In der Grauzone – Arbeiten an der Schnittstelle von Journalismus und Militär-PR

In den vergangenen Jahren haben Krisen und Kriege wiederholt zu Innovationen in der militärischen Öffentlichkeitsarbeit geführt. Bemerkenswert ist, dass diese in ähnlicher Form später auch von Unternehmen und Organisationen adaptiert wurden. Mit den Forward Media Teams hat auch der NATO-Einsatz in Afghanistan ein neues Instrument hervorgebracht, das exemplarisch für ein verändertes Kommunikationsmanagement in einer Medienlandschaft im Umbruch sein könnte. Im gleichen Maße wie – nicht nur militärische – Organisationen und Unternehmen journalistische Arbeitsweisen übernehmen, wächst aber auch der Druck auf Journalisten und andere Kommunikatoren, sich darüber klar zu werden, was das für ihre jeweilige professionelle Arbeit und Rolle bedeutet. Nicht nur, aber auch, weil zahlreichen ökonomisch attraktiven Tätigkeiten in der Grauzone zwischen Journalismus und (Militär)-PR, ein zunehmender Legitimationsdruck durch Verfechter der jeweils „reinen Lehre“ gegenübersteht. Vielleicht ist es an der Zeit, alte Dogmen fallen zu lassen und sich darauf zu verständigen, dass beide Professionen mehr verbindet als trennt. Genau weil das so ist, sind alle Seiten gefordert, situativ für Transparenz zu sorgen. Wenn sie es nicht tun, schaffen sie systematisch Skandalisierungspotential und untergraben damit das Vertrauen, auf das sie eigentlich angewiesen sind.

„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“ Dieses Zitat von Hanns-Joachim Friedrich ist nicht umsonst der Leitspruch des nach dem ehemaligen Moderator der Tagesthemen benannten Journalistenpreises. Es soll gleichermaßen Anspruch wie Selbstverpflichtung eines der Wirklichkeit und nicht Partikularinteressen verpflichteten Journalismus sein. Die Realität ist komplexer. Nicht umsonst formuliert der Verein netzwerk recherche, der sich als Interessenvertretung investigativ arbeitender Journalisten  versteht, in seinem 2006 veröffentlichten Medienkodex: „Journalisten machen keine PR

Offensichtlich tun sie es doch, denn sonst müsste niemand darauf hinweisen. Eine zusätzliche Bestätigung erfährt diese Forderung zudem durch die Kritik derer, die sich in der durch das netzwerk recherche markierten Grauzone vermutlich komfortabel eingerichtet haben. Die zielt nämlich in der Regel stärker auf die Protagonisten des nr und ihre vermeintlichen und tatsächlichen Verfehlungen als die Sache selbst.

Militärische PR als Innovationstreiber

Betätigungsfelder an der Schnittstelle von Journalismus und PR sind nicht auf die Kommunikation von Unternehmen beschränkt. Im Gegenteil: Gerade die politische Öffentlichkeitsarbeit und hier insbesondere das militärische Kommunikationsmanagement haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Innovationen hervorgebracht. Zwar reichen die Geschichte der Kriegsberichterstattung – und damit auch die Entwicklung entsprechender militärischer Gegenstrategien weit zurück – wesentliche Impulse wurden aber in den vergangenen 20 Jahren gesetzt. Wurde nach den Erfahrungen mit einem fast uneingeschränkten Zugang von Journalisten zum Kampfgebiet in Vietnam, deren Anwesenheit in der Folge stark reglementiert oder verboten, begann mit dem ersten Golfkrieg eine vorsichtige Öffnung. Im Rahmen des Pool-Systems brachten die US-Streitkräfte ausgewählte Journalisten (die dann zum Pool gehörten) an ebenso ausgewählte Orte im Kampfgebiet, wo sie unter Aufsicht recherchieren konnten. Das dabei produzierte Material wurde anschließend mehreren Medien zur Verfügung gestellt. Der Beginn des zweiten Irak-Krieges 2003 markierte dann mit dem Konzept des Embedded Journalism eine publizistische Wende. Journalisten wurden direkt einzelnen Einheiten zugeordnet (eingebettet) und konnten in diesem Rahmen relativ frei berichten. Beide Entwicklungen wurden vielfältig diskutiert und kritisiert. Besonders interessant ist freilich, dass vergleichbare Konzepte auch in deutlich friedlicheren Kontexten mittlerweile gang und gäbe sind.

Angefangen bei Interview-Arrangements für Superstars, denen teilweise 20 und mehr Journalisten gegenüber sitzen und die anschließend so genannte Einzelinterviews veröffentlichen oder ausstrahlen, bis hin zum Deutschen Fußballbund, der zu Großereignissen ebenfalls Journalisten-Pools bildet. Auch Embedded Journalism ist schon lange nicht mehr auf die militärische Kommunikationsarbeit beschränkt. Ob ein Hamburger Kupferhersteller eine Barkasse mietet, um Journalisten an eine unzugängliche Stelle im Hafen zu bringen, an der ein mit Chemikalien beladenes Frachtschiff gesunken ist, oder ob Automobilhersteller die Kollegen der schreibenden Zunft zu Testfahrten in attraktive Länder einladen – konzeptionell ist beides dem Embedded Journalism eng verwandt.

Innovative PR oder Next Propaganda? – Forward Media Teams

Aus Sicht des militärischen Kommunikationsmanagements hat sich auch beim Einsatz der NATO in Afghanistan ein neues PR-Instrument etabliert. Die Innovation trägt den Namen Forward Media Team (FMT). Im Kern handelt es sich dabei um regionale Korrespondenten der Combined Joint Psychological Operations Task Force (CJPOTF) der International Security Assistance Force – ISAF. Hauptaufgabe der FMT ist die Produktion von Beiträgen für den NATO-Radiosender Sada e-Azadi (Stimme der Freiheit) sowie die gleichnamige Printpublikation. Unter Leitung eines internationalen Journalisten erstellen zwei afghanische Mitarbeiter die Beiträge. Nach Angaben der CJPOTF sind derzeit 12 FMT in Afghanistan tätig. Die FMT sind den insgesamt fünf Regionalkommandos der NATO zugeordnet. Von dort werden sie je nach Lage den Regionalen Wiederaufbauteams (Provincial Reconstruction Teams – PRT) zugewiesen. Die Verträge mit den internationalen Journalisten laufen mindestens 12 Monate, einige von ihnen bleiben aber auch mehrere Jahre in Diensten der NATO. Im Unterschied zu den nationalen PSYOP-Kräften, mit denen die FMT eng zusammenarbeiten, werden die FMT direkt durch das Hauptquartier in Kabul geführt und sind aus der nationalen Befehlskette heraus gelöst. Zudem arbeiten die Mitglieder der FMT in Zivilkleidung, weisen sich aber als Angehörige der ISAF aus. Darüber hinaus erstellen die FMT auch örtliche Stimmungsbilder für das Hauptquartier in Kabul, die so genannten „atmospherics“. Entsprechende Berichte bis zum Juni 2010 sind teilweise auf einer vom ISAF Joint Command betriebenen Web-Plattform – Ronna, auch das ein interessantes Instrument des militärischen Wissensmanagement – nachzulesen.

Interessante berufliche Perspektive für Journalisten …

Vor allem für die internationalen Journalisten ist die Tätigkeit als FMT Leader auch ökonomisch attraktiv. Knapp über 100.00 Euro netto und steuerfrei, kostenlose Unterbringung sowie 31 Tage Urlaub pro Jahr wecken vermutlich nicht nur die Abenteuerlust. Zudem eröffnen sich auch langfristige berufliche Perspektiven. Die ehemalige Welt-Redakteurin Christiane Buck war nach ihrer Tätigkeit als Leiterin eines FMT Leiterin der ISAF Training Section. Auch die Fotojournalistin Veronika Picmanova hat als FMT-Leiterin in Mazar e-Sharif gearbeitet, nach dem sie zuvor für die Deutsche Welle Akademie in Afghanistan tätig war. In Afghanistan ist derzeit auch wieder die Berliner Journalistin Kerstin Tomiak, die die Erlebnisse ihres ersten Einsatzes in dem Buch „Drachenwind“ aufgeschrieben hat.

… und ein verändertes Rollenverhalten

So engagiert sie ihr Buch nach Erscheinen vermarktet hat, so verschlossen gibt sich Kerstin Tomiak, wenn man sie zu den Gründen und Anforderungen ihrer Arbeit in Diensten der NATO befragt. Über ihre „license to speak“ entscheidet die militärische Führung, und die erteilt keine Freigabe. Auch Veronika Picmanova zieht es vor, zu schweigen. Genau an dieser Stelle wird es aber interessant.

Wie lässt sich ein journalistisches Selbstverständnis mit Maulkörben durch Auftraggeber verbinden? Warum reagieren Journalisten häufig genau so, wie sie es sonst Unternehmen vorwerfen, wenn sie selbst zum Gegenstand einer Recherche werden? Kann man überhaupt journalistisch arbeiten – was vom militärischen Auftrag- und Arbeitgeber gefordert ist – auch wenn das heißt, sich mit einer Sache gemein zu machen? Und wie kann man bei alldem seine professionelle Integrität wahren?

Wechselnde Identitäten – Auf dem Weg zu einem neuen Rollenverständnis?

Das sind keine banalen Fragen. Damit verbieten sich auch banale Antworten, wie beispielsweise Propagandavorwürfe oder normative Formulierungen wie die im Medienkodex des netzwerk recherche. Einen praktikablen Weg zu einer integren Kommunikation weisen vielleicht 10 Gebote, des ungekrönten Königs der deutschen Spindoktoren, Klaus Kocks, die dieser im April 2009 als Glosse im PR Magazin veröffentlicht hat. So einfach sie daher kommen, und so unterhaltsam sie sich auch lesen mögen: das Denken, dass nötig war, sie hervorzubringen, ist nicht jedem gegeben. Es ist aber nötig, um Transparenz und Tiefenschärfe in die durch das noch in Teilbereichen vorherrschende Schweigegebot erzeugten Grauzonen zu bringen. Tun Organisationen wie die NATO das nicht, schaffen sie systematisch Skandalisierungspotential und untergraben damit das Vertrauen, auf das sie eigentlich angewiesen sind. Und tun es Journalisten nicht, müssen sie sich fragen lassen, warum.

Militär (und Unternehmen) als publizistische Akteure

Unabhängig von diesen Fragen können die Forward Media Teams der NATO in Afghanistan durchaus als zukunftweisendes Instrument des Kommunikationsmanagements gesehen werden. In dem Maße wie unter anderem durch das Internet quasi jedem die Möglichkeit gegeben ist, publizistisch tätig zu werden, müssen auch Unternehmen und Organisationen beginnen, sich über ihre Rolle als publizistische Akteure Gedanken zu machen. Wenn, und dafür spricht einiges, die klassischen Rezepte der Einwegkommunikation und des Marketings (wobei beides zu oft identisch ist) dem Publikum nicht mehr schmecken, müssen neue Köche ran. Diese wiederum sind gut beraten, sich bei ihrer Arbeit auf ihr journalistisches Handwerkszeug zu verlassen, denn wenn sie wirklich wirksam werden wollen, müssen sie ihre Auftraggeber in der Regel härter befragen, als dies selbst der investigativste Journalist je tun könnte. Affirmation wird damit zur denkbar schlechtesten Haltung für Auftragskommunikatoren.

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