Multiples Organversagen

Die UN haben eine Resolution zum Schutz der libyischen Zivilbevölkerung durch Einrichtung einer Flugverbotszone beschlossen. http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-03/libyen-uno-flugverbotszone

Dass Deutschland sich enthalten hat, ist ein unglaubliches politisches Versagen. Nicht, weil man damit an der Seite Russlands und Chinas steht – deren Enthaltung ist als Zustimmung unter Behauptung von Souveränität gegenüber den USA -, sondern weil es zeigt, dass der deutschen Regierung die Freiheit anderer nichts wert ist. Ich schäme mich.

15 Gedanken zu „Multiples Organversagen

  1. Es ist sehr peinlich. Besonders wenn man sich vor Augen hält, wie sehr Deutschland auf einen permanenten Sitz im Sicherheitsrat drängt. Das bedeutet aber, das man Verantwortung übernehmen muss und das hat Deutschland hier wiederholt nicht getan.

  2. Es zeigt sich erneut, dass Deutschland (und Brasilien) im Ständigen Sicherheitsrat nichts zu suchen haben und dass die europäische GSVP nicht mal ein Papiertiger ist (was sagt eigentlich Baroness Ashton?) …

  3. Geht es in Libyen um Freiheit und Demokratie, oder um die Ablösung der Herrschaft eines Stammes durch die eines oder mehrerer anderer? Werden hier vielleicht nur westliche Wunschvorstellungen auf die Aufständischen projiziert?
    Und kann man ausschließen, dass die „Freiheit“ einer Regierung nach Gadaffi Flüchtlingsströme nach Europa, Handlungsfreiheit für militante Islamisten und unsicherere Erdölversorgung mit einschliesst?
    Politik sollte m.E. nicht durch moralische Impulse und Projektionen bestimmt werden, sondern durch nüchterne Analyse eigener Interessen und zur Verfügung stehender Fähigkeiten. Slogans von „Freiheit“ etc. ohne diese Analyse haben zu Irak und Afghanistan geführt.

  4. Naja, wenn Deutschland dafür gestimmt hätte, wäre man wohl gebeten worden, Truppen zu stellen. Und das will man ja nicht. Realpolitik eben.

    Bei der moralischen Bewertung muss ich euch zustimmen.

  5. Ich schäme mich auch. Freiheit und Menschenrechte in Libyen sind unserer Regierung und damit uns allen wohl weniger wert als unsere Ölinteressen. Es war schon plump, wie Muammar al-Gaddafi uns Deutsche zuletzt hofiert hat. Bürgerkriege, Massaker und Völkermorde haben uns, die NATO und die UNO doch auch anderswo dazu bewogen, vom völkerrechtlichen Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten abzuweichen, z.B. in Jugoslawien, Bosnien und Herzegowina (IFOR, SFOR und EUFOR) sowie im Kosovo (KFOR). Im übrigen zeigen die prompten Reaktionen des Gaddafi-Regimes, wie richtig die UNO gehandelt hat.

    Bei dieser Gelegenheit möchte ich anmerken, daß nicht nur Freiheit und Menschenrechte in Libyen unserer Regierung offenbar wenig bedeuten, sondern auch Menschenleben und Sicherheit unserer Bevölkerung hier in Deutschland. Das fing damit an, daß der damalige Bundesminister der Verteidigung Franz Josef Jung sich über das unmißverständliche Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz hinwegsetzen und notfalls trotzdem Passagierflugzeuge abschießen lassen wollte, wenn diese entführt und zu Angriffen benutzt würden (2006). Seine Anordnung, beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 Tiefflüge über dem Protest-Camp der Demonstranten durchzuführen, sehe ich heute angesichts von Gaddafis Beschuß von Demonstranten noch skeptischer als damals.

    Die Geringschätzung von Menschenleben und Sicherheit unserer Bevölkerung hier in Deutschland durch die Bundesregierung setzt sich damit fort, daß die Bundesregierung Atomkraftwerke offenbar jetzt erstmals gegen totale Stromausfälle sichern will, wie sie z.B. nach dem schneebedingten Stromausfall im Münsterland 2005, nach dem produktionsbedingten Abschalten einer Höchstspannungs-Stromleitung über den Ems-Kanal 2006 und nach dem Sturm Kyrill 2007 stattgefunden haben. Diese Geringschätzung hört mit offenkundigen Lügen über die Sicherheit atomarer Zwischen- und Endlager noch lange nicht auf.

  6. PS: Im Bundestag wurde Westerwelle ausdrücklich vom Sprecher der Linken gelobt. Bei jedem Satz machte Westerwelle dabei ein Gesicht, als träfe ihn eine Ohrfeige.

  7. Nachtrag: Die Bundesregierung oder die großen Fraktionen müßten m.E. auch bald einen Antrag zur Änderung des Grundgesetzes einbringen. Bis jetzt stellt der Bund nur Streitkräfte zur Verteidigung auf …

  8. @Orontes,
    so sehr ich Ihre Kommentare an anderer Stelle auch schätze. Aber hier liegen Sie falsch. Libyen ist ein wichtiges Land an der südlichen Gegenküste Europas. Alleine aus diesem Sachverhalt heraus ergeben sich strategische Interessen, die auch für Deutschland von Bedeutung sein müssen. Ich vermute, dass die Bundeskanzlerin und der Außenminister auf die „pazifistische Wählerschaft“ des Landes geschaut und geglaubt haben, sie könnten bei den anstehenden Wahlen mit der Enthaltung punkten. Dieser Schuss wird gewaltig nach hinten losgehen. Und in der FDP wird man sich erneut die Frage stellen, ob man den richtigen Parteivorsitzenden hat.

  9. @Politikverdruss
    „Libyen ist ein wichtiges Land an der südlichen Gegenküste Europas. Alleine aus diesem Sachverhalt heraus ergeben sich strategische Interessen, die auch für Deutschland von Bedeutung sein müssen. “

    Das sehe ich ja genauso, komme aber zu einer anderen Schlußfolgerung: Eben weil wir an dieser wichtigen Gegenküste u.a. mit Gadaffi einen Partner haben, der seit 20 Jahren unseren strategischen Interessen dient, sollte man an diesem Partner festhalten und nicht blindlings zugunsten einer Aufstandsbewegung mit vollkommen unklarer Agenda gegen diesen Partner intervenieren. Welche Botschaft sendet das an unsere Verbündeten in dieser Region, und welche Folgen wird es für unsere Interessen haben, wenn die Aufstandsbewegung nicht die blind in sie gesetzten Hoffnungen erfüllt?

  10. @ Orontes,
    die „Wandel durch Handel“-Strategie Westdeutschlands verschaffte den DDR-Bürgern einige Erleichterungen. Durch die Kooperation der Bundesrepublik mit Ost-Berlin konnten dem Regime Zugeständnisse abgerungen werden.
    In diesem Sinne erscheint mir auch die inhaltlich begrenzte „Kooperation“ mit Diktaturen legitim. Alles, was darüber hinaus geht, erscheint mir sehr fragwürdig.
    Ihre Argumentation stützt sich auf die Annahme, dass man den Aufständischen nicht „trauen“ könnte und dass es sich eigentlich um innerlibysche Stammeskämpfe und nicht um eine Freiheitsbewegung handelt. Zugegeben, das Lagebild ist nicht ganz klar. Aber vor die Wahl gestellt, entscheide ich mich eher, eine beeinflussbare „Freiheitsbewegung“ zu unterstützen als einen starrsinnigen Despoten.

  11. Eine Schande der Resolution in ihren Zielen nicht zugestimmt zu haben: ja, sich militaerisch nicht zu beteiligen: nein.
    Die Regierung hat sicher andere (handfeste) Gründe dafür, hier einem Rückzieher zu machen, aber ich finde es gefährlich wie viele (auch hier in dem blog) sich ständig finden, eine schnelle militärische Intervention zu begrüßen. Die simple Moral hinter dem Wunsch hält der Wirklichkeit nie stand und die Folgen sind in der Regel langfristig schädlicher als eine militärische Enthaltung.
    Der Wunsch nach militärischem Eingreifen dokumentiert nur das jahrelange Versagen der Weltpolitik gegenüber Gaddafis Politik – nur die Rücksicht und Stützung des Potentaten ermöglicht ihm nun den Krieg gegen das Volk.
    Die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützen die Bombardierung des Westens, gleichzeitig unterdrücken sie in Bahrain ebenfalls mit Militär die Demokratiebewegung – diese Allianz ist alles andere als Koscher.

    Protest bloggen ist billig, schwierig ist es ein Thema lange Zeit zu begleiten.

    Ich bin kein Freund der CDU, aber aus welchen Gründen auch immer: Der Verzicht auf militärische Intervention ist richtig, wenn auch nicht „Heldenhaft“. Was nun als follow up kommen muss um diese Haltung glaubhaft zu machen ist langfristige Entwicklungspolitik, die das Primat nicht auf die Förderung der eigenen Wirtschaft legt.

  12. Das jahrzehntelange Versagen der Weltpolitik gegenüber Gaddafis brutaler Diktatur sehe ich genauso, auch das deutsche. Auch das Eigeninteresse der neuen Koalition der Willigen (nicht der NATO) sehe ich genauso, nämlich zu retten, was zu retten ist, und sich neuen Einfluß in der arabischen Welt zu sichern. Denn ewig hält Gaddafis Diktatur nimmer, auch nicht die seiner Söhne.

    Langfristige Entwicklungspolitik wäre nicht nur hier, sondern überall auf der Welt – und das lange vor aufbrechenden Bürgerkriegen und Kämpfen – das weitsichtige Gebot des Jahrhunderts. Allerdings stehen demokratische Wahlen in den westlichen Ländern und Weitsichtigkeit in einem gewissen Widerspruch.

    Nur traue ich unserer Regierung nicht zu (siehe meine Gründe weiter oben), daß sie aus Gründen der langfristigen Entwicklungspolitik, der Nachhaltigkeit und der Weitsichtigkeit sich jetzt im UNO-Sicherheitsrat der Stimme enthalten hat und sich – außer mit AWACS-Flugzeugen – nicht am Eingreifen in Libyen beteiligt.

    Aber bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg am nächsten Wochenende könnte sich das für CDU und FDP auszahlen. Wenigstens würde es Wähler beider Parteien zusätzlich abschrecken, wenn Außenminister und Bundeskanzlerin jetzt im Endspurt dieser Wahl täglich mit Schreckensbildern im Fernsehen wären.

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