auf Welt online der ehemalige Leiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, Günther Roth, ein. Unter der Schlagzeile „Geht zu den Leuten!“ skizziert er eine aus seiner Perspektive erfolgversprechende Strategie für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und formuliert die ein oder andere interessante Frage. Wir geben – wie auch schon immer im aktiven Dienst – ein paar freche Antworten (mit denen man natürlich nicht General werden kann):
– Was führte im deutschen Verantwortungsbereich des Regionalkommandos Nord dazu, dass die Taliban dieses als „weichen Unterleib“ der Isaf identifizierten und deshalb in die Region Chahar Dareh bei Kundus hineinstießen?
Weil die – politisch gewollt – falsch ausgestatteten und unterlegenen Soldaten – von denen ohnehin 80 Prozent die meiste Zeit im Lager verbringen – absolut richtig erkannt haben, dass es nicht besonders süß und ehrenvoll ist, am Hindukusch für das Vaterland zu sterben, und sich deshalb darauf verlegt haben, nur das minimal möglich zu tun.
– Warum bauten die deutschen Einsatzkontingente zunehmend den militärischen „Schleier“ zum Schutz der zivilen Wiederaufbauteams ab und schützen vor allem sich selbst und nicht die afghanische Bevölkerung in den Dörfern?
siehe vorstehend
– Warum zeigen die Deutschen „Präsenz“ vor allem durch mechanisierte Patrouillen, wodurch der Kontakt zur Bevölkerung verloren ging und die Taliban gefahrlos verlorenes Terrain zurückgewinnen konnten? Warum geraten diese „Präsenz-Patrouillen“ auf ihren ausgefahrenen Wegen regelmäßig in Hinterhalte, werden in Gefechte verwickelt und sind in „Notwehrsituationen“ weitgehend nur auf reaktives Verhalten festgelegt?
siehe vorstehend, und weil bei Stehzeiten von 4-6 Monaten niemand erwarten kann, dasss auch nur ansatzweise verbindliche Kontakte zur Bevölkerung geknüpft werden können. Das weiß wiederum diese auch, und telefoniert lieber mit den Taliban-Kommandos als mit den Patroullienführern.
– Was veranlasste den Kommandeur in Kundus, nach der Entführung der beiden Tanklastwagen zum Mittel des Luftschlags zu greifen, statt ein kampfkräftiges Aufklärungskommando auszusenden, obwohl im Feldlager Kundus allein 800 Soldaten stationiert sind?
Bereits am 5. September umfassend beantwortet, hier:
– Warum wird die unter deutschem Befehl stehende Kompanie der Quick Reaction Forces, die im etwa 250 Kilometer entfernten „ruhigen“ Raum um Masar-i-Scharif stationiert ist, nicht in das gefährdete Kundus verlegt?
Weil sie dort kämpfen müsste? Vermutlich auch, weil sich die Taliban
– Welche Einschätzungen der Rolle der Deutschen führten dazu, dass US-General McChrystal 2500 Mann Kampftruppen aus dem umkämpften Regionalkommando Süd in den Verantwortungsbereich der Bundeswehr verlegte?
Eine militärisch angemessene!
Stubentiger oder Schreibtischtäter?
Roth versucht sich in seinem Text ebenfalls an Antworten und entlarvt sich dabei als eine Mischung aus Stubentiger und Schreibtischtäter, der offenbar seiner aktiven Zeit immer noch hinterhertrauert. Er fordert Elite-Soldaten, Kampfbahnen und eine Kriegserklärung: „Deshalb ist es entscheidend, den Konflikt in Afghanistan als das zu bezeichnen, was er ist – ein völkerrechtskonformer Krieg zur Wahrung der Menschenrechte und -würde der Afghanen und der Sicherheit Deutschlands.“ (…) „Mit dieser Kampfweise würde der deutsche Soldat im Guerilla-Kampf vom Gejagten zum Jäger.“ Dabei tur er so, als sei die Bundeswehr (oder zumindest die Fallschirmjägertruppe) in den 80er Jahren ein knallharter Haufen gewesen, der es mit jedem Gegner hätte aufnehmen können – wenn man, sprich die Politik, sie damals nur gelassen hätte. Das ist nicht nur Wunschdenken, das ist dummes Zeug. Andererseits erspart er es dem kundigen Leser damit, seine Wortmeldung ernst zu nehmen. Dass Roth nicht schon viel früher den Mumm hatte, öffentlich auf vermeintliche und tatsächliche Mißstände hinzuweisen, passt ins Bild.
Lieber Herr Stoltenow,
dass Sie einige der (rhetorischen) Fragen bereits vor Herrn Dr. Roth beantwortet haben, ehrt Sie. Leider erreichen Sie durch Ihren Blog nur eine vergleichsweise kleine Zahl interessierter Leser. Leute wie mich eben 😉
Der Stoff ist zudem für den Otto-Normalverbraucher-WELT-Leser aufbereitet, nicht für Leute wie Sie und mich. Dass Dr. Roth sich erst jetzt (er ist seit 1995 pensioniert) zu tagesaktuellen Dingen äußert, ich kenne sonst keine solchen Veröffentlichungen von ihm, zeigt mir weniger, dass er keinen Mumm hat, sondern das jetzt auch Militärhistoriker wie Dr. Roth – auf der Basis ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse – sich in die Diskussion einbringen. Und wenn ein Historiker nach rückwärts schaut, muss das noch lange nicht rückwärts gewandt sein wie Sie ihm unterstellen, sondern ist ja gerade die Aufgabe eines Historikers. Ihm eine „Früher war alles besser“-Mentalität zu unterstellen wie Sie es tun, leitet sich mir aus seinem Text jedenfalls nicht ab. Und noch etwas: Gerade Dr. Roth ist eines von vielen Beispielen, dass es auch Intellektuelle unter Fallschirmjägern gibt und nicht nur unter OpInfo-Leuten 😉
Nichts für ungut
Lieber JoHoMe,
die Forderungen von Herrn Roth sind nicht besonders intellektuell (vgl. dazu das Mackay-Paper), und die Tatsache, dass Generäle sich bevorzugt nach ihrer Dienstzeit äußern ist offenbar ein fester Bestandteil unserer sicherheitspolitischen Diskussionskultur. Mein Unmut ist damit weniger persönlich (und natürlich dennoch ungerecht) 😉
Ganz wichtig: Ich bin kein OpInfo-Mann, sondern ein dorthin wegen eines auf den folgenden Zivilberuf schielenden Opportunismus versetzter Fallschirmjäger.
Sie werden es kaum glauben: Ich hatte den letzten Satz wohlwissend und mit Bedacht geschrieben. 🙂
Das habe ich mir auch schon gedacht.