Das Versagen hat System

Umschlagtitel des Buches Einsatz ohne Ziel?

Ein bemerkenswert kluges Essay hat Klaus Naumann, Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, geschrieben. Unter dem Titel „Einsatz ohne Ziel? Die Politikbedürftigkeit des Militärischen“ skizziert Naumann die grundlegenden Dilemmata, der sich Politik und Militär angesichts der veränderten Rahmenbedingungen einer weltweiten Interventionspolitik gegenübersehen. Der größte Verdienst ist dabei, dass er sich nicht auf eine abstrakte Analyse beschränkt, sondern konkrete Handlungsoptionen aufzeigt und dabei vor allem von der militärischen Führung der Bundeswehr verlangt, ihr Rollenverständnis grundsätzlich zu überdenken. Nach mehr als 50 Jahren, in denen der Primat der Politik durch die Offiziere als implizite Aufforderung zum Schweigen bei zentralen Fragen verstanden wurde, fordert Nauman sie nun auf, den öffentlichen Diskurs aktiv mitzugestalten. Sein stärkstes Argument dabei: eine Politik, die von Soldaten verlange, in Einsätzen rund um die Welt auch politisch zu agieren, könne nicht erwarten, dass die selben Soldaten sich in der Heimat unpolitisch verhalten. Es bleibt zu hoffen, dass die 125 Seiten des Buches an den Offizierschulen, den Universitäten und der Führungsakademie der Bundeswehr intensiv studiert werden, und man darf gespannt sein, welche Spitzenmilitärs als erstes ohne Furcht vor Laufbahnnachteilen in der Lage sein werden ein neues professionelles Selbstverständnis zu artikulieren.

Afghanistan – raus oder (noch mehr) rein?

Eine Bundesregierung ohne erkennbare Strategie, ein eklatanter Mangel an außen- und sicherheitspolitischem Nachwuchs in allen Parteien, eine Auslandsberichterstattung, die weniger von inhaltlichem Interesse als viehlmehr von persönlichen Eitelkeiten dominiert wird, und eine militärische Führung die ihren Soldaten im Einsatz Maulkörbe umhängt, anstatt eine umfassende Berichterstattung zu ermöglichen – die rund 100 Gäste, die am vergangenen Mittwoch (10.6.2009) die Diskussion in den Berger Kinos in Frankfurt verfolgten, bekamen einen umfassenden Eindruck in die Ursachen für das „freundliche Desinteresse“ (Bundespräsident Horst Köhler) bzw. die Ablehnung, mit denen die Deutschen dem Einsatz der Bundeswehr gegenüberstehen.

Zur Diskussion unter dem Titel „Krisenintervention in den Medien“ hatte die Initiative MedienMittwoch eingeladen. Ein Grund, so Harald Metz, Mitinitiator und Lichtspieldirektor der Berger Kinos, war u.a. der enorme Zuspruch, den ein Film wie „Die Reise nach Kandahar“ beim Publikum gefunden hatte. Dem großen Interesse des Frankfurter Kinopublikums steht eine doch sehr überschaubare Präsenz des Themas in deutschen Medien gegenüber, wie jeder weiß, der die Auslandsberichterstattung verfolgt. Antworten auf die Frage, warum das so ist, sollten Tom Koenigs, Bundestagkandidat der hessischen Bündnis90/Die Grünen und ehemaliger UN-Sonderbeauftragter, Willi van Oyen, Fraktionsvorsitzender der Linken im hessischen Landtag, und der Journalisten und langjährige Auslandskorrespondent Christoph Maria Fröhder finden.

Von pazifistischen Wurzeln zur Forderung nach Intervention

Den Auftakt machte jedoch die Darstellung der politischen Positionen von Koenigs und van Oooyen. Hatten sich die beiden Diskutanten im Vorgespräch im Foyer noch harmonisch über ihre gemeinsamen Erfahrungen in der linken Frankfurter Szene ausgetauscht hatten, markierten sie nun recht schnell ihre kontroversen Positionen. Koenigs plädierte überzeugend und überzeugt dafür, den Einsatz in Afghanistan aus humanitären Gründen aufrecht zu erhalten. Allerdings forderte er, die zivile Komponente zu erhöhen und beim militärischen Einsatz die polizeilichen Fähigkeiten massiv zu verstärken. Van Ooyen hingegen kam über die Forderung „Raus aus Afghanistan“ nicht hinaus, und begründete dies mit den zahlreichen tatsächlichen oder vermeintlichen Fehlern der (vor allem US-amerikanischen) Politik in der Vergangenheit. Die Frage nach den Konsequenzen eines Rückzugs der NATO aus Afghanistan beantwortete er mit einem lapidaren „das werde man dann ja sehen“ und unterstrich damit, wie tief die Linke sich in ihrer Fundamentalopposition – und damit der Politikunfähigkeit – eingegraben hat. Besonders deutlich zeigte sich, dass Koenigs Argumente wegen seiner Erfahrung in Afghanistan deutlich mehr Substanz hatten, als die bar aller Kenntnisse des Landes von van Oooyen vorgebrachte Position.

Die journalistische Perspektive

Wirklich interessant wurde die Diskussion aber erst durch Christoph Maria Fröhder, der die Aussagen Koenigs durch seine eigenen Erfahrungen kontrastierte. Fröhder machte an verschiedenen Beispielen deutlich, wie sehr sich der journalistische Blick auf das Land und die Menschen von der offiziellen Sicht eines UN-Sonderbeauftragten unterscheidet. So kritisierte Fröhder verschiedene Wiederaufbauprojekte, die ihm von offizieller Seite als Erfolgsgeschichten verkauft werden sollten, als Alibimaßnahmen, während gleichzeitig an unterschiedlichsten Stellen ein großes Maß an Eigeninitiative zu finden sei – aber auch, wie in vielen Bereichen, in denen keine effiziente Hilfe geleistet wird, die radikalen Kräfte wieder an Einfluss gewinnen.

Afghanistan und die Medien

Mit Blick auf das eigentliche Thema der Diskussion wurde sehr schnell klar, dass die Außenpolitik offensichtlich ein von allen Seiten ungeliebtes Stiefkind ist. Bis auf die zwar sehr griffige, aber nun auch schon fünf Jahre alte Formulierung des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck, dass Deutschland Freiheit auch am Hindukusch verteidigt werde, ist die Bundesregierung bislang eine überzeugende Begründung für den Einsatz in Afghanistan schuldig geblieben. In den Reihen der Parlamentarier, die den Einsatz schließlich mandatieren, hat sich bis auf Winfried Nachtwei (Bündnis90/Die Grünen), niemand durch einen besonders differenzierten Blick auf die Afghanistan-Politik Deutschlands hervorgetan. Und dabei geht nicht nur der SPD der außenpolitische Nachwuchs aus, wie Spiegel Autor Ralf Beste schreibt. Auch in den anderen Parteien scheint sich die Außen- und Sicherheitspolitik als Verliererthema etabliert zu haben.

Öffentlich-rechtliche Politik

Dazu passend haben vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien ihre Berichterstattung zu Afghanistan und anderen Konfliktherden auf ein Minimum reduziert. Christoph Maria Fröhder legte eindrücklich dar, wie die Krisen-Berichterstattung mit Verweis aufdie Quote in die Programmfenster nach Mitternacht verschoben wird, während in den Nachrichtensendungen mit Vorliebe die immer gleichen Bilder von Anschlagsorten gezeigt werden, ohne dass die Hintergründe erläutert würden, was allerdings angesichts der geringen Präsenz von ständigen Korrespondenten vor Ort auch nicht weiter verwundere. Nachhaltig in Erinnerung dürfte dem Publikum Fröhders Schilderung bleiben, wie der zuständige Bayerische Rundfunk unter Verweis auf die internen Strukturen verhinderte, dass er während der israelischen Offensive in Gaza vor Ort recherchierte. Stattdessen beschränkte sich die ARD wie die meisten anderen Sender darauf, ihren Korrespondenten auf den „Berg der Schande“ zu entsenden.

Maulkorb für Soldaten

Ebenso hart wie mit der ARD ging Fröhder mit der Kommunikationspolitik der Bundeswehr in Afghanistan ins Gericht. Das oberste Bestreben der Presseoffiziere sei es, so Fröhder, Journalisten permanent unter Kontrolle zu halten. Als Argument führten sie dabei vor allem die Sorge um deren Sicherheit  an – ungeachtet der Tatsache, dass Journalisten wie Fröhder vermutlich mehr „Einsatzerfahrung“ haben als die Militärs. Fröhder jedenfalls für den ließ es sich nehmen ohne militärische Begleitung durchs Land zu reisen und fand dabei auch sehr erfolgreiche Beispiele f ür die Arbeit der Bundeswehr – dumm nur, dass die Führung im Einsatzland ihren Soldaten einen Maulkorb verpasst hat und Statements ohne Begleitung von Presseoffizieren schlicht verboten hat.

Die Sicht eines (ehemaligen) Soldaten

Ich hatte mich relativ kurzfristig dazu entschlossen, die Diskussion zu besuchen. Im Foyer hatte ich die Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch mit Harald Metz. Dabei machte ich ihm deutlich, dass mir bei der Besetzung des Podiums die Perspektive der Bundeswehr, aber vor allem die der Soldaten fehle, was wiederum Metz dazu bewog, mich am Ende der Diskussion um ein kurzes Statement zu bitten. (Dem kam ich gerne nach, man ist ja schließlich nicht uneitel.) Dabei habe ich versucht deutlich zu machen, dass ich die Kritik Fröhders an der restriktiven Kommunikationspolitik der Bundeswehr teile. Meines Erachtens sollte die Bundeswehr alles dafür tun, um die freie Berichterstattung nicht zu behindern. Nur so ist es möglich, dass das deutsche Publikum einen umfassenden und realistischen Eindruck von den Entwicklungen in Afghanistan bekommt. Dazu gehört selbstverständlich auch ein eindeutiges Bekenntnis der Politik zu diesem Einsatz, was eine intensivere Auseinandersetzung vorausetzt, als die Abstimmungsroutine zu dessen Verlängerung, und eine deutliche stärkere Präsenz des Themas im Programm der öffentlich-rechtlichen Sender. Denn langfristig entzieht das komunikative Versagen von Regierung, Parlament, Verteidigungsministerium und Medien dem Einsatz die Legitimation.