Die vielen Bundeswehren der Ursula von der Leyen

Vorbemerkung: Dieser Text ist eine Sammlung von Gedanken. Die aktuelle Diskussion um die Bundeswehr bewegt mich mehr, als ich erwartet hätte. Gleichzeitig habe ich gerade nicht die Zeit, mich intensiv mit den zahlreichen Themen zu befassen. In diesem Sinne bitte ich um Verständnis, wenn das ein oder andere noch unausgereift ist – und freue mich über konstruktive Beiträge.

Wir haben in der Kommunikationsagentur, in der ich arbeite, einen Leitgedanken: Die Herausforderung öffentlicher Kommunikation ist die Integration unterschiedlicher Perspektiven.

Ein anderer Leitgedanke, den ich gerne nutze, um anderen – beispielsweise auch Studierenden – zu erklären, was ich beruflich mache, geht so: Ich beginne mit der Frage, ‚Was ist ein Unternehmen? Was ist eine Organisation?‘ Darauf kommen in der Regel viele richtige Antworten. Sie erfassen aber in der Regel nur selten die kommunikative Perspektive. Um diese zu erläutern benutze ich dann das folgende Bild: Unternehmen und Organisationen sind Geschichten. Diese Geschichten setzen sich aus allen Erzählungen über das Unternehmen oder die Organisation zusammen, und jeder kann dabei mitreden.

Das mag dem ein oder anderen vielleicht zu abstrakt oder verkopft klingen. Ich find es sehr lebensnah. Gerade jetzt. Denn auch die Bundeswehr ist eine Geschichte, und zwar eine, bei der die Erzählungen derzeit weit auseinander laufen. So weit, dass zahlreiche Akteure daran scheitern, die unterschiedlichen Perspektiven zu integrieren – allen voran Ursula von der Leyen und ihre Beraterinnen und Berater.

Damit wir uns nicht falsch verstehen. Eine einseitige Schuldzuweisung – auch an die Ministerin – wird den Problemen, vor denen die Bundeswehr steht, nicht gerecht. Mit Schwung vorgetragene Forderungen, die Ministerin müsse zurücktreten, sind Teil des politischen Spiels. Sie beantworten aber nicht die Frage, was danach geschehen soll, und vor allem nicht, was denn eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger anders machen sollte.

Um ansatzweise zu erfassen, was dort gerade – aus kommunikativer Sicht – passiert, formuliere ich die folgende Hypothese: Es gibt zu viele Bundeswehren und es fehlt eine strategische Erzählung, die diese Bundeswehren zusammen hält. Diese Bundeswehren hat die aktuelle Verteidigungsministerin nicht allein zu verantworten, aber sie muss sie führen. Dabei muss sie mit fundamentalen Problemen umgehen, die sich teilweise über Jahrzehnte entwickelt haben.

Kommunikativ interessant ist dabei, dass Ursula von der Leyen und ihre Administration sehr viele dieser Problem erstmals sichtbar gemacht hat. Das ist ein echtes Verdienst, auch wenn es natürlich ein alter politischer Trick ist, zum Auftakt einer Amtszeit vermeintlich schonungslos Bilanz zu ziehen, um sich dann dafür feiern zu lassen, dass man die Probleme in den Griff bekommen hat. Was von der Leyen vermutlich nicht ahnen konnte: Sie hat die Büchse der Pandora geöffnet – und aus der drängen immer neue Geschichten, die zeigen, wie desolat der Zustand der Bundeswehr – oder besser: der verschiedenen Bundeswehren – wirklich ist.

Genau diese Geschichten aber bekommt das Ministerium jetzt nicht mehr in den Griff. Im Gegenteil: Es scheint, als habe sich im Ministerium rund um die Ministerin ein kleiner Kreis politischer Beamter und Berater gebildet, die ihre eigene mediale Inszenierung mit der Wirklichkeit verwechseln und sich – vielleicht berauscht von ihrer nationalen Aufgabe – gegen alle anderen Erzählungen abschotten. Die vielleicht tatsächlich glauben, dass die außerordentlich erfolgreiche und gut gemachte YouTube-Serie „Die Rekruten“ einen Eindruck davon vermittelt, was es bedeutet Soldat oder Soldatin zu sein. Das zumindest würde erklären, warum der Kommunikationschef des Ministeriums, Jens Flosdorff, die Frage nach einem Veteranenkonzept der Bundeswehr lapidar damit abtut, das sei ja bloß eine Maßnahme zur Öffentlichkeitsarbeit für Reservisten und daher nicht dringlich.

Problematisch daran ist, dass er sich dabei auf vermeintliche Autoritäten verlassen kann, allen voran den Generalinspekteur der Bundeswehr. Bereits 2012 hatte Volker Wieker unter dem Titel „Soldat sein heute“ seine Leitgedanken zur Neuausrichtung der Bundeswehr veröffentlicht. Ich hatte mich damals mit dem Text auseinandergesetzt und ein Fazit formuliert, dass sich vielleicht lohnt, vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse nochmal gelesen zu werden:

Was aber, wenn genau diese geistige und sittliche Verfassung sowie das innere Gefüge der Truppe schon längst nicht mehr im Takt sind? Was, wenn das einzige, was noch in Takt wäre, der Zusammenhalt der Einheiten im Einsatz sowie die Affirmation der Generalität gegenüber der Politik wären?

Wenn das so ist – und einiges spricht dafür – müssen wir aber auch feststellen, dass nicht nur das Ministerium in seiner selbst gebauten Filterblase gefangen ist. Auch diejenigen, die die Ministerin heftig kritisieren und dabei teilweise die Grenze zur Illoyalität weit überschreiten, schaffen es nicht, über die Grenzen ihrer Welt hinaus zu denken und das Gesamtbild zu sehen. Sie tragen ihren Teil dazu bei, dass aus der einen Bundeswehr – die es eigentlich sowieso nie gab – viele Bundeswehren werden, und jeder scheint zu glauben, dass genau seine Bundeswehr die einzig richtige ist.

Im Laufe der Zeit sind so unter anderem entstanden:

  • eine Einsatz-Bundeswehr, die von der Realität in Afghanistan, in Mali, im Irak geprägt wurde, und die sich dann auch noch in eine Kampf- und Lager-Bundeswehr aufgespalten hat. Eine hohe Bedeutung hat hier die Kampf-Bundeswehr. Diese wurde mit fragwürdigem Mandat, mangelhafter Ausrüstung und unklaren Regeln in den Kampf gegen einen rücksichtslosen Feind geschickt. Und während sich vor Ort die Soldatinnen und Soldaten sehr schnell darüber im Klaren waren, dass sie im Krieg waren, wurde im politischen Berlin an der Erzählung von einer erfolgreichen Friedensmission festgehalten. Diese Erzählung brach spätestens nach dem Karfreitags-Gefecht und dem von einem deutschen Oberst befohlenen Bombenangriff auf gestohlene Tanklaster bei Kunduz zusammen.
  • eine Ausbildungs-Bundeswehr, in der vor allem Offizieranwärter abgeschottet von den Menschen, die sie später einmal führen sollen, ausgebildet werden.
  • eine Rüstungs-Bundeswehr, die nach Jahrzehnten einer rigorosen Sparpolitik und Kungelei mit der Industrie feststellen muss, dass sie strukturell und personell kaum in der Lage ist, die Truppe mit dem Gerät zu versorgen, dass diese dringend braucht.
  • eine Veteranen-Bundeswehr, in der ehemalige Soldaten der guten alten Zeit hinterher trauern.
  • usw., usf.

Wenn das, was ich skizziert habe, auch nur ansatzweise stimmt, heißt das nichts anderes, als dass der Führungsverbund der Bundeswehr zusammengebrochen ist. Denn es gibt nur noch wenig, was diese Bundeswehren zusammenhält. Unterschiedliche Bundeswehren stehen sich teilweise diametral gegenüber. Die Identifikation mit dem Beruf, die früher über Teileinheit, Einheit, Verband, Großverband, Truppengattung verlief, ist zu einer Überidentifikation mit der eigenen Perspektive geworden – auf allen Seiten. Die Bundeswehr ist in einer fundamentalen Krise, und – es gibt dazu keine Alternative – diese Krise muss von allen Beteiligten gemeinsam gelöst und von der Spitze geführt werden, oder sie wird sich weiter in ihre Einzelteile zerlegen.

Die Enttäuschung vieler Soldatinnen und Soldaten über die Pauschalkritik der Ministerin zeigt, dass die eine Bundeswehr immer noch einen geeigneten Identifikationsrahmen bietet und die Menschen sich nach dieser Identität sehnen. Wenn Ursula von der Leyen diese Menschen wirklich führen will, ist es spätestens jetzt höchste Zeit, dass sie sich auf sie zubewegt. Ein erster Schritt wäre, die Kritikfähigkeit, die sie von der Truppe fordert, auch selbst zu beweisen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie und ihre Stab dazu in der Lage sind. Aber es wäre wichtig.

 

 

33 Gedanken zu „Die vielen Bundeswehren der Ursula von der Leyen

  1. Ein sehr interessanter Denkansatz.
    Nicht vergessen sollten Sie die „zivile Bundeswehr“ mit den großen Bundesoberbehörden BAPersBw, BAIUDBw und BAAINBw, wo manche Mitarbeiter oftmals gar nicht wissen, was die „anderen Bundeswehren“ tun und den Dienstleistungs- und Unterstützungsgedanken aus dem Auge verloren haben.

    • Jepp. Wobei mir deine Definition der „Veteranenbundeswehr“ eher auf Reservisten zuzutreffen scheint und eher eine geringe öffentliche Wahrnehmung hat, während die Geschichte der „Einsatzveteranenbundeswehr“ auch auf Grund von Protagonisten wie Clair, Müller, Levanas in Büchern, Reportagen und Gesetzesinitiativen große mediale Wirkung entfaltet.

    • Die Gedanken empfinde ich als richtig . vielleicht sollte man auch hinzufügen,dass schon seit langer Zeit auf vielen Ebenen nicht mehr geführt wird sondern im politischen Sinne verwaltet wird. Außerdem hat das Bemühen der Ministerin die Fürsorge in vielen Bereichen nicht wirklich verbessert.für viele Vorgesetzte heißt Fürsorge noch immer :“solange für sich zu sorgen, bis man ausgesorgt hat.

  2. Danke für den Denkansatz! Ich ergänze es um ein persönliches Erlebnis. Wir arbeiten als Dienstleister für die Bundeswehr. Es war eine Besprechung mit ranghohen Offizieren in der Mittagszeit angesetzt. Wir hatten neben Kaffee und Wasser belegte Brötchen hingestellt. Die Offiziere waren sichtbar unsicher ob sie zugreifen dürfen oder ob sie damit gegen Compliance Regeln verstoßen.Eine peinliche Stille trat ein. Die Lösung war dann das unser Leiter versichert hat, wir verbuchen es ohne Bezug zur Bundeswehr. Wie kann ich von bereits an derartigen Kleinigkeiten verunsicherten Leuten noch Führung erwarten? Geführt möchte ich von solchen Leuten nicht werden!

    • Ich auch nicht. Es ist ein Trauerspiel wie ängstlich das Personal (das Wort „Führung-“ wird bewusst vermieden, da ohne Wert) im mil. und ziv. Bereich sich gibt. Nachdem allerdings eine Entdeckung der vermeintlichen Tat nicht wahrscheinlich ist wird exzessiv reingehauen. Blanker Egoismus ohne Charakter.

  3. Nicht zu vergessen ein Bundesverteidigungsministerium in dem man einen Geist pflegt, der durch das (mehrfach dort gehörte) Zitat „Wir sind nicht die Bundeswehr, wir leisten uns eine Bundeswehr“ ausgedrückt wird….

  4. Danke. Mehr bleibt nicht zu sagen.
    Ich hatte dieses diffuse Gefühl der „verschiedenen Bundeswehren“ schon länger im Bauch, konnte es aber nicht so treffend formulieren. Ihre Einschätzung trifft den Nagel auf den Kopf.

  5. „… eine Veteranen-Bundeswehr, in der ehemalige Soldaten der guten alten Zeit hinterher trauern.“ Dieser Denkansatz ist schade, haben doch Veteranen den Weg zu den aktuellen Bundeswehren geebnet. Die Erfahrungen der Veteranen auf diesem oft sehr steinigen Weg sind wichtig, um die Hebel für die vernünftige Gestaltung der Zukunft richtig anzusetzen und nicht immer wieder „das Rad neu erfinden zu müssen“. Ich wäre durchaus dankbar für das Engagement der Veteranen innerhalb und außerhalb der Streitkräfte…

      • Diese Möglichkeit ist sowohl organisatorisch als auch prozessual weder vorgesehen noch wirklich gewollt. Veteranen trauern m.E. nicht den „guten“ alten Zeiten hinterher, sondern den zu oft entweder mit falschen Begründungen oder ohne Not aufgegebenen Kernfähigkeiten einer funktionierenden militärischen Grundorganisation.

  6. Interessante Punkte, aus dieser Perspektive habe ich das noch nie betrachtet. Glauben sie, das eine zentrale und fordernde Grundausbildung wie es sie z.B. beim USMC gibt ein Ansatz wäre, diesem Auseinandertriften der verschiedenen Welten entgegenzuwirken?

    • Ja, eine allgemeine Grundausbildung klingt nach einem interessanten Ansatz. Und da das USMC ähnlich groß ist wie die BW, könnte das auch organisatorisch klappen.

  7. Wieso soll das USMC da als Vorbild dienen?
    Ausser der Größe ist das Grundsätzlich verschieden….
    Wenn Sie aber an (ich nenne es mal so) Grundausbildungsbataillone denken, die alle TSK umfassen oder zumindest die OrgBereiche, so könnte dies bei vernünftigem Ansatz auch Sinn machen. Aber dazu braucht man gut ausgebildetes erfahrenes Personal. Nicht auszudenken wenn bereits da „Spinner“ am Werk sind….

    • Ich dachte nur an das Organisatorische, nicht an die Drill Sergeants 😉 Naja, mir fehlt aber das Fachwissen um das genauer zu erklären. Ich denke halt, dass soetwas sehr nützlich sein könnte um eine bundeswehrweite Identität zu schaffen die man unabhängig der weiteren Verwendung auch leicht nach außen tragen kann. Man muss (und kann in Deutschland) nicht das USMC Boot Camp kopieren, aber es ist schon sehr interessant wie geschickt die das vermarkten können und wie sehr dadurch das Selbstverständnis der Marines geprägt wird. Privat habe ich einige ehemalige Marines kennen gelernt und auch wenn die danach nur noch Papier im Kopierer ausgetauscht haben, war für die klar was es heißt Marine zu sein. Ich mein, das kennt doch wirklich jeder und ist vermutlich weltweit DER Inbegriff von militärischer Grundausbildung.
      Außerdem denke ich – als Laie! – dass es auch leichter ist Probleme abzustellen und mehr Einfluss auf die Ausbildungder Soldaten auszuüben, wenn nicht an dutzenden Ausbildungsstandorten die Leute ihr Süppchen kochen. Keine Ahnung wie die Situation aktuell es, aber während meinem Grundwehrdienst 2006 wurde aus Personalmangel (?) auch manachmal von ziemlich inkompetenten Leuten ausgebildet und viel Zeit mit Dingen wie dem Bettenbau gefüllt. 😉

      • Auch bei den Marines werden Offiziere und enlisted (also Mannschaftsdienstgrade) nicht zusammen ausgebildet, auch nicht in der Grundausbildung… Die einzigen Offiziere des USMC, die mit denen zusammen durch due Grundausbildung gehen, die sie nachher führen sollen, sind die sogenannten „mustangs“, also Offiziere, die aus den Reihen des enlisted personnel aufgestiegen sind. Alle anderen werden entweder in Annapolis (oder, zu einem sehr kleinen Prozentsatz, der Akademie der Handelsmarine) ausgebildet oder (im Falle der NROTC- oder OCS-OAs) an der OCS in Quantico. Mit dem enlisted personnel kommen die Offiziere des USMC ebenso wie die Offiziere der Bundeswehr erst mit Abschluss ihrer Offizierausbildung in Berührung.

        Davon abgesehen ist gerade die Grundausbildung des enlisted personnel des USMC durch die Segregation von Männern und Frauen hochproblematisch. Siehe dazu die Causa Kate Germano und die Vorfälle um Marines United. Männlichen Marines wird schon in der Grundausbildung beigebracht, dass weibliche Marines „pussies“ sind, dass sie „Schlampen“ sind und dass man sich auf sie als Kameradinnen nicht verlassen kann und sie verlernen diese Indoktrination auch während der Grundausbildung nicht, dass sie frühestens nach Abschluss dieser mit weiblichen Marines in Berührung kommen. Da ist es dann aber auch schon zu spät. Weibliche Marines hingegen bekommen durch die Segregation implizit oder explizit beigebracht, dass sie quasi qua Natur gar nicht in der Lage sind, mit ihren männlichen Kameraden mitzuhalten und sich mit ihnen zu missen. Ihre Ausbildung wird schlampiger und mit geringeren Standards durchgeführt (weil sie ja „nur“ Frauen sind), was wiederum zu zum Teil unüberwindbaren Vorurteilen von männlichen Marines gegenüber ihren Kameradinnen im späteren Dienstalltag führt.

        TL;DR: Das US Marine Corps is das denkbar schlechteste Beispiel für eine Reform der Ausbildung in der Bundeswehr, sowohl bei den Offizieren als auch bei den Mannschaften und Unteroffizieren.

        • Danke für die Infos, so im Detail wusste ich das nicht. Aber nochmals: mir ging es nicht um die Ausbildung der Marines an sich. Mir ging es rein um eine einheitliche und zentralisierte Grundausbildung und ob so eine gemeinsame Erfahrung geeignet wäre um die Bundeswehr enger zusammen zu schweißen. Das Marine Corps habe ich nur erwähnt, weil ich von dort das Konzept kenne und weil die Bundeswehr ja mittlerweile eine ähnliche Größe hat und ebenfalls hauptsächlich aus längerdienenden Soldaten besteht.

          • Einheitlich und zentralisiert ist es aber eben nicht, weil geschlechtersegregiert und im Übrigen nach Herkunftsort geteilt. Alles, was östlich des Mississippi wohnt, sowie alle Frauen, geht nach Parris Island, alles, was westlich des Mississippi wohnt, geht nach San Diego. Und alles, was Offizier werden will, geht eben entweder nach Annapolis, an die US Merchant Marine Academy oder nach Quantico (da wiederum auch die Frauen, soweit ich das im Kopf habe), je nachdem, ob Ausbildung an einer Militärakademie, Angehörige*r einer NROTC-Einheit an einer zivilen Universität oder Eintritt in das Corps nach Abschluss der Uni über OCS. Das ist eben nicht vollständig zentralisiert. Und einheitlich eben auch nicht, da beim Thema Geschlecht nicht nur örtlich segregiert, sondern auch nach unterschiedlichen Standards und in unterschiedlicher Qualität ausgebildet wird (weibliche Marines sind vollständig abgeschottet von männlichen Marines während ihrer Grundausbildung in Parris Island. Die sehen sich bis Abschluss der Ausbildung nicht mal von weitem. Es gibt keinerlei gemeinsame Ausbildung und auch keinerlei gemeinsame „soziale“ Events, wie gemeinsames Mittagessen oder so). So auf den ersten Blick sieht das vielleicht super zentralisiert und einheitlich aus, ist es am Ende aber nicht.

          • In der Luftwaffe werden bereits die Offizieranwärter mit den Msch zusammen in einer Grundausbildung in einem LwAusbBtl ausgebildet.
            Es kann also nicht alleine darum gehen, dass zusammen ausgebildet wird. Will man ähnlichen Drill wie beim USMC ansetzen, wird das wohl dazu führen, dass die Masse der jungen Leute die Ausbildung abbricht. Vergleichbar ist das nämlich nicht, denn dann müsste das Ansehen der Bw in der Gesellschaft, der Stolz, in der Armee seines Landes zu dienen und auch die Attraktivität des Dienstes in beiden Ländern ähnlich sein. Ich habe kein Rezept, aber ich bin der festen Überzeugung, dass das nicht funktionieren wird. Das Abbrechen der Ausbildung ist zu einfach und zivil werden dann die meisten auch eine andere Anstellung finden. Und der Bw ist damit dann auch nicht geholfen, weil nicht genügend Personal nachkommt.

  8. 2014 hatte ich im Rahmen einer Semesterarbeit rund 240 aktive Soldaten und Reservisten zu ihrer Public Service Motivation (siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Public_service_motivation) befragt. Kurz gesagt habe ich so untersucht, wie Soldaten unterschiedlicher Dienstgrade das Verhältnis zu ihrer direkten Führung, verschiedenen politischen Institutionen und der Bevölkerung im Allgemeinen bewerten. Aufgefallen war mir damals, dass sowohl Mannschafts- als auch Offiziersgrade in den meisten untersuchten Dimensionen gut abschneiden, die befragten Unteroffiziere – insbesondere jene mit zurückliegenden Auslandseinsätzen – in hohem Maße negativ über Vorgesetzte, Politik und Bevölkerung denken. Unter den Teilnehmern der Studie waren es außergewöhnlich viele Unteroffiziere, deren Aussagen man als verfassungsfeindlich werten könnte. Ich habe diese Ergebnisse damals mit dem überdurchschnittlich hohen Druck durch Reformen und Auslandseinsätze auf speziell diese Dienstgrade erklärt. Obwohl mich der Reservistenverband bei der Durchführung der Befragung unterstützt hatte, kann meine kleine Erhebung sicherlich nicht mit den umfangreicheren Untersuchungen von ZMSBw oder HSFK zu ähnlichen Themen mithalten. Für die Diskussion über die „vielen Bundeswehren“ hier könnte sie jedoch ein weiteres Argument liefern. Zumindest auf mentale Unterschiede zwischen Vertretern der „Einsatzarmee“ und anderen Soldaten deuten die Ergebnisse ja hin. Und sicherlich haben hier einige Leser noch weitere Ideen, wie man die auffallend niedrigen Ergebnisse der befragten Unteroffiziere sonst erklären könnte.

  9. Die Verteidigungsministerin hat entschieden betont, in der Bundeswehr gäbe es keinerlei Traditionsbezug zur Wehrmacht, mit Ausnahme vielleicht der in den „20. Juli“ Involvierten.

    Solange die Bundeswehr es vehement ablehnt, in eine Traditionslinie mit der Wehrmacht gestellt zu werden und sich nur auf die eigene Tradition beruft, solange sie sich selbst genügt und mit einer gewissen Arroganz den Altvorderen gegenüber glaubt es sich leisten zu können, auf den Schatz, den Fundus der Erfahrungen früherer deutscher Armeen und deren Traditionen verzichten zu können (als einzige Streitkraft im gegenwärtigen Bündnis nota bene), solange wird die Verkrampfung bleiben.

    • Erm, warum genau sollte die Bundeswehr sich in der Tradition einer Armee, die aktiv, systematisch und mit viel Einsatz an Völkermord und Kriegsverbrechen war, beteiligt sehen? DAS hätte ich jetzt aber gerne mal erklärt.

      (davon abgesehen: die Bundeswehr sieht sich sehr wohl in der Tradition von Altvorderen, nämlich den preußischen Heeresreformern um Gneisenau, Hardenberg etc. Wie soll sie aus DIESEM Traditionsverständnis denn bitte einen positiven Bezug zur Wehrmacht herstellen? Wie schizpophren soll das denn bitte werden?)

  10. Politik ist ein „schmutziges Geschäft“! Das weiß denke ich jeder? Ein SOLDAT aber muß (soll) Nein sagen wenn er nein denkt, wenn er aber ja sagt obwohl er nein denkt, dann wird das Soldatentum, insbesondere der Grundgedanke der Inneren Führung, verraten! Dies geschieht bei der Bundeswehr auf JEDER Ebene, und durch alle Dienstgrad und Laufbahngruppen. Wenn sich die Führung (egal welche Ebene) durch „Schönwettermeldungen“ blenden lässt, diese sogar einfordert oder schlechte Meldungen schönt / nicht annimmt oder den Meldenden als Querulanten, Nörgler etc. „abstempelt“, dann kann es zu keiner Verbesserung egal um welchen Mangel/ Mißstand es geht kommen. Mißstände werden nur angegangen wenn die Verantwortung bei anderen zu suchen ist, es findet eine „Karriereverträglichkeitsprüfung“ statt, und erst wenn die eigene Karriere nicht betroffen ist dann wird oft schonungslos und undifferenziert „losgeschlagen“ / weitergemeldet.
    Die Soldaten der Bundeswehr sind (sollen es ja auch sein) ein Spiegelbild der Gesellschaft! Warum erregt sich die „Öffentlichkeit“ wenn sich auch dort linke, rechte oder religös Andersdenkende finden? Richtig ist, solche Menschen müßen identifiziert und sollten sie gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung arbeiten, aus dem Dienst entfernt werden! Auch hier gilt, gebt den dafür zuständigen Dienststellen die entsprechenden Mittel (Rechtlich, Finanziell und POLITISCHEN Rückhalt) und sie werden gute Ergebnisse erzielen.
    Der politische Rückhalt ist glaube ich das entscheidende bei vielen Problemen der Bundeswehr! Die verschiedenen Parteien mit ihren entsprechenden Ausrichtungen dürfen ein Staatsorgan (die Bundeswehr, gilt aber auch für die Polizei etc.) NICHT zum „Spielball“ ihrer politischen Auseinandersetzung machen! Erstrecht sollten sie sich „vor“ den Staatsdiener stellen, den er schützt auch sie! Außerdem ist der Politiker der „Auftraggeber“ der Bundeswehr! „Soldaten sind Mörder“-Urteile schüren Zweifel an der „Rückendeckung“ der Politik. Auch hier ist es Aufgabe der Politik entsprechende Gesetze zu erlassen die solche Urteile verhindern / unmöglich machen!
    Es ist Aufgabe der Politik dies der Gesellschaft zu vermitteln!
    Die Bundeswehr ist kein Selbstzweck und sucht sich ihre Aufgaben /Einsätze NICHT selber aus! Es ist ein „Märchen“ das der Soldat FREIWILLIG in einen Einsatz geht!
    Eine öffentliche Diskussion WOFÜR die Bundeswehr in den Einsatz geschickt wird /werden sollte, ist mehr als überfällig!
    Wenn, und wohin auch immer die Bundeswehr eingesetzt wird, dann muß die Bundeswehr aber auch vorbehaltslos mit allen Mitteln (welche die Bundeswehr festlegt) unterstützt werden!
    Ebenso muß die Politik für die Ergebnisse ihrer Politik „geradestehen“! Und wenn diese „Folgeerscheinung“ ein Einsatzveteran (wohlmöglich an Körper oder Seele verwundet) ist hat er sich, nicht nur durch entsprechende Gesetzgebung,um diese Menschen besonders zu kümmern!
    Der SOLDAT kämpft nur so gut, wie er sich versorgt fühlt, dies ist eine altbekannte Weisheit, welche immer noch Gültigkeit hat!

  11. Nun, Kollektive leben auch von ihren Erfolgsgeschichten welche benannt werden sollten.

    Wir sind Deutsche, schlicht simple Tatsache. Und die BW hat von Jugoslawien bis Kurdistan viele Leben gerettet, eigene geopfert. Dringend die Erwartungen an Afghanistan anpassen.

  12. Wer ein paar (übrigens natürlich nicht verbotene; auch nicht im Traditionserlass) Wehrmachtshelme und Landserbilder im Zuge der Aufklärung von Aktivitäten eines mutmaßlichen Terroristen gleich bundesweit „mitbekämpft“, hat nicht nur Mass und Ziel verloren (also ein Haltungsproblem), sondern versteht auch das grundsätzliche Problem dieses Falles Franco A. nicht. Der lebt nicht nur in ein eigenen Bundeswehr, sondern in einer eigenen Welt. Gut, dass Generalbundesanwalt und BKA das übernommen haben und nicht die Militär-Dilettanten vom MAD. Bei denen reicht es scheinbar gerade um Generäle vor der „Aussprache“ zu filzen und denen die Telefone und Smartwatches abzunehmen (Welt-Artikel). Dass die das mit sich machen lassen ist übrigens auch bezeichnend. Gab ja scheinbar zwar was Unangenehmes, aber nichts Geheimes. Auch ein Haltungsproblem. Auch eine eigene Welt. Und zwar eine volle Angst.

  13. Unter dem Gesichtspunkt des Einsatzes von WEHRPFLICHTIGEN als gesellschaftspolitisches Frühwarnsystem gegen Extremisten in den Streitkräften wird – wieder einmal – die Reaktivierung der Wehrpflicht zum Thema.
    „FAZ.net“: CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg schlägt eine Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht vor.
    Der Oberstlt d. Res. war damit schon des öfteren zu vernehmen; allerdings kommt solchem Ansinnen im Lichte der krisenhaften Entwicklung der InFü durch das MÖGLICHERWEISE staatsgefährdende Verhalten des Olt A., zusätzliche Aufmerksamkeit zu.
    Aufgrund der prekären Personallage der Streitkräfte kann das Aufleben der Wehrpflicht daher auch Sicherheitsaspekte der Einsatzfähigkeit deutscher Streitkräfte befriedigen.
    Merkel bei PK mit Stoltenberg (heute) zur Wehrpflichtfrage: „… Reformen gem. IBUK sind richtig …“
    Damit ist die Haltung der Kanzlerin klar, gänzlich vom Tisch wird das Thema damit aber nicht sein.

  14. Ulrike Demmer hat in einem bemerkenswerten und preisgekrönten Artikel aus dem Jahr 2011 das Bundesministerium der Verteidigung als „Drachenburg“ bezeichnet und deutlich gemacht, wir der Informationsfluss im Geschäftsbereich des Ressorts gesteuert wird. Die Bundesministerin hat mit ihren Vertrauten innerhalb dieser „Drachenburg“ eine „Wagenburg“ errichtet, um negative und amtsgefährdende Einflüsse von sich fern zu halten. Dies ist – im Lichte der Umtriebe ihrer politischen Gegner – ebenso nachvollziehbar wie vernünftig. Das Problem liegt wohl vorrangig darin, dass negative von positiven Einflüssen nicht mit 100%iger Treffgenauigkeit (schönes Bild übrigens) unterschieden werden können. Schon gar nicht, wenn die Besatzung der „Wagenburg“ weit überwiegend fachfremd geprägt ist. Intelligenz, Pragmatismus, Entschlossenheit und Heerscharen von Beratern können einen Veränderungsprozess nur dann zur Wirkung bringen, wenn der Ist-Zustand der zu reformierenden Organisation treffend beschrieben werden kann. „Bewährtes erhalten – Neues gestalten“ wäre dabei die Maxime. Vorliegend wird aber leider ohne Not Bewährtes zerstört und Fremdes implementiert. Das verursacht Abstoßungsreaktionen. Der Kreis der Vertrauten müsste erheblich weiter gefasst werden – aber dazu bedarf es Vertrauen. Hier liegt – so glaube ich jedenfalls – der Hase im Pfeffer…

  15. Also, jetzt ist es zur Tradition definitiv raus:
    NULLLINIE, sagt die Ministerin in Bezug auf Darstellung von Devotionalien der Wehrmacht in Kasernen.
    IBuK verwies beim Parlamentarischen Abend des Reservistenverbandes auf den geltenden Traditionserlass.
    „Ein Unrechtsregime wie dasI II. Reich kann keine Tradition begründen könne. Jetzt komme es darauf an, auf den Boden der Erlasslage (Zusatz von mir: aus 1982, Hans Apel) zurückzukehren. … Die angeordnete Bestandsaufnahme ist eine Brücke, die wir für alle bauen, um auf den Boden der Erlasslage zurückzukehren. Die Aktion ermöglicht es uns, gemeinsam eine „Nulllinie“ zu ziehen, ab der keinerlei Wehrmachtsdevotionalien ohne jegliche historische Einordnung mehr ausgestellt sein dürften. …“
    Und schließlich zu Helmut Schmidt (an der Uni Bw HH):
    Es gibt Bilder von Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform, es gibt Bilder von Helmut Schmidt in Bundeswehruniform als Reservist. Und es gibt Bilder von Helmut Schmidt als Verteidigungsminister. Ein solches hängt vor meinem Büro im Ministerium. Und im Übrigen hängen die Bilder der Generalinspekteure de Maizière und Heusinger in Bundeswehruniform auf dem Flur des Generalinspekteurs.
    Dann herrscht ja jetzt Klarheit.
    Bis zum nächsten Mal, wenn junge Soldaten vornehmlich in Kampftruppen-Verbänden sich Vorbilder suchen, jenseits von „bewaffneter Entwicklungshelfer“, wie Bw von einigen Alliierten bezeichnet wird.

  16. Vertrauen ist hier wirklich das Schlüsselwort.
    Wer auf Grundlage eines sicherlich alten aber immer noch gültigen Traditionserlasses den Soldaten das Gefühl gibt falsch gehandelt zu haben, die Grundlage für diese Einschätzung aber erst im Nachhinein schaffen will (der formelle Ausgang bleibt dabei bisher völlig ungewiss), trägt selbst dazu bei das System Innere Führung zu schwächen. Handlungssicherheit kann nur durch klare VORgaben und Rückhalt erwachsen, nicht jedoch durch zügellosen Aktionismus und das Festlegen der „Spielregeln“ im Nachhinein.

    btw: Warum gibt es eigentlich keine kritische öffentliche Diskussion zum Statement „Die Wehrmacht ist in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr.“??? Die Weitergabe von Handlungsweisen aus militärischen/taktischen Gesichtspunkten sollte doch gerade im Rahmen der aktuellen „Beteiligung“ im Baltikum nicht zu vernachlässigen sein.

  17. @beliebiges Pseudonym sagte am 19.5.2017 um 08:47 :

    „Warum gibt es eigentlich keine kritische öffentliche Diskussion zum Statement ‚Die Wehrmacht ist in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr.‘??? Die Weitergabe von Handlungsweisen aus militärischen/taktischen Gesichtspunkten sollte doch gerade im Rahmen der aktuellen ‚Beteiligung‘ im Baltikum nicht zu vernachlässigen sein.“

    An der Führungsakademie wurde Anfang der 80er Jahre noch die Ardennenoffensive in allen Facetten analysiert oder eine Sammlung „Kriegsgeschichtliche Beispiele“ angelegt (war jeweils selbst beteiligt), um die Erfahrungen der Wehrmacht zu nutzen, ehe die letzten Zeitzeugen nicht mehr zu Verfügung standen. Beeindruckend auch die Vorträge, die ein Brigadegeneral der Akademie, schwer verwundet bei den Kämpfen um Anzio und Nettuno 1943, vor den Generalstabseleven („Schlieffen-Pimpfen“) hielt, aus dem gleichen Grund, um seine wertvollen Erfahrungen weiterzugeben, solange dies noch möglich war.

    Heute undenkbar. Die Bundeswehr könnte/dürfte sich nur auf die eigenen gewonnenen resp. verlorenen Feldzüge und Schlachten beziehen. Gibt es natürlich nicht, von ein paar Bataillen am Hindukusch abgesehen (leider auch mit einigen Gefallenen).

    Es zählt nur noch die eigene Tradition, wie es die Assistenzärztin und der ihr ergebene Generalinspekteur verfügt haben.

    Wo bleibt eigentlich der Aufstand der Generale?

  18. Ergänzend zwei Lesefrüchte vom heutigen Abend

    Leopold von Ranke, auch zitiert von Charles des Gaulle:

    „Den Charakter eines Volkes erkennt man daran, wie es seine Soldaten nach einem verlorenen Krieg behandelt.“

    Der französische Staatspräsident François Mitterrand in seiner Rede anläßlich des 8. Mai 1995:

    „Ich habe erfahren, welche Tugenden, welchen Mut das deutsche Volk besitzt.

    Bei den deutschen Soldaten, die in so großer Zahl starben, kommt es mir kaum auf die Uniform an und noch nicht einmal auf die Ideen, die ihren Geist bestimmten.

    Sie hatten Mut.

    Sie taten ihre Pflicht wie wir die unsere.

    Sie waren in diesem Sturm losmarschiert unter Einsatz ihres Lebens.

    Sie haben seinen Verlust für eine schlechte Sache hingenommen, aber wie sie es taten, hat mit dieser Sache nichts zu tun.

    Es waren Menschen, die ihr Vaterland liebten – dessen muß man sich gewahr werden.“

  19. Dem Denkansatz der „verschiedenen Bundeswehren“ kann ich auch aus Sicht eines Angehörigen dieser Institution gut nachvollziehen. Vielleicht gibt es sogar, bei aller Verunsicherung, eine Bundeswehr „des Individuums“, d.h. die Bw, wie sie jeder einzelne Soldat kennengelernt und erlebt hat. Es gibt zwar immer wieder Schnittmengen von Soldatengruppen aber als ein Produkt der vielen Strukturreformen und damit der Jahrzehntelangen Umgliederungen, gibt es kaum mehr Verwurzelungen des einzelnen Soldaten in einen Verband oder Gruppe von Kameraden. Es gibt kaum mehr einen identitätsstiftenden Rahmen – nämlich eine soldatische Heimat und Kameradschaft – die greifbarer als ein Grund- oder Soldatengesetz ist. Durch die aktuellen Vorwürfe der BM’in wurde noch mehr Verunsicherung in unsere Reihen gebracht, was am Ende zu einer weiteren Individualisierung und inneren Immigration führen wird. Damit geht eine der Grundvoraussetzungen für einen erfolgreichen Einsatz von Streitkräften verloren: Vertrauen in die Führung und den Zusammenhalt der Gruppe und letztlich des Systems Bundeswehr. Entscheidungen werden zunehmend vermieden – Absicherungsdenken überwiegt. Die beschworene „Auftragstaktik“ als ein Eckpfeiler der „Inneren Führung“ ist zu einem Feigenblatt degeneriert. Die Arbeit und das Leben in der Bundeswehr wird zwar weitergehen aber den Schaden der jüngsten Ereignisse wird man erst langfristig sehen können: zurückgehende Bewerberzahlen, wachsende bürokratische Lethargie, Absicherungsdenken, damit weiter sinkende Attraktivität. Für mich waren es damals Vorbilder, Männer, die uns gefordert haben aber auch gerecht waren, die mich zum Verbleib bei der Bundeswehr motiviert haben – nicht eine „Nulllinie“, Einzelstuben oder Kitas in jeder Kaserne.

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